Zwischen den Gängen – Ein Amerikaner in den Restaurants von Paris

Buchvorstellung

In seinem lesenswerten Bestseller Der gastrosexuelle Mann (siehe: https://krautjunker.com/2018/07/14/der-gastrosexuelle-mann-kochen-als-leidenschaft/) stellt der Feinschmecker Carsten Otte in zwei Kapiteln zwei Bücher vor, die ihm besonders ans Herz gewachsen sind. Das Kapitel Wenn Gourmet, dann auch Gourmand ist eine Huldigung des Titels Zwischen den Gängen – Ein Amerikaner in den Restaurants von Paris.

Zwischen den Gängen 2.

Sein Autor, der Schriftsteller und Journalist A. J. Liebling (* 1904 – † 1963) schrieb als scharfsinnige und humorvolle Edelfeder für das legendäre Magazins The New Yorker. Der Sohn einer wohlhabenden deutschstämmigen Familie „studierte“ ein Jahr an der Sorbonne in Paris. Wobei man die Bezeichnung „Student“ sehr allgemein fassen muss. Obwohl er die Hörsäle und Seminare seiner Universität mied, lernte er unglaublich viel. Seine selbstgewählten Vertiefungsfächer waren das französische Essen, die französischen Frauen und der französische Wein. Drei schöne Künste, die einen Mann vollkommen fordern und ausfüllen können. Und ein schöner Beleg dafür, warum es nicht nur grammatikalisch falsch, sondern auch unlogisch ist, Studenten, welche den Unterricht reuelos schwänzen, als Studierende zu bezeichnen.

Insbesondere in seinem Schwerpunktfach Kulinarik eignete sich Liebling ein großes Wissen an, denn er verfügte über ein angeborenes Talent zur Eßlust. »Will man gut über die Küche schreiben, ist die Hauptvoraussetzung guter Appetit. Ohne einen solchen ist es unmöglich, in dem uns zugemessenen Zeitraum hinreichende Erfahrungen zu sammeln, um irgendetwas Mitteilenswertes zu Papier zu bringen. Jeder Tag bringt nur zwei Gelegenheiten zur Feldforschung, und die darf man nicht verschwenden, indem man die Cholesterinaufnahme zu reduzieren versucht.«

Über viel Geld verfügte er nicht, aber seinerzeit boten in Frankreich noch die Restaurants im mittleren Preissegment eine anständige und klassische Küche aus besten Zutaten. Seiner Ansicht konnte er sich glücklich schätzen noch die silberne Epoche der französischen Kochkultur erleben zu dürfen. Ihre absolute Glanzzeit in der Belle Époque, galt schon als ein vergangenes goldenes Zeitalter. Die Ursache für den Niedergang vermutete er darin, dass die Ärzte die Existenz und Funktion der menschlichen Leber entdeckt hatten und seitdem das schlechte Gewissen die Gourmets hemmte.

Doch später urteilte Liebling über die Küchenkultur süffisant, »Das Essen in Frankreich mag sich katastrophal verschlechtert haben; es ist immer noch das Beste, das es gibt.«

Zum Glück lernte er feine Herren kennen, die noch mit traditionellen Werten sozialisiert waren. Einer von ihnen, Yves Mirane, »ein kleiner, fröhlicher Verfasser von Farcen und Operettenlibretti« versetzte als Achtzigjähriger seine jüngeren Bekannten in Erstaunen, »indem er ein Mittagessen einnahm, das aus rohem Bayonne-Schinken und frischen Feigen, einer heißen Wurst im Teigmantel, Röllchen von filettiertem Hecht in einer üppigen rosafarbenen Sauce Nantua, einer  mit Sardellen gespickten Lammkeule, Artischocken auf einem Gänselebersockel und vier oder fünf Sorten Käse bestand, mit einer Flasche guten Bordeaux und einer Flasche Champagner. Anschließend rief er nach dem Armagnac und sagte Madame, sie solle für das Abendessen die versprochenen Lerchen und Fettammern bereithalten, außerdem ein paar Langusten und einen Steinbutt – und natürlich ein schönes civet von dem macassin (dem jungen Wildeber), den der Liebhaber der Hauptdarstellerin seines laufenden Theaterstücks von seinem Gut in der Sologne hatte schicken lassen. „Und wenn ich’s recht bedenke“, hörte ich ihn einmal sagen, „dann haben wir seit Tagen keine Waldschnepfen gehabt, oder Trüffeln in der Asche gebacken, und der Keller ist nachgerade ein Skandal – kein Vierunddreißiger mehr und kaum mehr Siebenunddreißiger. Letzte Woche, da mußte ich meinem Verleger eine Flasche vorsetzen, die viel zu gut war für ihn – bloß weil zwischen Beleidigung und Superlativ nichts mehr da war.“«

Doch Mirande, »ein kleiner alter Mann mit dem Gesicht eines Scotch-Terriers«, der aussah »wie eine intelligente Version von Lloyd George« zählte schon zur alten Garde, die langsam die Bühne des öffentlichen Lebens verließen. Die modernen Zeiten brachen an. Eine ebenfalls geschätzte Dame der Gesellschaft und Restaurant-Eigentümerin erholte sich gesundheitlich nie mehr von dem Schlag, den ihr die Lektüre Simone de Beauvoirs versetzt hatte. Frauen lehnen es seither ab, »als erfreulich zu gelten; sie sehen in einer solchen Einschätzung ein Indiz des männlichen Chauvinismus. Sie möchten, daß man sie ernst nimmt, wie Radioaktivität.«

Das weitere Glück unseres Autors bestand darin, dass er während seines Selbststudiums nicht zu reich und nicht zu arm war. »Die optimale finanzielle Ausstattung eines ernsthaften Esslehrlings wäre die, dass er noch Geld für drei Tage hat – mit der guten, aber nicht ganz und gar sicheren Aussicht auf spätere Verstärkung. (…) Der durchgängig reiche Mann wird kaum je die Bekanntschaft der robusten Fleischgerichte machen – der heißen andouille und andouilette, der prallgefüllten Räucherkuttelwürste, und des boudin, der Blutwurst, mit seiner ganzen Verwandtschaft, die man bei Rabelais und auf den Speisekarten der Marktgaststätten findet.«

So amüsiert er sich gleich zu Beginn des Buches über das berühmte Madeleine-Erlebnis Marcel Prousts. Bekanntlich wurde der Schriftsteller vom Aroma eines zarten Teegebäcks von Erinnerungen übeflutet, die ihn zu seinem literarischen Geniestreich Auf der Suche nach der verlorenen Zeit inspirierten. »Angesichts dessen, was Proust bereits unter dem Einfluß eines so sanften Reizes schrieb, ist es ein Verlust für die Menschheit, daß er keinen kräftigeren Appetit hatte. Nach einem Dutzend Gardinders-Island-Austern, einem Teller Muschelsuppe, ein paar frischgefangenen Jakobsmuscheln, drei sautierten weichschaligen Krabben, einigen soeben gepflückten Kolben Mais, einem dünngeschnittenen Schwertfischsteak von generöser Breite, zwei Hummern und einer Long-Island-Ente hätte er möglicherweise ein Meisterwerk verfaßt.«

Liebling beschreibt gastronomische Wahrheiten, die bis heute ihre Gültigkeit haben. »Der Grund dafür, daß Leute, die Fisch verabscheuen, die Seezunge oft tolerieren, liegt darin, daß diese nicht besonders intensiv nach Fisch schmeckt und daß selbst dieser leise Anklang verschwindet, wenn man sie unter einer Soße begräbt, wie sie die Kunden piemontesischer Restaurants in London und New York für typisch französisch halten. Diese Leute mit ihrer Antipathie gegen die entschiedene Geschmacksnote schätzen auch die Schwänze des sogenannten südafrikanischen Hummers – so lange tiefgekühlt wie das sibirische Mammut – weil sie nicht hummrig schmecken. (…) Man zieht neutralen Fabrikkäse vor, eben weil er nicht nach Käse schmeckt, und synthetischen Vanilleextrakt, weil er nichts von der eigentlichen Vanille hat. So erklärt sich auch der Triumph des Delicious-Apfels, der nicht nach Apfel schmeckt, und insbesondere der des sogenannten Golden Delicious, der nach überhaupt nichts mehr schmeckt. (…) Die Voraussetzungen für den perfekten Wodka (keine Farbe, kein Geschmack, kein Geruch) hat mir vor langer Zeit einmal der damalige estnische Generalkonsul in New York erläutert, und sie erklären mir vollkommen die wachsende Beliebtheit dieses Drinks bei jenen, die ihren Alkohol gerne zusammen mit den beruhigenden Aromen der Kindheit zu sich nehmen – Tomatensaft, Orange, Hühnerbrühe. Wodka ist das ideale Berauschungsmittel für den Trinker, der nicht daran denken mag, wie tief verletzt Mutti wäre, wenn sie wüßte, was er treibt.«

Doch Liebling schreibt nicht nur über das Essen, sondern in einem Kapitel widmet er sich meisterhaft dem Sport seiner Jugend, dem Boxen. Sein Buch The Sweet Science, wurde 2002 von der Sports Illustrated für die Auszeichnung zum besten Sportbuch aller Zeiten nominiert. So lernte ich, dass der Sinn des Boxens nicht in der Selbstverteidigung besteht. Es ist ein sinnliches Vergnügen, wie das Schwimmen im Meer. »Man schwimmt nicht in den Ozean hinaus, um sich gegen das Ertrinken zu verteidigen. Tatsächlich sind die Chancen zu ertrinken eher größer, wenn man ins Meer hineingeht, anstatt am Strand zu bleiben. Ebenso boxt man nicht, weil man sich davor bewahren möchte, ein blaues Auge zu fangen.«

Das wirklich Schöne an dem Buch ist die bildhafte Sprache eines großen Genußmenschen. So beschreibt er das Gefühl, welches seine erste Liebe im Reich der Weine, der CôteRôtie, bei ihm auslöste: »Wenn ich ihn trank, glaubte ich jene buchstäblich bratende, doch wundersam grüne Hanglage vor mir zu sehen, knisternd vor Genüßlichkeit wie die Haut eines Entenbratens, während kleine weinfarbene Teufelchen kleine Nymphen die dampfenden Bäche des Weines entlangjagten.«

Nicht ohne Schadenfreude amüsierte ich mich, wie unser Lukull zwei Wochen lang in einem Abnehmgefängnis in der Schweiz litt. Völlig entkräftet und zusätzlich noch von einer Grippe geschwächt, schleppte er sich zu einer Freundin nach Pontarlier im Département Doubs. Erst als er am nächsten Morgen wie durch dichten Nebel die Stimme eines gütigen Arztes hörte, schöpfte er wieder Hoffnung.
»„Der Mann ist ja völlig ausgehungert!“ sagte er. „Seine Konstitution ist total aufgelöst! Sie müssen ihm zu essen geben – aber fangen sie nicht allzugrob an, er könnte es nicht verkraften. Ein Perlhuhn oder zwei am ersten Tag, und Bachforellen.“
„Und Wein?“ fragte meine engelsgleiche Gastgeberin. „Wein darf er doch haben? Er liebt ihn.“
„Er darf es nicht übertreiben“, sprach Hippokrates. Höchstens zwei Liter am Tag und nichts Schweres – vielleicht Mercurey. Wenn der Puls schwach ist, ein wenig marc d’Arbois, und vor morgen keine Fondues. Dann können wir beginnen, ihn aufzupäppeln!“«

Lieblings Eloge auf die französische Genusskultur der dreißiger bis fünfziger Jahre zu lesen, ist ein großer literarischer Genuss. Zu verdanken ist dies nicht zuletzt dem Entdecker, Übersetzer und Kommentator des Werkes, Joachim Kalka.

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Anmerkungen

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A.J. Liebling - Zwischen den Gängen

 

Titel: Zwischen den Gängen – Ein Amerikaner in den Restaurants von Paris

Autor: A. J. Liebling

Übersetzung: Joachim Kalka

Verlag: Berenberg Verlag GbR

Verlagslink zum Autor: https://www.berenberg-verlag.de/autoren/a-j-liebling/

Verlagslink zum Übersetzer: https://www.berenberg-verlag.de/autoren/joachim-kalka/

ISBN: 978-3937834214

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Der Titel wird vom Verlag nicht mehr geführt. Mein Tipp für die Suche nach antiquarischen Exemplaren ist die Website https://buchhai.de/. Am besten aus Amazon die ISBN herauskopieren und in das entsprechende Feld unter „Erweiterte Suche“ eingeben.

 

 

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