Buchvorstellung von Sybille Lengauer
„Schaust du eigentlich Servus-TV?“, frage ich meine Mutter bei unserem wöchentlichen Telefonat. „Manchmal schon, aber eher selten, weil da oft nix g’scheites läuft“, erwidert die passionierte Krimi-Liebhaberin nach einer kurzen Nachdenkpause. „Sollen wir gucken, was jetzt gerade läuft?“, schlägt sie liebenswürdigerweise vor. „Klar, gerne“, antworte ich und höre, wie sie ins Wohnzimmer geht und den Fernseher einschaltet. Sie sucht das richtige Programm, leise Volksmusiktöne schwirren augenblicklich durch das Telefon. „Wusste ich’s doch, es läuft nix g’scheites“, verkündet sie triumphierend, „aber warum willst du das überhaupt wissen?“ Ich muss grinsen und erzähle von dem schönen Servus-Kochbuch, das mir durch eine glückliche Fügung in die Hände gefallen ist. Vierhundert Seiten geballte Schmankerl-Power, Traditionelle Rezepte aus ganz Österreich, liebevoll gestaltet und reichlich bebildert, ein wirklich schönes Hardcover-Buch mit dem typisch schwungvollen Servus-Schriftzug im Titel. „Aber stehen denn auch g’scheite Rezepte drinnen?“, will meine Mutter mit kritischem Unterton wissen, immerhin liebt sie die österreichische Küche und verfügt über jahrzehntelange Hausmannskost-Erfahrung. „Es stehen zum Beispiel Marillenknödel drinnen, das würde ich schon g’scheit nennen.“ „Welcher Teig?“, schallt es wie aus der Pistole geschossen durchs Telefon. „Topfenteig*!“, antworte ich fast ebenso schnell, denn ich habe diese Frage schon erwartet. Nur einem kulinarischen Neuanfänger könnte der Fauxpas unterlaufen, österreichische Marillenknödel mit schnödem Kartoffelteig zuzubereiten, der echte Kenner besteht auf flaumig-lockerem Topfenteig und auch mir läuft sofort das Wasser im Mund zusammen, wenn ich an diese Köstlichkeit denke. „Das Rezept verlangt Mehl, Topfen, flüssige Butter, etwas Zitronenschale, Ei und Salz“, lese ich vor und kann auf der anderen Seite des Telefons ein wohlwollendes Schnauben vernehmen. Das Servus-Kochbuch hat erfolgreich die erste Hürde genommen.

„Was steht noch drinnen?“, will meine Mutter nun wissen, sie ist offenbar neugierig geworden. Ich blättere ein wenig durch das Buch und werde schnell wieder fündig. „Gefüllte Kalbsbrust, die hat Oma früher gerne gemacht, weißt du noch?“, sage ich und fühle einen Anflug von Nostalgie durch mein Herz flüstern. „Sie hat lieber gefüllten Kalbshals gemacht, aber ist ja eigentlich fast dasselbe“, korrigiert mich die Mama. „Stimmt“, fällt mir daraufhin ein, „meine Schulfreunde haben immer komisch geguckt, wenn ich sagte, dass wir am Sonntag gefüllten Hals gegessen haben.“ „Ja, so etwas Feines kennt eben nicht jeder“, sinniert meine Mutter und ich vermute, dass auch ihr gerade der Mund wässrig wird. „Die Füllung ist mit alten Semmeln und Schalotten, genau wie bei Oma“, lese ich vor und bemerke erfreut, dass das Rezept nach Liebstöckel verlangt, meinem absoluten Lieblingsgewürz, auch als Maggikraut bekannt. Die langweiligste Nudelsuppe wird damit zum geschmacklichen Vergnügen. „Die scheinen tatsächlich zu wissen, wovon sie schreiben“, verkündet meine Mutter großzügig und ehrt damit die AutorInnen des Buches. „Macht mir auch den Eindruck“, sage ich und blättere weiter, während mein Magen leise knurrt und meine Mutter von einem köstlichen Kräutersalz schwärmt, welches sie kürzlich von einem Bekannten erhalten hat und das ebenfalls mit Liebstöckel verfeinert wurde. „Erdäpfelgulasch!“, schreie ich plötzlich begeistert in ihre kräutersalzigen Ergüsse hinein, „ich liebe Erdäpfelgulasch!“ „Natürlich liebst du das, schmeckt ja auch guad*“, lacht meine Mutter vergnügt. „Mit Zwiebeln und Selchspeck und Kaminwurzen* und-und-und!“, ich verhasple mich beinahe, denn richtiges Kartoffelgulasch ist für mich, die ich im tiefsten NRW lebe, nur schwer nachzukochen – es fehlt an der korrekten Wurst und der hiesige Ersatz schmeckt häufig enttäuschend. Außerdem, und das ist jetzt eine reine Behauptung und kein wissenschaftlicher Fakt, schmeckt Erdäpfelgulasch mit österreichischen Erdäpfeln einfach besser, als mit deutschen Kartoffeln. Vielleicht liegt es an der Erde, in der die Knollen gedeihen oder es sind die Kindheitserinnerungen, die mit dem Geschmack verbunden sind, ich jedenfalls stelle einen deutlichen Unterschied fest. „Sie machen Kümmel ins Gulasch“, schwärme ich verträumt, während ich das Rezept überfliege und ein sehnsüchtiges Seufzen entschlüpft meinen Lippen. Kümmel wird in NRW nicht gerne gegessen, die Menschen verziehen oft schon angewidert das Gesicht, wenn sie nur von den gekrümmten Samen hören. Sogar Kreuzkümmel wird hier oftmals argwöhnisch verweigert, obwohl sich die beiden Gewürze nur vom Namen her ähneln. Ich habe durch jahrelange Beobachtung herausgefunden, dass die Kümmelgrenze kurz hinter Frankfurt beginnt, wer darüber wohnt, findet den Geschmack von Kümmel komisch und verzichtet lieber, wer darunter wohnt, braucht Kümmel für ein glückliches Leben. So wie ich und deshalb schummle ich auch immer etwas Kümmel in die selbstgemachten Bratkartoffeln und hoffe, dass es kein deutscher Gaumen bemerkt, aber das bleibt hoffentlich unter uns, liebe Lesende. „Das könnte ich eigentlich auch mal wieder machen“, überlegt meine Mutter und ich bin kurz irritiert über ihren Einwurf, immerhin bin ich gedanklich gerade bei geschummelten Bratkartoffeln und der Kümmelgrenze und nicht mehr ganz orientiert. Dann fällt mir wieder ein, dass wir über Erdäpfelgulasch reden. Hach, einfach guad.
Erneut beginne ich im Servus-Kochbuch zu blättern, Erdbeerroulade, Dampfnudeln und gefüllte Spitzpaprika stechen mir natürlich ins Auge, aber mein suchender Blick bleibt schließlich beim Apfelstrudel hängen, klassischer geht’s eben einfach nicht. Etwas betrübt stelle ich fest, dass im Rezept die Rosinen fehlen, für mich ein absolutes Muss, wenn es um den perfekten Apfelstrudel geht, aber dieses Muss wird selbst innerhalb meiner Familie heiß diskutiert. Meine Großmutter füllte den Strudel immer mit ordentlich Rosinen, sehr zum Missfallen meiner Mutter, denn die wiederum kann die schwammigen, braunen Kügelchen auf den Tod nicht leiden und musste diese dann mit der Gabel aus dem großmütterlichen Strudelstück herausoperieren, bevor sie selbiges genießen konnte. Ich für meinen Teil könnte in Rosinen baden und stand daher immer voll auf Omas Seite – ein ordentlicher Apfelstrudel braucht ordentlich Rosinen und basta. Aber egal ob mit oder ohne, das wichtigste am Apfelstrudel ist natürlich der Strudelteig. Hauchdünn muss er ausgezogen werden, so dünn, dass man darunter noch die Zeitung lesen könnte. Das Rezept liefert dafür eine ganz passable Anleitung und darum will ich die fehlenden Rosinen ausnahmsweise verzeihen.

Während ich das Kochbuch durchstöbere, fallen mir natürlich auch Gerichte auf, die mir nicht bekannt sind, immerhin handelt es sich beim Servus-Kochbuch um einen dicken Wälzer, gespickt mit allerlei Spezialitäten. „Kennst du gebackene rote Rüben mit Krensauce*?“, frage ich und höre ein Nein. Das Rezept liest sich sehr interessant, die Rüben werden erst gekocht und dann in Bierteig frittiert, dazu wird eine herzhaft scharfe Krensauce bereitet. „Das müssten wir eigentlich ausprobieren“, schlage ich vor, doch meine Mutter winkt frustriert ab. „Rote Rüben gibt es heuer* nicht. Die Wühlmäuse haben alles aufgefressen“, berichtet sie verärgert über den ewigen Kampf des Gartenbesitzers. Monatelang müht man sich um guten Boden, guten Dünger und schöne, gesunde Pflänzchen und über Nacht ist plötzlich alles durchwühlt und vernichtet. „Diese Mistviecher“, knurre ich erbost und meine Mutter knurrt mit.

„Wie wäre es stattdessen mit saurer Leber?“, frage ich und grinse gemein in mich hinein. „Igitt!“, entfährt es meiner Mutter, sie kann Innereien absolut nicht leiden. Ganz im Gegensatz zu mir, ich schwärme für eine schöne, zarte Kalbsleber und bin auch nicht abgeneigt, ein saftiges Beuschel* mit Semmelknödeln zu genießen. Auch dazu findet sich natürlich ein Rezept im Servus-Kochbuch mit dem verführerischen Titel ‚Wiener Salonbeuschel‘. Eine Wonne! Für meinen Gaumen klingt die saure Leber jedenfalls ganz ausgezeichnet, Zwiebeln, Butter, Tomatenmark, Apfelessig und Rotwein, dazu Hühnersuppe, diverse Gewürze und natürlich die Kalbsleber, was kann daran bitte nicht wunderbar sein?

Um die Wogen etwas zu glätten, suche ich nach einem Rezept, das uns beiden Freude bereiten könnte. „Wie klingt denn das karamellisierte Krautfleisch für dich? Schweinsschulter, Zwiebeln und Paprikapulver, dazu Weißwein, Gemüsesuppe und das obligatorische Sauerkraut. Wäre das nicht etwas für uns?“ „Hört sich nicht schlecht an“, bestätigt meine Mutter in gewogenem Tonfall. „Dann kochen wir das Rezept also nach, wenn ich das nächste Mal zu Besuch in Österreich bin?“, frage ich hoffnungsvoll. „Vielleicht“, antwortet sie vage, dann höre ich sie durchs Telefon lächeln, „oder ich mache uns ein paar Palatschinken.“ Und damit bin ich mehr als zufrieden.

*Topfen = Quark
*guad = gut/lecker
*Kaminwurzen = geräucherte Wurst (sehr guad!)
*heuer = dieses Jahr
*Kren = Meerrettich
*Beuschel = hauptsächlich Lunge + Herz
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Verlagsvorstellung der Autoren
Uschi Korda
Uschi Korda ist eine der renommiertesten Kochbuchautorinnen Österreichs. Die gebürtige Wienerin lebt ihre gastrosophische Kompetenz landauf, landab bei der Suche nach unseren kulinarischen Wurzeln aus.
Alexander Rieder
Alexander Rieder stammt aus dem Tiroler Außerfern, ging beim legendären Christian Teubner in die Lehre und gehört zu jenen Köchen, die mit ihrem außergewöhnlichen Gespür für Stil jeden Gaumenschmaus auch zu einem Augenschmaus machen.
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Sybille Lengauer

Sybille Lengauer, Jhg. 1980, ist Autorin für Gedichte und Kurzgeschichten. Ihr neues Buch Mottengedanken wird im November 2020 im Verlag RUP (Rodneys Underground Press) erscheinen. Wer schnuppern möchte, findet einige ihrer Texte auch hier: https://hirnwichsen.wordpress.com
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Anmerkungen

Von KRAUTJUNKER gibt es eine Facebook-Gruppe sowie Becher aus Emaille und Porzellan. Kontaktmail für Anfragen siehe Impressum.

Titel: Das große Servus-Kochbuch Band 1
Autoren: Uschi Korda + Alexander Rieder
Fotograf: Stefan Mayer
Verlag: Servus
Verlagslink: https://www.beneventopublishing.com/servus/produkt/das-grosse-servus-kochbuch-band-1/
ISBN: 9783710403521