von Guy Grieve
Am Ende eines jeden Tages schaute ich zufrieden auf meinen Stapel mit entrindetem Holz, der wieder ein wenig gewachsen war. Die glatten, hellen Stämme lagen im Unterholz zwischen ihren dunklen, noch nicht geschälten Verwandten, was mich seltsamerweise an britische Urlauber erinnerte, die sich an einem Strand in Spanien niedergelassen hatten, auffällig bleiche Leiber zwischen den vielen sonnengebräunten Gestalten. Die ständige Schufterei hatte bei mir Spuren hinterlassen, die nicht mehr zu übersehen waren: Ich wurde immer dünner, und dann stellte ich eines Morgens auch noch fest, dass mir eine Hand nicht mehr gehorchte, wie sie sollte. Meine Finger waren ganz taub, und als ich die Hand kurz zur Faust ballte, wollten sich zwei Finger danach nicht mehr strecken. In den folgenden Tagen musste ich jedes Mal mit der anderen Hand nachhelfen, wenn ich die beiden Finger für einen neuen Job brauchte.
Dann saß ich ein paar Tage später beim Frühstück im Zelt, als ein Schuss die Stille zerriss. Erschrocken sprang ich auf und wartete auf den nächsten Knall, um zu hören, woher die Schüsse kamen, aber es blieb ruhig. Ich steckte mir vier Patronen zusätzlich in die Hosentasche und machte mich auf den Weg zur Arbeit. Ich hatte an einem zweiten Platz angefangen, Bäume zu fällen und zu entrinden, den ich meinen „Zauberwald“ getauft hatte. Die Fichten standen hier dicht an dicht, und der Waldboden war mit einem dunklen Moos überzogen. Dieser Teppich und das Dickicht darüber schienen jedes Geräusch zu verschlucken, nirgends war der Wald so still wie hier. Ich nahm mir den Stamm vor, der am nächsten zum Pfad lag, doch nur kurze Zeit später mischten sich ungewohnte Geräusche unter mein Hacken und Schaben. Eindeutig Stimmen. Kaum hatte ich mich aufgerichtet, sah ich zwei Indianer auf mich zukommen, die Ärmel hochgekrempelt, die Unterarme mit Blut verklebt. Ich unterbrach meine Arbeit und hob meine Hand zum Gruß.
Der Größere der beiden kam direkt zur Sache: „Wer hat diesen Weg durch den Wald geschlagen?“ Sein Tonfall klang neutral, doch ich war nicht sicher, wie die beiden auf meine Antwort reagieren würden.
„Nun, ähm – das war ich.“
Er zeigte mir seine vom Kautabak geschwärzten Zähne und spuckte aus.
„Hast du ganz gut hingekriegt.“
„Danke“, sagte ich und wartete erst mal ab. Aus meinen bisherigen Gesprächen mit Indianern hatte ich gelernt, dass sie sich auf das absolut Notwendige beschränken; es werden keine Höflichkeitsfloskeln ausgetauscht. Also schwiegen beide Seiten, und die Männer schauten sich den Fremden gründlich an. Dann ergriff der Kleinere von beiden das Wort: „Dein Weg hat uns geholfen, einen Elch zu erwischen. Und jetzt kriegen wir ihn auch leichter zum Fluss runter.“
„Freut mich für euch“, sagte ich. An den Schuss konnte ich mich nur zu gut erinnern. „Gleich heute Morgen war das, oder?“
„Yeah, wir haben ihn am Grassee erlegt. Gutes Fleisch, und wir sind froh, dass wir ihn noch schießen konnten, bevor die Jagdsaison in zwei Tagen vorbei ist.“
Der Größere fischte eine Blechdose aus der Tasche. „Kaust du?“
„Leider nein“, sagte ich. „Aber ich hab Whisky. Wollt ihr einen Schluck?“
Beide hoben abwehrend ihre Hände. „Scheiße, bloß nicht!“, sagte der Größere. „Wir Indianer drehen bloß durch, wenn wir das Zeug trinken.“
Wir lachten, auch wenn der Grund für seine Bemerkung ausgesprochen finster war; Alkoholismus bei den Indianern ist eine wirklich traurige Geschichte, bis heute, und eigentlich kein Thema, über das man Witze machen sollte. Es sei denn, die Indianer fangen selbst damit an.
„Was machst du hier?“
„Ich baue eine Hütte.“
„Und du lebst in den Wäldern?“
„Ja. Ein Mann aus Galena hat mir geholfen. Don Lowe – den kennt ihr bestimmt, oder?“
„Klar doch. Kennt sich richtig gut aus in den Wäldern, kannst von Glück reden, dass er dir hilft. Und bleibst du hier, wenn die Hütte fertig ist?“
„Ja, aber nur für den Winter. Dann muss ich zurück zu meiner Familien.“
„Du hast Familie?“ Der Kleinere pfiff durch die Zähne. „Ja, das ist hart.“
Wieder Schweigen, dann deutete der Große auf die Baumstämme. „Hast du die Rinde abgeschält?“
„Ja“, sagte ich, leicht verlegen, weil ich mir ganz und gar nicht sicher war, ob das Ergebnis meiner Arbeit sonderlich professionell aussah.
„Sieht doch gut aus“, sagte er. „Wie Willst du das Holz hoch zum Camp schaffen?“
Ich zuckte mit den Schultern. „Weiß ich noch nicht.“
Die beiden schauten sich an und lachten.
„Wir brauchen mehr weiße Männer von deiner Sorte hier.“
„Wieso?“
„Na, du kommst hier an, schlägst einen Weg durch den Wald, baust‘ne Hütte – und dann verschwindest du wieder.“
Wir lachten zusammen, und dann beugte ich mich wieder über meine Arbeit.
Als die beiden abmarschierten, rief der Große mir noch etwas zu. „Hey, die Bärenspuren hast du gesehen, oder?“
Ich schaute auf. „Nee, noch nicht.“
„Dann pass gut auf dich auf. Wir haben weiter unten am Weg ’ne Menge Spuren gesehen, direkt am Fluss. Wann warst du denn das letzte Mal da unten?“
Ich dachte kurz nach. „Vor drei Wochen ungefähr.“
„Vor drei Wochen?“ Er schüttelte den Kopf. „Tja, auch die Bären sind auf deinem schönen neuen Weg unterwegs, also sei vorsichtig. Unseren Elch haben wir übrigens auf einen Baum hochgezogen – den holen wir morgen mit dem Quad ab.“ Und damit verschwanden sie im Wald.
Als es zu dunkel wurde, um weiterzuarbeiten, hängte ich mein Ziehmesser in einen Baum. Ein paar Tage noch, dann war das Entrinden geschafft. Die Warnung der Indianer ging mir nicht aus dem Kopf, und auf dem Weg zurück ins Lager behielt ich das Unterholz links und rechts meines Pfads besonders aufmerksam im Blick. Plötzlich blieb Fuzzy stehen wie angewurzelt, er fletschte die Zähne und knurrte, dass mir das Blut in den Adern stockte.
… (Ende der Leseprobe. Es ist der Beginn des 18. Kapitels aus dem unten bezeichneten Buch. Die selbst gefällten Bäume werden von Guy entrindet, damit er aus ihnen die Blockhütte bauen kann, die er benötigt, um den Winter in Alaska zu überleben.)
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Anmerkungen
Von KRAUTJUNKER existiert eine Gruppe bei Facebook.
Titel: Eine Büroklammer in Alaska: Wie ich meinen Schreibtisch gegen die Wildnis eintauschte
Autor: Guy Grieve
Verlag: Ankerherz Verlag GmbH
ISBN: 978-3-95898-011-2
Verlagslink: https://www.ankerherz.de/products/eine-buroklammer-in-alaska?variant=43652053907
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