von Werner Berens
„Eine Wildschweinmutter wurde vor den Augen ihrer Kinder abgeschossen“, titelte eine Zeitung anlässlich einer Gatterjagd:
Nun war ich zutiefst verunsichert, aus der Familienperspektive der Wildes hatte ich die Jagd bislang nicht betrachtet. Welch ein Versäumnis, denn schlagartig wurde mir klar, dass auch ich als „normaler“ Nichtgatterjäger auf Wildschweinmütter, Väter und sogar Kinder schieße, dass meine Schüsse Waisen zurücklassen, die in der Trauer um ihre toten Eltern womöglich von posttraumatischen Störungen heimgesucht werden.
Habe ich als empathiefähiges Wesen wirklich die Folgen ausreichend bedacht, als ich im Frühjahr den Spießer schoss, den ich oft zusammen mit dem Schmalreh aus dem Bestand austreten sah? Habe ich womöglich eine Schwester ihres Bruders beraubt oder gar einer Braut im Wartestand den Liebsten gemeuchelt, einer Mutter den Sohn genommen? Darf man unschuldige Frischlinge und Jungfüchse schießen, die nicht einmal strafmündig sind? Und wenn ich erst an meine jahrzehntelange Fliegenfischerei denke- furchtbar. Die Zahl der Forellenmütter und Äschenkinder, die ich ihren Familien entrissen habe, die ich ohne Rücksicht auf die Gefühle ihrer Geschwister, Onkel, Tanten und Cousins dem Wasser entnommen habe, um sie in ein banales Lebensmittel zu verwandeln, geht in die Tausende.
Der Mensch ist das Problem erläutern regelmäßig eine Reihe von Zeitgenossen, die als Tierschützer und Tierrechtler sozusagen Experten für Tiere sind, weshalb sie sie mit Menschenrechten versehen möchten. Würde der Mensch KEINE Landwirtschaft betreiben UND kein Fleisch essen, gäbe es die Wildtierüberpopulationen nicht, und der Mensch müsste keine unschuldigen Tiere erschießen. Das stimmt und Recht haben sie: Tiere sind weder im juristischen noch im moralischen Sinne schuldfähig. Unschuldiges Leben darf man nicht töten, das ist unmoralisch, weshalb jeder Jäger und Fischer eben unmoralisch handelt. Und überhaupt: „Der Mensch ist an allem schuld“ mit seiner Landwirtschaft usw. usw.. Zu dieser bahnbrechenden Erkenntnis kommen Tierschützer und Jagdgegner in jeder Diskussion.
Die einzig konsequente Lösung des Problems wäre die Entfernung des Menschen vom Planeten. Leider sind bislang die Tierfreunde und –rechtler nicht dazu bereit, ihrer Erkenntnis Taten folgen zu lassen oder zumindest mit gutem Beispiel voranzugehen und das Problem Mensch durch ihre Selbstentleibung zu reduzieren. Stattdessen ducken sie sich weg und behaupten, dass alles gut wird, wenn wir nur die Landwirtschaft komplett einstellen oder sie auf die kleinräumige Bewirtschaftung mit Ochse und Pflug umstellen. Natürlich müssen wir Tiermastbetriebe schließen, kein Fleisch mehr essen und die Natur sich selbst überlassen.
Gut, der Lebensstandard wird ein wenig sinken und es gibt leider nur noch wenige Leute, die in der Herstellung von Feuersteinbeilen erfahren sind. Aber da muss man durch. Dann müssen wir keine Wildschweinmammas vor den Augen ihrer Kinder erschießen- was ein guter Jäger sowieso nicht tun würde, weil er zuerst und womöglich ausschließlich die unschuldigen Kinder erschießt.
Kann man noch jagen und fischen, wenn man- wie ich- nun fortwährend im Hasen den Onkel, in der Ente die Tante, im Kanadaganter den Schwippschwager, im Rehbock den Halbbruder und in der Bachforelle die Cousine sieht? Nein, das geht nicht.
Ich war schon auf dem Weg zur Jagd- und Fischereibehörde, um meinen Fischereischein und meinen Jagdschein abzugeben, als mir in der langen Rotphase an der Ampel vor der Kreisverwaltung blitzartig aus dem Nichts ein Gedanke durch den Kopf schoss: Nehmen Wildschweinmütter beim Umbrechen des Sportplatzes in unserem Dorf eigentlich Rücksicht darauf, dass die Würmer und Engerlinge, die sie verschlingen, Mütter, Väter, Kinder, Onkel und Tanten haben? Fressen sie die Mäusebrut womöglich vor den Augen ihrer Mutter, die Mutter vor den Augen ihrer Kinder? Leistet der Fuchs der Ricke Abbitte, wenn er ihr gepunktetes Kind davongetragen hat und sie suchend an der Ablegestelle windet? Nimmt der Hase Rücksicht auf die umstehenden Möhren, die nicht einmal fliehen oder sich die Augen zuhalten können, während er genüsslich eine der ihren raspelt? Und welche Schuld laden Großforellen auf sich, wenn sie die eigenen Kinder fressen, die sie im vorigen Jahr noch als Ei in ihrem Leib getragen haben?
Um es kurz zu machen: Ich sitze wieder auf der Kanzel, um den Fuchskindern ihren mit allen Fuchswassern gewaschenen Vater wegzuschießen und beim Flintenschuss behindert keine Reflexion der möglichen Verwandtschaftsverhältnisse den schnellen Anschlag. Die „Götter“ haben mich und meinesgleichen an die Spitze einer Nahrungspyramide gesetzt, innerhalb derer – außer den Steinen- ALLES davon lebt, dass es etwas anders aufisst, was wiederum etwas anders aufisst … Verwandtschaftsverhältnisse sind da nicht hilfreich, denn 50% meines Genmaterials habe ich allein mit der Banane gemeinsam, von der Möhre will ich das gar nicht wissen und nehme mir das Recht, den Hasen, der auch mit mir verwandt ist, zu schießen, weil er meiner entfernten Halbtante, der Möhre, rücksichtslos das Leben nimmt.
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KRAUTJUNKER-Autor Werner Berens

Werner Berens ist Fliegenfischer, Jäger, Autor und Genussmensch, der den erwähnten Tätigkeiten soweit als möglich die lustvollen Momente abzugewinnen versucht, ohne aufgrund kulinarisch attraktiver Beute übermäßig in die falsche Richtung zu wachsen. Als Leser und Schreiber ist er ein Freund fein ziselierter Wortarbeit mit Identifikationssmöglichkeit und Feind von Ingenieurstexten, die sich lesen wie Beipackzettel für Kopfschmerztabletten. Altermäßig reitet er dem Sonnenuntergang am Horizont entgegen und schreibt nur noch gelegentlich Beiträge für das Magazin FliegenFischen.
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Anmerkungen
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Foto: Andreas Kerner auf Pixabay
Gut und wahr gesprochen. Konrad Lorenz bezeichnete das Gleichstellen von Tier und Mensch in moralischer und emotionaler Hinsicht treffend als „ soziale Sodomie“. Es ist eine schwere Störung des Sozialverhaltens bei der das Tier als Projektionsfläche für Gefühle missbraucht wird, die für die Mitmenschen bestimmt sind,. Es ist diese Vermenschlichung der Tiere also weniger Zeichen von viel Empathie für die Tiere, als für eine pathologische Antipathie gegen den Menschen. Menschen mit Empathie zu Tieren schätzen sie in ihrer Andersartigkeit als das was sie sind: Tiere und nicht Artgenossen. Als Jäger fügt man sich in das Netzwerk von Jägern und Beutetieren ein und ist in diesem Tun selbst Natur. Jede rechte Jäger oder Viehbauer liebt und schätzt die Tiere obwohl oder vielmehr weil sie seine Ernährung darstellen
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