Cibi simplices – Die Kost der Germanen

„Cibi simplices… sine adparatu, sine blandimentis expellunt fanem“. Ihre Nahrung ist schlicht, ohne Aufwand, ohne Raffinesse vertreiben sie den Hunger.“ Dies schrieb der Römer Tacitus (* um 58 n. Chr.; † um 120) in seiner ca. 100 n. Chr. veröffentlichten Germania über die Kost unserer Vorfahren, die aus „wilden Früchten, frischgejagtem Wildbret und gestockter Milch“ bestand.

Weiterhin schilderte er sie als freiheitsliebend und tapfere, mit aufrichtigen Sitten und streng geregeltem Familienleben. Einzig mangelnde Arbeitsmoral und übermäßiger Alkoholkonsum seien ihre Schwächen. Ein Treppenwitz der Geschichte, meinen manche Konservative, dass sich alle diese Eigenschaften, positive wie negative, in ihr Gegenteil verkehrt haben.

Diese Beschreibung edler Wilder klingt etwas klischeehaft und ist es auch. Der bedeutende Historiker und Senator kannte die Germanen nicht aus persönlicher Anschauung und beabsichtigte, die nach seiner Ansicht verweichlichten und dekadenten Römern darauf hinzuweisen, wie sehr sie sich mittlerweile  von ihren Vätern und Vorvätern unterschieden. So beruhte doch nach allgemeiner Ansicht, der Aufstieg Roms ebenfalls auf Mut, strengen Sitten und Mäßigung. Nach altrömischen Vorstellungen sollten sich Römer durch die Tugenden fides (Treue), virtus (Tapferkeit) und pietas (Pflichtgefühl) auszeichnen. Schon zu Tacitus Zeiten wurden diese Werte fast so unpopulär, wie es im heutigen Deutschland die Ideale Preußens sind. Gottesfurcht, Vaterlandsliebe und Sparsamkeit  – so etwas wagen heutzutage nicht einmal mehr Reaktionäre zu propagieren.

Im Verlauf der Völkerwanderung verschwanden viele Texte, auch die des Tacitus, und wurden erst am Anfang des 15. Jahrhunderts durch die Humanisten wiederentdeckt. Insbesondere deutsche Protestanten benutzten die Germania begeistert zur Abgrenzung von den katholischen Südeuropäern. Auch in späteren Jahrhunderten wurde das Ideal der edlen germanischen Wilden aus den nordischen Wäldern immer weiter stilisiert, bis die Faschisten in den 40er Jahren den Bogen endgültig überspannten.

Germanen jagen

Abb.: Wisent-Picadores im Fell-Dress: Italienische Werbekarte für Liebig Fleischextrakt, um 1900.

Ebensowenig wie Tacitus Beschreibungen auf die Goldwaage zu legen, sind die stereotypen Berichte des griechischen Universalgelehrten Poseidonios aus Apameia (* 135 v. Chr.; † 51 v. Chr.), im heutigen Syrien. So berichtete er von barbarischen Mittagsmählern, während derer „gliedweise“ gebratene Fleischstücke mit Milch und unverdünntem Wein hinuntergeschlungen wurden.

In dem ältesten auf Latein verfassten geographischen Werk der Welt, 43–44 n. Chr. im heutigen Südspanien von dem römischen Gelehrten Pomponius Mela verfasst, findet sich sogar das erste authentische germanische Rezept, eine Art Germanen-Tatar: Rohes Fleisch wird in einer Lederhaut weich gedroschen und anschließend auf primitive Art zwischen glühenden Steinen erhitzt.

Wilde Kerle verschlangen also unmäßig Wildbraten, wobei sie fröhlich zechten. Unwillkürlich ploppen vor meinem inneren Auge Bilder wie aus Asterix-Comics auf.

Asterix

Für wandernde Kriegertrupps, mit denen die Römer des öfteren kollidierten, mag dies zutreffend gewesen sein, doch aus den Grabungsanalysen der Archäologen setzt sich für den Großteil der germanischen Bevölkerung ein anderes Bild zusammen. Wälder können kaum so hohe Wildbestände hervorbringen, dass es sesshafte Gruppen gelingt, sich vorwiegend von Wildfleisch zu ernähren. Insbesondere dann nicht, wenn es auch Wettbewerber wie Bären, Wölfe und Luchse gibt. Familienverbände aus Jägerkulturen müssen im offenen Gebiet den großen Wildherden folgen oder in Waldlandschaften regelmäßig den Standort wechseln. Eine Lebensweise die wiederum mit dem für Familienväter sichereren Ackerbau kollidiert. Das Roden von Waldlichtungen für Ackerflächen war buchstäblich eine Heidenarbeit.

Ein weiterer Grund dafür, dass römische Gäste von Fleischbergen berichteten, lag darin, dass die Germanen außer dem Pökeln kaum Konservierungsmethoden kannten. Und Salz war so kostbar, dass um Solequellen Kriege geführt wurden. So kochten die Sippen nach dem Schlachten oder Beutemachen möglichst viel Fleisch in Metallkesseln, welches sofort vertilgt werden musste. Auch galt diese Verschwendung in Zeichen der Knappheit als Statussymbol. Die Gemeinschaftskessel waren der kostbarste gemeinschaftliche Besitz.

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So betrieben die germanischen Stämme einfachste Landwirtschaft. Ihre Nahrung bestand neben Graupen, Bohnen, Linsen, Erbsen und Rüben aus in Tierfett geschmälztem Dinkelbrei. Getreidekörner wurden angeröstet, um ihr Keimen zu verhindern, eine Frühform der Grünkernbratlinge, mit denen mich meine Mutter in ihrer Vollkornphase ebenso quälte, wie Nero die Christen im Kolosseum. In der Asche buken die Frauen ohne Sauerteig ein Fladenbrot, welches schnell hart wurde. Die schmale Kost wurde durch Haselnüsse, Heidelbeeren, Honig, Pilze und Wildfrüchte ergänzt. Heute für typisch deutsch geltende Lebensmittel waren noch vielfach unbekannt. Sauerkraut, ebenso wie verschiedene Kohlsorten, lernten die Germanen erst durch die mongolischen Invasionsheere im 13. Jahrhundert kennen, welche diese aus China brachten. Kartoffeln als Grundnahrungsmittel führte erst Friedrich der Große (* 1712; † 1786) ein.

Die damaligen Pferde, Rinder und Schafe waren, im Vergleich zu heutigen Nutztierrassen, auffallend klein. Sie trugen nur zu einem kleinen Teil zur Nahrung bei. Ziegen und Hühner waren noch selten. Zwar wurde sporadisch Rothirsch und Auerochse verzehrt, aber der Wildanteil der Knochenfunde bei Siedlungen lag meist unter einem Prozent*.

Weit mehr als über die Germanen wissen wir von den Römern. Ihre Landwirtschaft verfügte über ein Niveau, welches mit der Völkerwanderung zusammenbrach und erst vor wenigen Jahrhunderten wieder erreicht wurde. Ob der Rheinische Sauerbraten ein Erbe der Römischen Legionäre ist, welche Schweizer Almrinder in Essig einlegten, ist nicht zu belegen, Unstrittig ist jedoch der Ursprung vieler deutscher Lehnwörter im Latein der römischen Besatzer. Dies gilt für Kochen ebenso wie für Schüssel, Küche, Keller, Mörser, Becken und Becher. Nicht nur Kräuter und Gewürze wie Pfeffer, Zimt, Minze und Fenchel, sondern fast alle Gemüse und feineren Obstsorten, tragen Namen römischen Ursprungs.

Selbst das urdeutsche Wort Tisch, geht auf discus zurück, wurfscheibengroßen Platten für Einzelesser. Schon dem gestrengen Tacitus war aufgefallen, dass die Germanen gerne schnell ihre Nahrung alleine hinunterschlingen. Eine Unsitte, die sich bis heute gehalten hat. Im antiken Rom hingegen, galt gemeinsames Essen und Trinken als identitäts- und gemeinschaftsstiftend.

In der Völkerwanderung brach das Weströmische Reich, wie von Tacitus befürchtet, unter dem Ansturm der wilden Habenichts zusammen.

Untergang Rom

Historienmalerei der Varus-Schlacht im Teutoburger Wald, die heute bei Kalkriese vermutet wird.

Waren die Römer zu verweichlicht oder gaben andere Gründe den Ausschlag? Hierüber streiten die Historiker immer noch lustvoll. Für den arabischen Ausnahmegelehrten Ibn Chaldūn (* 1332; † 1406), der sich fern von Europa seine eigenen Gedanken machte, war dies alles folgerichtig. Mit steigendem Wohlstand verweichlichen zivilisierte Städter. Ihr Einfluss schrumpft in dem gleichen Maße, wie sie ihre traditionellen Werte vergessen oder gar verachten, die sie einst groß machten. Schließlich lockt ihr Reichtum risikobereite und religiöse Habenichtse an, welche die dekadenten Reichen schließlich überwältigen. Jahrhunderte später verweichlichen die Eroberer und das Rad der Zeit dreht sich holpernd weiter.

Nach dem Kollaps des Weströmischen Reiches folgte für die kultivierten Römer auch ein kulinarischer clash of civilisations. So klagte Sidonius Apollinaris (* 431 oder 432; † nach 479) am Westgotenhof in Spanien, „Nun bin ich inmitten eines Haufens Langhaariger. Ich muss germanische Reden ertragen, oftmals Beifall spenden und Grimassen dazu schneiden, wenn der gefräßige Burgunder – dessen Haar mit ranziger Butter getränkt ist – sein Tafellied grölt … glücklich eure Augen und Ohren, glücklich auch eure Nase: Sie wird nicht vom Geruch Dutzender dieser Barbarenkrieger beleidigt, die schon am frühen Morgen Knoblauch und faule Zwiebeln ausrülpsen.“

 

 

*Die Quellenlage ist für den sich über Jahrhunderte erstreckende Zeiträume und auch geographischen Räume, recht dürftig. Wie mir mitgeteilt wurde, lag der Wildanteil teilweise auch bei bis zu 30 %.

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KRAUTJUNKER-Kommentar: Dieser Text beruht zum allergrößten Teil auf dem gleichnamigen Kapitel aus Peter Peters Kulturgeschichte der deutschen Küche. Der Original-Text ist noch länger. Ich habe hier Teile mit eigenen Worten wiedergegeben und freimütig mit meinem Halbwissen ergänzt. Alle Fehler gehen auf meine Kappe.
Das Titelbild ist aus dem Film Beowulf & Grendel. Die Handlung dieser nordischen Saga spielt später als die Zeit der Germanen um Christi Geburt. Eher am Übergang zwischen der Völkerwanderung und der Spätantike. Ich weiß, historisch ist dies alles nicht hundertprozentig korrekt, aber dafür sehr stimmungsvoll. Abgesehen davon ein cooler Film.

 

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Anmerkungen

Von KRAUTJUNKER existiert eine Gruppe bei Facebook.

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Titel: Kulturgeschichte der deutschen Küche

Autor: Peter Peter

Verlag: C. H.Beck

ISBN: 978-3-406-67661-1

Verlagslink: http://www.chbeck.de/Peter-Kulturgeschichte-deutschen-Kueche/productview.aspx?product=14692387

 

Beowulf & Grendel

 

Titel: Beowulf und Grendel

ASIN:  B000JBXPB6

Offizielle Filmseite: http://www.beowulfandgrendel.com/

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