Fleisch ist mir nicht Wurst – Über die Wertschätzung unseres Essens und die Liebe meines Vaters zu seinem Beruf

von Benjamin Rüger

„Benjamin, warte ‚mal kurz!“, ruft Thomas mir beim Gehen noch zu. Mit einem schnellen Griff holt er ein Buch von einem Stapel, den ich zuvor noch gar nicht wahrgenommen hatte, signiert in Windeseile auf der Innenseite und übergibt mir das Buch mit einem Grinsen. Zu diesem Zeitpunkt war mir noch nicht klar, dass mich dieses Buch noch den halben Samstag beschäftigen würde.

Zu Hause angekommen galt in Anbetracht der näher rückenden Geisterstunde ein kurzer Blick dem Cover Fleisch ist mir nicht Wurst. Passend. Ist Thomas doch Metzgermeister und meine erste Anlaufstelle für Fleisch und Wurst aller Art.

Wie man es sich von einem Akademiker vorstellt, lag ich nun am Samstag nach diesem verhängnisvollen Abend auf der Couch, trank halb liegend Kaffee und war ob des Fernsehprogramms der Verzweiflung nahe. Da fiel mein Blick auf das Buch, das mir Thomas mitgegeben hatte und ich begann zu lesen, und las, und las und las, bis auch die letzte Seite des Buches mit einem Punkt das Ende des Buches kundtat.

Abb.: Fleisch ist mir nicht Wurst; Bildquelle: Benjamin Rüger

Das Buch Fleisch ist mir nicht Wurst ist eine Art Familienchronik der Familie Reichert, die von Klaus Reichert in einer ebenso lustigen wie erschreckend ehrlichen und direkten Art und Weise geschrieben wurde. Klaus Reichert ist – wie man dem Titel des Buches nach natürlich vermuten würde – freier Journalist und Radiomoderator. Doch er ist auch der (kleine) Bruder von Thomas Reichert, der in Frankfurt-Höchst eine Traditionsmetzgerei in dritter Generation betreibt und durch seinen Großvater, Vater und Bruder so stark mit dem Fleischerhandwerk und der Metzgerei verbunden ist, dass er diese in den Mittelpunkt seines Buches stellt. Doch fangen wir vorne an:

Ein lautes „Knaaargh““ zerreißt die Stille, als Vater Reichert mit gekonntem Hieb das Schwein zu Fall bringt und das Schlachtballett beginnt. Das Blut wird gefangen, geschlagen, das Schwein zerteilt und irgendwann findet die Wurst ihren Weg in die simmernden Töpfe. Der kleine Klaus und der kleine Thomas Reichert sind im Winter 1968 bei der Familie in Großallmerspann. Beide wissen noch nicht, dass sie an diesem Tag eine prägende und entscheidende Erfahrung machen werden. Beide sind kurz davor ihre erste Hausschlachtung zu erleben und wissen noch nicht, wie der Eber Engelbert knapp 50 Jahre später beide wieder in ihre Kindheit zurückversetzen wird. Nur Tante Maja beweist an diesem Tag hellseherische Fähigkeiten, als sie Klaus Reichert bescheinigt: „Aus dem Bübele wird amol kei Metzger!“

Abb.: Willi Reichert zerlegt das Schwein, Bildquelle: Klaus Reichert

Eben dieses Geräusch ist es auch, das Klaus Reichert knapp 50 Jahre später in den Ohren hat, als es dem Eber Engelbert – übrigens meinem persönlichen Star des Buches – ans Leben gehen soll und ihn zum Zweifeln, zum Zögern und zum Nachdenken über sich und seine Familie bringt. 

Die Familie Reichert stammt aus dem idyllischen Großallmerspann im Hohenlohischen, das Großvater Hans Reichert 1930 verließ, um der Armut zu entfliehen und im fernen Frankfurt 1935 eine Metzgerei zu eröffnen, die später sein Sohn Willi Reichert und dessen Sohn Thomas Reichert übernehmen werden. Die Metzgerei prägt nicht nur das Leben der Großeltern, Eltern sondern auch das der Gebrüder Reichert. Detailliert erzählt Klaus Reichert wie sich der Reichert-Clan und die Metzgerei Reichert über die Jahrzehnte entwickeln und welche schönen und schaurigen Seiten das Leben im Familienbetrieb mit sich bringt.

Abb.: Hans und Willi Reichert mit den Gesellen in der Wurstküche; Bildquelle: Klaus Reichert

Er erzählt von den lustigen Erlebnissen aus seiner Kindheit und Jugend in Frankfurt aber auch von den einschneidenden Erlebnissen, in erschreckend direkter Ehrlichkeit und behält dabei immer den ihm und seinem Bruder eigenen Humor bei. So kann sich mit diebischer Freude vorstellen, wie Willi Reichert mit hochrotem Kopf die Broschüre zum Thema Tierschutz im Zimmer seines ältesten Sohnes findet oder wie Klaus und Thomas im Metzgermobil zwischen Schweinehälften auf dem Heimweg vom Schlachthof hin und her purzeln aber auch in tiefem Mitgefühl die Diskussion der Brüder über die ihrem Vater würdige Bestattung nachvollziehen und dabei interessante, lustige und für den ein oder anderen Leser gegebenenfalls auch etwas unkonventionelle Gedanken diskutieren. Auch die Stimmung im »Haxen-Keller« wenn die liebe Getrude und die liebe Christel eine Runde Cognac nach der anderen an die immer mehr am Tresen festklebenden Gäste ausschenkten und sich nebenbei noch um die Gebrüder Reichert kümmern ist ebenso spürbar wie Oma Friedels als sie typisch schwäbisch zur Genügsamkeit ermahnt: „Esst Worscht, es Brot müsse merr kaufett!“

Abb-_ Hans Reichert (Mitte), Oma Friedel (hinten rechts) und die Belegschaft; Abb.: Klaus Reichert

In seinem Buch Fleisch ist mir nicht Wurst beschreibt Klaus Reichert nicht nur eindrucksvoll wie sich die Metzgerei über die Jahre und Jahrzehnte weiterentwickelte und wuchs sondern auch wie sich das Leben als Metzgerssohn auf die Kindheit der Gebrüder Reichert auswirkte und sie bis heute prägt.

Abb.: Klaus Reichert und Thomas Reichert; Bildquelle: Klaus Reichert

Klaus Reichert gibt uns auf ca. 180 Seiten einen direkten Einblick in das Leben seiner Familie aus Metzgern und schmückt die Familienchronik mit allerlei persönlichen Anekdoten aus. Das Buch ist weitaus mehr als eine bloße Familienchronik oder eine Sammlung von Erlebnisberichten, Klaus Reichert nimmt immer wieder Bezug zu aktuellen Themen, stellt sich die Fragen, die sich viele von uns auch stellen, wenn es um die Erzeugung des Lebensmittels Fleisch geht und liefert Antworten auf diese Fragen, die man eventuell noch nie gehört hat. Mit einer Lesezeit von ca. 4-5 Stunden ist das Buch der perfekte Begleiter für einen gemütlichen Tag auf der Couch oder aber für den Hochsitz.


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KRAUTJUNKER-Rezensent: Herr Rüger

Benjamin Rüger ist leidenschaftlicher Koch, Jäger, Angler, Fotograf und Genießer. Nach dem Studium im schönen Frankenland verschlug es ihn in die Weltmetropole Frankfurt, wo er als Berater arbeitet und immer auf der Jagd nach neuen und interessanten Seiten des Großstadtdschungels ist. In seiner Freizeit betreibt er zudem er den Blog „Herr Rüger“
www.herr-rueger.de

Bildquelle: Herr Rüger

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Anmerkungen

Von KRAUTJUNKER gibt es nicht nur eine Facebook-Gruppe, sondern jetzt auch Outdoor-Becher aus Emaille. Kontaktmail für Anfragen siehe Impressum.

Titel: Fleisch ist mir nicht Wurst – Über die Wertschätzung unseres Essens und die Liebe meines Vaters zu seinem Beruf

Autor: Klaus Reichert https://www.harpercollins.de/collections/klaus-reichert

Verlag: HarperCollins Germany GmbH

Verlagslink: https://www.harpercollins.de/products/fleisch-ist-mir-nicht-wurst-uber-die-wertschatzung-unseres-essens-und-die-liebe-meines-vaters-zu-seinem-beruf-9783959673693

ISBN: 3959673698

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Website der Frankfurter Fleischerei Reichert: https://www.haxenreichert.de/?fbclid=IwAR0ebNiZOEV0CDx9r_wxk5t5DVsLmYalbyVh61gqbkRwWN6iTwuHfSAVjrU

Ein Kommentar Gib deinen ab

  1. flo sagt:

    Feiner Wurstbeitrag. Dankeschön…

    Gefällt 1 Person

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