Wer meinen Blogbeitrag über die Entenjagd (siehe: https://krautjunker.com/2016/09/30/die-entenjagd/) gelesen hat, dem wird der skurrile Biologe und Direktor des naturhistorischen Museums von Rotterdam Kees Moeliker in Erinnerung geblieben sein. Seine wissenschaftliche Karriere erfuhr einen Kickstart, als ein Stockenten-Erpel gegen die Fensterscheibe des Naturhistorischen Museums in Rotterdam krachte und sich kurz darauf ein zweiter Erpel an dem verendeten Tier sexuell verging.
Moeliker war fasziniert und erstellte von dem seltsamen Vorgang eine wissenschaftliche Publikation. Da seine Arbeit die Bevölkerung „erst zum Lachen, dann zum Nachdenken“ anregte, wurde er mit dem „Ig Nobelpreis“ ausgezeichnet. Mit dem Aufruf, seinem Museum die vom Aussterben bedrohten Filzläuse (vulgär: Sackratte) zu schenken, errang er internationale mediale Aufmerksamkeit. Seinen TED-Talk „How a dead duck changed my life“ wurde im Internet von knapp 1,5 Millionen Menschen betrachtet.
In seinem Buch „Der Entenmann“ berichtet er über seine ungewöhnlichen Erfahrungen mit der Tierwelt. Im Zentrum seiner Aufmerksamkeit stehen die mysteriösesten und bizarrsten Todesarten von Wildtieren, die in seinem Museum gesammelt werden. Da seine präzise geschilderten Beobachtungen mit trockenem Humor gewürzt sind, amüsiert sich der Leser mit Sinn für die Abartigkeiten unserer Welt erst köstlich. Etwas später fällt der Groschen: Zum Beispiel, das Fensterscheibenkollisionen die weltweit häufigste Todesursache von Vögeln sind oder keine sexuelle Leidenschaft nicht vorher im Tierreich erfunden wurde. Wobei ich hoffe, dass sich die wenigsten meiner Leser nach der Art enthemmter Käfer mit leeren Bieflasche paarten …
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EDEL BOOKS: Unglaubliche 1,5 Millionen Menschen haben Ihren TED-Talk „How a dead duck changed my life“ gesehen. Wie genau hat eine tote Ente Ihr Leben verändert?
KEES MOELIKER: Menschen aus der ganzen Welt schicken mir bis heute alle Arten von enten-verwandten Dingen: Gummienten in allen erdenklichen Formen, entenförmige Wasserkaraffen und sogar antike Vaginalspekula – ein medizinisches Instrument, das in manchen Sprachen als „Entenschnabel“ bezeichnet wird.
Wichtiger ist aber der wissenschaftliche Artikel, den ich über meine Entenbeobachtung verfasste und für den ich mit dem „Ig Nobelpreis“ ausgezeichnet wurde, denn der brachte mir internationale Bekanntheit als Beobachter außergewöhnlicher Verhaltensweisen bei Tieren. Es fasziniert mich zu sehen, wie und auf welche Weise Tiere uns und unser vermeintliches Wissen über ihre Verhaltensweisen immer wieder widerlegen. Dafür sind meine Augen und Ohren stets offen! So erhalte ich aus dem In- und Ausland regelmäßig Meldungen über Tiere, die sich eigenartig verhalten, über Menschen, die sich damit beschäftigen, oder Hinweise auf (oft skurrile) Publikationen über solche Dinge. Mittlerweile wage ich zu behaupten, dass sich kein Tier auf diesem Planeten danebenbenehmen kann, ohne dass ich informiert werde.
EDEL BOOKS: Worum handelt es sich bei dem „Ig Nobelpreis“, den Sie für Ihre Abhandlung über homosexuelle Nekrophilie bei Stockenten erhalten haben?
KEES MOELIKER: Seit 1991 vergibt die satirisch-wissenschaftliche Zeitschrift „Annals of Improbable Research“ jährlich den „Ig Nobelpreis“ an zehn (Gruppen von) Wissenschaftler unterschiedlicher Fachgebiete, deren Forschungsarbeit „Menschen erst zum Lachen, dann zum Nachdenken bringt“. In groben Zügen entsprechen die Kategorien denen des „echten“ Nobelpreises. Der Preis hofft darauf, Neugier zu erwecken und die Frage aufzuwerfen, wie jemand entscheidet, was wichtig ist und was nicht, was real ist und was nicht – in der Wissenschaft und überall sonst.
Abb.: Kees Moeliker: „Neugier in Verbindung mit Humor ist ein wirkungsvolles Mittel, um das Interesse von Menschen an Wissenschaften zu beflügeln.“; © Naturhistorisches Museum Rotterdam
EDEL BOOKS: Wie erklären Sie sich das ungewöhnliche Verhalten der Stockente? Kann man diese merkwürdige Handlung als eine Art „Fetisch“ unter Tieren bezeichnen?
KEES MOELIKER: Nein, ich vergleiche niemals menschliches und tierisches Verhalten. Seit über 20 Jahren denke ich über die Bedeutung von nekrophilem Verhalten in der Tierwelt nach. Was allerdings ins Auge springt, ist der plötzliche, unnatürliche Tod des „Opfers“ von nekrophilem Verhalten. Das Leben „meiner“ Ente endete an der Fassade eines Gebäudes, andere Tiere wurde erschossen, oder fielen dem Straßenverkehr zum Opfer. Außerdem starben die meisten Opfer in einer charakteristischen, „empfängnisbereiten“ Paarungshaltung.
Offenbar ist es die Kombination von plötzlichem, unnatürlichem Tod in Paarungshaltung, welche den Geschlechtstrieb auslöst und so zum nekrophilen Verhalten führt. Dabei ist die Haltung, die Pose, der ausschlaggebende Reiz.
Abb.: Der „Enten-Vorfall“ im Jahr 1995. (© Kees Moeliker)
EDEL BOOKS: Die Geschichte mit der Ente hat aber auch einen ernsten Hintergrund: Sie engagieren sich für die Entwicklung von Methoden, die verhindern sollen, dass Vögel durch Kollisionen mit Fensterglas sterben – laut Ihrer Aussage die weltweit häufigste Todesursache von Vögeln. Und wie können wir uns Ihr Engagement im Detail vorstellen?
KEES MOELIKER: Ja, auf Lachen folgt Nachdenken. Zuerst über die Vielfalt von sexuellem Verhalten – es gibt noch immer Menschen, die daran glauben, dass Homosexualität ein rein menschliches Verhalten sei. Durch das Erzählen der Entengeschichte zeige ich, dass es das nicht ist, und dass Tiere sich nicht immer so verhalten, wie es in der Schul-Naturgeschichte steht.
Zusätzlich versuche ich noch das Bewusstsein zu wecken für den fatalen Einfluss von Glas und gläsernen Gebäuden auf das Vogelleben. Seit 1996 organisiere ich den „Dead Duck Day“, speziell dafür, und um ein sechsgängiges Entenmenü zu essen.
EDEL BOOKS: Im Naturhistorischen Museum von Rotterdam sammeln Sie Tiere, die auf bizarre Art zu Tode gekommen sind. Wie ist es dazu gekommen und was bezwecken Sie mit der wohl skurrilsten Tiersammlung der Welt?
KEES MOELIKER: Die Sammlung des Naturhistorischen Museums von Rotterdam umfasst über eine halbe Million Exemplare und 99,9% dieser toten Tiere kamen anonym, mit nichts als ihren Grunddaten – Art, Ort, Datum und Sammler. Das ist perfekt für biogeographisch und taxonomische Untersuchungen, aber es reichte nicht, um eine größere Besuchermenge für einen ausgestopften Vogel, ein angebrachtes Skelett oder ein angepinntes Insekt länger als sagen wir zehn Sekunden zu begeistern. Zwei neue Erwerbungen der Sammlung inspirierten mich, die Dead Animal Tales Exhibtion zu starten und darüber zu schreiben:
(1) Die Stockente als erstes Opfer von homosexueller Nekrophilie dieser Art (nachdem der Erpel gegen die Glasfassade unseres Museumsgebäudes geflogen ist) und
(2) der Haussperling, der erschossen und getötet wurde, nachdem er einen dummen Domino-Wettbewerb verhindert hat, indem er 23.000 Dominosteine umwarf, kurz bevor die TV-Sendung starten sollte.
Dank des „Ig Nobelpreises“ wurde die Geschichte des armen Vogels bekannt und es gab viele Menschen, die die Ente sehen und bewundern wollten. Der Sperling, den wir „Domino Sparrow“ nannten, zog ebenfalls eine große mediale Aufmerksamkeit auf sich. Damit hatten wir zwei hervorragende Kandidaten für eine neue Sicht auf Museumsexponate. Ich holte sie aus dem Archiv und widmete toten Tieren und ihren dramatischen Geschichten eine kleine, aber feine Ausstellung. Dort gab es dann Menschen, die ihnen Aufmerksamkeit zollten. Sie schauten sich tatsächlich die Ausstellungsstücke an, lasen ihre Geschichten und – vermutlich am allerwichtigsten – vergaßen sie nicht, sondern erzählten anderen davon. Jetzt ist „Dead Animal Tales“ der bekannteste Bereich des Museums und wächst immer weiter.
Die Ausstellung zeigt wie, wo und warum Tiere und Menschenleben miteinander kollidieren, mit dramatischen Konsequenzen manchmal für beide. Ich möchte, dass Menschen sich dessen bewusst sind. Angesichts der wachsenden Erdbevölkerung und der weitergehenden Zerstörung der natürlichen Lebensräume und Verstädterung, werden Tier und Mensch noch mehr Lebensraum miteinander teilen müssen, wodurch die dramatischen Kollisionen nur noch steigen werden. Darauf müssen wir vorbereitet sein, um zu versuchen, das Schlimmste zu verhindern.
Abb.: Kopulationsversuch eines Frosches mit einem Goldfisch. (© Cor Oppers)
EDEL BOOKS: Neben nekrophilen Enten schreiben Sie in Ihrem Buch „Der Entenmann“ auch über fehlgeleitete Frösche, aussterbende Filzläuse und übergroße Spatzenklöten. Welches Phänomen war bisher das außergewöhnlichste, das Sie je in der Tierwelt beobachtet haben?
KEES MOELIKER: Die Amsel – der „Irre Ivo“ –, die immer wieder in dasselbe Fenster flog, fast jeden Tag über sechs Jahre lang, um ihr eigenes Spiegelbild zu bekämpfen. Ich hatte in meinem Leben schon viel außergewöhnliches Tierverhalten gesehen, aber das hier toppte alles. In „Der Entenmann“ gibt es ein gesondertes Kapitel über den „Irren Ivo“ und andere schattenboxende Vögel.
EDEL BOOKS: Ihre Texte bestechen durch Humor, Neugier und Entdeckergeist. Sind dies auch Eigenschaften, die man haben sollte, um ein erfolgreicher Wissenschaftler zu sein?
KEES MOELIKER: Neugier in Verbindung mit Humor ist ein wirkungsvolles Mittel, um das Interesse von Menschen an Wissenschaft zu beflügeln. Was Wissenschaft ist und was es für uns bedeuten kann, sollten mehr Menschen wissen. Humor ist also ein wichtiger Bestandteil dessen, was ich tue. Mit einem Funken Humor kann man für Dinge, die als schwierig oder langweilig angesehen werden, Menschen begeistern.
Abb.: Im Frühjahr und Herbst sind Kollisionen mit Fensterscheiben häufige Todesursachen für Waldschnepfen. (© Kees Moeliker)
EDEL BOOKS: Vor einigen Jahren riefen Sie zur Rettung der letzten Filzläuse auf, was Ihnen sogar einen Auftritt in der renommierten US-amerikanischen Talkshow „The Daily Show“ eingebracht hat. Was hatte es mit dieser Aktion auf sich?
KEES MOELIKER: Vor ungefähr 10 Jahren stellten britische Ärzte einen auffälligen Rückgang von Patienten, die mit Filzläusen infiziert sind, fest. Sie machten dafür die allgemeine Angewohnheit von sexuell aktiven Menschen verantwortlich, sich die Schamhaare zu entfernen, der einzige Ort, wo diese Parasiten leben. Für mich als Biologen war es logisch, eine Parallelität zu dem Beinahe-Aussterben des Pandabären zu sehen, dem aufgrund der Abholzung der Bambusbäume ebenfalls der Lebensraum geraubt wurde.
Weil das Naturhistorische Museum, in dem ich arbeite, merkwürdigerweise keine einzige Filzlaus in seiner Sammlung hat, ging ich an die Öffentlichkeit – bevor es zu spät war – mit der Bitte zum Spenden der letzten Filzläuse. Diese Anfrage wurde zu einem weltweiten medialen Hype. Mittlerweile haben wir 18 Stück zusammen, die auch Teil der „Dead Animal Tales“- Ausstellung sind. Die meisten erhielten wir von Ärzten, die unter der Gürtellinie arbeiten, aber manche wurden auch von Privatpersonen gespendet – wertvolle Filzlausheiligtümer.
Jetzt bewerbe ich die Filzlaus als neues Symbol für den Rückgang der biologischen Vielfalt. Die Leute sind der Geschichte des armen Pandas müde. Wenn sie hingegen die Konsequenzen der Abholzung am eigenen Leib spüren und was diese den kleinen Insekten antut, werden sie aufmerksam: junge Menschen, weil das Wesen neu für sie ist und ältere aus nostalgischen Gründen.
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Anmerkungen
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Titel: Der Entenmann: Von Spatzenklöten, aussterbenden Filzläusen und nekrophilen Enten. Mysteriöse Todesfälle aus dem Tierreich
Autor: Kees Moeliker
Verlag: Edel Books – Ein Verlag der Edel Germany GmbH
Verlagslink: https://www.edelbooks.com/
ISBN: 978-3841906106
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