Jagdliches Brauchtum und Jägersprache

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Buchvorstellung von André Brüggemann

»Des Waidmanns Ursprung liegt entfernt, dem Paradise nah,
Da war kein Kaufmann, kein Soldat,
Kein Arzt, kein Pfaff´, kein Advokat,
Doch Jäger waren da!«

Mit diesem Zitat von Bunsen beginnt Walter Freverts Buch Jagdliches Brauchtum und Jägersprache, 2020 in vierter Auflage im Kosmos Verlag erschienen.

Abb.: Hochsitzlektüre; Bildquelle: André Brüggemann

Eines vorweg: Das Buch Jagdliches Brauchtum und Jägersprache ist die Zusammenlegung der ehemals separat erschienen Bücher Jagdliches Brauchtum und Wörterbuch der Jägerei.

Der Kosmos Verlag schreibt über das Buch: „Seit vielen Jägergenerationen ist das Werk von Walter Frevert die Richtschnur in Fragen der jagdlichen Tradition und Jägersprache. Der Klassiker – jetzt in aktualisierter und in neuer, moderner Gestaltung – informiert über die historischen Wurzeln des Brauchtums und dessen Elemente. Er enthält außerdem ein Glossar aller jagdlichen Fachausdrücke“.

Walter Frevert selbst kann weder die aktualisierte Erstauflage geschweige denn die aktuelle vierte Auflage verfasst bzw. überarbeitet haben, ist der Forstmann doch bereits 1962 verstorben. Auf ihn geht aber das seit den 1930er Jahren ursprünglich von Paul Parey verlegte Buch Jagdliches Brauchtum zurück. Wer allerdings die Neuauflage im Kosmos Verlag be- und überarbeitet hat, erfährt der Leser nicht.

Frevert schlägt in seinem Buch einen weiten Bogen von den geschichtlichen Hintergründen der Jagd (u.a. Zeit der Germanen, Jägerausbildung in der Feudalzeit), über Sagen und Aberglauben (natürlich darf hier die Hubertus-Legende nicht fehlen) bis zu Hinweisen nach dem Schuss (Abfangen, Aufbrechen/Zerwirken, Schüsseltreiben) und schließlich Anmerkungen zum gemeinschaftlichen Jagen (Bewegungsjagd, Umgang mit der Waffe), bevor sich im zweiten Teil das Wörterbuch der Jägerei anschließt.

Abb.: Inhaltsverzeichnis; Bildquelle: André Brüggemann

Insbesondere das Kapitel Jägerlatein lässt den Leser erwartungsgemäß schmunzeln. Wer wusste schon, dass die Elche zur Zeit der Germanen keine Gelenke in den Beinen hatten, sich daher nachts zum Schlafen an Bäume anlehnten und die Germanen dann nur die Bäume absägen und die umgefallenen Elche einsammeln mussten, schon war die Jagd erfolgreich erledigt? Wie gesagt, Jägerlatein; die Geschichte wurde vermutlich von Heimkehrern aus Germanien bei römischen Gelagen erzählt.

Aus mittelalterlicher Zeit wird beispielsweise berichtet, dass wer einen Beizvogel gestohlen hatte, sich zur Strafe von einem Greif sechs Unzen Fleisch von den Hoden kröpfen lassen musste. Ebenso erfährt der Leser, welche Stadien die Jägerausbildung im 18. Jahrhundert umfasste. Bebildert sind diese Anekdoten und Berichte i.d.R. durch historische Zeichnungen und Stiche.

Abb.: Federschütze; Bildquelle: André Brüggemann

Insgesamt sind in dem Hardcoverbuch 17 Farbfotos, 8 SW-Fotos und 37 SW-Zeichnungen enthalten, wobei sich die Farbbilder ausnahmslos am Ende des Buches befinden (im Anschluss an Das Wörterbuch der Jägerei) und es sich dabei um Abbildungen der wichtigsten Wildarten mit den entsprechenden jagdlichen Bezeichnungen der Körperteile handelt.

Abb.: Fuchs & Auerhahn; Bildquelle: André Brüggemann

Doch das Buch wartet nicht nur mit witzigen Geschichten auf. Frevert, ausgebildeter Forstmann, passionierter Jäger und Hundeführer, schreibt auch über das Verhalten nach dem Schuss, angefangen von Bruchzeichen, Versorgen des erlegten Wildes bis hin zu Fragen wem das kleine und große Jägerrecht zusteht, wie die Strecke zu legen ist und wie man sich beim Schüsseltreiben zu verhalten hat.

Das Aufbrechen wird in mehreren Methoden dargestellt (Wild liegend, Wild kopfüberhängend, Schloss aufbrechen vs. Ringeln), allerdings nur in Textform. Ein Jungjäger wird diesbezüglich aus anderen bebilderten Darstellungen mehr Nutzen ziehen können. Auch manch altgedienter Jäger der sich über Ringeln informieren möchte, weil es inzwischen von immer mehr Jagdherrn oder Wildabnehmern gefordert wird, bleibt angesichts der knappen verbalen Beschreibung möglicherweise ratlos zurück.

Das Schüsseltreiben ist für Frevert aus zwei Gründen wichtig:
»Einmal pflegt eine Treib- oder Drückjagd eine mehr oder weniger anstrengende Sache zu sein, sodass ein kräftiges Essen hinterher schon aus gesundheitlichen Gründen zu empfehlen ist. Andererseits wird durch das Schüsseltreiben auch die Geselligkeit gepflegt, man lernt seine Mitjäger näher kennen, es werden Erlebnisse und Erfahrungen ausgetauscht.«
Dem ist aus meiner Sicht voll zuzustimmen!

Positiv ist anzumerken, das Frevert darauf hinweist, auf Alkoholgenuss zumindest vor und während der Jagd zu verzichten:
»So schön es sein mag, nach der Jagd den Humpen zu schwingen, so verwerflich ist es, während der Jagd selbst Alkohol zu trinken. Der Umgang mit dem Gewehr ist eine ernste Sache, die Verantwortung verlangt; und man sollte nicht durch Alkoholgenuss dieses Verantwortungsgefühlt schwächen«.
Sicherlich wird damals wie heute niemand glücklich damit leben, unter Alkoholeinfluss einen schlimmen Unfall verursacht zu haben. Aber gerade heutzutage, wo von der Öffentlichkeit teilweise kritisch auf Jagd und Jäger geschaut wird kommt zusätzlich hinzu, dass das Fehlverhalten Einzelner regelmäßig der Gesamtheit zugeschrieben wird und ein negatives Bild zeichnet. Daher ist es gut, dass Frevert an verschiedenen Stellen – nur nicht beim Thema Alkohol – auf die Öffentlichkeitswirkung mancher Bräuche und Methoden hinweist.

Unmittelbar im Zusammenhang mit dem Erlegen, dem Strecke legen und dem Schüsseltreiben steht natürlich das Jagdhornblasen als wichtiger Teil des Brauchtums.

Abb.: Noten; Bildquelle: André Brüggemann

Keine Überraschung also, dass Frevert diesem Thema ein eigenes Kapitel widmet. Er leitet es mit einem Gedicht von Görner von 1744 ein:

»Gefesselt hängt´s mir an der Hüfte,
Des Waidmanns Schmuck und blanke Zier,
Früh weckt es durch die Morgenlüfte,
Bläst an die Jagd: auf ins Revier!
Es mahnet die Hunde,
Es gellt in der Not,
Es lockt in der Runde,
Es schmettert ´Hirsch tot´!«

Die Zeilen des Gedichts finden sich in Signalen wie „Das hohe Wecken“, „Aufbruch zur Jagd“, „Hunderuf“ oder „Sammeln der Jäger“ und natürlich in den so genannten Totsignale wieder. Diese Signale sind heute immer noch Bestandteile von Jagden und Wettbewerben. Die entsprechenden Notenvorlagen sind im Buch abgedruckt; von Aufmachung und Umfang weitgehend identisch mit dem ebenfalls im Kosmos Verlag erschienen Büchlein Die Jagdsignale. Bei den Noten zeigt sich, dass der Kosmos Verlag modernen Medien gegenüber aufgeschlossen ist: Der Leser kann sich eine kostenlose App herunter laden und in dieser sein Buch auswählen; gibt er dann die im Buch jeweils am Rand des Notenblatts genannten Nummer ein, wird das entsprechende Musikstück abgespielt.

Den zweiten Teil des Buches (etwas weniger als die Hälfte des Gesamtwerks) nimmt das Wörterbuch der Jägerei ein.

Abb.: Wörterbuch; Bildquelle: André Brüggemann

Es reicht von A wie Aalstrich („dunkler, vom Nacken bis zum Wedel reichender Streifen in der Decke bei Hirscharten, Gamswild (Sommer), Steinwild und Hunden (Schweißhund, Teckel)“) bis Z wie Zwitterhahn („Rackelhahn“).

Der Leser bekommt hier auf rund 119 Seiten diverse jagdliche Begriffe erklärt. Neben im Alltag des Öfteren aufkommenden Fragen, ob und warum Waidmannsheil mit ai oder ei geschrieben wird, erfährt der Leser z.B. auch, dass „Hilo!“ ein alter Zuruf beim Abfangen eines Hauptschweines ist oder dass „Sensel“ ein Begriff für die Wand der Schalen beim Rotwild sind.

Fazit: Es gibt ein Sprichwort, welches in etwa lautet „Tradition ist die Weitergabe des Feuers und nicht die Anbetung der Asche“. Ich habe es schon häufiger bei Diskussionen über jagdliches Brauchtum gehört bzw. gelesen, insbesondere von Jägern, die auf Brauchtum nicht viel Wert legen. Und wegen eines anderen Sprichworts, nämlich „Wer nicht mit der Zeit geht, geht mit der Zeit“ könnte man meinen, heutzutage bräuchte es tatsächlich kein wie von Frevert beschriebenes Brauchtum mehr.

Natürlich ist es richtig, dass z.B. Funkgeräte und Mobiltelefone die Kommunikation mittels Jagdhorn weitgehend ersetzt haben. Es mag auch sein, dass bei der mancherorts betriebenen Wald-vor-Wild-Strategie die Ehrung des einzelnen Stücks an Bedeutung verliert. Aber seien wir mal ehrlich: Bleiben einem nicht doch die Jagden in schönerer Erinnerung, wo Waidgerechtigkeit und Brauchtum noch einen gewissen Stellenwert hatten?

Und selbst wenn nicht: Jagd ist ein uraltes Handwerk. Wie in anderen Gewerken und Zünften auch hat sich über die Jahrhunderte ein bestimmtes Verhalten und eine bestimmte Sprache heraus gebildet, die – meiner Meinung nach – von deren Mitgliedern auch gepflegt werden sollte. Sicherlich kann und muss es hierbei zu Veränderungen kommen (siehe einleitendes Sprichwort) aber auch dafür ist zunächst Mal ein gewisses Hintergrundwissen erforderlich.

Vom Kosmos Verlag als Herausgeber hätte ich mir allerdings eine – wenigstens kurze – geschichtliche Einordnung der Person Walter Frevert gewünscht.

Abb.: Frevert und Göring; Bildquelle: Wikipedia bzw. Bundesarchiv

Wie der Verlag schreibt, ist Frevert »einer der bemerkenswertesten Jagdschriftsteller der letzten Jahrzehnte. Schon zu Lebzeiten galt er als Experte für brauchtumsgerechtes Waidwerk und die jagdliches Ausdrucksweise«.
Das ist zweifellos richtig. Allerdings wird Frevert auch für seine Nähe zu den Nationalsozialisten kritisiert, die Erstausgabe des jagdlichen Brauchtums soll er im Auftrag von Göring verfasst haben, zudem werden ihm nach neuerer Forschung Kriegsverbrechen in den von ihm betreuten Jagdrevieren Rominter Heide bzw. Bialowies vorgeworfen. Dies alles sollte wenigstens eine Randnotiz wert sein.

Insgesamt ist Jagdliches Brauchtum und Jägersprache von Walter Frevert ein Buch, das in keiner jagdlichen Bibliothek fehlen sollte. Jungjäger und alte Hasen finden hier lustige Anekdoten wie auch interessante Hintergründe und fachliches Wissen.

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KRAUTJUNKER-Rezensent André Brüggemann:

André Brüggemann ist passionierter Jäger, Hundeführer und Jagdhornbläser sowie begeisterter Hobbykoch und Genießer. Aufgrund seiner Tätigkeit als Steuerberater in eigener Kanzlei bleibt ihm dazu allerdings weniger Zeit, als ihm lieb wäre.
https://www.sdb-hameln.de/

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Anmerkungen

Von KRAUTJUNKER gibt es nicht nur eine Facebook-Gruppe, sondern jetzt auch Outdoor-Becher aus Emaille. Kontaktmail für Anfragen siehe Impressum.

Titel: Jagdliches Brauchtum und Jägersprache

Autor: Walter Frevert

Verlag: Franckh Kosmos Verlag

Verlagslink: https://www.kosmos.de/buecher/ratgeber-naturfuehrer/jagd/jagdpraxis-hege/10812/jagdliches-brauchtum-und-jaegersprache

ISBN: 978-3440168561

3 Kommentare Gib deinen ab

  1. Thilo von Gilsa sagt:

    Guten Abend, können Sie mir helfen? Wir streiten uns hier gerade, ob weibliches Rehwild einen Träger hat. Meiner Ansicht nach hat es einen Hals, denn es gibt kein Gehörn zu tragen. Analog die anderen Hirscharten. Oder wie sehen Sie das?
    Würde mich freuen, wenn Sie schlichten könnten. Vielen Dank.
    Grüße
    Thilo v. Gilsa

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    1. KRAUTJUNKER sagt:

      Vielen Dank für die interessante Frage. Die Schwarmintelligenz meiner Facebookgruppe wusste, das mit dem Träger der erste Halswirbel (atlas) bezeichnet wird, da er nach früherer Vorstellung den Kopf trägt. In der österreichischen Weidmannssprache bezeichnet man mit dem Träger allgemein den Hals des Rotwildes.

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    2. KRAUTJUNKER sagt:

      Im Frevert von 2020 steht „TRÄGER, DER Hals des einen Kopfschmuck tragenden Schalenwildes, nicht beim Schwarzwild.“
      Anscheinend wurde früher nur bei männlichen Tieren dieser Arten der Hals als Träger bezeichnet, mittlerweile auch bei weiblichen. Wobei es überall noch versprengte Widerstandsnester gibt, die an den alten Sitten festhalten.

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