Maasai-Rind: Die Gottesgabe

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Vor ein paar Wochen bin ich in der Stadtbibliothek über Das andere Kuhbuch gestolpert. Ich weiß, es hört sich kauzig an, aber Rinder faszinieren mich. Das liegt wohl am Rind im Manne.
Das schöne an diesem Titel ist, dass der Autor sowohl Zoologe als auch ein Tierarzt aus der Praxis ist und dabei nicht nur klug, sondern auch sehr unterhaltsam über seine Leidenschaft schreibt. Bitte unbedingt den unten eingefügten Link zu dem Artikel aus der Osnabrücker Zeitung beachten.
Als erste Leseprobe wählte ich das Kapitel über die Rinder der Maasai (oder Massai) aus. Hintergrund ist, dass ich oft über die Konflikte zwischen den Massai (ich bevorzuge diese Schreibweise) und den Interessen des Naturschutz gelesen habe.
Die Massai treiben große Herden durch die Wildnis, beanspruchen für ihre Rinder die besten Weiden und die besten Quellen und Flüsse. Dadurch verdrängen sie wilde Pflanzenfresser wie Antilopen oder Elefanten. Und natürlich suchen sich die Löwen Rinder als Beute aus, wenn die Wildtiere abwandern. Die Massai werden durch die westliche moderne Medizin zahlreicher und können die Raubkatzen nun mit modernen Waffen und nicht nur mit Speeren verfolgen…
Ganz davon abgesehen habe ich es nie recht verstanden, wozu sie eigentlich diese riesigen Rinderherden brauchen, da sie weder jeden Abend große Barbecue-Partys feiern, noch Molkereien betreiben.
Das Buchkapitel erklärt es sehr schön: Sie leben ihre Kuhkultur. 

 

 

von Dr. Dr. Michael Brackmann

„Wie geht’s“ ist eine bei uns geläufige Begrüßung. „Ich hoffe deinen Kühen geht es gut“ ist bei den Maasai die übliche Eröffnungsfrage. Sie gibt einen Hinweis darauf, welche Bedeutung das Rindvieh in ihrer Kultur, in ihrer Wertewelt, in ihrem Leben hat.

Maasai-Rind-1

Etwa eine Viertelmillion dieses nomadisch lebenden Hirtenvolkes lebt rund um den Kilimandjaro in Kenia und Tansania. Ihre Sprache, dass Maa, ist für uns nicht zuletzt deswegen so schwer zu dolmetschen, weil sie so unendlich viele Bezeichnung für alles Rinderbezügliche kennt. Als vor aller Zeit der göttliche Herrscher „Enkai“ Himmel und Erde verband, ließ er an den Luftwurzeln des Feigenbaums die Rinder herabsteigen und schenkte sie den Maasai. Als kleines Dankeschön für diese Göttergabe wickeln Hirten auch heute noch einen Grasbüschel in die Luftwurzeln, wenn sie auf ihrer Wanderungen einen Ficus passieren, der dort keine Topfpflanze ist, sondern sich zu einem gigantischen Baum auswächst.

Der Keniapauschalreisende trifft auf die Maasai regelmäßig, wenn er auf der Fotosafari mit dem Kleinbus vom Tsavo- zum Amboseli-Nationalpark und von dort zur Maasai-Mara unterwegs ist. Nach dem Nervenkitzel angesichts von Elefanten, Giraffen und Löwen genießt er das friedliche Bild an einem Flüsschen oder Wasserloch, wo großgewachsene, schlanke, nur mit einem Tuch bekleidete Hirten ein Dutzend Rinder an der Tränke beaufsichtigen. Unterdessen warten im Umkreis von einem halben Kilometer einige hundert Kühe, Ochsen und Rinder in der prallen Sonne ruhig darauf, an die Reihe zu kommen. Haben die Tiere ihren Durst gestillt, werden sie zurück zur Herde geleitet und das nächste Dutzend wird vorgelassen, wobei peinlich drauf geachtet wird, dass die Tiere nicht ins Wasser treten, den Boden aufwühlen oder gar einen Fladen hineinfallen lassen. Dies alles geht ohne Schreien, wildes Gestikulieren oder gar Prügeln vor sich. Lediglich einmal ein Pfiff, ein Ruf oder ein kleiner Steinwurf ist zu bemerken. Kaum ein Fremder ist in der Lage, diese hütetechnische Meisterleistung zu erkennen und entsprechend zu würdigen. Man muss dazu wissen, dass alle diese Tiere vor mehr als zwei Tagen zum letzten Mal getrunken und einen mörderischen Durst haben. Wie innig muss die Beziehung zwischen Mensch und Rind sein, dass bei den Maasai und ihrem Vieh dies so unaufgeregt abläuft!

Die Kühe der Maasai werden gemolken ohne Anbinden, ohne Melkstand, ohne Fanggitter. Sie werden nicht zum Melken geholt oder getrieben. Sie werden ganz einfach gerufen. Das klappt so reibungslos, weil sie schon in frühester Kindheit auf ihre Familie geprägt werden. Für das „Ol gedari“, das neugeborene Kalb, wird immer ein Plätzchen frei gehalten, selbst in der kleinsten Hütte. Die mit Kuhmist verputzten Hütten sind wirklich nur wenige Quadratmeter groß. So lernen die Kälber das Aussehen, die Stimme, den Geruch und das Gehabe ihrer zukünftigen Herrn und Meister kennen und schätzen. Gleichzeitig wird das Kalb mit seinem Namen vertraut, mit dem es in den ersten drei Lebenswochen einig hundert Mal gerufen wird. Immer ist dies mit Angenehmen verbunden, einem Kraulen, einem Streicheln und zweimal täglich mit einer sättigenden Mahlzeit an Mutters Euter. Später als „Ol medimi“ wird es in der Kälbergruppe von den Kindern gehütet. Auch die nennen es möglichst oft beim Namen, ebenso die erwachsenen Hirten, welche die größer werdenden Jungrinder beaufsichtigen. Diese erfinden sogar Gedichte und Lieder, in denen der Name gerühmt wird. Im Alter von drei bis vier Jahren kalben die jungen Kühe zum ersten Mal. Wenn sie dann ihren Namen hören, antworten sie mit einem freundlichen Grummeln und trotten zu Mama Maasai, die mit der Kalebasse unterm Arm vor ihrer Hütte zum Melken ruft.

Dabei wird Halbe-Halbe gemacht mit dem leiblichen Kalb, für das die beiden Vorderstriche reserviert sind. Aus den beiden Hintervierteln schäumen etwa zwei bis drei Liter in die Kürbiskanne für den Hausgebrauch zum baldigen Verzehr. Eine kulinarische Spezialität der Maasai ist „Saroi“, dessen Genuss allerdings der Gewöhnung bedarf. Es ist ein Gemisch aus Milch und Blut, das entweder frisch oder mit Zucker gekocht sehr kräftigend sein soll. Für die rote Saroikomponente werden bevorzugt die Ochsen zur Ader gelassen. Zwei Hirten fixieren den Blutspender mit Unterkiefergriff und Schwanzbremse. Ein Dritter schießt in die gestaute Drosselvene aus kürzester Distanz einen kurzen Spezialpfeil. Sind je nach Größe und Masse des Ochsen zwei bis fünf Liter Blut gewonnen, wird der Stauriemen gelöst und die Wunde mit einer Handvoll Kuhmist verschlossen. Das entlassene Tier kann sicher sein, dass es erst nach mehr als einem Monat wieder einen Spendetermin haben wird. Zur Ader gelassen wird bei den Maasai nur in den ganz frühen Morgenstunden Dann ist es noch kühl. Mit zunehmender Tageshitze wird die Hautdurchblutung stärker und damit die Gefahr einer schädlichen Nachblutung größer.

Morgens wird die Herde aus dem Kral, wo sie hinter einem mehrere Meter hohen Dornenwall vor Löwen und Nachbarn sicher die Nacht verbracht hat, in die Savanne entlassen. Alle Tiere sind mit einem besonderen Schnittmuster in den Ohren als Eigentum markiert. Es fällt aber auf, dass etwa die Hälfte der Herde ganz verschiedene Ohrkerben trägt. Es sind entliehene Tiere von verschiedenen Verwandten, Freunden und Partnern. Im Gegenzug sind 50 Prozent der eigenen Herde an die Verwandten, Freunde und Partner verliehen worden. Das ist die seit Jahrhunderten bewährte afrikanische Variante der Tierseuchenkasse. Rafft eine Seuche, wie etwa die Rinderpest, in kürzester Zeit die prachtvolle Herde dahin, bedeutet dies nicht sofort das Ende, den Ruin oder gar den Tod. Die verliehenen Tiere werden zurückgeholt und mit ihnen der Neuanfang gewagt. Den Verlust der entliehenen Kühe muss der eigentliche Besitzer tragen. Der wird aber Enkai dankbar sein, dass es nur wenige seiner Lieblinge getroffen hat und seine Stammherde verschont blieb.

Dieser Viehaustausch hat nicht nur versicherungstechnische Gründe, sondern auch zuchtstrategische. Der Leasingvertrag besagt, dass der Entleiher das Nutzungsrecht für Milch und Blut hat und dass ihm die geborenen Bullenkälber gehören. Die Kuhkälber aber gehen an den Verleiher. So wird die genetische Basis der Herden nicht verwässert. Deren Konstanz gewährleisten dort wie hier die Muttertiere. Der genetische Austausch zur Vermeidung der Inzucht und der züchterische Fortschritt geht über die Bullen. Und eben die wechseln bei diesem System die Herden.

Für die Maasai stehen die direkten Nutzleistungen wie Milchmenge, Eiweiß und Fettgehalt oder tägliche Zunahme im Hintergrund. Vorrangig achten sie auf die inneren Werte. Ihre Herden müssen robust und widerstandsfähig sein. Das Vieh muss Hitze, Hunger und Durst ertragen und den vielfältigen Tropenkrankheiten trotzen können. Zudem müssen sie bei der nomadischen Lebensweise im wahrsten Sinne des Wortes gut zu Fuß sein. Selbst leichteste Mängel, Schwächen oder gar Fehler im Fundament sind in einer mehr als hundertköpfigen Maasaiherde nur schwer zu finden. Von besonderer Bedeutung ist das Verhalten, sind die psychischen Eigenschaften des Rindviehs. Die Maasai kennen die vier Todsünden einer Kuh. Die erste heißt „Naffara“, dass sie das Kalb ablehnt, also keine Muttereigenschaften hat. Die zweite heißt „Teruk“, dass sie zuwenig Milch hat oder die Milch aufzieht und nicht hergibt. Die dritte heißt „Hammala“, dass sie bummelt und hinter der Herde zurückbleibt, also das Marschtempo verlangsamt, und die vierte heißt „Tereifa“, dass sie zum Streunen neigt, also den Herdenverband gern verlässt und damit leichte Beute für Löwe, Hyäne oder Viehdieb wird. Jede dieser Sünden führt dazu, dass die Kuh bei nächster Gelegenheit verwertet wird. Das kann allerdings dauern. Nur zu ganz besonderen Anlässen wie dem Beschneidungs- oder dem Initiationsfest überwinden sich die Maasai und schlachten Rinder.

Zweifelsohne sind die Maasairinder auch nach unseren Maßstäben eine durch und durch gezüchtete Rasse. Unseren Geschmack allerdings treffen die nur kleinen, höchstens mittelgroßen Kühe wohl kaum, und unsere Erwartungen an ein Nutztier erfüllen sie mit ihren Entwicklungsdaten eher nicht. Die erwachsen 350 Kilogramm schweren Bullen und 270 Kilogramm schweren Kühe haben ein Startgewicht von knapp 20 Kilogramm. Mit 18 Monaten sind daraus gerade einmal 150 Kilogramm beziehungsweise 140 Kilogramm geworden und mit 30 Monate im Mittel 230 Kilogramm beziehungsweise 180 Kilogramm. Diese Daten interessieren keinen Maasai, sie wurden von britischen Kolonialbeamten ganz im Sinne der englischen Tierzucht ermittelt. Denen fehlte aber wohl das rechte Verständnis für die Kuhleidenschaft der Maasai, wie eine Begebenheit aus den fünfziger Jahren zeigt. Ein solcher britischer Beamter beschlagnahmte in einem Maasaidorf die Lieblingskuh eines gerade nicht anwesenden Kriegers trotz oder gerade wegen der Bitten und Warnungen der übrigen Clanangehörigen. Der Krieger macht sich nach seiner Rückkehr sofort auf einen wochenlangen Fußmarsch zur zuständigen Distriktbehörde und bat um Rückgabe seiner Kuh. Als auch sein Angebot, mehrere andere Tiere als Ausgleich oder im Tausch zu geben, arrogant abgelehnt wurde, tötete er den Beamten, ließ sich verhaften, wurde verurteilt und hingerichtet. Er gilt bis heute den Maasai als großer Held. Für sie war ist und bleibt das Rind heilig, ein wahres Gottesgeschenk.

 

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Anmerkungen

Von KRAUTJUNKER existiert eine Gruppe bei Facebook.

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Titel: Das andere Kuhbuch – 45 Rasseporträts und mehr

Autor: Michael Brackmann

Illustration: Brigitte Forman, Jutta Kaiser-Atcherley

Verlag: Cadmos Verlag

Verlagslink: https://www.cadmos.de/das-andere-kuhbuch.html

ISBN: 978-3-8404-3038-1

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Der Tierarzt Dr. Dr. Michael Brackmann

https://www.noz.de/lokales/ostercappeln/artikel/453086/tierarzt-hat-die-kuh-fur-sich-entdeckt

http://www.kuh-projekt.de/Buch/kuhbuch.html

 https://www.tierklinik.de/tierspezialist/1932-Brackmann

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Interessanter Beitrag über die Massai:
http://www.univie.ac.at/neoevolutionismus/Ver%E4nderungen%20der%20Massai.pdf

 

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