von Michael Schlecht
Abends um halb zehn. Das Kind schläft schon fast und ich freue mich, dass ich bald los kann um mich an die Suhle zu setzen. Dann klingelt das Telefon und die Stimme der Jagdherrin flüstert mir zu, ich soll mich, wenn irgend möglich beeilen, denn von dort wo sie sitzt, sind grade Sauen in der Hecke verschwunden und mutmaßlich im angrenzenden Weizenschlag dabei sich an den milchreifen Ähren gütlich zu tun.
Also Junior schnell, sehr schnell zu dessen Unmut, an die Mama übergeben, Jagdklamotten angezogen, Büchse und Munition aus dem Schrank geholt, Hund eingeladen, der Rest war wegen des geplanten Ansitzes an anderer Stelle zum Glück schon im Auto und los. Unterwegs einen Plan gefasst, wo ich das Auto abstellen kann und ohne was zu vergrämen, trotzdem nicht weit laufen muss und den Hang, an dem der Acker liegt einsehen kann ohne den Wind in den Rücken zu kriegen.
Angekommen packe ich erst mal die Taschenlampe ein, hänge die Wärmebildkamera um, montiere den Wärmebildvorsatz ans Zielfernrohr, fahre den vierbeinigen Zielstock aus, Leuchtpunkt an, Magazin in die Waffe, aus Sicherheitsgründen eine Nachricht an die in der Nähe sitzende Beständerin Franziska, dass ich da bin und los. Von weitem sehe ich zwei weiße Punkte durch die WBK, die ich genauer identifizieren will. Blöderweise ist der zweite Teil des Wegs nicht wie der erste frisch gemäht, sondern bauchnabelhohes, klitschnasses Gras, so dass die Hose bereits nach wenigen Metern komplett durchnässt ist. Die beiden vorhin ausgemachten Punkte entpuppen sich als Rehwild. Ab jetzt geht es also nur noch im Schneckentempo und etwas seitwärts um als nächstes die überriegelte Stelle einsehen zu können, die das untere Ende des Ackers bildet, in dem das Schwarzwild wohl steht.
Alle fünf Trippelschritte glase ich mit der WBK vor mir alles ab. Zehn Meter vor mir ist etwas. Lange Lauscher und die Gesichtsform verraten das Reh, das jetzt wohl doch etwas spitz gekriegt hat und schreckend abspringt. „Kacke“, denke ich, pirsche dennoch weiter und werde fünfzehn Meter weiter mit dem nächsten Anblick belohnt. „Sau“ schießt es mir durch den Kopf. Schnell eine Nachricht an die Jagdherrin, die keine zweihundert Meter weiter in der Kanzel sitzt, Patrone ins Lager repetiert und dann muss ich näher ran, wenn das was werden soll. Zwei Überläufer schlagen sich im Getreide die Bäuche voll. Nur jeweils drei kleine vorsichtige Schritte zwischen den Beachtungsstopps machend, schaffe ich es unbemerkt bis an den Ackerrand.
Grob fünfzig Meter trennen mich von der näheren Sau und sie kommt näher. Eine verfallene Kanzel des Vorpächters kaschiert hier meine Silhouette nach hinten, so dass ich bleibe wo ich bin. Zielstock aufgebaut, das Krypton eingeschaltet, aufgelegt und erst mal eine Weile beobachtet, was ich da vor mir habe. Dass das kein Frischling ist, war schon früher klar, dass aber auch keine kleinen Frösche durch den Weizen wuseln sicherzustellen dauert seine Zeit. Während das zweite Stück abseits nahe der begrenzenden Hecke bleibt, zieht das erste in aller Ruhe näher. Ich entsichere, fahre mit und warte auf eine günstige Gelegenheit. Lange lässt das Borstentier mich nicht warten, bis es breit steht und ich trotz der Weizenhalme hindernisfrei das Geschoss auf seine vierzig Meter kurze Reise schicken kann. Die Sau quittiert mit deutlichem Zeichnen, geht tief nach links ab und ist nach wenigen Metern nicht mehr zu sehen. Ich bin mir recht sicher, dass sie nicht weit gekommen sein kann. Wäre sie in die Hecke, hätte man sie reinwechseln sehen müssen, weil dort der Bewuchs recht niedrig ist.
Ich mache Meldung an Pächterin Franziska und übe mich in Geduld, bevor ich anfange zu suchen. Prompt kommt die Meldung, dass es bei ihr im Gebüsch raschelt und ich doch noch etwas länger warten möge. Nach fünfzehn Minuten wird mir die Warterei zu doof und ich gehe vorsichtig mit gedimmter Taschenlampe zum vermuteten Anschuss. Wenige Meter neben dem vermuteten Anschuss ist eine Fahrspur, die die Sau bei der Flucht überquert haben muss. In der Hoffnung dort gute Chancen zu haben die Schweißspur zu finden und ohne viel Spuren zu vertrampeln, suche ich nach Schweiß und glase mit der WBK um mich rum. Grade als ich denke, dass ich vielleicht doch besser warte, bis ich mit voll aufgedrehter Lampe und Hund suchen kann, entdecke ich die Beute in der parallelen Fahrspur. „Überläuferbache, Gesäuge trocken, guter Kammerschuss“, melde ich an die Kanzel. Bevor ich mich in einen Bereich zurückziehe, der es der Jagdherrin erlaubt, auch in die Richtung zu schießen, in der sie mich jetzt weiß, glase ich nochmal rum und prompt steht da eine zweite Sau. Auch das melde ich rüber. Die Sau kommt genau in der Fahrspur auf mich zu. Aufs Haupt schießen mag ich nicht, und als sie sich zur Seite wendet, ist das Blatt verdeckt und sie verschwindet in der Hecke. Da sie nicht wieder herauskommt, sende ich eine weitere Nachricht an Franzi, dass sie gleich Besuch kriegt und ich mich zwischendurch wieder an einem Ort außerhalb ihres Schussfeldes befinde. Franzi war schon am Abbaumen. Jetzt sieht sie die hastig hin- und herziehende Sau und erkennt, dass es ein Überläuferkeiler ist. So leise es das Jagdfieber zulässt, fummelt sie eine Patrone in ihre Savage und nutzt die Chance.
Meine Sau ist leicht zu finden und ich mache mich langsam auf den Weg um meiner Beständerin beim Bergen zu helfen. Ihre Nachricht ist von sich breit machender Panik gekennzeichnet, weil ihre Sau nicht liegt und auch nicht gezeichnet hat. Bis ich an der Kanzel bin, ist die gebotene Wartezeit rum und wir suchen. Die beste Hoffnung, die im Wärmebild zu sehen ist, entpuppt sich als Heuhaufen, was dem Nervenkostüm der Jagdherrin nicht unbedingt förderlich ist. Am Anschuss ist kein Tropfen Schweiß zu finden und das Nervenkostüm von Franziska ähnelt mittlerweile einem zerfledderten Putzlappen. Wir beschließen zuerst mal meine Sau zu bergen. Während Franziska die Sau heimbringt und ihre Monstertaschenlampe sowie ihren Mann holen will, begebe ich mich mit meiner Hündin zum Anschuss und fange an zu suchen.
Schon als ich sie aus dem Auto hole und sie an mir Saukontakt riecht, hat sie 500 Bar Druck im Kessel und auf der Leine lässt sich das hohe „E“ zupfen. Am Anschuss nimmt sie sofort die Fährte auf, geht ein paar Mal kreuz und quer, was zu Franzis Beschreibung passt, dass das Keilerchen zunächst am oberen Rand der Freifläche hin und her lief, bevor es am unteren Ende beschossen wurde. Der Bewuchs, der sich an die Freifläche anschließt ist nur mit den Worten „dichtester Dschungel“ treffend zu beschreiben. Genau hier hinein zerrt mich meine Hündin Elster jetzt. Einer kranken Sau möchte ich da drin nicht mal für eine Million Euro begegnen.
Zum Glück findet sich bereits nach dem ersten Meter endlich Schweiß, hellrot und reichlich. Erleichtert gehe ich davon aus, kein Suizidkommando zu riskieren und lasse mich weiter durch übel dichtes Gestrüpp zerren. Wir finden mehr Schweiß und wenige Metern weiter verliere ich in der grünen Hölle komplett meine Orientierung. Egal, solange man bergab geht, oder eigentlich mehr kriecht und klettert, wird man unter ständigem Fluchen wieder die Zivilisation erreichen. Dreimal muss ich auf einer Strecke von kaum fünfundzwanzig Metern den Riemen meiner hier drin völlig nutzlosen Büchse aus dem Bewuchs befreien, bevor die kurze Leine (auf den langen Schweißriemen habe ich hier drin verzichtet), schlaff wird und dunkelbraune Borsten im Lichtkegel meiner Taschenlampe auftauchen.
Den Hund überschwänglich zu loben und der Jagdherrin ein Bild zu schicken verschafft mir eine kurze Verschnaufpause, bevor ich statt Elster die Sau an die Leine nehme und sie bergab schleife. Natürlich nicht ohne dass die Sau mehrfach hängenbleibt und befreit werden muss. Zur durchnässten Hose gesellt sich ein durchgeschwitztes Shirt. Wildes Keifen meiner bei Beute immer sehr aufgedrehten Hündin und ein Motorengeräusch kündigen die Rückkehr von Franzi samt Mann an. Um Missverständnissen zwischen Hund und Jagdherrin über das Eigentumsrecht an der Sau zu vermeiden, kommt das freie Leinenende an Elters Halsung. Die Autoscheinwerfer und die Stimmen helfen mir, den kürzesten Weg raus aus dem Dschungel zu finden und der zusätzliche Allradantrieb am vorderen Leinenende zieht mich auf den letzten Metern raus zum wartenden Auto.
Große Erleichterung, größere Freude, Umarmung, Waidmannsheil und ein schnell mit dem Saufänger abgeschlagener und darauf überreichter Bruch runden die Sache ab, bevor auch diese Sau auf dem Heckträger landet und ihre letzte Reise zum Hof der Jagdherrin antritt.

Das Aufbrechen, erzählen und immer noch nicht glauben können, dass wir hier ein klassisches „gemischtes Doppel“ hingelegt haben dauert lang, denn zwei Sauen in einer Nacht sind in diesem Revier eine absolute Ausnahme. Die Freude, dass wir beide zum Schuss gekommen sind ist größer, als sie es wäre, wenn es bei mir auf die zweite Sau auch gepasst hätte und mehr noch, weiht das Suchenheil meiner Exotenhündin (Elster ist ein Louisiana Catahoula Leopard Dog) diesen Tag zu einer meiner jagdlichen Sternstunden.

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KRAUTJUNKER-Kommentar: Diese Jagdgeschichte veröffentlichte Michael Schlecht am 9. Juni 2023 in der Facebookgruppe des KRAUTJUNKER-Blogs. Ich habe mir an seinem Text minimale Korrekturen erlaubt.
Ich weiß nicht genau, mit welchen Rezepten das erlegte Schwarzwild den Weg vom Lebewesen zum Lebensmittel ging, es ist jedoch nicht ganz unwahrscheinlich, dass einige Rezepte aus dem zweiten Wild-Kochbuch stammen, an dem Michael Schlecht und seine Frau Jana Rogge mitgewirkt haben: Wild Kitchen Project 2.0.
Hier folgt ein Rezept, welches von seinen Mitstreitern Bonsai und Marco entwickelt wurde. Die Fotos sind von Jana Rogge.
CORN FRIED BURNT ENDS
In Cornbread frittierte Pork Belly Burnt Ends

Zutaten:
ca. 1.000 g Bauch vom Wildschwein
BBQUE-Sauce „Original“
20 g Don Marco`s „Texas”
Gewürzmischung mit unraffiniertem
Rohrzucker, Meersalz, Chili, Knoblauch und Pfeffer
Cornbread – amerikanisches Maisbrot
190 g Maismehl
50 g Zucker
40 g Mehl
1 ½ TL Backpulver
½ TL Natron
1 TL grobes Meersalz
240 ml Buttermilch
2 Eier, leicht verquirlt
60-70 g geschmolzene Butter
2 EL Honig
2 TL Don Marco`s „Chipotle Butter & Dip Seasoning”
Gewürzmischung mit unraffiniertem Rohrzucker,
Meersalz, Paprika, Zwiebel, Pfeffer, Knoblauch und Chili
Bonsai: Hier ist ein BBQ-Klassiker in wildem Gewand – die Burnt Ends. Dabei handelt es sich im BBQ-Original um Stücke von der Rinderbrust, genauer gesagt aus dem Point vom Brisket-Cut. Wenn man im BBQ von Trends sprechen kann, dann kommen nach dem Pulled Pork die Burnt Ends auf die Liste.
Wir benutzen ein Bruststück von einer starken Wildsau, geschnitten aus den unteren Rippen bis über das Brustbein. Die Rippen werden ausgelöst und das Fleisch auf der Außenseite von der dicken Speckschicht befreit. Es wird rundum gut mir Rub gewürzt und dann am ganzen Stück bei 120 – 150 °C gegart, bis eine Kerntemperatur von 70 °C erreicht ist.

Kurz abkühlen lassen, in gleichmäßige Würfel schneiden (so breit wie dick, also ca. 3 x 3 x 3 cm) und anschließend in einer Schale mit BBQ-Sauce gut durchmischen. Dann werden die einzelnen Stückchen wieder auf den Grillrost gelegt und 1-2 h weiter gegart, bis sie außen leicht karamellisiert sind.
Marco: Cornbread, eine in der heißen Gusspfanne gebackene Mischung aus Brot und Kuchen, ist beim Südstaaten-BBQ nicht wegzudenken. Der Teig eignet sich auch hervorragend zum Frittieren.
In zwei Schüsseln werden jeweils die trockenen und nassen Zutaten verrührt, dann beides zusammengefügt, aber nicht allzu stark vermengt. Es darf gerne etwas klumpig bleiben. Nachdem der Teig etwas Zeit zum Gehen hatte, können die Burnt Ends einzeln gedippt und dann in heißem Fett ausgebacken werden. Wenn der Teig leicht braun wird, ist er gar.

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Michael Schlecht

Michael Schlecht (Jahrgang 1979) ist seit drei Jahren Herrchen der Catahoula-Hündin „Elster“ (alias Anastasia aus dem Ulstertal, alias Stinkerbell, alias HierheraberzackigduUntier). Privat hört er gern Metal, beruflich haut er darauf rum, als Metallbaumeister mit Affinität zum klassischen Schmiedehandwerk. Schon immer war er gern und viel outdoor unterwegs, und nutzte seine „wilden Zwanziger“ für denkwürdige Motorradtouren, von denen ihn eine zum Schottland-Fan und Whiskygenießer machte. Durch ein anderes seiner Hobbies, das traditionelle Bogenschießen, kam er nicht nur zu Frau, Hund und Kind (in dieser Reihenfolge), sondern vor nunmehr 5 Jahren auch zur Jagd. Seither ist die Küche der Familie deutlich wildlastig, und als Mitinitiatoren des „Wild Kitchen Project“ haben sich Michael und seine Frau Jana Rogge schon einen guten Namen in der Szene erarbeitet. Entgegen früherer Beteuerungen, nichts könne ihn von etwas anderem als seinem bayerischen Landleben überzeugen, lebt er mittlerweile als Exilbayer im Thüringischen Weimar.

https://wild-kitchen-project.de/
Das Wild Kitchen Project auf KRAUTJUNKER:
https://krautjunker.com/?s=wild+kitchen+project
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Anmerkungen

Von KRAUTJUNKER gibt es eine Facebook-Gruppe sowie Becher aus Porzellan und Emaille. Kontaktmail für Anfragen siehe Impressum.

Titel: Wild Kitchen Project 2.0
Hrsg: Jana Rogge und Stephan Berghaus
Verlag: Eckhaus Verlag
Verlagslink: https://eckhaus-verlag.de/produkt/wild-kitchen-project-2/
ISBN: 978-3-945294-21-5
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Bereits veröffentlichte Leseproben aus dem Buch Wild Kitchen Project 2.0:
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Auch aus dem ersten Buch „Wild Kitchen Project“ gibt es Veröffentlichungen auf diesem Blog :
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Zeitungsartikel über Buch und Projekt:
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