von Carsten Otte
Jeder Gastrosexuelle weiß eine Geschichte zu erzählen, wie es mit seiner Kochleidenschaft begonnen hat. Das ist ein autobiografischer Mythos, der oft eine erotische Szene enthält. Wenn ich gefragt werde, was mich zum Herd getrieben hat, denke ich an eine laue Sommernacht Mitte der achtziger Jahre, als ich im Bett meiner Freundin lag. Die Süße pennte, ich aber war aufgewacht, und zwar von einem schrecklichen Heißhunger, was nach den abendlichen Aktivitäten kein Wunder war.
Die Wohnung lag im Obergeschoss eines schönen Gründerzeithauses in Bonn-Bad Godesberg, und im Erdgeschoss befand sich das Paradies. Nämlich eines der besten Restaurants der damaligen Bundeshauptstadt, ein Ort, in dem es nicht nur gratinierte Austern, sondern auf Wunsch des Bundeskanzlers auch frische Kutteln gab.
In besagter Nacht also tappte ich die Stufen hinab in die Restaurantküche und staunte nicht schlecht, als ich dort den Wirt und Vater meiner Freundin sah, ebenfalls im Pyjama. Er war gerade dabei, sich ein Rinderfilet zu braten. Als er mich sah, lächelte er zweideutig und legte gleich ein zweites Stück Fleisch in die heiße Pfanne, schlug einen Fond mit Butter auf, blanchierte weiße Rübchen und schob eine kleine Polentaschnitte in den Ofen, als sei es alles andere als ungewöhnlich, so kurz vor Morgengrauen sich den Bauch mit solchen Köstlichkeiten vollzuschlagen. Nach diesem Erlebnis war für mich klar, dass ich später auch mal in einem Restaurant leben wollte. Ich habe nach dem Abitur tatsächlich in viele Töpfe geschaut, aber mir bald eingestehen müssen, dass die Arbeit in der Restaurantküche mich im Gegensatz zum Schreiben und dem Studium der Philosophie nicht glücklich machte.
Die Vorstellung allerdings, nach einer beglückenden Liebesnacht in eine Profiküche gehen zu können, immer die richtigen Zutaten und Geräte vorrätig zu haben, um schnell mal ein passables Gericht zaubern zu können, die begleitet mich bis heute. Ja, mein Verhältnis zum Kochen ist in vielerlei Hinsicht ein sexuelles, ein gastrosexuelles. Und mich beruhigt, dass diese Spielart der Lust mittlerweile ein gewisses Ansehen genießt.
Wenn ich kochende Männer befrage, wie und wann sich ihre Gastrosexualität entwickelt hat, bekomme ich die unterschiedlichsten Antworten. Natürlich, da sind die Sehnsuchtsmänner wie der Leibkoch der deutschen Fußballmannschaft, die von Omi oder Mutti schwärmen, die noch einen guten Braten zubereiten konnten. Einige Männer interessieren sich für ein Spezialthema, etwa für gute Messer, und merken bald, dass Spitzenwerkzeug auf Dauer nur Spaß macht, wenn das Schnittgut noch weiterverarbeitet wird. Viele sagen tatsächlich: »Meine Frau kann nicht kochen. Seitdem ich mich in der Küche rumtreibe, sind alle besser gelaunt. Meine Frau, die Kinder und vor allem ich selbst. Endlich schmeckt es mir auch wieder daheim.« Immer mehr Männer geben zu, dass mit dem Kochen auch ein Lustgewinn verbunden ist. Längst hat sich eine Eigendynamik eingestellt, denn weil immer mehr Männer darüber reden, dass sie gerne kochen, erwägen immer mehr Geschlechtsgenossen, sich ebenfalls an den Herd zu stellen.
Allerdings gibt es, und das sollte man nicht unerwähnt lassen, auch hartnäckige Küchenverweigerer, die schon allein deshalb nicht mitbrutzeln wollen, weil ihnen der Hype um den kochenden Mann auf die Nerven geht. Das kann ich gut nachvollziehen, obwohl ich glaube, dass diese Leute ihre Meinung schnell ändern würden, wenn sie nicht in ihren – zuweilen berechtigten – Vorurteilen gefangen wären. Nein, keine Sorge, ich bin kein Kochmissionar. Wer nicht kochen will, kann auch glücklich werden (und dieser Satz hört sich nun fast nach Oswalt Kolle an). Männer aber, die einmal Lunte gerochen oder, um beim Thema zu bleiben, mit dem Brotschnüffeln begonnen haben, sind nicht mehr zu halten. Diese Männer wollen mehr. Sie wollen die weite Welt der kulinarischen Möglichkeiten durchdringen. Das tun sie auf verschiedenen Wegen. Sie wälzen Fachliteratur, experimentieren im heimischen Küchenlabor, fahren kreuz und quer durch die Republik, um sich aus- und fortzubilden.
Wer das Freizeitverhalten solcher Männer näher kennenlernen möchte, muss den Fokus auf die unfassbar vielen Kochkurse richten, die hierzulande angeboten werden. Und wird festellen, dass die meisten von ihnen tatsächlich von Männern besucht werden. Das bestätigt auch Thomas Ruhl, den ich in seinem Kölner Centre Port Culinaire treffe. Ruhl gehört zu den wichtigsten Verfechtern einer ambitionierten Küche in Deutschland. Er gibt die kulinarische Sammelbandreihe Port Culinaire heraus, war ein paar Jahre als deutscher Chairman in der World’s 50 Best Restaurants Academy, welche sich um eine vieldiskutierte Rangliste der weltbesten Restaurants kümmert, und abgesehen davon bietet der Mann in seinem kulinarischen Hafen in Köln regelmäßig anspruchsvolle Kochkurse an.
Wenn Thomas Ruhl über kochende Männer spricht, dann senkt er seine Stimme. Aus Ehrfurcht vor dem Thema, könnte man meinen: »Wenn sich Männer fürs Kochen interessieren, dann machen sie es richtig und sehr intensiv. Die erscheinen hier mit einem vollständigen Messerset und einer Kochjacke, die sie sich mit ihrem Namen haben besticken lassen.« Was wenig aussagt über die Fähigkeiten der Hobbyköche. Aber das Ziel ist mit einer solchen Ausrüstung schon mal vorgegeben: Perfektionismus. Und der kann sehr unterschiedlich aussehen. »Es gibt«, meint Ruhl, »sehr unterschied liche Typen von Hobbyköchen. Es gibt welche, die sich komplizierte Rezepte vornehmen und die eins zu eins nachempfinden. Die anderen, und ich würde behaupten, die wirklich guten, sind sehr kreativ, kombinieren einzelne Komponenten, erfinden neue Gerichte.«
Wie die Profis eben auch jahrelang erst mal Brühe gekocht haben, um die Basis einer guten Küche kennenzulernen, brauchen Hobbyköche schon ein paar Jahre, um auf der kulinarischen Klaviatur spielen zu können. Und dabei geht es sowohl um theoretische Fortbildung als auch um praktische Erfahrung: Wer nicht weiß, wie klassische Buttersaucen anzurühren sind, wird auch nicht darauf kommen, eine Hollandaise mal mit Rote-Bete-Saft oder Fruchtkonzentraten einzufärben. Aber selbst wer alles übers Kochen weiß, hat möglicherweise kein gutes Gespür beim Abschmecken oder eine unruhige Hand beim Anrichten des Tellers. Vielen Hobbyköchen fehlen handwerkliche Fähigkeiten – und insbesondere für den Gastrosexuellen ist die Einsicht ins eigene Unvermögen ein heilsamer Prozess. Denn das heimische Publikum lässt sich viel zu leicht beeindrucken. Außer, unter den bewirteten Freunden ist auch ein Hobbykoch, der sich die Frechheit herausnimmt, dem Gastgeber unverblümt zu sagen, der Rotkohl sei nicht lange genug geschmort oder enthalte zu viel Ingwer. Dann darf gestritten oder gelacht werden.
Na, klar: Hobbykoch ist nicht gleich Hobbykoch. Wenn ich in diesem Buch auch schon mal in der ersten Person Plural schreibe, weiß ich natürlich, dass wir Gastrosexuellen uns dagegen wehren, in einen Topf geschmissen zu werden. Wir Gastrosexuellen? Was heißt schon: wir? Wir sind keine Generation und wir sind auch kein soziales Milieu. Wir sind Individualisten. Wir sind Männer. Meistens jedenfalls. Wir sind eigentlich kein Wir. Sei’s drum, ich bleibe bei der ersten Person Plural, wenn es sich anbietet. Weil es nun mal sehr viele Gemeinsamkeiten unter uns Gastrosexuellen gibt. Wie auch Thomas Ruhl bestätigt, der auf dem Kochkursmarkt die Oberklasse vertritt, und zwar mit dem Konzept, Hobbyköche und Profis zusammenzubringen. Da trifft man sich etwa bei einem »Alaska Seafood Tasting«, bei dem ausschließlich wildgefangene Meerestiere verarbeitet werden. Das Menü sieht dann folgendermaßen aus: »Jakobsmuschelcarpaccio, Blumenkohlcrumble mit Mango und Zitronenabrieb. Gegrillter Heilbutt, Tomaten-Kapernjus, Duo vom Sockeye, Paprikagel. Silberlachs, mediterranes Gemüse, Bärlauchöl. Blackcod, Belugalinsen, Buttermilch, Kaffeeöl. Königslachs, Asiaöl, Pampelmuse.«
Über die Veranstaltungen im Hause Ruhl wird auf den Internetseiten regelmäßig berichtet, und die Texte besitzen, gerade wegen ihres erstaunlich ernsten Tons, eine ganz besondere Komik. Über das »Alaska Seafood Tasting« ist zum Beispiel zu lesen: »Der Eindruck täuscht; um dieses Menü zu genießen, fanden sich die Gäste nicht in einem Sternerestaurant ein, sondern in der hauseigenen Versuchsküche der Edition Port Culinaire. Anlass dazu gab vor allen Dingen wildgefangener Fisch aus Alaska, der auch durch konsequente Nachhaltigkeit im Umgang mit seiner Natur einen einmaligen Geschmack garantiert. (…) Nach einer kurzen Einführung von Thomas Ruhl, der die Gäste über Land und Meer im wilden Alaska informierte, überzeugten sich alle Anwesenden selbst und ausgiebig von der einzigartigen Qualität der Fische und Meerestiere aus Alaska. In geselliger Runde und bei einem guten Glas Wein trat man anschließend in den Dialog über das gerade Erschmeckte.«
Ich war mal bei einem solchen Dialog über das gerade Erschmeckte dabei. Es ging um die Frage, ob Wurst und Fleisch besser auf einem Grill, im Ofen oder in der Pfanne gegart werden sollten. Ein lustiges Happening mit Stimmabgabe per Akklamation. Am Ende gewann die Bratpfanne. Und nicht der von den Deutschen so geliebte Grill! Natürlich blieb der Dialog über das gerade Erschmeckte nicht aus. Und das meine ich gar nicht so ironisch, wie es sich liest. Ich habe mich in diesem Hafen für den anspruchsvollen Gourmet sogar ausgesprochen wohlgefühlt. Was ich nicht von jedem von mir besuchten Kochkurs sagen kann …
Tatsache ist, es gibt mittlerweile kaum ein kulinarisches Thema, das am Feierabend oder Wochenende nicht vertieft werden kann. Man gewinnt fast den Eindruck, die Deutschen hätten nur noch ein einziges Hobby, nämlich das Kochen. Bei einem Wurstseminar, auf das ich noch ausführlich eingehen werde, habe ich die Teilnehmer gefragt, ob sie schon andere Kochkurse besucht haben. Die Antworten verschafften mir einen guten Überblick, wie beliebt solche Veranstaltungen sind, von wem sie besucht werden und warum. So gut wie jeder Wurstnovize war schon mal bei einem Sushikurs. Oder bei einem Saucenworkshop. Vielleicht auch bei einer mehrtägigen Einführung in die Welt der Patisserie. Was aber haben Würste, Sushi und Pralinen gemeinsam? Viel mehr, als man zunächst meint.
Alle drei Lebensmittel sind in durchaus guter Qualität zu kaufen und ohne Vorwissen nicht so leicht herzustellen. Und warum sollte man das überhaupt tun? Sushi findet man mittlerweile im Supermarkt. Beste Pralinen bietet der Konditor um die Ecke, und die Würste vom Metzger des Vertrauens sind doch auch handgemacht, oder etwa nicht? Ja, schon, aber darum geht es nicht. Was zählt, ist der Produzentenstolz und die Erfahrung, dass selbstgemachte Pralinen und selbstgerolltes Sushi noch viel besser schmecken. Dafür gibt es zum einen sachliche Gründe: Wer die Pralinen selber zusammenrührt, bestimmt die Zutaten, zum Beispiel die besonders hohe Qualität der Schokolade und die Menge des beigefügten Zuckers. Bei jeder Art von Massenware muss man mit Qualitätseinbußen rechnen. Zum anderen verstärkt das Glücksgefühl, gute Grundprodukte eingekauft, den Reis optimal gesäuert und die Füllung der Praline perfekt zusammengerührt zu haben, auch die oralen Rezeptoren: Wer gut drauf ist, hat bessere Geschmackserlebnisse.
Kochkurse bieten also eine Mehrfach-Bedürfnisbefriedigung. Hier lernt man, was man immer schon mal selber machen wollte. Hier isst man, was man gerade selbst gemacht hat. Und hier spricht man mit anderen Teilnehmern über das wunderbare Erlebnis des gemeinsamen Kochens und Verzehrens. Der Kochkurs ist ein gutes Geschenk, vor allem für Singles, die unter Leute kommen sollen. Aber auch für Paare, die etwas gemeinsam unternehmen wollen. Und für Gastrosexuelle, die abseitige Küchenthemen bearbeiten können.
Wenn ein Phänomen in Mobil, dem Magazin der Deutschen Bahn, vorgestellt wird, ist es wirklich ein Massentrend. Unlängst schrieb dort Christian Sobiella über die vielen Do-it-yourself-Kurse, die derzeit überall in Deutschland angeboten werden: Schnaps brennen, Fisch räuchern, Brot backen – und natürlich wurde auch auf ein Wurstseminar hingewiesen. Zunehmender Beliebtheit erfreuen sich zudem Kochkurse, in denen regionale Spezialitäten im Mittelpunkt stehen, die selbst viele Profis nicht mehr beherrschen: Leberknödel, Krustenbraten oder Labskaus. Ich kann mich des Eindrucks nicht erwehren, dass der Anstieg der Kochkurs-Besucherzahlen in einem negativ proportionalen Verhältnis zum durchschnittlichen Ernährungsverhalten steht: Je weniger Leute die Spätzle tatsächlich selber machen, desto beliebter sind die Veranstaltungen, in denen diskutiert wird: Schaben, hobeln oder pressen?
Neben dem bodenständigen Kochhandwerk, das für die deutsche Küche relevant ist, bleiben auch weiterhin die unterschiedlichsten Länderküchen im Dauerangebot der Kochkursveranstalter: Indisch, Thai, Vietnamesisch, Französisch, Spanisch, Italienisch. Eigentlich erstaunlich, dass es immer noch Kunden für Kurse gibt, in denen erklärt wird, wie Nudeln mit Tomatensauce gekocht werden. Eine gute Tomatensauce ist gewiss ein kleines Kunststück, und selbstgemachte Pasta gehört auch nicht zum Standardrepertoire der deutschen Durchschnittsküche, aber mit Hilfe eines guten Kochbuchs ließen sich gerade diese Klassiker auch ohne teures Wochenendseminar sehr einfach auf den Teller bringen.
Gerade bei Italienisch für Anfänger geht es sicher nicht zuletzt um das Gemeinschaftserlebnis, um das Gespräch und vielleicht auch die Möglichkeit eines kleinen Flirts. Wer aber besucht einen »Insektenkochkurs« oder den »Kochkurs Schlange und Krokodil«, die beispielsweise im Geschenkportal von Jochen Schweizer gelistet sind? Genussextremisten? Vielleicht. Auf jeden Fall sind die Besucher dieser Kurse vorwiegend männlich, wie auch Schweizer mir am Telefon bestätigt. Da geht es nicht mehr darum, eine Frau kennenzulernen. Wer viel Geld auf den Tisch legt, um drei Tage lang die nordische Avantgarde-Küche zu studieren, möchte nicht abgelenkt werden. Oft sind Frauen auch gar nicht zugelassen. Die Männer wollen unter sich bleiben. Ob Stadt oder Dorf, überall in Deutschland scheint es mittlerweile kulinarische Fortbildungsangebote ausschließlich für Männer zu geben. Wer das Stichwort »Männerkochkurs« in eine Suchmaschine eingibt, erhält eine Million Links, die dann tatsächlich auch weiterführende Informationen zu den vielen, vielen, vielen Männerkochkursen im Lande bieten. Marktführer ist das Hamburger Unternehmen von Thomas Krause, das unter maennerkochschule.de bundesweit Kurse mit dem Slogan »Weil Frauen Köche lieben« anbietet. Selbst wenn nur die Hälfte der Veranstaltungen so gut besucht sein sollte wie die Schulungen, an denen ich teilgenommen habe, findet derzeit ein gewaltiges kulinarisches Lernprogramm für den deutschen Mann statt. Wenn das so weiter geht, wird es die kochende Hausfrau bald gar nicht mehr geben. Denn ein Mann, der was kann, will das auch zeigen. Die Frau, die ihrem Gatten, der gerade vom Selber-Wursten-Seminar kommt, verbieten will, das Gelernte in der eigenen Küche auch umzusetzen, wird sich auf anstrengende Gespräche einstellen müssen. Insofern sollten Frauen sich sehr genau überlegen, ob der Gastrobegeisterte auch noch den Insektenworkshop besuchen darf …
Jetzt sollte man aber nicht meinen, dass Leute, die auch mal etwas über Pasta lernen oder zur Abwechselung Sushi selber rollen wollen, gleich gastrosexuelle Neigungen in sich tragen. Im Gegenteil. Der Mann, der leidenschaftlich kocht, ist oft ein Autodidakt. Nudeln macht er ohnehin selber, und mit dem Sushithema hat er sich vor Jahren mal beschäftigt. Das Basishandwerk beherrscht der gastrosexuelle Mann. Er geht vielleicht noch zum Lieblingssterne koch in die Kurzzeitlehre oder belegt einen Kurs, in dem auch die rustikalen Seiten des Hobbys ausgelebt werden können.
Auf Einladung eines Freundes habe ich in der hervorragenden Ginger-Pig-Metzgerei in London einen Nachmittag lang Lämmer zerlegt, und abgesehen von zwei Kursleitern, die ihr Metzgerhandwerk wie eine Varieténummer präsentiert haben, sind mir die männlichen Kursteilnehmer in Erinnerung geblieben, die über ihre miesen Bankgeschäfte herzogen, während sie eine Lammkeule freilegten, und die von einer großen Sehnsucht erfüllt zu sein schienen, ein Schlachtermesser in der Hand zu haben.
Die drei anwesenden Frauen hätten auch über Aktienkurse oder irgendwelche Managementprobleme reden können, aber sie konzentrierten sich aufs Fleisch und auf die Männer, die mit dem Messer umzugehen wussten. Denn auch dieser Kurs fungierte als Partnerbörse. Die Frauen wussten sehr genau, dass die Auswahl in der Lamb Class so schlecht nicht sein würde; es musste nur schnell geklärt werden, ob dieser oder jener Mann schon vergeben war.
Alle Teilnehmer durften, wie üblich bei solchen Veranstaltungen, einen Teil der Lamm-Cuts mit nach Hause nehmen, und ich frage mich bis heute, was wohl die Gepäckkontrolleure am Flughafen gedacht haben, als sie in meinem Koffer eine Lammkeule entdeckt haben. Wahrscheinlich ist der illegale Fleischtransport nicht weiter aufgefallen. Da hatten es die Londoner einfacher, das eigene Metzgerwerk zu kochen und zu kosten. Sie fanden sich in Kleingruppen oder Paaren zusammen und verabredeten sich zum gemeinsamen Lamm-Schmoren.
Was auch in diesem Kurs funktionierte, war eine doppelte Fleischbeschau: Männer und Frauen mit ähnlichen Vorlieben begegnen einander in einer leicht angespannten Situation, die manchen Möchtegernschnippler überfordert. Aber spielt das eine Rolle? Verliebt sich die Frau tatsächlich in den Typen am Tisch gegenüber, der den Lammrücken gekonnt filetiert? Spätestens beim abendlichen Abschlussessen ist entschieden, wer sich auf ein neues Liebesabenteuer einlässt. Fest steht: Ein Mann, der eine Frau beim Metzgern kennengelernt hat, wird sich beim ersten Menü, das er für sie zubereitet, ganz besonders viel Mühe geben. Kein Mann will sich nachsagen lassen, er könne zwar mit einem Messer, aber nicht mit einem Kochlöffel umgehen. Wenn der Mann nicht den Fehler begeht, die Frau mit kulinarischen Experimenten oder einem Vortrag über die umfangreiche Messersammlung zu nerven, stehen die Chancen nicht schlecht, dass eine gastrosexuelle Erfolgsgeschichte beginnt.
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Anmerkungen
Von KRAUTJUNKER existiert eine Gruppe bei Facebook.
Titel: Der gastrosexuelle Mann – Kochen als Leidenschaft
Autor: Carsten Otte
Verlag: Campus Verlag GmbH
ISBN: 978-3593500430
Verlagslink: http://www.campus.de/buecher-campus-verlag/wirtschaft-gesellschaft/politik/der_gastrosexuelle_mann-8517.html
Fotograf: Hartmuth Schröder, Frankfurt http://schroeder-fotografie.de/home.html
oder in kurz . der blöde Trampel kann net kochen.
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