von Wolfgang Abel
Ein paar polemische Einwürfe in bewegter Zeit
Gender Sprache, schwere Sprache: betreibt eine Intendantin, die ihren Hofstaat mit Posten und Boni bei Laune hält, eine klassische Vetternwirtschaft oder eine moderne Basenwirtschaft? Die korrekte Bezeichnung der Vorgänge kann vermutlich nur in einem paritätisch besetzten Rundfunkrat in geheimen Krisensitzungen erfolgen. Der Gebührenzahler machts möglich.
Auch der Umgang mit der Moralkeule wird immer anspruchsvoller. Einfach nur Flugscham ist so was von gestern. Beim Verzehr von tierischem Eiweiß gehört eine fein dosierte Prise Schuld heute einfach dazu; in gewissen Kreisen spricht man längst von Käsescham und das ist nur ein Anfang. Ohne Schuld, Scham und Beichte geht kulinarisch nichts mehr, Camembert und Ochsenschwanz schon gar nicht. Mit dem Verbrenner raus aufs Land und sich eine Schlachtplatte aneignen, gehört für die Nomenklatura der Last Generation zum Kanon moderner Todsünden. Und die Sünde als solche läßt sich bekanntlich überaus mannigfaltig bewirtschaften. Spaghetti alla Puttanesca (nach Hurenart) gehen derzeit gerade noch so, Altmeistergerichte wie Escoffiers Kalbskotelett Zigeunerart, erst recht Spiegeleier nach Hugenottenart oder eine Pastete auf Blumenmädchenart sind aber eindeutig kulinarische Aneignung, also Scheiterhaufen. Dito Triggerspeisen aus dem imperialen 20. Jahrhundert wie Eisbombe Aboukir oder auch geschlechtsspezifische Garmethoden nach Ratsherren- oder Jungfrauenart.
Nicht nur Winnetous Abenteuer, auch historische Kochbücher, Regionalgerichte und kulinarische Sitten sind voller sozialer Abgründe und Sprachfallen, die sich wunderbar skandalisieren lassen. Es ist somit nur eine Frage der Zeit, bis mancher Klassiker auf dem Index steht, weil er die Gefühle von Berufsbetroffenen, Weinbergschnecken und Pilgermuscheln verletzt. Wie lange noch dulden allzeit bereite Woke-Aktivisten den Einsatz des Wok in der europäischen Kolonistenküche? Wird die Deutsche Umwelthilfe demnächst gegen Schweine-Grillfackeln auf Holzkohle vorgehen, wann wird die CO2-Beichte eines Pot au Feu endlich gesetzlich geregelt?
Im Kochbuch für den bürgerlichen Haushalt, verlegt 1908 zu Freiburg im Breisgau, beginnt ein Kapitel vom Tischdienen mit dem Satz: „Die Tischdienerin muß möglichst reinlich, flink, dabei ruhig und aufmerksam sein.“ Im Grunde gilt das auch heute für Tischdienende jeden Geschlechts, aber man kann es nicht mehr so sagen, eher andersrum: Der zahlende Gast sollte möglichst tolerant, dabei ruhig und duldsam sein. Eine kulinarische Zeitenwende läßt sich auch daran erkennen, daß auf der ersten Seite mancher Speisekarte kein Gast begrüßt wird, sondern verzweifelt nach Personal gesucht wird. Dienen ist out, dilettieren macht mehr Laune. Hauptsache man sagt laut, was man nicht so genau weiß.
Angesichts der weiter anschwellenden Hysterie-Bewirtschaftung schier aller sozialen Gewerke erscheinen mir bewährte Kulturtechniken wie Gelassenheit und Verdrängung wichtiger denn je. In meinem wenig repräsentativen Freundes- und Bekanntenkreis verzichten neuerdings immer mehr Menschen aus Selbstschutz auf die täglich verabreichte Moral- und Panikdosis. Auch im öffentlich-rechtlichen Anstalts- und Erziehungsjournalismus gibt es offenbar einen Punkt, an dem die Steigerung der verabreichten Menge keine Wirkung mehr zeigt, sondern Überdruß auslöst. Eine volle Dröhnung ein- bis zweimal die Woche genügt zur Festigung des Widerwillens. Auch beim allgegenwärtigen Nachhaltigkeits-Gefrömmel erhöht Intervallfasten die geistige Beweglichkeit und allgemeine Lebensfreude.
Wenn demnächst die nächste Scham durchs Dorf getrieben wird, werde ich jedenfalls erst mal gründlich duschen und danach wie immer auf die Gass‘ gehen. Schöner Nebeneffekt dabei, wir Wenigen erkennen und schätzen uns in bewegter Zeit mehr denn je.
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KRAUTJUNKER-Kommentar
© Die Kolumne von Wolfgang Abel, vom 10. September 2022
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