Die Wölfe des Sankt Nikolaus

von R. Andrzej Krysztofinski

Der Heilige Nikolaus, welcher als Santa Claus oder Weihnachtsmann jedes Jahr pünktlich am 6. Dezember erscheint, wird in in unseren Breiten am ehesten mit Rentieren assoziiert. Das ist aber nicht immer und nicht überall so gewesen.

Im tiefen Osten Polens, an der Grenze zu Ukraine, steht eine Kapelle, die dem heiligen Nikolaus gewidmet ist. Dort thront eine eine steinerne Skulptur aus dem 18. Jahrhundert, die das Vorbild des heutigen Weihnachtsmanns noch in seiner ursprünglichen Kluft – als Bischof bekleidet – darstellt. In der einsamen Kapelle ist der Bischof Nikolaus jedoch nicht allein. Mit ihm bewacht seit Jahrhunderten ein Wolf die Wunderquelle welche sich direkt neben diesem Bauwerk befindet. Ein Wolf in Sandstein gehauen – älter als das Bildnis der Hl. Nikolaus. Historiker schätzen, dass die Wolfsskulptur aus dem 17. , vielleicht auch aus dem 16. Jahrhundert stammt.

Bildquelle: Wikipedia Polen

Es sind stumme Zeugen aus der Zeit , als der Heilige Nikolaus – also unser Weihnachtsmann – in weiten Teilen Osteuropas als Herr der Wölfe verehrt wurde. Im Volksglauben lenkte dieser Heilige die Wege der Raubtiere. Von seinem Wohlwollen hing es ab, ob sich die Wölfe an den Schafen und Pferden von Kowalski oder denen von Iwanowicz bedienten, ob sie im Sommer das Vieh auf den Weiden im Dorf X oder auf den Weiden der Siedlung Y reißen. Deswegen wurde am 6. Dezember, am Tag des Heiligen Nikolaus, in die Kirchen und zu den Pfarrhäusern mit Opfergaben gepilgert, um den Herrn der Wölfe gnädig zu stimmen. Die Opfer in Form von geschlachteten Lämmern, Gänsen, Hühnern, Brot usw. nahm, stellvertretend für den Weihnachtsmann, der örtliche Pfarrer oder Pope entgegen.

Spuren dieser Bräuche und der der Allianz zwischen dem Vorgänger des Santa Claus und den grauen Räubern sind östlich der Weichsel (Warthe?) auch in vielen Sprichwörtern und Bauernweisheiten erhalten: „ Na Swietego Mikolaja wilkow zgraja“ – Der Heilige Nikolaus lässt die Wölfe los“ – sagten die Bauern in Ostpolen, Litauen und Ukraine. In den Karpaten beteten am 6. Dezember die Einheimischen zum Patron der Wölfe, damit er seine behaarten Untergebenen zum Nachbarvieh und nicht zu ihren Herden schickt. Die Opfergaben, die am Tag des Heiligen Herrn der Wölfe abgeliefert wurden, hießen in manchen Gegenden wilki, „die Wölfe“.

Wie kam es zu dieser Verbindung, Unterordnung, Komplizenschaft der Wölfe mit dem Bischof von Mira und letztendlich mit unserem Weihnachtsmann? Man kann nur Vermutungen anstellen. In der Vita dieses Heiligen und in den vielen Legenden um ihn findet man keine Wolfsspuren. Eine der Erklärungen für die osteuropäischen Bräuche und Traditionen um den 6. Dezember geht von der Tatsache aus, dass sie überwiegend dort funktionierten und es sich dabei um einfache Übernahme und Umdeutung der slawischen Gottheit Veles handeln könnte.

Abb.: Veles-Zeichen, derzeit beliebt bei Heiden; Bildquelle:Wikipedia

Veles ziemlich düstere Gestalt wurde von den Slawen unter anderen als Schutzpatron der Viehherden verehrt. Auf russisch hieß er skotij bog, der Rindergott.

Abb.: Zeitgenössische Darstellung des Veles in der Ukraine. Bildquelle: http://www.slavicsouvenirs.com

Der christliche Heilige und spätere Weihnachtsmann schlüpfte in seine Rolle, legte sich ein Paar Wölfe zu (vielleicht übernahm er sie von seinem Vorgänger?) und es stand nichts im Wege die alte Tradition fortzusetzen. Nur dass die Gaben nicht an die Heidenpriester, sondern an andere Vermittler gingen.

Die Kapelle wurde als Pilgerstätte von Gläubigern vieler Konfessionen noch nach dem Ersten Weltkrieg häufig angesteuert. Noch immer ist sie beliebt obwohl der eigentliche Wolfsmotiv in Hintergrund geraten ist

Eine andere Erklärung für die jahrhundertelange Kultivierung dieser Bräuche ausgerechnet in Osteuropa, kann damit zusammenhängen, dass es in Osteuropa kaum je eine staatlich gelenkte, angeordnete und organisierte Wolfsbekämpfung gegeben hat (Spatzenkriege auch nicht). Die Obrigkeit ließ die Menschen mit dieser „Plage“ in einer dünnbesiedelten, weiträumigen Landschaft praktisch allein. Sie mussten damit allein fertig werden und praktizierten Opferrituale, welche die existentielle Bedrohung durch die Raubtiere abwenden sollten. Zumindest so lange bis Schusswaffen und Gifte aus der Gewöhnlichen Brechnuss (Strychnos nux-vomica) auch in diesem Teil Europas verfügbar wurden.

Abb.: Brechnuss (Strychnos nux-vomica); Bildquelle: Wikipedia

Dann dankte der Heilige Nikolaus als Herr der Wölfe ab. Er hörte damit auf, die Geschenke von den Bauern einzusammeln und verteilt stattdessen selber welche an die braven Kinder.

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KRAUTJUNKER-Kommentar: Dieser Text wurde am heutigen Nikolaustag von R. Andrzej Krysztofinski in der KRAUTJUNKER-Facebookgruppe veröffentlicht. Ich danke für die Erteilung des Copyrights auf dem KRAUTJUNKER-Blog und habe mir erlaubt, den ursprünglichen Text leicht zu überarbeiten. Nikolaus und Weihnachtsmann: Das sind die Unterschiede: https://praxistipps.focus.de/nikolaus-und-weihnachtsmann-das-sind-die-unterschiede_127199

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R. Andrzej Krysztofinski

Abb.: Rechts im Bild R. Andrzej Krysztofinski; Bildquelle: Jacqueline Mette

Jäger, Angler und Sammler  des 3 Jahrtausends nach Christi Geburt. Langjähriger Beutesachse mit forstlichen Wurzeln. Freier Illustrator und Autor im Dienst des polnischen Jagdmagazins Brać Łowiecka sowie anderer fremdländischer Periodika.  Wildgehegeführer im ehemals königlich–kurfürstlichen und  ältesten sächsischen Tierpark in Moritzburg bei Dresden. Anhänger der postkulinarischen Be- und Verarbeitung von Wildknochen , Hörnern, Klauen und Geweihen zu Anhängern.

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Anmerkungen

Von KRAUTJUNKER gibt es eine Facebook-Gruppe sowie Becher aus Porzellan und Emaille. Kontaktmail für Anfragen siehe Impressum.

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