Buchvorstellung
Einerlei, ob unser Erstkontakt zur Archäologie Filme wie Indiana Jones, Computerspiele wie Tomb Raider oder Bücher wie Götter, Gräber und Gelehrte war, unwillkürlich denken wir bei Ausgrabungen an Schätze und Schwerter. Viel mehr als Objekte einer kleinen Oberschicht, eröffnen jedoch den Wissenschaftlern vermeintlich unspektakuläre Funde, wie die Reste verkohlter Pflanzen, neue Erkenntnisse über das Leben unserer Ahnen in grauer Vorzeit.
»Im Zuge langjähriger Ausgrabungstätigkeiten in den Feuchtbodensiedlungen des nördlichen Alpenvorlandes wurden seit dem 19. Jhr. Zehntausende Pflanzenfunde geborgen. Mehr als 350 Pflanzenarten, von denen die jungsteinzeitlichen Siedler viele in irgendeiner Weise nutzten, konnten bislang bestimmt werden. Das Artenspektrum wiederholt sich von Fundort zu Fundort immer wieder und beinhaltet erstaunlicherweise Pflanzenarten, die offensichtlich aus unterschiedlichen Habitaten stammen. Dies zeigt, dass die damaligen Menschen ihre Umwelt bestens kannten und bestimmte Pflanzen ganz bewusst in ihre Siedlungen brachten. Ein Grundstock an Wissen über Anwendungsmöglichkeiten der einzelnen Pflanzen als Baumaterial, zur Ernährung, zur Textilherstellung einschließlich Färben, für die Heilung von Krankheiten usw. gehörte definitiv zum allgemeinen Kenntnisschatz der Menschen. Ebenso muss die Wirkung der Inhaltsstoffe bestimmter Pflanzen bekannt gewesen sein.«
Der Fund von Pflanzenresten aus Ur- und Frühgeschichte gelingt nur durch die Entnahme akribischer Bodenproben auf archäologischen Ausgrabungen. Unter Trockenbodenbedingungen besteht in der Regel nur die Möglichkeit Funde verkohlter Reste zu machen, welche oftmals erst unter der Lupe oder im Labor sichtbar gemacht werden können. Dieser enorme Aufwand schenkt uns Altgierigen ein umfassenderes Verständnis einer Welt, die vor tausenden Jahren Alltag war, als es durch Goldhorte einer vergangenen Herrscherclique möglich ist..

Erst nach der Gründungsphase von Dörfern wurden in der Jungsteinzeit Wildpflanzen und Wildtiere als Ernährungsbasis durch Kulturpflanzen und Haustiere abgelöst. Unsere Vorfahren nutzten für ihren täglichen Überlebenskampf aktiv ihre Kenntnisse der Pflanzenwelt. Nachweislich kannten sie deren Standorte und Reifungsprozesse und verfügten über tiefe Kenntnisse der vielfältigen Verwendungsformen einzelner Pflanzenorgane. Dieses regional unterschiedliche Wissen sowie bestimmte Vorlieben wurden über die Jahrtausende mündlich weitergegeben. Verschwand eine Siedlung mit Spezialkenntnissen durch Krankheit oder Hunger, erlosch auch ihr Wissen. Experimentelle Archäologen bemühen sich, das Wissen um die Gewinnung von Materialien, sowie deren Weiterverarbeitung und den damit verbundenen Aufwand an Energie und Zeit wiederzuentdecken.
Enge Beziehung zwischen Mensch und Natur
Zweifellos waren die Steinzeitmenschen nicht ungebildet, obwohl sie nie die Schulbank gedrückt hatten. Das Wissen um den Wechsel der Jahreszeiten und das damit verbundene zyklische Auftauchen und Verschwinden von Pflanzen und Tieren, war überlebenswichtig. Dabei beruhten die Beziehungen zwischen Mensch und Natur auf Gegenseitigkeit. Für die Forschung ist der sogenannte human impact eine wichtige Frage, die seit Jahrzehnten kontrovers diskutiert wird: Wie stark war der Einfluss der prähistorischen Ahnen auf seine Umwelt? Durch ihre Eingriffe schufen sie neue Habitate wie Felder und Wegränder und führten Pflanzen aus fernen Ländern in unseren Gefilden ein. Die meisten Kulturpflanzen benötigen Pflege, um zu überleben. Diese Eigenschaft wurden teilweise gezielt angezüchtet. So verfügen die Ähren wildwachsender Getreidesorten über brüchige Spindeln, welche bei der Reife auseinanderfallen. Hingegen verbleibt domestiziertes Wildgetreide im Verband, was bei der Ernte für die Bauern von Vorteil ist.
»Die ökologischen Ansprüche der Ackerunkräuter lassen vermuten, dass eher mit kleinflächigen Anbauflächen zu rechnen ist, die jedoch dauerhaft bewirtschaftet wurden. Mithilfe sogenannter Zeigerwerte, die vom Geobotaniker Heinz Ellenberg für fast jede mitteleuropäische Pflanzenart ermittelt wurden, lässt sich beschreiben, wie feucht der Wachstumsort der jeweiligen Pflanzen gewesen sein muss, ob Feldflächen beschattet waren und ob die Bodenverhältnisse als nährstoffreich oder eher mager zu bezeichnen sind. Jungsteinzeitliche Unkrautspektren deuten an, dass eher kleine, gartenartige Parzellen intensiv bearbeitet und gedüngt wurden. Größere, mit dem Pflug bewirtschaftete Felder, gab es wahrscheinlich erst ab der Bronzezeit.«
Interessanterweise gab es sogar gewisse Vorstufen der Forstwirtschaft. So konnten Dendrochronologen in langjähriger Forschungsarbeit nachweisen, dass besonders wertvolle Bäume bei Rodungen bewusst stehen gelassen und freigestellt wurden, um Jahre später für den Bau von Gebäuden oder Einbäumen Verwendung zu finden.
So veränderten sich die Wälder in Siedlungsnähe schon im 4. Jt. v. Chr. von unberührter Natur zu von Menschen geprägten Pflanzengesellschaften, was wiederum die Tierwelt beeinflusste.
Fülle im Sommer, Mangel im Winter?
Insbesondere in der zweiten Hälfte der warmen Jahreszeit liefert die Natur reichlich Ressourcen. Auf die Wintermonate jedoch, wenn die Pflanzenwelt entweder abstirbt, oder sich eine Ruhephase gönnt, muss man vorbereitet sein. Mittelsteinzeitliche Jäger und Sammler planten und handelten anders als jungsteinzeitliche Ackerbauern und Viehzüchter. Heute nimmt man an, dass beide Gruppen über lange Zeiträume miteinander in Kontakt standen. Hierbei kam es sowohl zu Konflikten, wie zu Kooperationen.
Vielfalt an pflanzlichen Lebensmitteln
Regionale erzeugte Lebensmittel nach Saison zu verzehren und die Nahrungsaufnahme als soziales Ereignis zu zelebrieren, um sich als Gruppe zu definieren und zu stärken, ist heute einer der klügeren Trends. In der Steinzeit hatten Mitteleuropäer über tausende von Jahren keine andere Wahl, um zu überleben.
In allen ursprünglichen Gesellschaften bildete das Sammeln pflanzlicher Wildressourcen eine wichtige Ergänzung zu der Ernte. Unglücklicherweise liefern uns hierzu archäobotanische Funde nur Informationsbruchteile, denn erst wenn hartschalige Pflanzen und Samen in die archäologischen Ablagerungen gelangen, steigt für Experten die Chance, Arten bestimmen zu können.
Interessanterweise wurden anscheinend viel mehr die in der Erde verborgenen Organe wildwachsender Pflanzen geerntet. Eine Kulturtechnik, die mittlerweile nahezu vollständig in Vergessenheit geraten ist, sieht man mal von Trüffelsuchern ab. So gelang es Archäobotanikern die Wurzeln des Scharbockskrautes (Ficaria verna) wie auch der Wild-Rübe (Beta vulgaris ssp. maritima) in verkohlter Form nachzuweisen. Neue Funde lassen vermuten, dass schon die Neandertaler Grabstöcke nutzten.
Zu dem am meisten gesammelten Obst der Jungsteinzeit gehörten Schlehen. An Waldrändern und Hecken konnten die Früchte des lichtliebenden Strauches sehr leicht gesammelt werden. Walderdbeeren, Himbeeren und Brombeeren waren in der Jungsteinzeit äußerst beliebt und sind es heute noch. Andere steinzeitliche Nahrungsquellen lehnen wir heute ab, so z.B. die Gewöhnliche Traubenkirsche (Prunus padus) und die beiden Nachtschattengewächse Bittersüßer Nachtschatten (Solanum dulcamara) und Schwarzer Nachtschatten (Salnum nigrum).
Eine Pflanze, der besondere Wichtigkeit zukommt, ist die Haselnuss (Corylus avellana). Ebenso wohlschmeckend und nahrhaft wie gut lager- und transportfähig, war nahm sie im steinzeitlichen Speiseplan einen so bedeutsamen Platz ein, dass der schwedische Archäobotaniker Mats Regnell vorschlägt, die Mittelsteinzeit in Nusszeitalter umzubenennen. Durch Pollendiagramme kann ein Zusammenhang zwischen menschlicher Besiedlung und dem Anstieg von Haselpollen (siehe auch: https://krautjunker.com/2017/11/02/hasel/) nachgewiesen werden.
Ölpflanzen gehören zu den wichtigsten Energie- und Bausteinlieferanten des menschlichen Organismus. Da in Zentraleuropa nur wenige Wildpflanzen gedeihen, welche ölhaltige Samen und Früchte liefern, wurde bereits zur Zeit der Bandkeramik (5.700 – 4.900 v.Chr.) der Schlafmohn (Papaver somniferum) importiert. Die Samen verwendete man für den direkten Verzehr und die Ölgewinnung. Dieses trockene Öl ist nicht nur ein Lebensmittel, sondern kann auch für die Herstellung hochwertiger Malerfarben genutzt werden. Aus dem Milchsaft stellt man seit Urzeiten Opium her. Dieses Naturprodukt ist nicht nur eine Rauschdroge, sondern auch ein Schmerz- und Schlafmittel. Die Menge macht das Gift.

Ausblick
Die bereits aufgezählten Punkte zeigen nur einige Punkte der ersten Kapitel auf. Die Folgenden lauten:
* Überregionale Tauschbeziehungen
* Zubereitung von pflanzlicher Nahrung und Vorratshaltung

* Vielfältige Nutzung von Bäumen, Sträuchern und Faserpflanzen
* Pflanzlicher Schmuck und Farben

* Bedürfnis nach Sauberkeit
* Heilpflanzen und Drogen
* Pflanzenporträts
* Karte jungsteinzeitlicher Pflanzenfundorte
* Tabelle Archäobotanischer Nachweise
* Literatur
Resümee
Die Rezensentin Buchraettin hat es auf der Website LOVELYBOOKS treffend zusammengefasst: »Eine Mischung aus Archäologie und Botanik- sehr informativ und unterhaltsam dargestellt- perfekt abgerundet mit vielen Fotos und Abbildungen. Das Buch weckt Neugier an der Wissenschaft, an Geschichte und an Biologie.«

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Anmerkungen
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Titel: Heilsam, kleidsam, wundersam: Pflanzen im Alltag der Steinzeitmenschen
Autoren: Sabine Karg u. Ewald Weber
Fotos: Sabine Karg
Verlag: wbg Theiss in Wissenschaftliche Buchgesellschaft (WBG)
Verlagslink: https://www.wbg-wissenverbindet.de/14868/heilsam-kleidsam-wundersam?number=1017094
ISBN: 978-3-8062-3886-0
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Sagnlandet Lejre bei Roskilde: https://www.sagnlandet.dk/

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Weitere Rezensionen:
https://geschimagazin.wordpress.com/2019/03/14/heilsam-kleidsam-wundersam/
https://ardeija.de/book-review/heilsam-kleidsam-wundersam/
https://www.archan-nhb.de/service/buchvorstellungen/