Kombüsengold – 32 Rezepte und Herdgeschichten von See

Buchvorstellung von Reiner Grundmann

Ich liebe Häfen. Beruflich bin ich viel herumgekommen. Immer wieder war ich abends dann noch in irgendeinem europäischen Hafen und hab mir die eleganten Segler, die schneeweißen Yachten und die ölverschmierten dicken Pötte angesehen, die gerade ihre Fracht löschten oder neue Ladung an Bord nahmen. Bezahlte Fracht – sogenannte Payload – lebende Fracht, Schrott, Altautos, LKWs ja, sogar Autobusse, die in West-Afrika wieder flott gemacht werden, riesen Container mit geheimem Inhalt, die aus der Ferne wie Legosteine auf dem Oberdeck des Schiffes angemutet haben mussten, oder schlicht nur Rohstoffe wie Öl oder Treibstoff. Und dann stand da oft jemand an der Reling oder an der Pier oder es öffnete sich plötzlich eine Öffnung im Rumpf der metallenen Arche, keine Treppe, keine Leiter, und da war ein scheinbar winziges Persönchen in Relation zum Dickschiff, das mit Argusaugen und spitzem Stift kontrollierte, was da alles in Paketen, Kartons, Fässern, Edelstahltrolleys und in Flaschen abgefüllt und auf drei, vier oder mehr Paletten verzurrt an einem Kran über die Aufbauten gehievt wurde und im Bauch des Schiffes an Draht-Seilen schwebend verschwand. Anfangs beachtete ich den meist kleinen, spindeldürren oder auch korpulenten Mann mit den blauschwarzen Haaren nie besonders.

Auf der Brücke konnte man dann auch den Offizier sehen, der an der Spitze des Dienstgrad- und Aufgabengefüges stand, der Kapitän, der Commandante, wie die Italiener sagten. Jeder hatte seine Aufgabe an Bord. Der Heizer oder Maschinist, der stets in Hitze und Lärm tief im Inneren des meist weit über 150 m langen Motorschiffes unter den Frachtdecks, den Mannschaftsräumen und noch viel tiefer unter der Brücke dafür sorgte, dass haushohe Schiffsdiesel die gewaltigen Schrauben drehten ohne ihren Dienst je zu versagen. Die Matrosen, die auf Oberdeck dafür sorgten, dass Ladung verzurrt und Frachtpapiere ordentlich geführt werden.

Meine Aufmerksamkeit gehörte vor allem jenem Mann mit dem weißen Hemd und der blauen Mütze und den goldfarbenen Tressen auf der Schulter, der kurz auf Brücke erschien, um den Fortgang der Arbeiten auf der Mole zu überprüfen. Der wichtigste Mann an Bord, so dachte ich immer. Mein Leben lang hatte ich geträumt, auch diese Uniform tragen zu dürfen und ganz oben in der Hierarchie zu stehen. Das Traumschiff mit Sascha Hehn gehörte zu meinen Lieblingssendungen, meist nicht einmal der Handlung wegen – die schneeweiße Uniform, der bewundernde Blick der Passagiere, das war es was faszinierte – neben dem möcht` ich einmal beim Dinner sitzen und seinen Geschichten von See lauschen.

Immer noch stand ich am Hafen in der untergehenden Sonne und horchte auf die spitzen Schreie der Möwen. Mein Blick schweifte jedoch immer wieder ab und fokussierte den ebenso weiß gekleideten flinken und agilen Mann, der seine Schätze am Kran mit den Augen verfolgte.

Lang bin ich nicht mehr hinaus gekommen, meine Reisen in die entlegendsten Winkel Europas liegen Jahre zurück.

Über KRAUTJUNKER fiel mir jetzt das Buch Kombüsengold in die Hände. Der Untertitel lautet „32 Rezepte und Herdgeschichten“ von See.

Ich wusste nicht, dass dieses Buch mich bekannt machen würde mit dem kleinen Mann, den ich aus den Häfen der Welt kannte, dem kleinen Mann, der in dem Buch ganz groß wird, weil er der Hauptdarsteller ist.

Es ist der Schiffskoch, wie es ihn in jedem Frachtschiff, jedem größeren Segelschiff, an Bord jedes Schnellboots oder Zerstörers und jedes U-Boots gibt. Den Schiffskoch oder Smutje, wie er seit jeher liebevoll genannt wird.

Der Fotograf Thomas Duffè ist jahrelang auf Schiffe gegangen, für sein Buch ausschließlich auf Frachtschiffe, und hat die Schiffsköche in ihrer Kombüse besucht. Die Rezepte aus dem Buch testete der Lüneburger Sternekoch Michael Röhm, der Autor Kai Schächtele reiste selbst mit dem Fotografen von Hamburg über die winterliche Ostsee nach Finnland, um am eigenen Leib zu erfahren, wie es ist auf einem Frachtschiff. Duffè hatte Schächtele voraus, das er selbst schon als junger Mann zur See fuhr. Im Vorwort heisst es: »Wenn Sie die Geschichten lesen und diese Rezepte nachkochen, dann denken Sie an die Männer, von denen sie stammen. Irgendwo weit draußen, irgendwo auf dem Meer. Michael Röhm hat die Rezepte nur hie und da etwas ergänzt, wo in den Aufzeichnungen der Köche etwas fehlte.«

Nun, ich hab sie gelesen, die Rezepte und die kurzen, manchmal ähnlichen aber immer spannenden kleinen Lebensläufe der Protagonisten, der Köche auf See. Zunächst einmal fällt jedoch auf, dass es nicht auch nur ein Foto mit Essen gibt. Dieses Kochbuch befasst sich nicht mit Werkzeug und Material – wenn dann nur als schmückendes Beiwerk. Im Zentrum der Betrachtung steht immer der Kopf dahinter – der Schiffskoch.

Stilvolle Fotos, Porträts, oft in schwarz weiß, die jedoch in Farbe genauso schlicht daherkommen wie in monochrom – Weiße Arbeitskleidung, metallisch schimmerndes Interieur in der Kombüse, allenfalls mal eine rote Frucht im Vordergrund oder ein blaukariertes Wischtuch, scheinbar achtlos in das Band geklemmt, das Schürze und Hose in ihrer Position halten. Ein Wischtuch. Eines der wichtigsten Ausrüstungsgegenstände jeden Koches. Auch landgebundene Löffel-Virtuosen werden es nie versäumen, ausreichend Küchentücher an ihrem mis en place – dem vorbereiteten Arbeitsplatz, zu horten. In jeden erdenklichen Winkel stopfen sie die Baumwollfetzen – hier noch einen Saucenspritzer vom Tellerrand entfernen, da eine Pfanne auswischen für den nächsten Gang – das Küchentuch ist so unentbehrlich wie der Koch selbst – so unscheinbar es daher kommen mag.

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Beginnt man nun, sich in die Rezepte einzulesen, so stellt man rasch fest, alle Schiffsköche verwenden eine Auswahl von bis zu zehn Haupt-Zutaten davon fünf fest, fünf in Variation, die jeder Dickpott in den Kühlräumen haben muss. Unverderbliches, Lieferanten von Vitaminen gegen Skorbut – Zitronen, Zwiebeln, Zwiebeln und immer wieder Zwiebeln. Und, wirklich die meisten der Köche kommen aus dem asiatischen Raum – man kann sogar sagen von den Phillipinen – Huhn, immer wieder Huhn, asiatische Gewürze und Fertigsaucen, und wieder Zwiebeln und Huhn und nicht zu vergessen: Zwiebeln.

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Die Gedanken und Wünsche jeden Koches an Bord eines Schiffes ähneln sich, egal welcher Nationalität sie sind. Ich sehe meine Familie monatelang nicht – aber meine Kinder können mit dem Geld, das ich auf hoher See verdiene, studieren. Sind es erfahrene Zauberer an Pött und Pannen (Töpfen und Pfannen) dann wissen sie: Der Captain mag im Rang und Gehalt himmelhoch über mir rangieren aber eines ist gewiss. Eine funktionierende – weil zufriedene Mannschaft gibt es nur mit mir. Der Captain, wenn er schlau ist, wird sich gut mir stellen. Er wird mir nicht ständig in meinen Einkaufslisten herumstreichen für die Proviantbestellung, wie manche Kapitäne es zu DDR Zeiten auf der einzigen DDR-Frachtlinie oft trotzdem getan haben.

Wenn über den Mann an den Töpfen gut gesprochen wird, wenn Sonntags der Kuchen und der Kaffee für jeden Matrosen und Offizier auf dem Tisch steht, wenn ab und an ein kleiner Sonderwunsch des Captain erfüllt wird – weil der Koch aus Österreich kommt und einen schönen Palatschinken für sich und den höchsten Offizier zubereiten kann, wenn die Männer in der Kantine lachen und scherzen und die Teller leer zurückkommen, wenn also das Essen in die Mägen und nicht über Bord wandert – was enorm Geld einsparen hilft, dann wird der Captain auch den Teufel tun und im nächsten Hafen den Smut auswechseln, er wird sich persönlich bei der Reederei dafür einsetzen, dass dieser für die Laune an Bord so wichtige Part an Bord weiter von einem bekleidet wird – von ihm, dem Schiffskoch. Alle Schiffsköche, die zum Chefkoch aufsteigen, haben ebenfalls eines gemeinsam: Sie haben jahrelang als Koch, Bäcker, Konditor, als Inhaber eines Grillpostens oder Saucenpostens oder als Gemüseputzer gearbeitet – an Land. Und sie haben bei ihrem ersten Job auf See Erfahrungen gesammelt mit Menschen, die mit Restaurantgästen ebenso gar nichts gemein haben. Misslingt das Essen einmal – ist der Ruf angeknackst. Misslingt es zweimal – ist er hinüber, und das Geringste, das man angedroht bekommt, ist mit Seilen längs unter dem Schiff durchgezogen zu werden, wenn das nicht besser wird. Manche träumten schon als Kind davon, zur See zu fahren. Viele haben die Bildung nicht, um es bis auf Brücke zu schaffen, manchen fehlt schlicht die körperliche Kraft für den kräftezehrenden Job eines Matrosen oder Maschinenmaats. Manche haben sich als Maschinenmaat qualifiziert – weil aber grad in der Kombüse Bedarf ist, machen sie eben das. Andere kommen zur Seeschifffahrt wie die Jungfrau zum Kind. Sie hören in einer Hafenkneipe davon, dass der Schiffskoch auf einem Pott ausgefallen ist und werden vom Tresen weg engagiert. Wieder andere machen es, weil in der Heimat einfach die wirtschaftliche Lage die Familie nicht ernährt.

Lustig ist die Schiffahrt nicht. Auch, wenn die Töpfe mit Spezialverschlüssen am Herd fixiert sind, wie auch alles lose Gut irgendwo verzurrt oder verstaut ist, wie auf dem Rest des Schiffes. Im Sturm auf hoher See gehört Akrobatik dazu, für 20 bis 30 Mann noch etwas auf den Teller zu zaubern, eine Hand für den Mann, der sich in schwerem Seegang auf dem auf- und abstampfenden, hin- und herrollenden Ungetüm irgendwo festhalten muss, der in derselben Hand, die ihn in Verbindung mit dem Schiff hält, einen Laib Brot umklammert und mit der anderen Hand Zutaten oder Gewürze in kochend heiße Brühe wirft, die, wenn alles gut läuft, sich nicht bei der nächsten Abschwungswellenbewegung über den Koch ergießt.

Ja und so kann ich dieses Buch nur an jene weiterempfehlen, die lesen möchten von dem Koch aus der DDR, der bei einem Landgang zur Treibstoffaufnahme in einem schwedischen Hafen vorgab, auf Fotoexkursion zu gehen und auf Nimmerwiedersehen verschwand, jedenfalls für die DDR.

Kombüsengold Fluchthafen Malmö

Lesen Sie von Männern aus den Phillipinen, von ihrem Stolz, respektiert und anerkannt zu sein, für das, was sie können, und zwar spartanisch gehaltene aber hervorragende Seafood-Rezepte zu verwirklichen, selbst dann noch, wenn die Kombüse keine geraden Wände mehr zu haben scheint.

Lesen Sie von dem phillipinischen Koch, der trotz massiver verbaler Angriffe muskelbepackter Matrosen jeden Tag das gleiche kocht. Sein Lieblingsgericht. Huhn. Ein Stoiker von Geburt an.

Lesen Sie von dem russischstämmigen Bulgaren Stanimir Ivanov Gospodinov, der stolz ist auf sein Rezept „Shrimps in süßsaurer Sauce“, das lediglich aus Shrimps, Ketchup, Zwiebeln, Knoblauch Salz und Pfeffer besteht. Die Shrimps werden zusammen mit den anderen Zutaten im Ketchup – einer ganzen Flasche für 4 Personen – karamellisiert. Fertig.

Kombüsengold Stanimir Ivanor GospodinovI

Bei solchen Anekdoten kann man nicht umhin, als sich gelegentlich eine kleine Träne des Vergnügens aus den Augenwinkeln zu wischen.

Ich war in Russland. Öfter. Ich habe die Russen erlebt. Es war mehr als nur eine Vergnügensträne.

Viel Spass beim Lesen und Kochen.

 

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Anmerkungen

Von KRAUTJUNKER gibt es nicht nur eine Facebook-Gruppe, sondern jetzt auch Outdoor-Becher aus Emaille. Kontaktmail für Anfragen siehe Impressum.

kombüsengold

Titel: Kombüsengold – 32 Rezepte und Herdgeschichten von See

Autor: Kai Schächtele

Verlag: Ankerherz Verlag GmbH

Fotograf: Thomas Duffé

Verlagslink: https://www.ankerherz.de/products/kombuesengold?variant=43650395347

ISBN: 978-3-940138-45-3

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