von Holger Wilkening
Schalenwild bekommt eine immer größere jagdliche Bedeutung. Die Niederwildbestände sind rückläufig und die verbliebenen Hasen, Fasanen und Rebhühner werden von den Jägern lieber gehegt als geschossen. Gleichzeitig steigen die Schalenwildbestände aufgrund einer veränderten landwirtschaftlichen Flächennutzung, einer neuen Form der Waldbewirtschaftung und nicht zuletzt aufgrund klimatischer Veränderungen an. Die Jäger unterliegen dem Druck, diese Wildbestände zu reduzieren, um Schäden in Feld und Wald zu vermeiden. Mit höheren Abschusszahlen beim Schalenwild steigt zwangsläufig auch die Anzahl der Nachsuchen. Hinzu kommen zahlreiche Wildunfälle im Straßenverkehr, bei denen Jäger eine Nachsuche übernehmen. Das Ziel ist es in jedem Fall, das verletzte Wild vor unnötigem Leid und einem qualvollen Tod zu bewahren. Somit erhält die Nachsuche eine besondere Bedeutung, und es muss alles getan werden, um Misserfolge zu vermeiden.
Abb.: Erfolgreiche Nachsuche auf einen Rothirsch. Zufriedenheit und Stolz beim Autor und seinem Schweißhund.
[Textkürzung]
Nasenleistung des Hundes
Hunde zählen zu den „Nasentieren“ und verfügen dementsprechend über einen hervorragenden Geruchssinn. Dabei variiert das Riechvermögen zwischen den einzelnen Rassen. Die Dackel verfügen über ca. 125 Millionen Riechzellen, die Retriever über 220 Millionen und Schweißhunde haben bis zu 300 Millionen Riechzellen. (Der Mensch verfügt über circa 5 Millionen Riechzellen.) Egal wie hoch die Anzahl der Riechzellen bei den verschiedenen Jagdhunderassen ist, die Nasenleistung ist in jedem Fall ausreichend, um eine Wundfährte mit vielen Stunden Stehzeit sicher zu arbeiten. Neben der bloßen Anzahl der Riechzellen sind für den hervorragenden Geruchssinn der Hunde nämlich noch einige andere Faktoren entscheidend.
Die Riechschleimhaut im Innern der Nase hat beim Hund eine Größe von durchschnittlich 120 cm² (beim Menschen 10 cm²). Sie ist beim Hund faltenförmig zusammengelegt. Durch diese Form trocknet die Riechschleimhaut nie vollständig aus, sie wird stets feucht gehalten. Geruchsmoleküle haften auf der feuchten Oberfläche besonders gut und können dadurch intensiv analysiert werden.
Aufgenommene Geruchsstoffe müssen verarbeitet werden. Dies geschieht im Gehirn. Vergleicht man das Gewicht des Gehirns mit dem Körpergewicht, so haben Hunde ein sehr viel höheres relatives Gehirngewicht als der Mensch. Das Riechhirn des Hundes macht 10 % des gesamten Gehirns aus (beim Menschen 1 %). Damit ist es im Vergleich zum Riechhirn des Menschen riesig.
Wenn ein Hund einer Fährte konzentriert und mit hohem Finderwillen folgt, atmet er in kurzen Atemzügen bis zu 300 Mal in der Minute. Dadurch werden die Riechzellen permanent mit einer großen Menge von Geruchsmolekülen versorgt. Geringste Änderungen eines Geruchs können sofort wahrgenommen werden.
Hunde verfügen – wie einige Wildtiere auch – über das Jacobsonsche Organ (auch Jacob-Organ; beim Menschen nicht vorhanden). Dieses hat eine schlauchartige Form und befindet sich auf beiden Seiten der Nasenscheidewand im Gaumen. Es wird von der normalen Atemluft nicht erreicht. Durch Flehmen können Gerüche jedoch auch vom Jacobsonschen Organ aufgenommen werden. Die Gerüche werden von hie an das Limbische System weitergeleitet und in Emotionen und Triebverhalten umgewandelt.
Insgesamt ist das Riechvermögen eines Hundes circa eine Million Mal besser als das des Menschen. Der Hund muss jedoch lernen, seine Nase zielgerichtet einzusetzen. Dies ist eine der wichtigsten Aufgaben bei der Grundausbildung unseres Hundes auf dem Weg zum Nachsuchenspezialisten.
Hier ein Beispiel, um das Riechvermögen des Hundes zu verdeutlichen: Für das Leben von Übungsfährten friere ich Schweiß in Gläsern und Decken/Schwarten und Läufe in Plastikbeutel ein. Sowohl Gläser als auch Beutel sind fest verschlossen und von außen sauber, weil ich sonst Ärger mit meiner Frau bekomme. Wenn ich für das Legen einer Übungsfährte ein Glas und einen Beutel zum Auftauen aus der Gefriertruhe entnehme, bemerkt mein Hund sofort den Wildgeruch an meinen Händen, obwohl diese für das menschliche Auge vollkommen sauber erscheinen. Die Hundenase registriert demnach auch die kleinsten anhaftenden Geruchsmoleküle.
Für die Nachsuche geeignete Rassen
Unabhängig davon, wie viel Millionen Riechzellen die Rasse, für die wir uns entschieden haben, in der Nase hat – die Nasenleistung unserer Jagdhunde reicht aus, um die meisten Nachsuchen zu meistern (vgl. Kapitel »Nasenleistung des Hundes«). Unterschiede zwischen den einzelnen Rassen liegen vielmehr in den seit langer Zeit angezüchteten Eigenschaften. Auch andere jagdliche Einsatzgebiete und der individuelle Charakter beeinfl ussen die Leistung eines Hundes auf der Schweißfährte.
Dass einige Hunderassen wie Terrier und Vorstehhunde sehr temperamentvoll sind, steht außer Frage. Viele Vertreter ihrer Rasse könnte man sogarals »hyperaktiv« oder »impulsiv« bezeichnen. Dementsprechend ist es schwer, diesen Rassen beizubringen, einer Fährte mit langer Stehzeit und wenig Geruch hoch konzentriert und ausdauernd über mehrere Kilometer zu folgen.
Eine Bracke mag eine hervorragende Nase und großen Finderwillen haben. Wenn sie jedoch zu zwanzig Drückjagden pro Jahr als Stöberhund eingesetzt wird und nur zu fünf Nachsuchen, kann man von ihr bei der Schweißarbeit keine Höchstleistung erwarten. Beim Stöbern sollen die Hunde Gesundfährten aufnehmen, um Wild aufzuspüren und es in Bewegung zu bringen. Bei Nachsuchen sollen die Hunde jede Gesundfährte als Verleitung ignorieren und ausschließlich der Krankfährte folgen. Steht eine Krankfährte schon über Nacht und eine kreuzende Gesundfährte erst seit wenigen Minuten, so hat die Gesundfährte unter Umständen deutlich mehr Geruch. Trotzdem soll der Nachsuchenhund sie nicht beachten. Dies ist für einen ambitionierten Stöberhund kaum möglich.
Abb.: Bracken haben einen großen Fährtenwillen. Ein häufiger Einsatz als Stöberhund steht dem Einsatz als Nachsuchenhund jedoch entgegen.
Innerhalb einer Rasse gibt es teilweise große Unterschiede in der Persönlichkeit der Hunde. Das kann man schon bei Welpen innerhalb eines Wurfes beobachten. Hier finden wir immer einen radikalen Draufgänger und auch einen besonders zurückhaltenden Welpen. Bei der Anschaffung eines Hundes muss man sich vor der konkreten Auswahl überlegen, für welchen Zweck er später hauptsächlich eingesetzt werden soll: Für die Drückjagd, bei der der Hund selbständig weiträumig suchen und Schwarzwild schneidig attackieren soll, um es aus der Dickung zu bringen, oder doch eher für die Schweißarbeit, wo Ruhe und Konzentration gefragt sind? Es ist allerdings zu beachten, dass ein Großteil der charakterlichen Prägung erst nach Abgabe des Welpen im neuen Zuhause erfolgt. Insofern sollte man bei der Welpenauswahl wiederum nicht zu viel Kaffeesatzleserei betreiben.
Aufgrund der Jahrhunderte langen Zuchtauswahl, bei der die Spezialisierung auf Nachsuchen im Vordergrund stand, sind Schweißhunde für diese Arbeit besonders geeignet. Sie verfügen über ein ruhiges, ausgeglichenes Wesen und einen großen Fährtenwillen. Aber auch Hunde anderer Rassen können Gleichwertiges auf der Wundfährte leisten, wenn sie im Welpenalter entsprechend geprägt, gewissenhaft ausgebildet und spezialisiert geführt werden.
Wieder ein Beispiel aus der Praxis: Ein Jagdfreund von mir führt einen Labrador. Da diese Rasse jagdlich ursprünglich für das Apportieren von erlegtem Flugwild gezüchtet wurde, sagt man ihr nach, sie sei »weich« und besitze keine Schärfe. Dieser Labrador wird jedoch ausschließlich auf Schweiß und hauptsächlich auf Schwarzwild geführt. Er kann es beim Hetzen und Stellen in puncto Schärfe mit jedem Terrier aufnehmen! Dieser Hund hat es tatsächlich schon geschafft, eine Bache aus ihrem Kessel zu vertreiben und einen wenige Tage alten Frischling zu apportieren! Die Ausbildung und die tägliche Jagdpraxis haben Charakter und Leistung des Hundes geformt.
*
Die Zeitschrift „Wild und Hund“ schreibt: „Es ist nicht zu überlesen: Dieses Buch hat ein Praktiker geschrieben. Er beschreibt nicht nur den Idealweg der Einarbeitung, wie man ihn hinlänglich kennt, sondern zeigt vor allem die Hürden, auf die der Nachsuchenführer mit seinem jungen oder alten Hund stößt. Wilkening lässt den Leser damit aber nicht allein, sondern bietet für viele Probleme auch eine Lösung an. (…)“
***
Anmerkungen
Von KRAUTJUNKER existiert eine Gruppe bei Facebook.
Titel: Erfolgreiche Nachsuche – Zeitgemäße Hundeausbildung, moderne Ausrüstung, praktische Schweißarbeit
Autor: Holger Wilkening http://www.schweisshund.net/
Verlag: Paul Pietsch Verlage GmbH & Co. KG
Verlagslink: https://www.motorbuch-versand.de/product_info.php/info/9481/XTCsid/rm205kioi4ob973oi905nhrkd0
ISBN: 978-3-275-02078-2
Foto Nachsuche: © Holger Wilkening
Foto Bracke: © Martina Berg
2 Kommentare Gib deinen ab