von Karin Greiner
O Tannenbaum! Du grünst nicht mehr sehr oft in heimischen Wäldern. Du prägtest einst das größte geschlossene Waldgebiet Deutschlands, den Schwarzwald, den dunklen Tann. Unter deinen erhabenen Kronen spielten Geschichte und Geschichten von Römern und Räubern, Hänsel und Gretel, Wintersonnenwende und Weihnachten. Ein Tannenbaum ist für uns der Nadelbaum per se, einerlei ob Tanne, Fichte oder sonst eine Art.
Aber mit nur noch kümmerlichen zwei Prozent Anteil an der Waldfläche gehört die heimische Weißtanne heute zu den seltenen Baumarten. Gar nicht rar ist dagegen die Nordmanntanne, sie schmückt mit ihren treuen Blättern die meisten Stuben zur Weihnachtszeit. Und wer sich in Gärten und Parks sowie vielen Forsten umschaut, trifft allerorten auf Tannen.
Wo ein Zweiglein zu entbehren ist, beginnt die Erkundung, denn jede Tannenart hat ihre eigenen Qualitäten, im Duft wie im Geschmack. Die Nadeln der Weißtanne erinnern an Mandarine, die der Nordmanntanne an Zitrone, die der Douglasie an Orange, mit einer gewissen Harznote eindeutig mehr an die Zitrusschalen als ans Fruchtfleisch. Die vielen ätherischen Öle, die den Nadeln, aber auch dem Harz in Zweigen, Ästen und Rinde entweichen, verwandeln den Aufenthalt unter Tannen zu einer aromatherapeutischen Anwendung. Deshalb werden Tannen schon immer als große Heilpflanzen geschätzt.
Weil die Tannen immergrün sind, kann man dann auch ganzjährig Nadeln ernten? Schon, aber das Frühjahr liefert die beste Qualität an Tannennadeln für kulinarische Zwecke, weil diese jetzt weich und zuckerreich sind. Ausgewachsene und derbe Nadeln im Herbst und Winter eignen sich dagegen viel besser, wenn auf möglichst hohe Gehalte an Harzen und ätherischen Ölen Wert gelegt wird.
NAME
Hier vorgestellte Art: Weißtanne (Abies alba), Familie der Kieferngewächse (Pinaceae)
Der Tann ist heute noch ein Begriff für Wald, und auch die Bezeichnung Tanne geht auf das althochdeutsche tanna und vermutlich auf das germanische danwo zuruck, was „Wald“ bedeutet.
Ob für den wissenschaftlichen Namen Abies die indogermanische Sprachwurzel ab für „Baum“ oder abh für „strotzend, edel“ zugrunde liegt, ist nicht geklärt. Der Artzusatz alba (vom lateinischen album für „weiß“) deutet auf die weißliche Rinde sowie das helle Holz hin.
Weitere Namen: Silbertanne (wegen der hellen Rinde und des hellen Holzes), Edeltanne (wegen des prächtigen Wuchses, des wertvollen Holzes), Kreuztanne (wegen der manchmal kreuzweisen Anordnung der Äste), Rauchtanne (wahrscheinlich in der Bedeutung von rau, wegen der rauen Schuppenborke), Taxenbaum, Taxtanne, Daxen (als Bezeichnung für Nadelbäume überhaupt)
BOTANISCHES ZUR WEISSTANNE
Erscheinungsbild: Immergrüner großer Nadelbaum mit durchgehendem Stamm und waagrecht abstehenden Ästen von 30–50, selten bis 65 m Höhe; in der Jugend meist spitzkegelige, im Alter walzenförmige und an der Spitze abgeflachte, sogenannte Storchennestkrone
Maximales Alter: 500–600 Jahre
[Textkürzung des restlichen Abschnitts mit: Besonderes, Rinde, Blätter, Knospen, Blüten, Zapfen, Vorkommen und Inhaltsstoffe]
[Textkürzung von: Weitere Arten, alle ebenso nutzbar]
TANNE KULINARISCH
Die Nadeln der Weißtanne werden zehn bis vierzehn Jahre alt – der Rekord unter den heimischen Nadelbäumen. Sie zersetzen sich sehr leicht, sind gut verdaulich und gehören schon deswegen zur Lieblingsspeise der Rehe, Hirsche und Gemsen. Die bevorzugte Tannenkost der Menschen sind die weichen, zarten und besonders fruchtig-säuerlich-aromatischen Frühlingstriebe, auch als Maiwuchs bezeichnet.
Aber man darf sich auch ruhig einmal an ältere Nadeln wagen, etwa die vom Weihnachtsbaum (wenn dieser aus biologischem Anbau stammt). In der Pfanne kurz geröstet können Tannennadeln wie Rosmarin verwendet werden, oder im Ofen getrocknet und dann zu feinem Pulver gemahlen als Gewürz für Wild, Rindfleisch, Wintergemüse oder zum Mischen mit Salz dienen. Ein frischer Tannenzweig kann mit in eine Beize, aus einem Nadeltee wird ein würziger Kochsud für Siedefleisch oder Kartoffeln.
Abb.: Maiwuchs bei der Weißtanne
Nutzung in der Küche:
– Nadelblätter frisch, getrocknet oder geröstet als Gewürz, für Salz, Zucker, Wurzöl, Marinaden, Beizen, zum Spicken von Fleisch oder Gemüse, zum Strecken von Mehl
– Nadelaustrieb (Maiwuchs) zum Frischverzehr, für süße wie herzhafte Speisen, für Sirup, Likör, Gelee, Eis, zum Kandieren, Schokolieren, für Butter, Pesto, Senf, zum Einlegen
– Samen geröstet als Knabberei, für Müsli, zum Würzen
[Textkürzung: Rezepte von »Tannenbäumchen« und »Tannenkiepferl«]
TANNEN-HACKBÄLLCHEN
Abb.: Tannen-Hackbällchen
1 Schalotte
1 EL Butter
1 altbackenes Brötchen
200 g gemischtes Hackfleisch
200 g Kalbsbrät
1 Ei
Abgeriebene Schale von ½ Zitrone
Paprikapulver, Salz, Pfeffer
Semmelbrösel zum Wälzen
Öl zum Braten
1 EL Tannennadeln
Die Schalotte schälen, sehr fein würfeln und in Butter glasig dünsten. Das Brötchen grob würfeln, in wenig warmem Wasser einweichen, dann kräftig ausdrücken. Hackfleisch, Kalbsbrat, Schalotten, Brötchen und Ei zu einer homogenen Masse verkneten. Mit Zitronenschale, Paprikapulver, Salz und Pfeffer würzen. Aus der Masse kleine Bällchen formen und diese in Semmelbröseln walzen. Die Bällchen in heißem Öl braten, dabei immer wieder wenden, damit sie rundum knusprig braun werden. Zuletzt mit den fein gehackten Tannenadeln bestreuen, diese noch ganz kurz mitbraten.
Tipp: Mit Kartoffelpüree und einem kräftig gewürzten, mit etwas Sahne verlängerten Hagebuttenmus statt Ketchup sowie einem Salat wird daraus ein Essen, für das man Köttbullar oder Burger gerne stehen lasst.
[Textkürzung: Rezepte von »Tannenwaldsuppe«]
TANNE HEILKUNDLICH
Pfarrer Sebastian Kneipp (1821–1897), der berühmte „Wasserdoktor“, empfahl Lehrern, Predigern und Sängern, einen Tee von grünen Tannenzapfen zu trinken, um die Stimmbänder zu stärken. Pfarrer Johann Kunzle (1857– 1945) riet Asthmapatienten und Lungenkranken, sich einen großen Korb mit Tannenzweigen ins Zimmer zu stellen.
Ein Aufguss aus Tannensprossen war die sanfte Variante vom Tannenbier, das aus vergorenen Tannensprossen hergestellt und hauptsächlich zur Vorbeugung vor Skorbut getrunken wurde. Tannenbier, meist ein Starkbier mit kräftigem Alkoholgehalt, haben angeblich bereits die Wikinger getrunken, es hat Kapitän James Cook (1728–1779) auf seinen Seefahrten begleitet und war bis ins 19. Jahrhundert in den schottischen Highlands populär.
Das dünnflüssige, klare Harz der Weißtanne, Elsässer bzw. Straßburger Terpentin genannt, duftet intensiv nach Zitrone und Gewürzen, wirkt durchblutungsfördernd und antiseptisch. Es wird bis heute Salben beigemischt, mit denen Rheuma und Arthrose behandelt werden.
Nutzung in der Heilkunde:
– Tannenspitzen, Nadeln für Sirup, Bonbons, Sauerhonig, Tee, Bader bei Erkältungskrankheiten, grippalen Infekten, Schnupfen und Husten, für Präparate der Gemmotherapie
– Nadeln für Aufgusse, Einreibungen oder Tinkturen sowie für Hydrolate und ätherische Öle bei Gliederschmerzen, Rheuma und Erschöpfung
– junge Zapfen, Harz für Salben, Einreibungen, Elixiere bei Erkältungen, gegen Bluterguss, Muskelkater, Zerrungen, Verspannungen
Vorsicht: Nicht anwenden bei Fieber, Keuchhusten oder Asthma, bei Herzschwäche und Bluthochdruck. Nicht direkt auf Schleimhäute und offene Wunden bringen. Ätherische Öle nicht unverdünnt anwenden, sie können die Haut reizen. Nicht verwenden bei Babys und Kleinkindern.
[Textkürzung: Rezepte von »Karamellbonbons mit Tannenspitzen«, »Wipfelbonbons, »Tannen-Badesalz«, »Tannennadel-Inhalation« sowie »Tannen-Sauerhonig«]
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Anmerkungen
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Titel: Bäume in Küche und Heilkunde
Autorin: Karin Greiner
Fotografin: Martina Weise
Verlag: AT Verlag
Verlagslink: https://www.at-verlag.ch/buch/978-3-03800-910-8/Karin_Greiner_Baeume_in_Kueche_und_Heilkunde.html
ISBN: 978-3-03800-910-8
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Buchvorstellung:
https://krautjunker.com/2017/11/08/baeume-in-kueche-und-heilkunde/
Leseproben:
https://krautjunker.com/2017/07/23/die-esche-in-kueche-und-heilkunde/
https://krautjunker.com/2017/08/24/die-eiche-in-kueche-und-heilkunde/
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Website der Autorin: https://www.pflanzenlust.de/
Buchvorstellung im Fernsehen: https://www.br.de/mediathek/video/blaetter-sprossen-nadeln-baeume-in-kueche-und-heilkunde-av:58ff4657e9f2b30012f31ddf
Bericht über Vortrag von Karin Greiner: https://www.myheimat.de/rain/natur/baeume-in-kueche-und-heilkunde-vortrag-von-karin-greiner-in-rain-d2838896.html