Buchvorstellung
Humorvolle Eltern, die ihrem Kind einen Namen wie Peter Peter schenken, riskieren im schlimmsten Fall, dass sich ihr Filius verbittert an der Welt rächen will und womöglich Steuerfahnder wird. Im besten Fall jedoch ermuntern sie den Kleinen durch ihre kuriose Namensgebung dazu, ein Mann mit Witz und Geist zu werden. Zu unserem Glück trat bei diesem Peter Peter zweite Fall ein, denn Steuern zahlen wir alle schon genug, aber gute Bücher gibt es nie zu viele.
Abb.: Peter Peter; © Verlag C.H.Beck
Diesen Peter Peter beschreibt der Verlag C.H.BECK so: „Dr. phil. Peter Peter, geb. 1956, promovierte in Klassischer Philologie. Seit 2005 ist er Mitglied der Deutschen Akademie für Kulinaristik, seit 2006 Gastdozent an beiden Sitzen der von Slow Food gegründeten Università delle scienze gastronomiche in Pollenzo (Piemont) und Colorno (Parma). 2009 war er Gastdozent am Gastrosophiezentrum der Universität Salzburg.“ Hinzufügen kann ich, dass er 2009 den ENIT-Preis für den besten deutschsprachigen Italienreiseführer gewann. Weiterhin moderiert den Salon gastrosophique in München (www.cafe-luitpold.de) und kulinarische Reisen (www.pietropietro.de) entwirft.
Inhalt seines hier vorgestellten Werkes ist die Kulturgeschichte der deutschen Küche. Ähnlich wie die Historie meiner Teenager-Frisuren (Tod dem Erfinder des VoKuHiLa!) ein Thema, welches einen ohne Humor zur Verzweiflung bringen kann.
Auf knapp 250 Seiten begleitet der Leser Peter Peter den Leser im Schweinsgelopp durch ungefähr 2.000 Jahre Esskultur auf deutschem Boden. Dabei zerfällt das Buch in drei Arten von Texten: Beginnend mit den alten Germanen beschreiben die chronologisch geschriebenen Hauptkapitel eine historische Epoche. Im Anhang bietet sich die Möglichkeit durch schräge historische Rezepte stöbern. Dazwischen werden Sonderthemen wie Bier, Fisch oder die Küche der DDR mit kleinen Essays gewürdigt. Die ohnehin mit leichter Hand verfassten Texte werden mit zahlreichen Fotos und Illustrationen aufgelockert, welche rötlich-bräunlich eingefärbt sind. Wie bei den Texten war bei der Auswahl der Bilder zarte Ironie im Spiel.
Humorlosen und wissenschaftlich orientierten Leser mag der Ton teilweise etwas zu flapsig sein und die Informationen nicht weit genug in die Tiefe gehen, ich empfand ihn als gelungenes Infotainment und mein Buch ist auf jeder Seite voll mit Bleistiftnotizen und Anstreichungen.
Wieviele Kubikmeter Bücher man lesen muss, um zweitausend Jahre deutsche Küchenkultur zu überblicken, davon gibt das mehrseitige Literaturverzeichnis eine Vorstellung. Ganz fehlerfrei kann so eine Menge von Wissen aufgenommen und wiedergegeben werden.
So gibt Peter Peter bei dem Beitrag über die Kost der Germanen an, dass der Wildanteil bei den Knochenfunden bei meist unter einem Prozent lag. Tatsächlich war er weit höher, lag in einigen Fällen bei 30 % und mehr.
Das Kapitel für die Klosterküche nimmt ungefähr den gleichen Raum ein, wie der über die barocken Exzesse oder das Wirtschaftswunderschlemmen. Bei dem, was über Jahrhunderte an Grundlagen unserer Kultur in den Klöstern entwickelt wurde, empfand ich dies als viel zu wenig.
Im Kapitel Trinkkultur bezeichnet er die Kommerse der „Burschenschaftler“ fälschlicherweise als Besäufnisse und die Verbindungsmitglieder als Kameraden. Im Gegensatz zu tatsächlichen Gelagen sind Kommerse der Burschenschafter jedoch feierliche Festakte, bei denen sich die Bundesbrüder nicht in den Rausch trinken. Sie ähneln mit ihrer Liturgie den Tafellogen der Freimaurer und wurzeln in den Zusammenkünften der mittelalterlichen Bauhütten und Zünfte. Mit dem Oktoberfest kann man solche Ritualfeiern nicht vergleichen.
Das sind jedoch im Großen und Ganzen Kleinigkeiten. Peter Peter schreibt ungemein spannend und unterhaltsam über das Auf und Ab der deutschen Küchenkultur.
So wurden im späten Mittelalter die Bürger freier Reichsstädte wohlhabend und kultiviert, was seinen Ausdruck darin fand, dass ein Großteil der Kochbücher dieser Zeit aus Deutschland stammt. Die Reformation und der dreißigjährige Krieg bedeuteten einen Einschnitt.
Katholiken schwanken beim Essen zwischen Exzess (Karneval) und Entsagung (Fasten), während die protestantische Kultur zu disziplinierter Selbstkontrolle und Mäßigkeit neigt. Die mittelalterliche Utopie des Schlaraffenlandes, in dem Faulheit und Völlerei herrschten und zu dem man sich durch einen Berg aus Hirsebrei fressen musste, geißtelten protestantische Prediger als obszönes Ärgernis, das der evangelischen Arbeits- und Mäßigungs-Ethik widersprach.
So erklärte der italienische Forscher Massimo Salani, dass Fastfood aus dem Geist des Protestantismus, ja Atheismus entstanden ist, während die vom italienischen Piemont ausgehende SlowFood-Bewegung des langsamen Genießens handwerklicher Lebensmittel die notwendige katholische Gegenreformation sei.
Der bayerische Kabarettist und Genussmensch Gerhard Polt erklärt hierzu: „Ich glaube, dass es grundsätzlich zwei große Unterschiede gibt. Im Wesentlichen ist die katholische Küche schon einmal besser als die evangelische, und dann ist der katholische Glaube auch dem Wein näher – so wie er auch dem Mittelmeer näher und deswegen dramatischer ist. Der südliche Mensch ist einfach theatralischer. Pathetischer. Ein Klischee, aber ich würde das schon bestätigen.“
Insgesamt jedoch hat sich der Protestantismus kulturell durchgesetzt und den Tenor der deutschen Küche in Richtung Hausmannskost vorgegeben. Seitdem stehen im Gegensatz „zu den Welschen“ Rentabilität und nicht Genuss im Vordergrund, was lange seinen Ausdruck in Billignahrung und der Ablehnung von Rafinesse fand.
Von dem verstorbenen Gastro-Kolumnisten Wolfram Siebeck abschließend zwei Bonmots zu diesem Punkt:
„Die Genussfeindlichkeit ist ein Bestandteil unseres Nationalcharakters. Das ist eine alte Tradition, die viel mit dem Protestantismus zu tun hat. Die Katholiken haben ja immer etwas lustiger gelebt, etwas bunter, schon der Gottesdienst ist fröhlicher, und alles wird dir irgendwann mal vergeben. Aber bei Luther und seinen Nachfolgern heißt es: Alles, was Spaß macht, ist verboten. Spaß ist Sünde.“
„Im Grunde sind wir eine genussfeindliche Gesellschaft, deren Mitglieder es sich als moralischen Verdienst anrechnen, dass sie schlecht essen.“
Beim Betrachten der Evolution unserer Kulinarik folgt das Buch unserer Geschichte. Die Kolonialisierung Amerikas bringt uns die heute als urdeutsch empfundene Kartoffel, wie den Italienern die Tomate. Kluge Köpfe werden vorgestellt, wie der Danteübersetzer und Kunsthistoriker Carl Friedrich, der für sein 1822 erstmals herausgegebenes Buch Der Geist der Kochkunst, als „Winckelmann der Küche“ gerühmt wurde. Einen viel stärkeren Einfluss übten praktische Geister wie Fräulein Henriette Davidis mit ihrem 1845 erschienen Praktischen Kochbuch aus. Zu Lebzeiten der protestantischen Pfarrerstochter erschien ihr Bestseller in nicht weniger als 21 Auflagen.
Bürgerliches Kochen blieb über die Jahrhunderte Frauensache. Männliche Köche arbeiteten in Restaurants, bei Hofe oder dem Militär, zu Hause vermochten es die Herren allenfalls den Braten anzuschneiden und die Weinflasche zu öffnen.
Männer, die alleine kochten, taten dies meist eher schlecht als recht, wenn sie weder über eine Köchin, Ehefrau oder zumindest ein „Bratkartoffelverhältnis“ verfügten.
Das Tempo der technologischen, politischen und gesellschaftliche Veränderungen beschleunigt sich immer mehr, was sich auch in der Küchenkultur wiederspiegelt. Arme-Leute-Essen wie Flusskrebse entwickelten sich zu hochpreisigen Delikatessen, während Pommes Frites, einst luxuriöse Beilage in Schlossrestaurants, zum Synonum für Fastfood wurde. Unglaublich, was nach zwei verlorenen Weltkriegen, der damit verbundenen Isolierung und Verarmung alles passiert ist. Belustigt staunend las ich von Hawaiitoasts und Mett-Igeln des Wirschaftswunderschlemmens, den Broilern und der Soljanka des real existierenden Sozialismus, der Abwendung von der deutschen Küche ab den 60er Jahren über die Renaissance des Regionalen und dem Wirken großer Geister wie dem Jahrhundertkoch Eckart Witzigmann und bereits erwähnten Gastro-Kolumnisten Wolfram Siebeck.
Momentan ist es so, dass eine öffentlichkeitsstarke Minderheit einen Kult ums Essen veranstaltet, sich die Durchschnittsfamilie leider nur noch zu einer gemeinsamen Mahlzeit pro Woche zusammenfindet. Die Mehrheit der Bevölkerung kennt Lebensmitttel nur noch verpackt, eingeschweißt und portioniert, weiß weder aus welchem Teil des Schweins ein Kotelett geschnitten wird, noch wie eine erntereife Ostfriesische Palme aussieht. Zum ersten Mal in unserer Geschichte kochen die Höhergebildeten statistisch betrachtet häufer und besser als die Angehörigen praktischer Berufe (ich kenne zum Glück Gegenbeispiele). Laut Peter Peter benötigt Deutschland nicht mehr Edelrestaurants, sondern gesünderes und geistreicheres Fastfood, um einer „in kulinarischen Dingen verelendeten Unterklasse“ aus ihrem täglichen Mampf von Tiefkühlpizzas, Chips, Fertignudelsaucen und Döner zu erlösen. Ein Umdenken findet statt, wenn wir nicht mehr zuerst in Kosten und Kalorien, sondern sinnlichen sowie kulturellen Qualitäten denken und die regionalen und saisonalen Köstlichkeiten unserer Wochenmärkte zu schätzen lernen.
***
Anmerkungen
Von KRAUTJUNKER existiert eine Gruppe bsei Facebook.
Titel: Kulturgeschichte der deutschen Küche
Autor: Peter Peter
Verlag: C. H.Beck
ISBN: 978-3-406-67661-1
Verlagslink: http://www.chbeck.de/Peter-Kulturgeschichte-deutschen-Kueche/productview.aspx?product=14692387
*
Erster Beitrag über das Buch: https://krautjunker.com/2017/06/09/cibi-simplices-die-kost-der-germanen/
*
Zum Autor: http://www.pietropietro.de/cms/index.php?c=1&s=zurperson
2 Kommentare Gib deinen ab