Meine kleine vegane Metzgerei

Es war in den 90er Jahren, als ich von der ersten leibhaftigen Veganerin hörte. Es handelte sich hierbei um eine Dozentin für Landschaftplanung, natürlich in Berlin. Natürlich Berlin und natürlich an der TU, gerne als Fips-Asmussen-Universität verspottet, da man dort auch mit schwerer Dyskalkulie seinen Dipl. Ing. (TU) absolvieren kann. Mein durchaus modern gesinnter Freund, der Herr von Slot Halemesje, beschrieb sie mir eindrücklich als eine Art menschliche Gespensterheuschrecke. Groß und langgliedrig, dabei sehr dünn, sehr bleich und natürlich links und lesbisch. Ich hab sie mir so ähnlich wie Nosferatu in dem Spielfilm von 1922 vorgestellt, bloß weiblich und sich nicht von Blut, sondern von Blütensaft ernährend.

Mittlerweile lebe auch ich im 21sten Jahrhundert, die Welt steht Kopf und ich war gezwungen, mich an Undenkbares zu gewöhnen. Tatsächlich ist nicht nur der Vegetarismus, sondern sogar der Veganismus bis in meinen Freundeskreis eingedrungen. Ich entdeckte, dass Veganer Menschen wie Du und ich sind – naja, doch vielleicht eher wie Du als wie ich. Einer davon ist Ola, ein gebürtiger Schwede. Sein Vater kam in den 70er Jahren als Wissenschaftler nach München, wo er eine durchaus bürgerliche und anständige Erziehung genoss, erst an der Universität München Politik studierte, in interessanten Jobs glänzte, später sogar noch einen Abschluss an der renommierten Handelshochschule Leipzig machte. Mittlerweile arbeitet er in der Pleißemetropole als Manager.

Man kann sich meine bodenlose Überraschung vorstellen, als mir Ola vor zwei, drei Jahren eröffnete, er sei jetzt Veganer. Hätte er mir eine sexuelle Affäre mit einem Wombat gestanden, ich wäre nicht schockierter gewesen. Schließlich schätze ich Ola seit Jahren für seine Intelligenz, sein kultiviertes Bildungsbürgertum, seinen feinen Humor und seine Liberalität. Und nun das: Veganer. Ab dem Zeitpunkt habe ich keine Witze über Veganer mehr gemacht (jedenfalls nicht mehr, als über alle anderen Menschen), sondern zugehört und beobachtet. Skeptisch, zuerst vor allem amüsiert, aber immer neugierig. Grundsätzlich ist Ola immer noch der Alte, bloß ein bisschen dünner.

Es freut mich sehr, den geschätzten Freund in KRAUTJUNKER, dem Internetmagazin für Wanderer zwischen den Echokammern, mit einer interessanten Buchvorstellung zu Wort kommen zu lassen.

von Ola Wirenstrand

Eine ganze Weile war ich Veganer. Keine tierischen Produkte auf dem Teller, nichts aus der Molkerei, kein Ei, Fleisch und de rgleichen sowieso nicht. Die Motivation ist emotional: mir tun die Viecher leid. Ich halte es für unwürdig für das denkende und fühlende Wesen Mensch, andere offensichtlich fühlende Wesen grausam zu behandeln. Fleisch-, Ei- (auch Leder-, aber hier soll es um Essen gehen), Milchprodukte etc. werden zum allergrößten Teil unter grausamen Bedingungen produziert. Daran möchte ich mich nicht beteiligen, oder zumindest meine Beteiligung gering halten.

Inzwischen würde ich mich als Vegetarier bezeichnen, manche tierischen Produkte, vor allem Käse, halte ich für bislang nicht ersetzbar. Parmesan, Gruyère, Västerbotten: Varianten ohne Tier hatte ich noch nicht in der Hand, nicht einmal annähernd. Mit Gyros und Currywurst sieht das anders aus. Und dank Monsieur Kardinal geht jetzt auch Bratwurst und Zwiebelragout.

Eine immer wieder gehört Frage von Fleischessern: wozu Ersatzprodukte, ist es einem Vegetarier nicht zuwider, Wurst und Schnitzel zu essen, auch wenn sie aus Pflanzen bestehen? Nun kann ich schwerlich für andere sprechen, aber was mich angeht ist ein Wurstnachbau kein Problem. Ich weiß, dass sie nicht aus einem Schwein oder Lamm oder sonst einem Tier stammt. Und ich esse eben gerne Wurst.

Das ist der Punkt: auch wenn manchen Fleischessern Vegetarier als vom einem fremden Planeten stammend erscheinen, so sind zumindest diejenigen die ich kenne ausgesprochen irdisch. Richtiggehend deutsch, sogar, und Deutsche essen bekanntlich gerne Wurst. Nicht umsonst spricht der Däne gerne von den „Wurstdeutschen“.

Auch die meisten hiesigen Vegetarier sind in einer wurstdeutschen Umgebung groß geworden, und essen gerne die etablierten Mahlzeiten, nur eben nicht mit Tier drin. Das ist der Punkt: Essen entsteht nicht nur aus Zutaten, sondern ganz wesentlich auch aus der Art der Zubereitung und Präsentation. Und die ist kulturell geprägt.

Sébastien Kardinal zeigt uns in seinem Kochbuch „Meine kleine vegane Metzgerei“, wie etablierte, althergebrachte Standards ohne Tier gekocht werden können. Es gelingt ihm unterschiedlich gut, wobei die Erwartung meinerseits nicht darin bestand, mithilfe des Buches tadellose Kopien von Merguez, Tatar und Köttbullar zu erzeugen. Das gelingt erfahrungsgemäß so gut wie nie, wobei man fairerweise ergänzen muss, dass auch Fleischköche nicht immer gute Rezepte schreiben. Entscheidend, hier wie auch bei anderen Kochbüchern: schmeckt es?

Wir haben zwei Rezepte nachgekocht, das eine einmal präzise und einmal nach Gefühl, das andere auch (auf das Gramm!) präzise: Zwiebelragout und Bratwurst. Kardinal betont es: Kochen sei Präzisionsarbeit, und seine Leser möchten sich bitte daran halten.

Geboten werden Wurstküche (Chorizo, Rillette, Landjäger etc.), Klassiker (Pfeffersteak, Rouladen, Tatar etc.) und internationale Spezialitäten (Yakitori, Bolognese, Köfte etc.). Zweifellos eine schöne Auswahl, ansprechend fotografiert, durchaus anspruchsvoll zu kochen. Das Problem: so wie Schweinebraten, Roastbeef und Frikadelle mit Erfahrung durchaus besser werden, wollen auch der Umgang mit Seitan und Tofuschnetzel geübt sein. Wer weiß schon beim ersten mal, wie genau sich eine Messerspitze Pimenton Ahumado (geräuchteres Paprikapulver, ganz ausgezeichnet) oder gar ein Spritzer Flüssigrauch verhalten?

Etliche der benötigten Zutaten dürften dem Fleischkoch unbekannt sein, unmäßig schwer aufzutreiben sind sie aber nicht. Ich habe das meiste in gut sortierten Bioläden gefunden, und heutzutage erfreuen wir uns ja alle am Segen des Internets. An Gerätschaften wird kaum etwas außergewöhnliches benötigt, sogar der immer wieder verlangte Dampfgarer lässt sich gut improvisieren. Wir haben einen Dampfentsafter genommen, funktionierte bestens.

Zu den getesteten Rezepten: die Bratwürste gelangen an sich ganz gut, ansprechende Konsistenz. Das Handling des Seitanteiges war schwer, es kamen kurze, dicke Würste raus, das dürfte bei wiederholten Versuchen aber besser klappen. Geschmacklich in Ordnung, nicht ganz wie man sich eine Bratwurst erwarten würde, aber der Autor ist ja auch Franzose, und kein Wurstdeutscher. Im Ernst: etwas mehr Salz und etwas Majoran und wir hätten eine schöne Bratwurst.

Das Zwiebelragout gelang beim präzisen Nachkochen sehr gut. Die großen Sojaschnetzel im Farbton „Rind“ (es gibt sie auch in hell) kommen erstaunlich nah an Geschnetzeltes heran, wir haben Reis dazu gegessen. Könnte es in dieser Kombination und mit den verwendeten Geschmäckern (Ingwer, Sojasauce, Limette) beim Asiaten nebenan geben. Das etwas mehr nach Gefühl gekochte Ragout mit zusätzlichem Wurzelgemüse und Pilzen hingegen wurde nicht ganz so gut, der Ingwer wirkte plötzlich seifig und die Sauce schlecht ausbalanciert. Bedauerlich, aber nicht dem Autoren anzulasten.

Im Großen und Ganzen haben wir es hier mit einem sehr löblichen, interessanten und ansprechenden Kochbuch zu tun. Viele der fertig zu kaufenden Ersatzprodukte haben noch Verbesserungsbedarf. Wer, wie ich, sowohl gerne isst als auch die Viecher in Ruhe lassen möchte, kann sich freuen, dass auch dem engagierten Hobbykoch zunehmend gute Literatur zur Verfügung steht.

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Mehrere der getesteten Rezepte werden hier noch vorgestellt.

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Anmerkungen

Von KRAUTJUNKER existiert eine Gruppe bei Facebook.

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Titel: Meine kleine vegane Metzgerei

Autoren: Sébastien Kardinal, Laura Veganpower

Verlag: Hans Nietsch Verlag OHG

ISBN: 978-3-86264-383-7

Verlagslink: http://nietsch.de/meine-kleine-vegane-metzgerei-p-12350.html

Leseprobe: http://nietsch.de/images/5132.pdf

Website des Autors: http://kardinal.fr/

4 Kommentare Gib deinen ab

  1. portapatetcormagis sagt:

    Deine Beschreibung, wie Du Dir die Veganerin vorgestellt hast, ist großartig!

    Und das Buch klingt sehr spannend.

    Gefällt 1 Person

    1. KRAUTJUNKER sagt:

      Vielen Dank. Die Beschreibung ist ja nicht von mir, sondern von Oliver. Ich hab aber so herzlich darüber gelacht, dass ich sie nicht vergessen konnte. Seinerzeit galten ja Veganer noch als Freaks – und waren es auch oft.

      Das Internet war seinerzeit auch etwas für Freaks. Ein damaliger Freund hatte ein hypermodernes Gerät, auf dass er seinen Telefonhörer legen konnte, um ins abgedrehte World Wide Web zu kommen.

      Da sieht man mal, wie schnell sich die Welt seit 1994 gedreht hat.

      Das hier vorgestellte Buch ist wirklich empfehlenswert – und das nicht nur für eingefleischte (haha) Veganer. Ich mag den subversiven Humor und die schönen Fotos.

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