von Lars Jonsson
Mit einem Schlag sind die Feldsperlinge verstummt und »tarnen« sich als braunes Herbstlaub im Rosenbusch. Die Kohlmeisen erstarren auf den Zweigen, und die Grünfinken stieben in alle Richtungen davon. Eine Amsel flieht zeternd ins zehn Meter entfernte Schlehendickicht. Grund der Aufregung ist ein Sperber, der wie ein Pfeil mit angelegten Flügeln das Idyll stört. Er dreht den Körper, spreizt Flügel und Schwanz, vollführt eine blitzschnelle Wendung und gleitet wie ein Papierflieger in einem anmutigen Bogen, um schließlich mit gefächertem Schwanz auf dem Rosenbusch zu landen. Mit seinen gelben Augen lugt er in das Zweiggewirr zu den Feldsperlingen, die eine Etage tiefer sitzen. Nun unternimmt er einen weiteren Versuch: Er attackiert den Busch von allen Seiten, hüpft auf den Boden, fliegt in das Gezweig – und sieht, wie die Sperlinge auf die andere Buschseite flüchten. Er gibt auf, fliegt ein paar Meter hoch in die Linde, schüttelt die Flügel und steht schließlich in typischer aufrechter Haltung auf seinen dünnen Beinen mit den langen, gelben Zehen. Dort wartet er eine Weile, bis sich die Besucher der Fütterung wieder beruhigt haben. Das ist aber vermutlich nicht so schnell der Fall. Ältere Sperber wechseln nach einem erfolglosen Versuch schon bald in ein anderes Jagdgebiet.
Sperbermännchen sind viel kleiner als Weibchen. Dieser Unterschied ist gut zu sehen. Die Männchen wiegen rund 55 Prozent weniger als die Weibchen und sind etwa 20 Prozent kleiner. Dadurch können beide unterschiedlich große Beute innerhalb desselben Reviers nutzen. An Kleinvogelfütterungen jagen häufiger junge Sperber. Sie sind oberseits insgesamt brauner als Altvögel, die Ränder der Oberseitenfedern sind unterschiedlich rostgelb oder rostbraun getönt. Auch haben sie einen breiteren weißen Überaugenstreif. Der Vorderhals wirkt im Gegensatz zu Altvögeln durch mehr längs verlaufende tropfen- oder herzförmige Flecken wie gesprenkelt. Jungvögel sind recht variabel in Färbung und Helligkeit des Gefieders, besonders Männchen weisen oft kräftige Rosttöne auf. Die Federn der Oberseite, vor allem die Schulterfedern, Flügeldecken und Schirmfedern, tragen häufig große, weiße Flecken an der Basis. Wenn sie ruhen oder sich aufplustern, erkennt man auf dem Rücken große, bunte Flecken, die wieder verschwinden, wenn die Vögel aufmerksam das Gefieder anlegen. Manche Jungvögel ähneln durch die schwach ausgeprägten Federränder in warmen Tönen eher adulten Weibchen – besonders im Frühjahr, wenn die Federränder bereits abgenutzt sind. Auch wenn die Tropfenlecken auf der Brust ausgebleicht oder abgewetzt sind, so dass die basalen, quer gezeichneten Federflächen zum Vorschein kommen, erinnern die Jungvögel an ältere Weibchen. Das Gefieder adulter Weibchen ist oberseits meist mehr neutral grau getönt. Ihr Überaugenstreif ist schmaler, die Querbänderung unterseits deutlicher. Auch können sie recht auffällige fuchsrote Gefiedertöne aufweisen, vor allem auf Wangen und Flanken. Nach der Mauser im folgenden Frühjahr und Sommer nehmen die Jungvögel das Altvogelgefieder an. Nicht selten jedoch bleibt die eine oder andere juvenile Flügel- oder Schwanzfeder bis über den zweiten Winter erhalten. Diese eher braunen und abgenutzten Federn verraten das Alter des Vogels.
Das bunte Männchen
Ältere Männchen sind oft erstaunlich bunt und wirken mit ihrer ansprechenden blaugrauen Oberseite und der fuchsroten Unterseite geradezu exotisch. Die Tönung der Oberseite variiert von dunkel- bis mittelgrau, erscheint aber blaugrau, denn Blau und Orange sind Komplementärfarben. Die Augen der Männchen sind fast schwarz umrahmt, was an ein »blaues Auge« erinnert. Diese Tönung setzt sich nach hinten über die Ohrdecken fort, während der Zügel, also der Bereich zwischen Schnabel und Auge, weißlich ist. Oft erscheinen Sperber während des Frühjahrszuges von Ende März bis in den April hinein für kurze Zeit. Jedes Mal, wenn ich dann ein adultes Männchen mit kräftig rostroter Unterseite sehe, staune ich über diese Farbenpracht. Die Menge an Rot auf Unterseite und Wangen variiert von Männchen zu Männchen, ebenso zeigt nicht jedes Individuum einen schmalen Überaugenstreif und einen hellen Nackenleck. Diese Merkmale haben vermutlich nichts mit dem Alter des Vogels zu tun.
Abb.: Brustfedern mit Tropfenlecken bei zwei jungen Sperbern und Brustfedern eines adulten Weibchens
Kleinvogeljäger
Der Sperber ist im Winter der ärgste Feind der Singvögel. Mit seinen langen Beinen und der langen mittleren Zehe kann dieser Kleinvogelspezialist in der Vegetation geschickt ein Beutetier ergreifen. Als Überraschungsjäger starten die Vögel stets von einem Ansitz aus, werden schneller, um sich im Schutz eines Gebäudes oder einer Hecke an die Beute anzupirschen. Wenn der erste Versuch misslingt, sind wiederholte Attacken an Fütterungen nur selten erfolgreich, denn ein gesunder Kleinvogel behält meist die Oberhand. Sperber verunglücken häufig an Fensterflächen nahe bei Fütterungen, wenn sie aufgescheucht werden und den Himmel im Glas sehen oder einen Fluchtweg durch zwei gegenüberliegende Scheiben vermuten. Während der vielen Jahre, die ich Sperber an meiner Fütterung beobachtete, sah ich immer wieder unterschiedliche Jagdtechniken. Eine Zeit lang hatte ich ein Futterhaus im Stil eines Fachwerkhauses. Durch die Türöffnungen gelangten die Vögel an die Körner. Die Öffnungen waren so groß, dass ein Feldsperling hindurchpasste. Einmal landete ein junger Sperber auf dem Dach des Häuschens. Dann krallte er sich am Brett fest und hangelte mit rudernden Flügelbewegungen rund um das Häuschen, um zu prüfen, ob noch jemand drin sei. Vermutlich bewies er damit, dass er seine Jagdtechnik an die aktuelle Situation anpassen kann. Das Ganze sah ziemlich verrückt aus, aber das machte mir diesen Vogel sympathisch.
Der häufigste Greifvogel Schwedens
Der Sperber brütet zahlreich in Wäldern und Parks in ganz Schweden und ist unser häufigster Greifvogel, dicht gefolgt vom Mäusebussard. Der Bestand wird auf rund 45 000 Vögel geschätzt. Nur im offenen Bergland (Fjäll) gibt es keine, sie werden dort vom Merlin als Kleinvogeljäger ersetzt. Der Sperber fühlt sich in Städten und Dörfern wohl, wenn es geeignete Parks oder Waldstreifen für die Jungenaufzucht gibt. Als Brutlebensraum zieht er dichtere Fichtenbestände vor. In den nördlicheren Landesteilen ist er überwiegend Zugvogel, die meisten verbringen jedoch den Winter im südlichsten Skandinavien. In Süd- und Mittelschweden harren eher junge Sperber aus. Sie überwintern dort oft in Siedlungen, wo es mehr Kleinvögel gibt als in zusammenhängenden Waldgebieten. Folglich trifft man meist auch Jungvögel an den Futterstellen an.
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KRAUTJUNKER-Kommentar: Es gibt auf Youtube einen unglaublich beeindruckenden Filmausschnitt des BBC über den Sperber. Die Reaktionsschnelle dieses Luftjägers lässt menschliche Formel-1-Piloten oder Kampfflieger gegen ihn wie auf Valium wirken .
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Anmerkungen
Von KRAUTJUNKER existiert eine Gruppe bei Facebook.
Titel: Wintervögel
Autor: Lars Jonsson
Illustrator: Lars Jonsson
Verlag: Franckh Kosmos Verlag
Verlagslink: https://www.kosmos.de/buecher/ratgeber/natur/voegel/6637/wintervoegel
ISBN: 978-3440152904
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Der Link zum BBC-Film auf Youtube hier noch einmal:
https://www.youtube.com/watch?v=Ra6I6svXQPg
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