Buchvorstellung von Sybille Lengauer
Fasanenwilderei ist ein abscheuliches Verbrechen! Diese Ansicht vertritt zumindest der dickwanstige Bierbaron Victor Hasel, in dessen Waldstück, dem Haselwald, sich hunderte Fasanen tummeln. Der finanzkräftige Brauereibesitzer hält die prächtigen Vögel jedoch nicht, um sich bei geruhsamen Sonntagsspaziergängen an ihrem exotischen Anblick zu erfreuen.
»Er kauft jeden Sommer Hunderte von jungen Fasanen bei den Fasanen-Farmen und setzt sie im Wald aus, wo die Wildhüter sie füttern und bewachen und für den großen Tag des Jahres schön fett machen.«
An besagtem großen Tag, dem 1. Oktober, endet in England die Schonzeit für Fasanen und Mr. Victor Hasel veranstaltet jedes Jahr eine pompöse Jagdgesellschaft, um diesen Anlass gebührend zu feiern.
»Sie kommen von weit her angereist. Herzöge und Lords, Barone und reiche Geschäftsleute und all die Angeber aus der ganzen Umgebung. Sie kommen mit ihren Gewehren und ihren Hunden und ihren Frauen, und den ganzen Tag lang hallt das Tal von ihrer Knallerei wider. Sie kommen aber nicht, weil sie Mr. Hasel schätzen. In Wirklichkeit verachten sie ihn. Er ist in ihren Augen ein unangenehmer Kerl.«
Und das ist Mr. Hasel in der Tat! So weiß zum Beispiel der hochgeschätzte Dorfarzt, Doktor Spencer, aus erster Hand von dessen schäbigem Charakter zu berichten:
»„…jedenfalls habe ich zufällig am Fenster gestanden, als er mit seinem lächerlichen dicken Rolls-Royce vorgefahren ist. Ich sah ihn aussteigen und habe auch gesehen, dass mein alter Hund Bert dösend auf der Schwelle lag. Und weißt du, was dieser abscheuliche Mr. Hasel getan hat? Statt über meinen alten Bert hinüberzusteigen, hat er ihn doch tatsächlich mit seinem Reitstiefel beiseite gestoßen!“«
Es mag daher nicht allzu verwunderlich erscheinen, dass man im Dorf das Thema Fasanenwilderei mit anderen Augen betrachtet, als es dem stinkstiefeligen, hundetretenden Geldsack Victor Hasel lieb wäre…
Hier beginnt das großartige Abenteuer des neunjährigen Danny Smith, der mit seinem Vater William einen kleinen Zirkuswagen hinter der väterlichen Tankstelle bewohnt. Es ist ein bescheidenes Leben, große Besitztümer wird man hier vergeblich suchen und doch ist Dannys Kindheit reich an unbezahlbaren Schätzen.
»Solange ich noch ein Baby war, wusch und fütterte mich mein Vater, wechselte meine Windeln und tat all die vielen tausend Dinge, die sonst eine Mutter für ihr Kind tut. Das war nicht leicht für einen Mann, besonders wenn er außerdem Autos reparieren und den Kunden Benzin in den Tank füllen musste, um Geld zu verdienen. Aber meinem Vater wurde es nicht zu viel. Ich glaube, dass er all die Liebe, die er für meine Mutter empfunden hatte, als sie noch lebte, nun mir zukommen ließ. Jedenfalls bin ich als kleiner Junge, soweit ich mich erinnern kann, nie unglücklich oder krank gewesen.«
Wohlbehütet wächst Danny zu einem fröhlichen Jungen heran, vielleicht ein wenig ölverschmiert und mit feuchtem Hosenboden, dafür jedoch sorgenfrei und glücklich. Tagsüber lässt er Drachen steigen, lernt Automotoren zu reparieren oder rast mit seinem mächtigen Seifenkistenfahrzeug Seiferix die Hügel hinunter. Abends kuschelt er sich ins gemütlich warme Etagenbett des Zirkuswagens und lauscht den herrlichsten Geschichten:
»Mein Vater war ganz sicher nicht das, was man einen gebildeten Mann nennen würde. Ich nehme an, dass er keine zwanzig Bücher in seinem Leben gelesen hat. Aber er war ein großartiger Geschichtenerzähler. Jeden Abend dachte er sich eine Gute-Nacht-Geschichte für mich aus, und aus den besten machte er regelrechte Fortsetzungsromane, die immer weiter gingen, viele Abende lang.«*
Danny ist überzeugt, dass sein Vater der beste, liebevollste und sicherlich auch der gesetzestreueste Mann der Welt ist. Jedoch, selbst die besten Väter haben dunkle Geheimnisse, wie Danny bald herausfinden muss.
»Wenn ihr älter werdet, kommt ihr eines Tages dahinter, genau wie ich in dem Herbst damals, dass kein Vater vollkommen ist. Erwachsene sind komplizierte Wesen, und alle haben sie ihre Verrücktheiten und Geheimnisse. Manche haben noch verrücktere Geheimnisse als andere, aber alle miteinander – und da sind die eigenen Eltern eingeschlossen – haben sie ihre zwei oder drei versteckten und verborgenen heimlichen Angewohnheiten, und sicher würdet ihr vor Staunen Mund und Nase aufreißen, wenn ihr etwas davon wüsstet.«
William Smith ist ein Wilderer! Fasanenwilderer aus Familientradition, um ganz genau zu sein, denn schon Dannys Großvater war ein weithin berühmter Fasanenfänger.
»„Die besten Arten des Fasanenwilderns sind von deinem Großvater entdeckt worden. Er hat das Wildern so gründlich studiert wie ein Gelehrter seine Wissenschaft.“«
Im ganzen Dorf sei damals die Fasanenwilderei beliebt gewesen, jedoch nicht zum Zeitvertreib, sondern aus bitterer Not heraus. Nagender Hunger trieb die Menschen in die Wälder der Reichen, in denen unzählige Fasanen mit den besten Körnern fettgefüttert wurden. Mit glitzernden Augen weiht William seinen Sohn in die streng geheimen Rosinen-Fangmethoden ein, die der Großvater in langwierigen Experimenten in seinem Hinterhof entwickelt hat: den »Rosshaarstopper« und den »Klebehut«. Und tatsächlich reißt Danny vor Staunen Mund und Nase auf, als sein Vater freimütig von der Jagd auf die wohlschmeckenden Vögel und von gefährlichen Versteckspielen mit bewaffneten Wildhütern erzählt.
»Ich war entsetzt. Mein Vater ein Dieb! Dieser gütige und freundliche Mann! Ich konnte es nicht glauben, dass er in finsterer Nacht durch die Wälder schlich, um wertvolle Vögel zu klauen, die anderen gehörten.«
Doch schon bald darauf ist Danny gezwungen, seine Meinung zur Fasanenwilderei gründlich zu überdenken. Wenige Tage nachdem er in die großen Geheimnisse der Fasanenwilderei eingeweiht wurde, überschlagen sich die Ereignisse und Danny Smith mausert sich zum gerissensten Fasanenwilderer, den die Welt jemals gesehen hat…
Kinderbuchautoren kämpfen häufig mit fehlender Anerkennung. Ihre Werke werden im großen Literaturbetrieb oft nur herablassend belächelt, sofern sie überhaupt wahrgenommen werden. (Ich erinnere in diesem Zusammenhang an den berühmten Schlagabtausch, den sich Michael Ende mit Marcel Reich-Ranicki lieferte und der in der Erschaffung des garstigen „Büchernörgele“ kulminierte, welches sich in Endes meisterhaftem Kinderbuch Der satanarchäolügenialkohöllische Wunschpunsch versteckt.) Dabei braucht es eigentlich einen ordentlichen Vorrat exquisiter Superlative, um einen kreativen Kopf wie Roald Dahl angemessen zu beschreiben. Beschäftig man sich etwas näher mit dem britischen Schriftsteller, der unter anderem Geschichten wie James und der Riesenpfirsich, Matilda, Charlie und die Schokoladenfabrik und Hexen hexen erschaffen hat, wird man allerdings bald feststellen, dass Dahl sich wenig um Anerkennung scherte.

Er nahm seine Person und auch seine Umwelt gerne auf die leichte Schulter und war damit beschäftigt, sein Leben mit Abenteuern und neuen Erfahrungen zu füllen. Die Meinung anderer interessierte ihn dabei nur wenig, seine Biographie liest sich so spannend, wie manche seiner Geschichten. Doch was macht eigentlich eine gute Kindergeschichte aus? Nachdem wir alle einmal Kinder waren, die hoffentlich fleissig gelesen haben, kann ein jeder darauf seine eigene Antwort finden. Für mich gewinnt eine gute Kindergeschichte bis heute, wenn dem Autor der Brückenschlag zwischen unbeschwerter Fantasie und steiniger Realität gelingt. Um nur ein Beispiel zu nennen: kein Erwachsener konnte mir in der Kindheit besser bei der Verarbeitung von Verlust und Trauer helfen, als die Bücher Ronja Räubertochter und Die Brüder Löwenherz von Astrid Lindgren. Kinder merken es, wenn eine Geschichte sie respektiert. Weichgespülte 0815-Abenteuer von der Stange werden dagegen schon während des Lesens schal und fallen rasch der Vergessenheit anheim. Roald Dahl vergisst man nicht so schnell, egal ob man nun seine Kinderbücher, oder seine Kurzgeschichten für Erwachsene liest. Dahls manchmal perfider Sinn für Humor, die liebevolle Ausgestaltung seiner Charaktere, seine übersprühende Fantasie und die faszinierenden Welten, die er für uns erdacht hat, fesseln Lesende über alle Altersklassen hinweg.
Zum Ende sei unbedingt noch auf die herzerwärmenden Federzeichnungen des Cartoonisten Quentin Blake verwiesen. Seine skizzenhaften Darstellungen runden die abenteuerliche Geschichte um Danny und seinen Vater ganz wunderbar ab.

Auch darf nicht unerwähnt bleiben, dass es eine Fernsehadaption zu Danny oder Die Fasanenjagd gibt: Danny – the Champion of the World (GB, 1989), mit Jeremy Irons als William Smith und Robbie Coltrane als finsterer Mr. Victor Hazell.
* aufmerksamen Dahl-Lesern wird bei der Lektüre von „Danny oder Die Fasanenjagd“ das Kapitel mit dem Großen Freundlichen Riesen GFR ins Auge fallen, dieser wurde später von Dahl in Sophiechen und der Riese erneut aufgegriffen.
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KRAUTJUNKER-Rezensentin

Sybille Lengauer, Jhg. 1980, ist Autorin für Gedichte und Kurzgeschichten. Ihr neues Buch Mottengedanken wird im November 2020 im Verlag RUP (Rodneys Underground Press) erscheinen. Wer schnuppern möchte, findet einige ihrer Texte auch hier: https://hirnwichsen.wordpress.com
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KRAUTJUNKER-Kommentar: Das Buch Danny oder Die Fasenenjagd habe ich als Zehnjähriger gelesen. Im Gegensatz zu vielen anderen Büchern, die ich damals las und längst vergessen habe, hat die spannende und humorvolle Geschichte einen tiefen Eindruck auf mich gemacht.
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Titel: Danny oder Die Fasananjagd
Autor: Roald Dahl
Verlag: diverse
Roald Dahl zu lesen ist ein Fest!
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