von Florian Asche
Sagen Sie mal, Sie kommen mir so bekannt vor, wo habe ich Sie schon einmal getroffen?“ fragt der Oberförster den Treiber. Der zeigt auf sein Hinterteil: „Hier, Herr Oberförster.“
In meiner Kindheit waren solche Witze genauso beliebt, wie die Geschichte vom Jäger, der die Treiberwitwe heiraten muss, nachdem er ihren Mann erschossen hat. Heutzutage erntet man mit solchen Kalauern noch nicht einmal mehr ein müdes Lächeln. Liegt das nur am veränderten Humor?
Tatsächlich hat sich in den zurückliegenden 100 Jahren nicht nur das Bild der Jagd völlig gewandelt, sondern auch ihre rechtliche Einordnung. Zu Beginn des 20.ten Jahrhunderts war das Empfinden für Menschen mit Waffen noch vollständig anders als heutzutage. Waffen waren allgemein als Teil der Gesellschaft anerkannt. Jeder junge Mann diente seine drei Jahre beim Militär ab, wenn er nicht als Bildungsbürger „Einjähriger“ und Reserveoffizier wurde. Nach dem ersten Weltkrieg hatten Millionen Deutsche Granatwerfer und Kugeln pfeifen gehört und dementsprechend ein ganz anderes Gefahrenbewusstsein im Umgang mit der Jagd. Dementsprechend lässig wurden auch manche Übertretungen gesehen, die heute für einen Beitrag in der Tagespresse sorgen würden. So beschreibt der schlesische Gutsbesitzer-Sprössling Gerhard von Jordan eine Treibjagd seiner Kindheit in den zwanziger Jahren: „Otto Pf. schoss mit seiner Schwarzpulverflinte riesige Rauchwolken in die Landschaft. Als der Dunst sich verzogen hatte lag ein Hase und der Sucker Herrmann hatte fünf Schrote Nummer 1 im Bein. Er war überglücklich, denn er bekam hundert gute Reichsmark als Schmerzens- und Schweigegeld und verkündete, dafür würde er sich noch einmal ins Bein schießen lassen.“
Ganz offensichtlich war die Armut der Menschen auch Teil ihres Umgangs mit der Jagd. So gab es am Rande der großen Ballungszentren Kesseljagden auf Hasen, bei denen hinter Schützen und Treibern ein dritter Ring von Arbeitslosen lief. Durchbrach ein Hase die ersten beiden Kessel stürzten sich diese „Verbinder“ auf ihn und weg war er. Kein Wunder, dass nach dem Motto vom Fressen und der Moral in einer solchen Armut auch der Schuss locker saß.
Blicken wir in dieser Gesellschaft zurück auf eine kaltherzige, wölfische Welt, in der die körperliche Unversehrtheit des einzelnen so leicht wog? Tatsache ist, dass in den zwanziger Jahren des 20. Jahrhunderts ein Menschenleben weit weniger wert war, als in unserem sicherheitsorientierten Wohlfahrtsstaat des 21. Jahrhunderts. Blickt man beispielsweise auf die Kriminalstatistik der Jahre 1919 und 1920, so sind allein für diese 24 Monate über 60 ermordete Förster, Berufsjäger und Jagdschutzbeamte für Deutschland registriert.
Der Wildereiexperte Otto Busdorf berichtet beispielsweise von zwei Holzdieben, die im tiefen Ostpreußen der zwanziger Jahre einen Stadtförster mit einem Axthieb betäubten, um ihn dann aufzuhängen. Ein Leben für ein paar Holzrollen. In dieser Zeit in der man bereit war, für einen Holzklotz oder einen Rehbraten auch einen Menschen zu töten, war die Beziehung zur Schusswaffe und den damit verbundenen Gefahren vollständig anders als heutzutage. Das galt nicht nur für den kriminellen Angreifer, sondern auch für sein Opfer. Seitens der Förster galt es, dass der erste Schuss möglichst treffen musste, wenn man sich im Wilderereinsatz befand. So beschreibt der legendäre Forstmeister auf dem Darß, Mueller, einen Förster im schlesischen Grenzforstamt Kreuzburgerhütte, der einen Wilderer erschoss und sehr praktisch gleich im Wald bestattete. Er betete über dem Grab ein Vaterunser und ging davon. Am nächsten Tag lag der Tote auf der Schwelle des Forsthauses. Offenbar hatte ein Kumpan das Begräbnis beobachtet und wollte dem Beamten zeigen, dass der Wald mehr Augen als Bäume hat. Ein derart kriegsgebildete Generation machte einfach weniger Aufhebens um die beiden Seiten von Tod und Leben.

Diese soziokulturelle Beziehung zu Schusswaffen zog sich bis in die Rechtsprechung hinein, zum Beispiel wenn es um Notwehr ging. So entschied das Reichsgericht im berühmt gewordenen Kirschendiebfall, dass Notwehr grundsätzlich keinerlei Abwägung zwischen dem beeinträchtigten Recht des Täters und dem gefährdeten Recht des Opfers vornehmen muss. Ein Förster, der mit einem Knüppel angegriffen wurde, konnte deshalb durchaus zum Drilling greifen, um den Angriff mit einem Schuss abzuwehren. Lediglich bei einem besonders krassen Missverhältnis zwischen Tat und Verteidigung sollte eine Notwehrhandlung ausgeschlossen sein. Konkret handelte es sich um einen gehbehinderten Gartenbesitzer, der zwei jugendliche Kirschendiebe aus seinem Baum geschossen hatte. Das war sogar für die Richter in Leipzig zu viel gewesen. Allerdings wiesen die Richter darauf hin, dass im ganz konkreten Fall ein paar Kirschen den Einsatz der Schusswaffe zwar nicht gerechtfertigt hätten, das könne aber ganz anders aussehen, z. B. bei einer Versorgungsnotlage.
Heute erwarten Staatsanwaltschaften und Gerichte zunehmend von demjenigen, der sich mit Schusswaffen verteidigt, dass er vor dem Schuss erst auf andere, weniger schwer wiegende Weise versucht, die Gefahr abzuwenden. Immer wieder wird die Frage gestellt, ob das Opfer wirklich keine andere Wahl hatte, als zu schießen. Dabei fällt gerade diese Abwägung nicht in den Bereich der Notwehr. Im Gegenteil, das Recht braucht dem Unrecht nicht zu weichen. Doch gerade so archaische Abwägungen von „Du oder ich“ erscheinen heute wie Relikte aus einer Steinzeithöhle.
Ähnlich verhält es sich mit fahrlässigen Jagdunfällen. Noch Anfang der 80er Jahre entschied beispielsweise das Amtsgericht Kassel, dass ein Jäger, der auf Geräusche aus einer Dickung dort eine Sau vermutet und dann auf den Schatten schießt, mit einer Geldstrafe ausreichend hart bestraft ist, selbst wenn das Opfer stirbt. Das Amtsgericht Straubing meinte 1981, man könne nicht von einem Jäger verlangen, dass er nur dann schieße, wenn auch objektiv ein Unfall ausgeschlossen sei. Es beließ deshalb die Strafe für einen Waidmann, der am Silvesterabend zwei Jugendliche für Füchse gehalten und mit Schrot beschossen hatte, bei 60 Tagessätzen und 3 Monaten Jagdverbot. Heute dürfte sich der gleiche Sünder 5 Jahre vom Jagdschein verabschieden. In einer Gesellschaft, deren Mitglieder abgeklärter und weniger trieborientiert sind als vorherige Generationen steigen die Erwartungen an die Vorausschau des Jägers, sein Gefühl für Risiken und seine Fähigkeit, den Beutetrieb unter Kontrolle zu halten.
Unser Leben ist ein Fluss, auch das der Jäger. Und unser Recht fließt mit ihm.
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Dr. Florian Asche

Der Rechtsanwalt Dr. Florian Asche ist Vorstandsmitglied der Max Schmeling Stiftung und der Stiftung Wald und Wild in Mecklenburg-Vorpommern.
Einem breiten Publikum wurde er bekannt durch seinen literarischen Überraschungserfolg über den göttlichen Triatlhlon: Jagen, Sex und Tiere essen (siehe: https://krautjunker.com/2017/01/04/jagen-sex-und-tiere-essen/& https://krautjunker.com/2017/09/19/sind-jagd-und-sex-das-gleiche/)
Website der Kanzlei: https://www.aschestein.de/de/anwaelte-berater/detail/person/dr-florian-asche/
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Mehr von Dr. Florian Asche: https://krautjunker.com/?s=florian+asche
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