Vorausschauende Nachsuche, Hetzen und Stellen

von Holger Wilkening

Vorausschauende Suche
Viele Jäger konzentrieren sich bei einer Nachsuche voll und ganz auf die zwei Meter der Fährte, die unmittelbar vor ihnen liegen. Hier hoffen sie, Schweiß zu finden, der ihnen die Gewissheit gibt, dass ihr Hund noch richtig ist. Solch eine Bestätigung in Form von Schweiß wirkt tatsächlich sehr beruhigend. Dennoch sollten wir unsere Aufmerksamkeit vor allem dem Hund und dem Gelände, das vor uns liegt, widmen.

 

Nachsuche 047
Abb.: In deckungsarmem Gelände nähert sich das Gespann einem mit Schilf und Weiden bewachsenen Graben. Hier könnte sich das gesuchte Stück eingeschoben haben. Versuchen Sie, solche Situationen frühzeitig zu erkennen!

 

Wenn wir unseren Hund beobachten, können wir an seiner Körpersprache viel über den Status der Fährtenarbeit ablesen. Ist der Hund konzentriert und motiviert? Wird er aufgeregter, weil er frische Pirschzeichen gefunden hat? Versucht er, mit hoher Nase zum Stück zu finden, weil wir kurz vor dem Ende der Fährte sind und in der Luft bereits mehr Geruch liegt, als auf dem Boden? Oder faselt der Hund, weil er die Fährte verloren hat? Um die Körpersprache des Hundes richtig lesen zu können, müssen wir sein Verhalten bereits in der Einarbeitungszeit auf Übungsfährten, deren besonderen Merkmale wir genau kennen, aufmerksam studieren.

Um nicht plötzlich und unvorbereitet auf das gesuchte Stück zu treffen, sollten wir unbedingt das Gelände vor uns im Auge behalten. Häufig können wir Stellen, an denen sich Wild möglicherweise eingeschoben hat, schon frühzeitig erkennen. Dabei kann es sich um eine abgebrochene Baumkrone handeln, die im ansonsten deckungsarmen Hochwald liegt. Oder wir nähern uns einem noch grünen Brombeerbusch im bereits kahlen Herbstwald. In Feldlandschaften werden mit Schilf bewachsene Gräben häufig vom Wild angenommen. Wenn unser Hund solche Deckungsinseln – sie brauchen nur ein paar Quadratmeter groß zu sein – ansteuert, ist erhöhte Aufmerksamkeit geboten! Wir müssen uns darauf einstellen, dass das Wild jeden Moment vor uns wegbricht und wir unseren Hund zur Hetze schnallen müssen.

 

Hetzen und Stellen
Früher oder später werden wir zu einer Nachsuche gerufen, bei der wir das Wild nicht verendet finden. Plötzlich raschelt vor uns Laub, Äste knacken und wir sehen gerade noch wie das Stück zwischen Bäumen und Sträuchern verschwindet. Jetzt müssen wir den Hund schnellstmöglich zur Hetze schnallen! Das soll nach alter Lehrbuchmeinung nur erfolgen, wenn wir uns sicher sind, dass es sich bei dem aufgemüdeten Stück wirklich um das Gesuchte handelt. Unser Hund soll kein gesundes Wild hetzen, das wir während einer Nachsuche zufällig hochmachen. Theoretisch müssen wir jetzt bis zum Wundbett weiter arbeiten und überprüfen, ob es sich tatsächlich um ein Wundbett oder doch nur um ein Ruhebett handelt. Bis wir so weit sind, hat das Wild einen erheblichen Vorsprung herausgearbeitet. Man sieht auch nicht immer, ob das flüchtende Stück verletzt ist. Häufig bekommen wir das Wild gar nicht zu sehen, sondern hören nur, wie es vor uns wegbricht. In der Praxis müssen wir das Risiko einer falschen Hetze eingehen und den Hund schnallen. Wenn unser Hund das flüchtende Stück ebenfalls bemerkt hat, nimmt er schleunigst die Verfolgung auf. Hat der Hund das Wild nicht gesehen, sucht er anfangs mit tiefer Nase weiter. Sobald er das warme Wundbett und die warme Fährte erreicht, wird er die Hetze beginnen.

Ist unser Hund fährtenlaut, haben wir einen klaren Vorteil: Wir hören von Beginn der Hetze an, in welche Richtung die Reise geht und können dem Hund sofort folgen. Ist unser Hund sichtlaut, müssen wir einige Zeit warten, bis er sich dem Wild genähert hat und Laut gibt. Wir können nur hoffen, dass dies schnell der Fall ist, bevor Wild und Hund außer Hörweite sind. Bei Regen und starkem Wind hören wir den Laut des Hundes im Wald keine einhundert Meter weit. In diesem Fall ist ein Ortungssystem eine große Hilfe (vgl. Kapitel »Ausrüstung für den Hund«). Mit den GPS-/GLONASS-Systemen sehen wir sogar den Weg des Hundes auf dem Display der Empfangseinheit und wir können die Fluchtstrecke möglicherweise abkürzen. Voraussetzung ist natürlich, dass die Reichweite des Systems groß genug ist. Stumm jagende Hunde sind für eine Hetze eigentlich nicht geeignet. Dennoch kann man mit ihnen die Brauchbarkeitsprüfung auf Schweiß bestehen. Für erweiterte Prüfungen ist Fährtenlaut oder Sichtlaut allerdings Pflicht. Mit einem Ortungssystem können wir den fehlenden Laut des Hundes – zumindest was unsere Orientierung betrifft – kompensieren.

 

Nachsuche 116
Abb.: Der Hund wurde geschnallt. Ab geht die Post!

 

Wie schnell es bei einer Hetze zum Stellen kommt, ist von mehreren Faktoren abhängig. Einen großen Einfluss hat die Schärfe des Hundes. Hunde, die dem Wild in respektvollem Abstand folgen, werden nicht ernst genommen. Das Wild ist von seinem Verfolger unbeeindruckt und setzt seinen Weg unbeirrt fort. Das gleiche gilt, wenn die Größe des Hundes im Vergleich zum Wild sehr gering ist. Andererseits darf der Hund nicht zu groß sein. Wenn das Wild bei einer direkten Konfrontation mit dem Hund keine Chance für sich sieht, wird es sich nicht stellen, sondern sein Heil in der Flucht suchen. Auch die Schwere der Verletzung spielt eine Rolle. Leicht verletztes Wild, das körperlich kaum beeinträchtigt ist, stellt sich selten. Meistens kommt es in diesem Fall nicht einmal zur Hetze. Das Wild hat noch alle Sinne beisammen und bemerkt das Nachsuchengespann frühzeitig. Das Stück zieht dann dauerhaft vor Hund und Führer, die es gar nicht zu sehen bekommen. Wild, dessen Verletzung sehr schwer ist, merkt, dass es dem Hund nicht entkommen kann. Es setzt alles auf eine Karte und riskiert den Kampf, um den Verfolger loszuwerden.

Das Ziel ist es, eine Hetze kurz zu halten. Der Hund soll das Wild schnellstmöglich stellen. Ordentliche Hetzen gehen nur über 300 bis 500 Meter. Ausnahmen gibt es bei tiefen Laufschüssen, Gebrechschüssen und Krellschüssen, in diesen Fällen ist das Wild kaum zu stoppen. Bei solchen Verletzungen können wir froh sein, wenn wir das Wild mit der Riemenarbeit überhaupt erreichen (vgl. Kapitel »Schüsse und Chancen«). Viele Jäger berichten stolz von kilometerlangen Hetzen ihres Hundes. Über solche Geschichten kann man nur schmunzeln. Entweder war der Hund körperlich mit der Wildart überfordert oder dem Hund hat es an Schärfe gemangelt.

Die erste Hetze und das erste Stellen sollen für den Hund unbedingt erfolgreich sein. Dieses besondere Jagderlebnis wird sich im Gedächtnis des Hundes einprägen. Wir dürfen daher nicht davor zurückschrecken, anspruchsvolle Nachsuchen, bei denen eine schwierige Hetze zu erwarten ist, anfangs abzulehnen. Gut geeignet für die erste Hetze sind hohe Laufschüsse, Weidwundschüsse und Keulenschüsse mit Knochentreffer. Ungeeignet sind die zuvor bereits erwähnten tiefen Laufschüsse, Gebrechschüsse und Krellschüsse. Auch das Wild wählen wir bei der ersten Hetze unseres Hundes mit Bedacht aus. Keiler, Bachen, Hirsche und Alttiere mit Kälbern sind sehr wehrhaft. Sie können den unerfahrenen Hund schwer verletzen, wenn er im Übermut zu viel Schärfe zeigt.

In einem Saugatter bereiten wir den Hund bestmöglich auf die Konfrontation mit wehrhaftem Wild vor. Das Schwarzwild in diesen Übungsgattern ist an Hunde gewöhnt und überreagiert nicht, wenn ein Hund zu nahe kommt. Mit kurzen Angriffen flößt es dem Hund jedoch den nötigen Respekt ein. Zwar wird in den Gattern nur an Schwarzwild geübt, der Hund kann das Gelernte aber auf andere Wildarten übertragen. Mehr als zwei Einsätze im Saugatter machen wir mit unserem Hund nicht. Er soll nicht lernen, gesundes Wild aufzustöbern und auf die Läufe zu bringen, sondern seine Aufgabe bleibt das Zur-Strecke-Bringen von krankem Wild.

 

Nachsuche 108
Abb.: Nicht nur Stöberhunde, sondern auch Nachsuchenhunde sollten in einem Schwarzwildgatter kontrolliert an wehrhaftes Wild herangeführt werden.

 

Stellt sich das kranke Stück unserem Hund, wird er es mit dem Standlaut verbellen. Er bindet das Stück, indem er es umkreist und ihm bei einem Fluchtversuch den Weg abschneidet. Je nach Schärfe und Erfahrung des Hundes und je nach Größe und Angriffslust des Wildes wird er versuchen, das Stück zu packen. Beim Halten und Niederziehen von Wild kommt der Hund schnell an seine körperlichen Grenzen. Selbst große Jagdhunde sind nicht in der Lage, ein Stück mit mehr als 30 Kilogramm Lebendgewicht festzuhalten. Auf jeden Fall müssen wir uns beeilen, die Bail zu erreichen! Brauchen wir zu lange, weil wir den Standlaut des Hundes nicht hören, weil unser Ortungsgerät den Dienst versagt oder weil wir schlichtweg zu langsam sind, löst sich das Ganze irgendwann auf. Gelingt dem Wild die Flucht, wird unser Hund im Normalfall die Hetze fortsetzen. Merkt unser Hund, dass er das Wild alleine nicht zur Strecke bringen kann oder verlassen ihn die Kräfte, kommt er zurück, um sein Rudel als Verstärkung zu holen. Ist das der Fall, beruhigen wir unseren Hund zuerst. Wir legen ihn ab, geben ihm Wasser und lassen ihn einige Minuten ausruhen. Danach bleibt uns nur eins übrig: Den Hund an den Riemen nehmen und die Suche fortsetzen.

*

KRAUTJUNKER-Kommentar: Diese Leseprobe ist nur ein Ausschnitt aus dem Kapitel „Praktische Schweißarbeit“. Im Buch geht es jetzt weiter mit „Fangschuss und Abfangen“ unterteilt in „Mit der Büchse“, „Mit der Kurzwaffe“ und „Mit der Blankwaffe“.
Am unteren Ende dieser Blog-Veröffentlichungen befinden sich die Links zu weiteren Leseproben aus dem Buch „Erfolgreiche Nachsuche“.
Last but not least: Die Überschrift im Buch heißt im Original „Vorausschauende Suche“. Um die Überschrift auf meinem Blog verständlicher zu machen veränderte ich sie in „Vorausschauende Nachsuche …“

 

***

Anmerkungen

Von KRAUTJUNKER existiert eine Gruppe bei Facebook.

Erfolgreiche Nachsache

Titel: Erfolgreiche Nachsuche – Zeitgemäße Hundeausbildung, moderne Ausrüstung, praktische Schweißarbeit

Autor: Holger Wilkening  http://www.schweisshund.net/

Verlag: Paul Pietsch Verlage GmbH & Co. KG

Verlagslink: https://www.motorbuch-versand.de/product_info.php/info/9481/XTCsid/rm205kioi4ob973oi905nhrkd0

ISBN: 978-3-275-02078-2

Fotos: © Holger Wilkening

*

Leseproben aus dem Buch:

https://krautjunker.com/2017/09/30/jagdhunde-bei-der-nachsuche/

https://krautjunker.com/2017/11/06/hundeausbildung-zur-erfolgreichen-nachsuche/

 

Ein Kommentar Gib deinen ab

  1. Kollegger Christian sagt:

    Der Bericht ist absolut lesenswert , obwohl ich von der länge der Hatz nicht einverstanden bin. Sicherlich ist eine Nachsuche im Hochgebirge nicht zu vergleichen mit jener in den Flächen. Und dann ist es entscheidend wenn ein Hund ziemlich lange Hetzt und das auch kann

    Gefällt 1 Person

Kommentar verfassen

Trage deine Daten unten ein oder klicke ein Icon um dich einzuloggen:

WordPress.com-Logo

Du kommentierst mit deinem WordPress.com-Konto. Abmelden /  Ändern )

Facebook-Foto

Du kommentierst mit deinem Facebook-Konto. Abmelden /  Ändern )

Verbinde mit %s