Buchvorstellung von Matthias Heine
So gewaltig wie der Fluss, so gewaltig kommt dieser Bildband daher. Mächtige Aufnahmen eines mächtigen Stromes. Unweigerlich erscheinen alte Bilder vor meinem Auge, welche eine schier endlose Karawane von Menschen darstellen, die dem Ruf des Goldes folgend über schneebedeckte Berge marschiert, links und rechts von Toten flankiert, die ihren Traum bereits ausgeträumt hatten. Diesen Protagonisten erschien die Umwelt wahrscheinlich nur als todbringendes Hindernis auf dem Weg zu erhofftem Reichtum. Was den eigentlichen Wert des Yukon ausmacht, erzählt dieser Bildband: unberührte, archaische Natur; dunkle, wilde Wasser und eine Landschaft, welche den Menschen auf sein ursprüngliches Dasein als unwichtigen Bestandteil einer ebenso grandiosen, wie gefährlichen Naturszenerie zurückwirft.
Diesen Part übernehmen Till Lindemann und Joey Kelly als scheinbar widersprüchliches Buddyteam. Wer hat sich nur diese Konstellation ausgedacht, könnte man sich unweigerlich fragen? Der eine tritt normalerweise nur als Frontmann von Rammstein in Erscheinung und der andere als Erinnerung an die Kelly Family und mittlerweile Rekorde jagender, immer etwas verbissen wirkender, Extremsportler.
Was die beiden verbindet, erschließt sich aus den eingefügten Interviews. Plötzlich öffnet sich der Blick auf zwei außergewöhnliche Charaktere, welche bei aller Unterschiedlichkeit, doch viel mehr miteinander gemeinsam haben, als dieses Buch zur Gänze erhellen kann.
Lindemann gehörte zur Schwimmelite der DDR, wurde jedoch kurz vor seinem Sprung zu den Olympischen Spielen wegen nicht systemkonformen Verhaltens ausgemustert. Von da an bewegte er sich in der höchst kreativen ostdeutschen Musikszene, die parallel zum Staatsmusikgeschmack existierte. Mit der Band Rammstein entstand nach der Wiedervereinigung ein international erfolgreiches Gesamtkunstwerk dessen Aushängeschild Lindemann ist.
Joey Kelly durchlief die harte Schule der Kelly Family, die er in späteren Interviews öfters thematisierte. So sieht er sich selber weniger als Musiker. Seine sportlichen Ambitionen eröffnetem ihm scheinbar eine neue Welt, die er mit immer extremeren Aktivitäten neu erkundet.
Warum ausgerechnet diese beiden Freunde wurden, lässt sich erahnen, auch wenn diese Freundschaft auf Banden beruht, die jenseits öffentlicher Klischeebilder existieren: Beide sind empfindsame Künstler und ambitionierte Jagdkameraden.
Kelly als treibende Kraft und akribischer Planer bereist mit seinem Freund den Yukon. Die Reise ins Unbekannte ist auch eine Reise ins ich und in die Tiefen ihrer Freundschaft. Während Kelly die gesamte Routine seiner Outdoorerfahrungen nutzt, gönnt sich Lindemann immer wieder die Zeit, ein paar Zeilen über das Erlebte niederzuschreiben. Einige so entstandene Gedichte runden dieses Buch ab. Eines wurde auf KRAUTJUNKER bereits veröffentlicht (siehe Anmerkungen), ein anderes über den gehassten Freund Yukon lautet so:
MEIN GEHASSTER FREUND
Du stehst daneben
Und schaust einfach zu
Im eigenen Fleisch gefangen
Steh ich vor der Flut
Kälte hält mich
Tausend Zangen
Regen fällt
Bleib am Ufer
Nass und dunkel ist die Welt
Du treibst davon, ich
Schau dir nach
Mein gehasster Freund
Ich hasse dich
Doch nicht
Nicht mehr
Ach lass mich leben
Atmen
Jetzt
Hasse ich dich sehr
Sehr
Sehr
Im Ergebnis liegt uns ein ganz besonderer Bildband vor. Auf der einen Seite der Yukon mit seinen sowohl beeindruckenden, als auch beängstigenden Facetten. Auf der anderen Seite zwei Freunde, die scheinbar so verschieden und doch so vertraut sind. Und das Ganze vereint in herrlichen Aufnahmen.
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Anmerkungen
Von KRAUTJUNKER gibt es eine Facebook-Gruppe.
Titel: Yukon – Mein gehasster Freund
Copyright: © Till Lindemann, Joey Kelly/National Geographic Buchverlag
Fotograf: Thomas Stachelhaus
Verlag: NG Buchverlag GmbH / National Geographic
Verlagslink: http://www.yukon-bildband.de/
Fotografen-Link: http://www.fotostachelhaus.de/
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Leseprobe: https://krautjunker.com/2017/12/21/ganz-fein/
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Der Rezensent Matthias Heine ist Unterwasserarchäologe, Historiker und betreibt in Köln eine Tauchschule: http://www.heine-professional-diving.de/