Die Entenjagd

von Ronald Timmermans

Über die wilde Ente kann man viel behaupten, nur nicht, dass sie wild ist.

Was Lebensraum und Brutgebiet betrifft, gehört die Wildente – damit meinen wir hier die wild lebende Stockente – trotz ihres Namens zum Federwild der großen Städte. Zugleich vermischt sie sich mühelos mit der Hausente, sodass die bizarrsten Kreuzungen entstehen.

„Katzenfutter“

Die Erpel (Männchen) der Stockente tragen ein buntes Prachtkleid, während die Weibchen einheitlich braun sind. Während der Paarungszeit, auch Reih(e)zeit genannt, verfolgen oft mehrere Erpel eine einzelne Ente und bedrängen die weiblichen Tiere meist heftig. Die Begattung findet im Wasser statt. Stockenten schließen keinen Bund fürs Leben, sondern verpaaren sich jede Saison neu.

Die Ente (Weibchen) legt sechs bis vierzehn Eier in ein einfaches Nest, das auch ziemlich weit vom Wasser entfernt liegen kann, mitunter in einer Kopfweide oder einem verlassenen Krähennest. Häufig beginnt die Stockente bereits im März zu brüten, daher trägt sie auch den Beinamen Märzente. Nach dem Schlüpfen lassen sich die Jungen – ohne ernsthafte Folgen für Leib und Leben – aus dem Baum fallen. Enten nutzen auch gern Brutkörbe, die, sicher auf einem einfachen Gestell befestigt, Schutz vor Katzen, Krähen, Möwen und zahllosen anderen Nestplünderern bieten. Sind die Küken erst mal auf dem Wasser, haben sie am meisten von Ratten, Reihern, Welsen und Hechten zu befürchten. Das Leben einer kleinen Ente ist wahrlich kein Zuckerschlecken. Von der langen Schlange der Jungen, die man an einem Tag hinter der Mutter herwatscheln sieht, sind einige Tage später vielleicht nur noch ein paar wenige übrig. Oder auch überhaupt keine. Jungenten ernähren sich von kleinen Mücken und Fliegen – daher steht in einem nasskalten Frühjahr ohne Insekten bereits fest, dass es ein schlechtes Entenjahr wird.

Methoden

Die Entenjagd hat ihre eigenen Formen und Gebräuche, deren Ursprünge teilweise bis ins siebzehnte Jahrhundert reichen. Die Jagd am Entenstrich gilt als besonders reizvoll – als Strich bezeichnet der Jäger eine bestimmte Flugbahn, auf der Enten (und anderes Federwild) immer wieder anzutreffen sind, weil sie zu ihren bevorzugten Rast- oder Futterplätzen führt. Dort wartet man dann im Anstand (in guter Deckung stehend und unter Beachtung der Windrichtung) auf die einfallenden Tiere. Der Einfall ist der Ort, an dem sie sich niederlassen. Lockjagd, Stöberjagd und Treibjagd sind mögliche Methoden, die Erfolg bei der Jagd auf Enten versprechen. Ein brauchbarer Hund (also einer, der die Brauchbarkeitsprüfung bestanden hat) ist dabei verpflichtend. Er hat wichtige Aufgaben zu erfüllen und muss beispielsweise ein Profi der Wasserarbeit sein, schließlich muss er die erlegten Tiere aus dem Gewässer holen und an Land bringen.

Die Entenjagd ist nicht ganz ungefährlich: Man darf beispielsweise nicht schießen, wenn die Enten flach übers Wasser streichen. Dabei kann es allzu leicht zu einem Abprallschuss an der Wasseroberfläche kommen.

Bei lang anhaltendem Frost und wenig offener Wasserfläche ist die Wasserwildjagd verboten. Die Futter- und Schutzmöglichkeiten sind dann so begrenzt, dass sich die Enten an den offenen Stellen im Eis versammeln. Die Jagd an Eislöchern gilt als nicht waidmännisch und ist somit – quasi – verboten.

Die Lockjagd

Lockjagd auf Enten kann man mithilfe eines Lockbilds aus künstlichen Enten durchführen oder mit einem Lockinstrument, mit dem man Töne erzeugt. Beide Methoden lassen sich auch gut kombinieren – vielleicht ist das sogar die Erfolg versprechendste Variante. Diese Jagdmethode eignet sich für offene Gewässer; an Gräben oder Kanälen ist sie wenig sinnvoll. Nachdem die Enten in der Nacht auf dem Land gefressen haben, ziehen sie gern aufs offene Wasser, wo sie dann den Tag verbringen.

Die Lockvögel platziert man an geeigneter Stelle im Wasser. Früher verwendete man hölzerne Lockvögel, die nach einiger Zeit voller Holzwürmer waren und nur ganz entfernt einer Ente glichen. Trotzdem fielen die Enten darauf herein, genau wie auf die modernen Plastiklockvögel. Die Attrappen sollten aus der Luft für die vorüberfliegenden Enten gut sichtbar sein, ein Gewässer mit vielen dichten Bäumen ist also nicht unbedingt die geeignete Wahl. Am besten verwendet man mehrere Attrappen, das verbessert die Wirkung. Wo schon mehrere Enten sind, können sich die Neuankömmlinge mit gutem Gefühl niederlassen …

In der Dämmerung kommen zunächst einige „Späher“ heran, um die Gegend auszukundschaften und festzustellen, ob der Platz sicher ist: Sie muss der Jäger täuschen, denn sie geben den anderen Enten das Signal, das Weite zu suchen oder sich niederzulassen.

Mit dem Lockinstrument – Entenlocker genannt – muss der Jäger den richtigen Ton erzeugen – und nicht etwa aus Versehen ein Warnsignal senden, das die Tiere zum Abdrehen bringt. Der richtige Lockton signalisiert den Enten, dass alles in Ordnung ist und sie sich nähern können. Wer sehr versiert ist, kann sogar mehrere Enten auf einmal imitieren, das wirkt natürlich auf die anderen besonders beruhigend.

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Enten sind sehr aufmerksame Tiere: Wer bei der Lockjagd Erfolg haben will, sollte daher großen Wert auf gute Tarnung legen, damit ihn die Enten nicht schon aus der Luft erspähen und abstreichen. Auch Hunde sollten in der Deckung sitzen und sich – genau wie die Herrchen vollkommen ruhig verhalten. Je mehr Jäger mit von der Partie sind, umso höher ist natürlich das Risiko, von den Enten zu früh entdeckt zu werden.

Auf der Jagd: der Entenstrich

» Abends oder morgens wartet der Jäger auf dem Strich auf an- oder abstreichende Enten. Dann stolpert er, vor allem im Spätsommer im Weizenfeld, fast über die Tiere. Schon tagelang ist ein nicht abschwellender Zug zu beobachten. Der Jagdaufseher ruft an: „Wir müssen noch einen Tag warten, dann geht es los. Auf dem niedergedrückten Stück Getreide liegt Futter satt. Also hoffen wir, dass der Wind günstig steht und am besten auch auf ein bisschen Regen, dann kommen sie früh. Lockvögel und den Hund mitbringen.“

Es geht los. Wir lassen die Plastikvögel zu Wasser. Wir sitzen uns paarweise am Grabenufer gegenüber, im Schilf versteckt. Weiter oben auf dem Stoppelfeld hockt ein weiterer Schütze in seinem selbst gegrabenen Loch, in das man sich bequem hineinsetzen kann und das durch ein Dickicht aus Zweigen getarnt ist. Das ist immer einiges an Arbeit, aber es lohnt sich. Um uns herum ist es still, nichts rührt sich. „Gestern kamen sie noch zu Hunderten.“ „Ja, aber gestern war gestern.“ „Geh doch eben beim Imbiss im Dorf zwei Bier holen.“ „Geh doch selbst. Sobald ich weg bin, kommen sie.“ Wir frotzeln ein wenig herum und geben dumme Kommentare ab, um unsere Ungeduld und Langeweile zu vertreiben. Dann kommen die Ersten wie aus dem Nichts. „Hey, hast du sie nicht gesehen?“ „Warum schießt du nicht?“ „Du sollst die rechte Seite im Auge behalten, ich die linke.“ „Da kommt schon die zweite Fuhre! Runter!“ „Lass sie rankommen, lass sie rankommen, sie werden sicher erst noch dreimal kreisen!“

 Die Enten kreisen über uns, immer tiefer, bis sie das Ufer für sicher erachten. Wir hören ihr Geschnatter und das Peitschen ihrer Flügel. Nicht hochschauen, sitzen bleiben, erst bis zehn zählen. Dann drehen sie und kommen im Zickzack herunter, um bei den Lockvögeln zu landen. „Jetzt!“

 Ein paar Schüsse saßen, der Rest ging vorbei. Das gegenseitige Anschnauzen kann beginnen. „Hast du einen Knick im Lauf?“ „Du triffst ja nicht mal eine Kuh.“ „Nein, du bist hier die Lachnummer mit deinem wertlosen Schießeisen da.“ „Ruhe, da kommen wieder welche.“ „Ich kann sie schon nicht mehr erkennen.“Es wird immer dunkler, wir haben nur noch wenige Minuten Licht. Da hören wir einen Ruf von gegenüber: „Wir hören auf. Schluss für heute!“ Die Lockvögel ziehen wir an dem langen Tau heraus. Inzwischen sind die Enten überall. Nicht nur zehn, sondern Hunderte. Sie landen einfach um uns herum, als wüssten sie, dass die Jäger jetzt sowieso nicht mehr schießen dürfen. Der Entenstrich ist ein besonderes Naturereignis, das man sonst nur von den Sendungen des National Geographic kennt, die man gemütlich vom Sofa aus verfolgen kann. Dieses Naturschauspiel in Wirklichkeit erlebt zu haben ist eine Erfahrung, die ich nicht mehr missen möchte. «

Auf der Jagd: Die Treibjagd auf Enten

» Letzte Anweisungen des Jagdleiters: „Wir werden Enten treiben. Dazu stellen wir das Auto beim Bauern ab und laufen über den Feldweg weiter. Danach geht es hundert Meter querfeldein und dann mit drei Metern Abstand zueinander in einer Reihe bis in die Mitte der Parzelle. Wartet aufeinander, bis jeder an seinem Platz steht, dann lauft ihr auf mein Zeichen los. Passt auf, dass ihr nicht gesehen werdet. Seid vorsichtig und sorgt dafür, dass ihr vor allem nicht zu früh schießt, dann kommt ein anderer nicht zum Zug. Wir müssen über schweren Boden laufen. Wenn einer zurückfällt, müsst ihr warten. Hinter den Treibern laufen zwei Männer mit den Hunden, die die Strecke einsammeln. Vor allem müssen alle den Mund halten und jederzeit auf michhören. Schießt große Enten, keine Pfeifenten.“

 Unmissverständliche Anweisungen. Fieberhaft sucht jeder seine Ausrüstung zusammen: Gewehr, Patronenpäckchen, Stiefel und noh schnell ein paar lose Patronen in die Tasche. Zwei in den Gewehrlauf und zwei zwischen die Finger für eine mögliche zweite Chance. „Komm, es geht los. Gleich sind sie weg.“

Wie immer gibt es wieder jemanden, der etwas verloren oder dem Jagdleiter nicht richtig zugehört hat. Der hat dann auch nicht mitbekommen, wo besagter Feldweg ist, über den man aufs Land hinaus gelangt.

Das ist keineswegs ein Einzelfall. So trug sich einst bei einer illustren Jagdpartie folgendes zu: Alle Teilnehmer standen wartend in einer Reihe, aber es fehlte noch ein Mitglied der Gesellschaft. Der Doktor gehörte – aufgrund seiner Statur und der kurzen Beine – nicht gerade zu den Schnellsten. Ein letztes Mal schaute sich der Jagdleiter noch um und blickte über das Feld. In der Ferne sah er ein Männlein mit einem Gewehr stolpernd und schnaufend über den schweren Lehm heranstürzen. „Dem erteilen wir eine Lektion! Schnell!“, zischte der Jagdleiter und dirigierte die Gesellschaft mit einer wütenden Geste nach vorn. Vornübergebeugt gingen sie im Laufschritt los. Noch zwanzig Meter. Plötzlich ertönte ein Schuss und ein ganzer Schwarm Enten flog auf. Keine Chance auf einen Treffer. Welcher Idiot schießt denn da zu früh? Wir laufen hier doch nicht zum Spaß!“, schrie einer. „Was für eine sinnlose Jagd!“, brüllte ein anderer, der wohlgemerkt auch noch Gastjäger war. „Ja, schade aber was will man machen!“, rief das Männlein aus der Ferne. „Gleiches Recht für alle. Ihr hättet eben auf mich warten sollen.“

So kann es einem ergehen bei der Treibjagd, die nicht gerade zu den erhebendsten Jagdarten zählt. Geht man mit einer kleinen Jagdgesellschaft ohne Lärm gegen den Wind, ist sie aber eine effektive Methode, um „den Vogel abzuschießen.“

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 Allerdings besitzen Enten ein gutes Gehör, beim kleinsten Geräusch schwimmen sie weiter weg. Es kann auch passieren, dass ein Jäger ans Ufer kommt und keine einzige Ente sieht. Schaut er sich dann um, erblickt er fünfzig Meter weiter ein paar Tiere im Wasser. Sie haben ihn ganz sicher zuerst gesehen und Reißaus genommen. Was bleibt, ist, sich über einen Kilometer weit durch den schweren Lehm zurückzuarbeiten. Läuft ein Tag so ab – und das kommt häufiger vor, als viele meinen -, kann man sich das abendliche Training im Fitnessstudio getrost sparen. «

Gangbang

An der Stockente, wie gewöhnlich sie auch in ihrem äußeren Erscheinungsbild sein mag, lassen sich einige interessante Beobachtungen machen. Wer hat nicht schon beim „Entengruppensex“ zugesehen, bei dem bis zu sechs Erpel ein Weibchen begatten? Die Menschen sind dann ganz empört. Dabei geht es noch „schlimmer“: Der Niederländer Kees Moeliker ist durch seine Forschungen zur homosexuellen Nekrophilie bei Wildenten weltberühmt geworden. Das ist noch eine Stufe härter als Gruppensex: Ein Erpel hatte den Flug gegen eine Scheibe des Naturhistorischen Museums in Rotterdam nicht überlebt, woraufhin ein anderes Männchen fünfundsiebzig Minuten lang den toten Artgenossen bestieg. Moeliker hielt das alles fest und trägt seitdem den Spitznamen „Entenmann“.

Noch vor der Veröffentlichung seiner Beobachtungen wurde ihm bei einer feierlichen Zeromonie an der Harvarduniversität der Ig-Nobelpreis verliehen. Diese Auszeichnung für Improbable Research gibt es seit 1991. Dabei geht es um die Anerkennung von Forschungsergebnissen, die den Menschen erst zum Lachen und dann zum Nachdenken bringen. Das eigentliche Ziel der Organisation ist es, mehr Menschen für Wissenschaft zu interessieren. Jedes Jahr erinnert nun das Museum in Rotterdam an einem eigenen Gedenktag, dem Dead Duck Day (5. Juni), mit einer kurzen Zeremonie an den nekrophil-homosexuellen Entenvorfall – abgerundet von einem Sieben-Gänge-Entenmenü bei örtlichen Chinesen.

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Anmerkungen

Von KRAUTJUNKER gibt es eine Facebook-Gruppe sowie Becher aus Porzellan und Emaille. Kontaktmail für Anfragen siehe Impressum.

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Titel: Wild – Rezepte, Geschichten und Impressionen von der Jagd

Verlag: Hölker Verlag

Autor: Ronald Timmermans

Fotograf: Remko Kraaijeveld

Übersetzerin: Kordula Witjes

ISBN: 978-3-88117-979-9

Verlagslink: https://www.spiegelburg-shop.de/produkt/333979/wild-rezepte-geschichten-und-impressionen-von-der-jagd/

Fotografenlink: http://www.remkokraaijeveld.nl/blog/2016/06/

Ein weiterer Beitrag aus dem Buch: https://krautjunker.com/2016/09/25/waldschnepfe/

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