Wildes Land

Buchvorstellung

Bildbände, zumeist groß und nicht billig, haben es schwer gegenüber der unübersehbaren Fotoflut des Internets, die blinkend und piepsend unentwegt unsere Aufmerksamkeit einfordert.

Wenn dann doch ein Buch dieser Art im Feuilleton so einschlägt, wie Wildes Land, liegt es daran, dass es wirklich etwas Besonderes ist und mehr bietet, als technisch hervorragende Fotos auf gutem Papier. Zum einen zeigt Wildes Land Regionen dieser Welt, die aufgrund ihrer Unwirtlichkeit nur für die wirklich Harten Sehnsuchtsorte sind. Diese Orte erscheinen aufgrund ihrer Fremdheit wie Bilder von unverbrauchten Planeten. Zum anderen sind die Texte, zumeist die Schwachstelle von Bildbänden, von besonderer inhaltlicher und literarischer Qualität. Als Leser spürt man glaubhaft die Hingabe und Faszination, welche die preisgekrönten Fotografen für die Flora und Fauna der letzten Wildnisse dieser Erde hegen.

Der vom Prestel Verlag brillant und üppig gestaltete Bildband ist ein Prachtstück, in das sich Natur- und Fotografie-Liebhaber hineinfallen lassen können. Seht selbst:

SIEBEN KONTINENTE

von Peter Pickford

»Wir hatten eine Farm in Afrika. Wir haben sie verkauft. Wir haben sie verkauft, um eine Idee zu verwirklichen, die einfach zu aufregend war, um ignoriert zu werden.
Es war eine schöne Farm. Sie reichte von den Weinbergen bis zu den Gipfeln des Kapgebirges. Ein Fluss säumte das gesamte Gelände, stürzte in zwei riesigen Wasserfällen talwärts und sammelte sich in länglichen, kalten Becken, die von mit Flechten überwucherten Felsen begrenzt wurden. Kaum zu zu erkennende Klippspringer flitzten über das Gestein wie kleine Bergziegen, während draußen im Flachland scheue Rehantilopen mit weißflaumigen Wedeln verharrten wie Statuen und schauten, wie wir vorbeigingen. Da waren die Leoparden und Karakale deutlich scheuer, deren Spuren im Sand häufig der einzige Beweis für ihre Existenz waren.
Die Farm ist verkauft, aber nicht verschwunden. Es gibt sie immer noch und sie lebt in unseren Herzen weiter – als unverzichtbarer Zufluchtsort, wenn wir Ruhe und Frieden suchen.

[Textkürzung]

Eine Entscheidung, die weder leichtfertig noch übereilt fiel; sie drang eher zu uns durch wie ein vager, wiederkehrender Traum. Nachdem wir bereits neun Bücher veröffentlicht hatten, überlegten Beverly und ich, was unser nächstes Thema sein sollte. Es gab noch so einiges, was wir von der enormen Vielfalt unserer Welt sehen wollten: Eisbären, Pumas, Jaguare, Schneeleoparden, Tiger, die Pinguinkolonien, Eisberge, die Aldabra-Gruppe, die French Frigate Shoals, aber das waren alles nur Träume, ganz nach dem Motto: Irgendwann einmal … Bis schließlich eine Frage in uns aufstieg und blieb, sich immer nachdrücklicher in unser Bewusstsein schob: „Warum nicht jetzt?“
Nichts kommt von ungefähr, und das war die Geburtsstunde dieses Buchs. Wir saßen vor dem offenen Kamin auf dem Boden, den Rücken an den Couchtisch gelehnt und ein Buch über die Antarktis auf dem Schoß. Wir machten kein Licht an, ließen zu, dass die Bilder verblassten und von den flackernden Flammen zu neuem Leben erweckt wurden.

[Textkürzung]

An diesem Abend war unsere Idee kaum mehr als ein Samenkorn, dass vom ersten Regen benetzt worden ist. Erst Monate später sollte uns klar werden, welch hoher Preis mit ihrer Umsetzung verbunden war. Unsere Idee wuchs und gedieh, aber es kam uns banal vor, nur mehrere skurrile Wünsche aneinanderzureihen. Das allein war einfach nicht genug. Die nur schwer zu erlangenden Privilegien im Leben – Sinn- und Zweckhaftigkeit, die für Erkenntnis und Erfüllung sorgen, wenn sie vorhanden sind – hatten dazu geführt, dass wir uns fast schuldig fühlten wegen der Fülle von Erfahrungen, die uns vergönnt gewesen waren. Wir wollten unbedingt etwas zurückgeben. Unsere Träume waren über die ganze Welt verstreut: Wie konnten wir sie zu einer lohnenswerten Anstrengung bündeln?
Während wir über die verschiedenen Möglichkeiten nachdachten und unserer Fantasie freien Lauf ließen, kristallisierte sich eine Gemeinsamkeit heraus. Zunächst war es kaum mehr als ein undefinierbares Gefühl. Wir lasen und lasen, diskutierten alles Mögliche und wurden dabei so aufgeregt wie kleine Kinder, die ein Spielwarengeschäft betreten … Ja, genau das war es! Auf einmal begriffen wir, dass es weniger die Spielsachen waren, die uns entzückten, als der Laden selbst. Und dieser Laden war die Erde, die unberührte Natur.
Die Skeptiker unter unseren Freunden spotteten höhnisch: „Der Mensch ist überall!“, sagten sie. „So etwas wie unberührte Natur oder Wildnis gibt es gar nicht mehr. Eure Idee ist von Anfang an zum Scheitern verurteilt.“ Ihre Bemerkungen machten uns nachdenklich.«
Als Naturfotografen haben wir mehr Zeit in der Wildnis verbracht als die meisten, die wir kennen. Kein Wunder also, dass unsere Vertrautheit damit auch zu Liebe zu ihr und Sorge um sie geführt hat. Von Anfang an hat die Wildnis den dringenden Wunsch und die Überzeugung in uns hervorgerufen, sie bewahren zu müssen.

[Textkürzung]

Jede Nation dieser Erde ist kulturell an ihre jeweilige Landschaft gebunden. Sie zu schützen, bedeutet daher auch, die eigene Geschichte zu bewahren, einen Ort zu haben, wo man sie anfassen, in Kontakt mit den eigenen Wurzeln und der eigenen Identität kommen kann – und zwar unabhängig von der politischen Überzeugung und Hautfarbe. Trotz all unserer Unterschiede ist diese Landschaft ein uns alle verbindender Tempel. Die sie bewohnenden Geschöpfe sind die Totems am Eingang des Tempels, und ihre Laute die Lieder, die wir an unserem Altar darbringen. Erinnert Sie der Gesang einer Nachtigall an zu Hause? Oder das Brüllen eines Löwen? Weckt der Anblick eines Weißkopf-Seeadlers heimatliche Gefühle oder vielleicht eher das Kreischen eines Papageis, das Bellen eines Dingos oder der Blas eines Wals, den man von der Küste aus hören kann? Landschaft und Natur sind unser Anker – sie zu bewahren, heißt anzuerkennen dass wir nicht allein auf der Welt sind und die Gegenwart nicht der einzige Moment in unserer Geschichte ist, der zählt.
Naturschutz ist das größte Geschenk überhaupt, eine selbstlose Geste gegenüber allen unseren Nachkommen. Natur und Landschaft sind zeitlos und damit von unschätzbarem Wert.«

Abb.: Peter und Beverly Pickford irgendwo im Nirgendwo, © Steve Springer

Dieser Text ist eine stark gekürzte Version des Vorworts des Bildbandes Wildes Land von Peter und Beverly Pickford. Die beiden südafrikanischen Naturfotografen, welche sich 1979 in einer Safari-Lodge verliebten, verkauften ihre Farm um vier Jahre lang alle sieben Kontinente zu bereisen. Hierbei fotografierten sie die letzten Landschaften der Welt, die so wild sind, dass ihr Anblick Angst, Ehrfurcht und Demut hervorruft.

In einzelnen Kapiteln stellt der Bildband das wilde Land der sieben Kontinente in atemberaubenden Fotos vor. Jedem Kapitel ist ein einleitender Text in Gestalt eines „Inlays“ aus dünnerem weißem Papier vorangestellt. Der Fotograf Peter Pickford fasst hier die Abenteuerreise mit seiner Frau aus persönlicher Sicht zusammen, erzählt von ihren ursprünglichen Ansichten, zu welchen Begegnungen es kam und was das Besondere an der jeweiligen Wildnis ist.

Die Reise sowie die dabei entstandenen Fotos verfolgten vor allem ein Ziel: Ein Buch, das nicht nur durch seine Unverwechselbarkeit Aufmerksamkeit erregen und den Leser fesseln sollte. »Aber auch eines, dessen zugrunde liegender Naturschutzgedanke so weit zu hören sein würde wie der Klang einer einsamen Kirchenglocke an einem klaren Frühlingsmorgen.«

*

ANTARKTIKA UND DIE SUBANTARKTISCHEN INSELN

»Ich will nicht einmal ansatzweise so tun, als würde ich Antarktika und die dazugehörigen Inseln wirklich kennen – wie auch? Ich habe nur einen kurzen Blick auf die Küsten eines Kontinents geworfen, der im Sommer, der im Sommer anderthalb mal so groß ist wie die Vereinigten Staaten und im Winter, wenn das Meer vor der Küste zufriert, doppelt so groß. Schon allein darüber, dass sich in der kalten Finsternis genügend Eis bildet, um die gesamten Vereinigten Staaten samt Kanada darunter verschwinden zu lassen, kann ich nur ungläubig den Kopf schütteln – ich bin unfähig, solche Dimensionen zu erfassen. An manchen Stellen ist das Eis von Antarktika 4,8 Kilometer dick, trotzdem ist einer der trockensten Orte der Erde, eine regelrechte Wüste. Es ist auch der kälteste Ort der Erde – im Juli 1983 wurde eine Temperatur von minus 89,6 Grad Celsius gemessen – und mit Stürmen von 320 Stundenkilometern (gemessen im Jahr 1972) der windigste. Dennoch blüht an diesem abgelegenen Ort das Leben.

[Textkürzung]

Abb.: Dunkelalbatros und Tafeleisberg, Drakestraße zwischen Kap Hoorn, Südamerika, und den Südlichen Shetlandinseln, Antarktika
Abb.: Salisbury Plain, Südgeorgien, Südatlantik, Antarktika. Beverly lockt eine Gruppe neugieriger Königspinguine an, während sie auf der Erde sitzt und aus der Forschperspektive fotografiert. Wenn es keine Raubtiere gibt, sind die Pinguine angstfrei und mutig.
Abb.: Königspinguinkolonie, Salisbury Plain, Südgeorgien, Südatlantik, Antarktika

„Wie war Antarktika?“ fragte mich ein Freund, nachdem wir nach Südafrika zurückgekehrt waren. Doch ich wusste dass er nicht die ganze Geschichte hören wollte. Bei früheren Schilderungen unserer Abenteuer hatte ich bereits gemerkt, dass meine Erzählungen ungerechtfertigterweise Schuldgefühle bei ihm weckten, er könnte sein Leben nicht wirklich gelebt haben. Ich nippte an dem Wein, den wir aufgemacht hatten, und dachte nach.
„Es war, als wäre ich Zeuge der Schöpfung geworden“ sagte ich.«

*

ASIEN: DAS HOCHLAND VON TIBET

»Aber ich habe noch ein anderes Tibet entdeckt als das augenfällige, und zwar als ich das hohe Wildplateau allein betrat. Etwas wird freigesetzt, wenn man allein in der Natur ist – erst recht, wenn ihre Dimensionen und Proportionen Staunen und Ehrfurcht auslösen -, man sieht dann gewissermaßen mit der Seele. Als Reaktion unseres instinktivsten Ichs – darauf, dass wir hier sind, dass wir am Leben sind. Ich bin – nicht weil ich denke, sondern weil wir uns, wenn alles andere wegfällt, endlich wahrnehmen. Und in solchen Gefühlsmomenten ist es einfach unmöglich, unsere Verbundenheit mit der uns umgebenden Natur zu übersehen. Ich empfinde dann Ehrfurcht und Demut. Eine Demut, die das volle Potenzial meiner Seele freisetzt. ich fühle mich so stark, wie man sich als Mensch nur fühlen kann, und bin trotzdem bereit, angesichts von etwas, das heiliger ist als jedes Selbst, auf die Knie zu fallen. …«

Abb.: Autonomes Gebiet Tibet, China. Peter an einem Nebenfluss des Yarlung im südlichen Hochland von Tibet. Unsere Erkundung des Hochlands fand überwiegend in über 4000 Metern Höhe statt, sodass es auch an Sonnentagen bitterkalt war.
Abb.: Oberlauf des Yarlung Tsangp, Hochland von Tibet, Autonomes Gebiet Tibet, China
Abb.: Das Himalaya unweit des Sees Manasarovar, Hochland von Tibet, Autonomes Gebiet Tibet, China

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AFRIKA: DIE SKELETTKÜSTE UND DIE WÜSTEN NAMIBIAS

»Versengtes Gestein. Gnadenlose Gluthitze unter einer Sonne, die den Fels in einem fortwährenden Zerfallsprozess sprengt: Inselberge, die zu Felsblöcken, zu Gesteinsbrocken, dann zu Steinen, zu Sand und Staub zerfallen. „Was fesselt mich nur so an diesem Land?,“ fragte ich mich am Rand eines riesigen Amphitheaters, während ich in die Senke und die blaue Ferne dahinter starrte.
Ich bin ein Wassermensch – ich surfe, schwimme, angle. Mein Vater hat mir seine Liebe zu Booten vermacht. Gleichzeitig gibt es nur wenige Länder, die so trocken sind wie dieses hier. In vier Jahren ist hier kein einziger Tropfen Regen gefallen. Nichts gedeiht. Die Erde ist nackt. Die Berge stehen zusammen wie kahlköpfige Trauernde bei einer Totenwache, ihre Hänge in ein wildes Durcheinander aus schwarze Felsbrocken gehüllt. Die Täler sind tückisch, Steppe voller Geröll, in dem man sich die Füße verstaucht . in der Farbe ausgeschwemmten Eisenoxids. In den Flussbetten nichts als trockener Sand. Flimmernde Hitze, wohin man schaut.«

Abb.: Vom Wind geformte Dünenkämme, Namib-Naukluft-Park, Namib-Wüste, Namibia
Abb.: Oryxantilope im Sandsturm mit abgestorbenen Bäumen, Sossusvlei, Namib-Naukluft-Park, Namib-Wüste, Namibia

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EUROPA: DIE ARKTIS

Abb.: Bellsund in Spitzbergen auf Svalbard Norwegen. Beverly betrachtet einen Strand mit ausgeblichenen Beluga-Knochen in der europäischen Arktis. Anfang des 20. Jahrhunderts wurden die Wale hier zu Tausenden abgeschlachtet. Bis heute kommen Belugas um Spitzbergen nur äußerst selten vor.
Abb.: Dreizehenmöwen, Monacobreen, Spitzbergen, Norwegen
Abb.: Walrosse auf Eisscholle, Andøyane-Archipel, Woodfjord, Spitzbergen, Norwegen

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NORDAMERIKA: ALASKA UND YUKON

»… Grenzland am Rande unserer Wahrnehmung: weit weg, abgelegen und lebensfeindlich.
Eine Region, die diejenigen anzieht, die gern mit sich allein sind. Die von der unberührten Natur angelockt werden und bereit sind, sich bei ihrem Kampf ums Überleben auf die eigenen Fähigkeiten zu verlassen. Eine Region für diejenigen, deren Kreuz auf der Schatzkarte des Lebens bedeutet, dass sie ein Teil dieses Landes sind, statt sich dort einfach nur aufzuhalten. Sie gehört denjenigen, die bereit sind, sich dem Rythmus der Natur zu unterwerfen und in Hingabe eine Welt zu entdecken, die ihnen entspricht. Eine Region, die für Berverly und mich einen ungeheuren Reiz hat. …«

Abb.: Endicott Mountains, Gates-of-Arctic-Nationalpark, Alaska, Vereinigte Staaten. Auf unserer Wanderung begegneten wir diesem Moschusochsen – Peter verbrachte Stunden damit, das Tier an seine Anwesenheit zu gewöhnen. Schließlich konnte er es ganz aus der Nähe fotografieren, als der Moschusochse neugierig angelaufen kam.

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AUSTRALIEN: KIMBERLEY UND DIE BENACHBARTEN WÜSTEN

Abb.: Mündung des Durack River, Kimberley, Australien. Im letzten Abendlicht und mit dem Cockburn Range im Hintergrund bricht Beverly auf, um in der Dämmerung Brolgakraniche und Flughunde zu fotografieren.
Abb.: Felskängurus auf verwitterten Klippen, Kimberley, Australien
Abb.: Mündung des Hunter River, Kimberley, Australien

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SÜDAMERIKA: PATAGONIEN, DAS ANDENHOCHLAND UND DER CHILOÉ-ARCHIPEL

Abb.: Erodierte Felssäulen und Andenkondore, Anden, Patagonien, Argentinien
Abb.: Vulkan Osorno, Parque Nacional Vicente Pérez Rosales, Patagonien, Chile

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Anmerkungen

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Titel: Wildes Land

Fotografen: Peter & Beverly Pickford

Autor: Peter Pickford

Verlag: Prestel Verlag

Verlagslink: https://www.randomhouse.de/Buch/Wildes-Land/Peter-und-Beverly-Pickford/Prestel/e536237.rhd

ISBN: 978-3791384207


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