Pilze suchen mit meinem kleinen Bruder

„Pilze sind ja keine Pflanzen“, doziere ich munter, während ich neben meinem kleinen Bruder in den Schaumburger Wald stapfe, den Pilzkorb fest unter den Arm geklemmt.

„ Äh, was denn?“ Ha! Ich habe ihn unvorbereitet überrascht und er gibt sich die Blöße sein Unwissen zuzugeben. So schwadroniere ich, ohne eigentliche Ahnung, über die Einteilung der Biologen in die drei Reiche der Lebewesen, die da wären Vielzellige Tiere (Metazoa), Pflanzen (Plantae) und eben Pilze (Fungi). Den offenkundig flachen Witz über das Dritte Reich sparen wir uns, denn ein Klugscheißer-Duell ist eine viel zu ernste Sache, sofern man den Sieg noch nicht in der Tasche hat. Leider vergallopiere ich mich, als ich eine meiner liebsten wissenschaftlichen Theorien verbreite, dass die DNA der Tintenfische angeblich von Asteroiden aus dem Weltall stammt. Ich hab das tatsächlich mal im Internet gelesen, aber man muss nun wirklich nicht jeden Schwachsinn für bare Münze nehmen. Dieser Weblog ist ein Beispiel für unseriösen Mumpitz.

So reißt mein Bruder die Gesprächsführung an sich und erklärt mir seine Sicht der Entstehung des Lebens. Es hat etwas mit Aminosäuren zu tun, den Rest habe ich vergessen, was ebenso für einen Großteil des schulischen Chemieunterrichtes gilt. Während wir so palavern, dringen wir tiefer in den Pilzwald ein. Mein Bruder trägt eine modische Outdoor-Funktions-Jacke und Jeans, womit man, meinem sehr maßgeblichen modischen Urteil nach, in der Stadt wie auf dem Land gleichermaßen schlecht angezogen ist. Ich hingegen bin mit einer uralten Barbourjacke und einer Feldhose ausstaffiert. Ein klein wenig sehe ich aus wie ein Landadeliger, der in den schottischen Highlands Moorhühner sammelt und dabei Verse von Robert Burns zitiert. Diese geschmackvollen Signale, wie aus einer Landliebe-Fotostrecke, bleiben leider unbeachtet, da an einem Montagvormittag keine Sau im Wald ist. Habe ich keine Sau geschrieben? Tatsächlich stoßen wir auf dem Waldweg auf eine Rotte Wildschweine. Die klugen Tiere sortieren uns aufgrund unseres besserwisserischen Gesabbels als ungefährliche Stadtmenschen ein und verschwinden erst, nachdem wir uns auf fünfzig Meter genähert haben.

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Die Respektlosigkeit der Schwarzkittel ignorieren wir stillschweigend. Denn wo das genießerische Borstenvieh mit seinen Rüsseln den Waldboden aufwühlt, sollten Speisepilze nicht weit sein, vermute ich lauthals und fachmännisch. So folgen wir den feisten Viechern und beginnen mit der Suche nach Steinpilzen (Boletus edulis) und Maronen (Imleria badia). Leider finden wir keinen dieser begehrten Speisepilze. Den verregneten Sommer über habe ich mich mit der Vorstellung von aus den Nähten platzenden Pilzwäldern getröstet, aber ab Ende August war es so trocken, dass sich meine Erwartungen an Körbe voller Speisepilze als Luftschlösser erweisen.

Dafür stoßen wir auf nie gesehene Lebensformen, die tatsächlich extragalaktische Organismen sein könnten. Vielleicht werde ich diesen der Menschheit unbekannten Fungi nach mir benennen, um endlich endlich für meinen Namen Unsterblichkeit zu gewinnen?

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Nach ein, zwei Stunden überkommt uns dieser berüchtigte Gemütszustand, der Nachtschwärmer auf der Jagd nach einer Eroberung überkommt. Dieses hungrige Gefühl, wenn sich am Ende der Nacht die Tanzfläche leert und man noch keinmal rumgeknutscht hat. Ein Studienfreund, nennen wir ihn Harry, sagte vor fast einem Vierteljahrhundert in einer vergleichbaren Situation zu mir (Gott, ist das lange her), „wenn Du nur die Leckersten nimmst, kommt du nie auf eine gute Quote!“ So vergrößern wir unser Beuteraster und fangen an, diese schmächtigen Gelben zu sammeln, die überall wachsen. Ein bisschen klein und ein bisschen schmal sind sie, aber vielleicht haben sie ja einen guten Charakter, äh Geschmack? Nach dem Pilzführer meines Bruders könnten die meisten Edel-Reizker (Lactarius deliciosus) sein und so packen wir die Körbe voll, was sich sehr gut anfühlt.

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Schon steigt die Stimmung wieder wie ein Luftballon und während wir so den Waldboden abernten, versorge ich meinen kleinen Bruder ungefragt mit Ideen, Rat und Lebenshilfe. Ob er denn in der Erkältungszeit jeden Abend sein Glas Rum trinkt, dass man einen gepflegten Mann an geputzten Schuhen erkennt und warum es illegal sein sollte, Outdoor-Funktionskleidung innerhalb geschlossener Ortschaften zu tragen. Zwischendurch frage ich dann sein Wissen ab. Er mutmaßt immer, ich wolle sein Leben kontrollieren, aber wir älteren Brüder tragen nun einmal die Last, den Nachgeborenen eine aktivierende Sozialpolitik angedeihen zu lassen. Fördern und fordern findet mein Bruder,  Jurist im Staatsdienst, eigentlich gut, bloß bei ihm selbst nervt es ihn, so dass er das Thema wechselt und wir wieder in ein Klugscheißer-Duell über die Geschichte der europäischen Landschaft geraten. Hier kann ich mit meiner Großherbivoren-These* Punkte holen, weil ich diesmal meine Wild-Card, die Außerirdischen, aus dem Spiel lasse.

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Zurück in der Stadt erklärt mir die Herrin von Slot Halemejse in den behutsamen Worten, mit denen ansonsten gescheiterte Liebhaber über ihre erektile Dysfunktion getröstet werden („Das kann doch jedem mal passieren“ & „natürlich bist du trotzdem ein Mann“), dass ich den Korb größtenteils mit  Falschen Pfifferlingen (Hygrophoropsis aurantiaca) und anderem kaum genießbarem Kroppzeugs gefüllt habe. Dieser Niederlage ungeachtet, bleibt die Erinnerung an einen schönen Tag im Wald, den ich nicht vergessen werde. Hoffentlich gilt dies auch bei meinem Bruder für meine wertvollen Ermahnungen, wie er sein Leben zu führen hat…

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Anmerkungen

Von KRAUTJUNKER existiert eine Gruppe bei Facebook.

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*  Die Großherbivoren-These:

https://krautjunker.com/2016/10/27/der-auerochs-seine-faehrte-in-unserer-kultur/

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