von Sven F. Goergens
Es besteht der weitverbreitete Irrtum, Angeln sei eine Beschäftigung, die entspanne und die Seelenruhe fordere. Das Gegenteil ist der Fall. Leidenschaftliche, vom Jagdtrieb befallene Fischer sind wahre Nervenbündel. Ihre Sinne sind aufs Äußerste geschärft, ihr Pulsschlag beschleunigt, ihre Hände zittrig. Das stille Idyll des angelnden Strohhutträgers, der in der Abendsonne bewegungslos über das schimmernde Meer blickt, ist ein Trugbild.
Wie die Katze, die zur Sphinx erstarrt vor dem Mauseloch lauert, steht der Angler, sobald er realistische Beutechancen wittert, unter höchster Anspannung. Außerdem ist sein Zeitgefühl wie im Drogenrausch stark in Mitleidenschaft gezogen. Wenn dem Fischer, der jede Minute mit dem heftigen Anbiss einer Dorade rechnet, ein knappes Stündlein vergangen zu sein scheint, ist nach Uhr und Sonnenstand schon fast ein kostbarer Urlaubstag um.
Solches Suchtverhalten stellt meine Familie jede Sommerferien auf eine harte Geduldsprobe. Einmal bettelte meine kleine Tochter mit feuchten Augen, der Papa mochte doch wenigstens den letzten Strandtag ohne seine Angelrute verbringen. Natürlich erfüllte ich meinem vernachlässigten Herzblatt seinen Wunsch. Und prompt zogen durch das warme, flache Wasser, in dem ich mit den Kindern balgend und planschend meinen Vaterpflichten nachkam, eine zutrauliche Meute von stattlichen Goldbrassen, die spitzbekommen hatten, dass ich endlich unbewaffnet war.
Wie die meisten sonnenhungrigen Deutschen habe ich an mein Urlaubsziel zwei grundsätzliche Ansprüche: Heiß und trocken soll es sein, abkühlendes Nass in Gehweite, aber bitte nicht von oben. Außerdem entwickelte ich als geschundener Knecht der Globalisierung ein starkes Bedürfnis nach überschaubaren Strukturen. Mir tut es wohl, wenn alles Erforderliche nur in einfacher Ausführung vorhanden ist: Eine Bar, eine Taverne, ein Kaufladen. Als Informationsflüchtling schätze ich ferner Flecken, die nicht mit dem Rest der Welt verkabelt sind. Ich möchte nämlich weder erfahren, was die Kanzlerin in Bayreuth trägt, noch wie viele Aidswaisen sich gerade durchs subsaharische Afrika schleppen.
Deswegen beziehen wir jedes Jahr mit der gleichen Begeisterung Quartier auf einem kargen Felsen, kaum größer als Jim Knopfs Lummerland.
Umgeben von blitzblauer Agais und besiedelt von einer Bürgermeisterin, einem Popen und kaum dreihundert Untertanen, besitzt das dürre Eiland noch einen weiteren unschätzbaren Vorzug: In Ermangelung organisierter Zerstreuung (Club, Golfplatz, Erlebnisrutsche) verirren sich auf das Inselchen höchstens ein paar schrullige Briten im hohen Greisenalter.
Nun wird unweigerlich der Einwand laut werden, das heutige Mittelmeer sei etwa so fischreich wie ein Hallenbad. Dass die Unterwasserwelt dort längst geplündert ist, legt auch ein Blick in die Speisekarte lokaler Tavernen nahe: Eine stramme Dorade wird als Rarität gehandelt, ihr Preis liegt für die tellerfertige Version gut und gern bei vierzig oder fünfzig Euro. Schon deswegen geriet ich in helle Aufregung, als ich ein paar Dutzend der kostspieligen Brassen im dunkelblauen Hafenwasser rings um die Mole unseres Inselchens herumgondeln sah. Auf Griechisch heißt die wohlschmeckende Geißbrasse Melanouri, die Einheimischen stellen dem Fisch mit Korbreusen nach, die sie beködert über Nacht auf dem Meeresgrund versenken.
Als blutiger Anfänger, ortsfremd, bootlos und auf Gedeih und Verderb den Ratschlägen der Inselbevölkerung ausgeliefert, hatte ich mit den Brassen freilich meine liebe Not. Ein schlitzohriger Souvlaki-Bräter empfahl als einzig fängigen Köder kleine Garnelen, die ich bei seinem Nachbarn erstehen konnte (zehn Euro für das Tütchen) und aus der Schale zu pulen hatte. Der Besitzer des Gemischtwarenladens hingegen favorisierte einen glatt gekneteten Teig aus Roquefortkäse, Mehl, Zucker, Olivenöl und einem Quäntchen Ouzo. Die Herstellung der duftenden Mischung hatte es bald meiner Tochter angetan, die auf der Veranda unseres Ferienhauses mit viel Hingabe in die Großproduktion ging. Auf einem Blech gebacken schmeckten die Käseplätzchen allerdings ziemlich gewöhnungsbedürftig, ein traniges Salzgeback mit Lakritze-Aroma.
Die Doraden hatten, wie sich bei einem mit Spannung erwarteten Versuch herausstellte, weder gegen die mühsam gepulten Krabben noch gegen den Blauschimmel-Teig etwas einzuwenden. In sicherer Tiefe, aber noch in Sichtweite, da das reine Hafenwasser Einblicke bis 15 Meter unter die Oberfläche erlaubte, machten sie sich mit ihren kräftigen Kiefern über die Leckerbissen her. Vorausgesetzt freilich, der Festschmaus schaukelte ihnen hakenlos entgegen. Sobald ich einen Haken im Köder verbarg und ihn mittels feiner Monofilschnur, leichter Bleibeschwerung und einer Gleitpose in die Reichweite des Schwarms brachte, drehten die heiklen Gesellen beleidigt, wenn nicht sogar alarmiert ab. Statt ihrer fiel eine Unzahl winziger Grund- und Jungfische über den Köder her, sodass ich meine nutzlose Fangvorrichtung alle paar Sekunden abgenagt heraufkurbeln und neu beködern musste. Außer einem kaum dosengroßen, sardinenartigen Selbstmörder, der mein Garnelchen im Absinken verschlang, blieb ich über Tage Schneider. Ich probierte mein Glück vor Sonnenaufgang, in brütender Mittagshitze und in den Abendstunden, alles vergeblich. Dabei durchlitt ich die Qualen einer abgebrannten Kaufsüchtigen, die sich die Nase an einer Prada-Boutique flachdrückt. Die Objekte der Begierde lockten verheißungsvoll in greifbarer Nähe und blieben doch unerreichbar.
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Diese Leseprobe ist der Anfang einer Kurzgeschichte aus dem Buch Gone Fishing (siehe unten).
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Anmerkungen
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Titel: Gone Fishing – Bekenntnisse eines Besessenen
Autor: Sven F. Goergens
Verlag: Franckh-Kosmos Verlag
ISBN: 978-3440124475
Verlagslink: https://www.kosmos.de/4639/gone-fishing
Foto: Die Fotos sind copyrightfrei von Wikipedia
Weitere Leseprobe: https://krautjunker.com/2017/04/20/mit-der-fliege/
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