Indianer, Outlaws, Texas Ranger

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Buchvorstellungen von Thomas Thelen

Die Trilogie Indianer, Outlaws, Texas Ranger bietet in drei Bänden drei unterschiedliche, jeweils autobiografische Perspektiven auf den Wilden Westen im Texas der 70er Jahre des 19. Jahrhunderts. Die Protagonisten berichten voneinander unabhängig als Texas Ranger, als Verbrecher (»Outlaw“) und als von Indigenen Entführter („Indianer«) von ihren persönlichen Erfahrungen im Grenzland zu Mexiko nach den texanischen Bürgerkriegen und dem großen Konflikt zwischen Südstaaten und Nordstaaten um die Frage der Sklaverei (1861 bis 1865). Der siegreiche Norden hatte in der Sklavenfrage den Süden dominiert und regiert nach dem Krieg durch, die konföderierten Südstaaten fühlen sich unterdrückt – ein Konflikt, dessen langwelligen Auswirkungen bis hin zum Sturm auf das Kapitol während des Amtsübergangs Trump / Biden heute noch zu vernehmen sind: im »Büffelmann« feiern die Südstaaten fröhliche Urständ.

Wer einen starken Eindruck dieser Zeit und dieser Region erleben möchte (und einen Zugang zu Netflix hat), dem sei der aktuelle Film Neues aus der Welt mit Tom Hanks (als Captain Kidd) und Helena Zengel (als Johanna / Zikade) ans Herz gelegt (Trailer: à hier). Der Film liefert eine perfekte Projektionsfläche und starke Bilder für die verstörenden Szenarien, die in den drei Bänden der Trilogie immer wieder beschrieben werden und erzählt in gewisser Weise eine denkbare, imaginierbare Fortsetzung des ersten Bandes „Indianer“ von Herman Lehmann. Beide, Herman Lehmann und Zikade / Johanna, benötigen nach ihren Jahren als jugendliche Entführungsopfer „neue Erinnerungen“, wie es Cpt. Kidd im Film treffend auf den Punkt bringt.

Was mir zunächst – zeitlich und räumlich – als weit entfernte Erzählungen vorkam, ist bei näherer Betrachtung nur ein kleiner Schritt: Ich bin Jahrgang 1960, mein Vater Jahrgang 1910. Mein Großvater also hätte beispielsweise »Herman Lehmann« sein können, der deutschstämmige Junge, der im Jahr 1870 als 11-Jähriger von Indigenen aus dem Volk der Mescalero-Apachen entführt wurde und dann neun Jahre »als Indianer« in Texas lebt. Viele Neuankömmlinge in Amerika, viele von ihnen aus Deutschland, zog es in den sprichwörtlichen Westen; Texas war mit seinen weitläufigen Weidelandschaften ein Anziehungspunkt für alle, die genug Mut, oft den der wohlfeilen Verzweiflung, und zu wenig Kapital für andere Neuanfänge im Gepäck hatten.

Brutalität und Gewalt sind – ganz banal – alltäglich und allgegenwärtig. Wir lernen, in welchen Abstufungen und Gruppierungen man den Ansatz „Jeder gegen Jeden“ durchdeklinieren kann. Weiße gegen Schwarze. Weiße gegen Rote. Weiße gegen Mexikaner. Weiße gegen Büffel. Indigene gegen Weiße und Schwarze. Indigene und Mexikaner zusammen gegen Weiße und gerne auch gegeneinander. Habenichtse gegen Jeden. Wenigerhabende gegen Mehrhabende. Mehrhabende gegen Wenigerhabende und gegen Nochmehrhabende. Nomadisch Lebende gegen Sesshafte. Sesshaft gegen fast alle Neuankömmlinge. Texas Ranger gegen Alle. Outlaws als einzig verlässliche gesellschaftliche Ordnungskraft (eine Frage der Ehre…). Indigene, traditionell im Einklang mit der Natur lebend, die nun das Prinzip »verbrannte Erde« in Bezug auf fremde Pferde- oder Rinderherden als strategische Option entdeckt haben. Summa summarum: »Nur ein toter XXX ist ein guter XXX« – Leerstelle XXX bitte situativ passend ergänzen!

Indianer – Hermans Stockholm-Syndrom

Also zurück ins 19. Jahrhundert: Weiße Siedler drangen zahlreich ins Land der Apachen, Comanchen und der Kiowas (das Volk, das Johanna / Zikade entführt hat) vor. Mit der Zeit werden die Verluste der Indigenen so schmerzlich, dass ihre Kriegs- und Beutezüge neben der Beschaffung von Waffen, Nahrung und Pferden immer häufiger und zielgerichteter auch der Entführung von künftigen Kriegern dienen. Insofern ist Herman ein »guter Fang«. Leider verrät uns seine Autobiografie nur wenig über seine „Lernphase“ bei den Mescalero-Apachen, erstaunt lesen wir, wie schnell er ohne Sattel reiten, kämpfen, schießen lernt. Lernen muss. Tage auf dem Kriegspfad – oder auf der Flucht – ohne Nahrung, ohne Wasser, ohne Schlaf. Im Sattel oder im Dauerlauf, bei Wind und Wetter. Viele Meilen lange Gewaltritte, gejagt oder jagend. Freilich kann das Kind zunächst nicht die Sprache der Apachen, umgekehrt machen sie ihm auch nonverbal deutlich, was von ihm erwartet wird. So schlägt es sich einige Jahre durch, lernt Sprache, Kampf- und Überlebenstechniken, Riten und Gebräuche. Herman wird ein »Indianer«.

Im Zuge einer internen Auseinandersetzung in seiner Apachen-Gruppe gibt es Tote, Herman tötet dabei den ihm verhassten alten Medizinmann. Seine Situation ist nun erst recht verzweifelt, denn die Umstände verbieten ihm eine Rückkehr zu Siedlern, erst recht zu anderen Apachen-Gruppen. So taucht er für einige Zeit als Einsiedler in den unzugänglichen Bergen unter und wird später Mitglied einer Gruppe Comanchen, die ihn als Krieger aufnehmen. Insgesamt neun Jahre verbringt er so bei und mit den Indigenen im wilden Texas. »Mein Lebenslauf war ziemlich wechselvoll«, untertreibt Lehmann. „Ich habe als Wilder und als zivilisierter Mann gelebt, und während ich meine indianischen Freunde immer noch liebe, haben die kultivierenden Einflüsse der Zivilisation eine große Veränderung in mir bewirkt. Als ich ein Wilder war, dürstete ich danach, zu töten und zu stehlen, weil man mir beigebracht hatte, dass dies die Art zu leben sei. (…) Der Weg des Missetäters ist hart, sagt man, und das ist wahr.«

Missetäter – gutes Stichwort!

John Wesley Hardin, 1853 – 1895, gilt vielen Texanern als der Weltmeister der Desperados. Im Band Outlaws findet sich das Vorwort der Originalausgabe von 1896: »Indem wir die Autobiographie des John Wesley Hardin der Öffentlichkeit präsentieren, sind wir überzeugt, dass dadurch das Leben und die Persönlichkeit des berüchtigtsten Outlaws, den Texas je hervorgebracht hat, Vielen doch in neuem Licht erscheinen werden. Die Taten dieses Desperados wirken fort, und die nachfolgenden Generationen verknüpfen seinen Namen mit den schrecklichen Untaten und blutrünstigen Grausamkeiten, die man üblicherweise in Groschenromanen findet. Mit den vorgelegten Seiten widerfährt Wes Hardins Andenken eine gewisse Gerechtigkeit.«

Das mit der »gewissen Gerechtigkeit« hat das gewisse Etwas.

Denn in der Tat ist es so, dass Hardins biografische Notizen, herausgegeben von Smith & Moore ein Jahr nach seinem Tod, beim Leser der gesamten Trilogie das Bild eines Ehrenmannes vermitteln, eines Ehrenmannes im Sinne eines mafiös verstandenen Ehrbegriffs. Mit 15 Jahren tötet Wes Hardin sein erstes Opfer, einen ehemaligen Sklaven, der ihm in einem Ringkampf unterlegen war. »Dies war der erste Mann, den ich tötete, und es wühlte meine Eltern sehr auf, als ich es ihnen erzählte.«, berichtet uns Wes Hardin. Wohlgemerkt: Die Eltern sind aufgewühlt – er nicht.

Im nächsten Absatz des Vorwortes wird ein Thema berührt, das aus Sicht vieler Südstaatler bis heute so fortwirkt: »Sämtliche Gerichte wurden damals von Nordstaatenbeamten und Überläufern geführt, die eine tief verwurzelte Feindschaft gegen den Süden hegten, und die das Gesetz nach Belieben beugten, sodass jedes Verfahren gegen Leute aus dem Süden ausnahmslos in schreiender Ungerechtigkeit endete, besonders gegenüber jenen, die immer noch öffentlich zu den Ideen des Südens standen. Zur damaligen Zeit wegen der Tötung eines Negers vor Gericht gestellt zu werden, bedeutete das sichere Todesurteil, gedeckt von den Bajonetten aus dem Norden.«

Ob dieser von ihm und seinem Umfeld empfundenen Ungerechtigkeit beginnt Wes Hardins – erfolgreiche – Karriere als Outlaw, die vielen anderen Cowboys, Sheriffs und Bürgern noch das Leben kosten wird. Bizarr erscheint vor dem blutgetränkten Lebensweg das beständig zwischen den Zeilen und manchmal auch explizit formulierte Bemühen, die Taten Wes Hardins in einem ehrenhaften Kontext erscheinen zu lassen. Diese »gewisse Gerechtigkeit« verorten auch die Herausgeber der Originalausgabe in ihrem Vorwort: »Er betonte in seinen letzten Lebensjahren oft, dass er niemals einen Menschen mutwillig oder kaltblütig getötet habe, und wir meinen, dass ihn dieses Buch bestätigt, weil es ganz offensichtlich nicht um einer Selbstrechtfertigung willen geschrieben wurde.«

Das ist insofern zutreffend, als man selbstverständlich davon ausgeht, dass jedwede Frage der Ehre nur mit einer Kugel geklärt werden kann. Oder mehreren. Und solange man diesen mafiös indoktrinierten Denkraum – Auge um Auge, Zahn um Zahn – nicht verlässt, entbehrt es nicht einer gewissen schlüssigen Logik, dass John Wesley Hardin dem Gesetz folgte. Seinem Gesetz.

Texas Ranger – Ordnungsmacht?

Diesen Vorwurf kann man den Jungs bei den Texas Rangern, dem dritten Buch, kaum machen. Also, dass sie einem Gesetz folgen. Irgendeinem. Noch nicht mal dem eines Wes Hardin. Sie sind die institutionelle Verkörperung des Ansatzes »Nur ein toter XXX ist ein guter XXX!« Das nervige Führen von differenzierten Ermittlungsakten ersparen sich die tapferen Recken durch eine frühzeitige Kugelgabe; auch die aufwändige Unterhaltung von teuren Immobilien zur Inhaftierung Verdächtiger kann so effizient minimiert werden.

»Das freie, ungebundene Leben der Ranger im texanischen Grenzland entfachte in mir die Sehnsucht, einer von ihnen zu werden und an ihrem abenteuerlichen Leben teilzuhaben«, so James B. Gillett in seiner Autobiografie Texas Ranger. »Im Frühjahr 1875 wurde Captain Roberts autorisiert, seine Rangerkompanie auf 50 Mann zu vergrößern. (…) Hier war meine Gelegenheit und ich beschloss, ich würde einer dieser Rekruten sein.«

Ebenso nonchalant wie drastisch beschreibt der Klappentext des Bandes den Alltag der Texas Ranger: »Das von >anständigen< weißen Amerikanern noch dünn besiedelte texanische Grenzland ist der Tummelplatz von Outlaws aller Professionen und Colt, Schrotflinte oder die neue Winchester sind ihr gerne gebrauchtes Handwerkszeug. Raufbolde, Viehdiebe, Postkutschen- und Eisenbahnräuber oder einfach nur Mörder, mit oder ohne Sheriffstern, das sind die Gegner, mit denen es der Texas Rangers >Jim< Gillett zu tun bekommt. Fehden, Privatkriege und Lynchjustiz gestalten sein Leben am Rio Grande freier und abenteuerlicher, als ihm das manchmal lieb ist. (…) Ganz natürlich kommt es beiden Seiten – weiß oder rot – nur darauf an, wer zuerst schießt und trifft.«

Überraschend für mich war der Umgang aller Protagonisten in den drei Bänden mit ihren Pferden. Anders als uns Karl May erzählte, werden hier die Pferde als Wegwerfartikel behandelt, kein Iltschi, kein Hatatitla, kein Rih weit und breit. Pferd fertig? – Liegen lassen. Bestenfalls noch ein paar Streifen Fleisch rausschneiden für einen schnellen Imbiss.

Wie bei der additiven Farbmischung werfen die drei Bände unterschiedliche Lichter auf Leben und Sterben im Wild-West-Texas Mitte des 19. Jahrhunderts. Zusammen ergeben sie sicher nicht ein reinweißes, gar objektives Bild – was sie auch nicht versprechen. Doch sie liefern drei Schlaglichter, die gemeinsam jeweils individuelle authentische Erfahrungen zu einer Gesamtschau aus ungewöhnlicher Perspektive ergeben.

Alle drei Bände sind wohl – die bibliografischen Angaben bleiben dünn – vom Herausgeber / Verleger Bernhard Rubenbauer ins Deutsche übersetzt und von ihm bei Amazon im Selbstverlag veröffentlicht worden. Leider sind der Druck, die Ausstattung und Gestaltung sowie die sprachliche Qualität, nun, wie soll ich sagen, entwicklungsfähig, aber die authentischen Inhalte machen die drei Bände einzigartig und bedeutsam. Wer sich in diese raue Welt begibt, wird mit einer neuen deutschen Interpunktionsregel zu leben lernen, die da besagt, dass in jedem Satz innerhalb der erste zehn Wort auf jeden Fall ein Komma unterzubringen ist – egal wo. Trotzdem: Lesen!

*

KRAUTJUNKER-Rezensent Thomas Thelen

Thomas Thelen ist Deutsch-Drahthaar-Bändiger, Leihhund-Bespaßer, Fliegenfischer, Holzwerker und Genießer – und eher nebenher Unternehmensberater und Autor.
Zuhause in den südbadischen Weinbergen, hält er nicht nur nach Schwarz- und Rehwild Ausschau, sondern auch nach empfehlenswerter Lektüre und leckeren Rezepten. Wenn sie seinen Geschmackstest bestehen, werden sie hier umgehend weiterempfohlen – oder kritisch betrachtet.

***

Anmerkungen

Von KRAUTJUNKER gibt es nicht nur eine Facebook-Gruppe, sondern jetzt auch Outdoor-Becher aus Emaille. Kontaktmail für Anfragen siehe Impressum.

Titel: Neun Jahre unter den Indianern, 1870 – 1879

Autor: Herman Lehmann

Übersetzung: Bernhard Rubenbauer

Herausgeber: Bernhard Rubenbauer

Weblink: https://www.amazon.de/Neun-Jahre-unter-Indianern-1870-ebook/dp/B01DYINP10/ref=sr_1_2?__mk_de_DE=%C3%85M%C3%85%C5%BD%C3%95%C3%91&dchild=1&keywords=Neun+Jahre+unter+den+Indianern&qid=1614629386&sr=8-2

ASIN: B01DYINP10

Titel: Das Leben des John Wesley Hardin, 1853 – 1895

Autor: John Wesley Hadin

Übersetzung: Manfred Maul

Herausgeber: Bernhard Rubenbauer

Weblink: https://www.amazon.de/Wesley-Hardin-Indianer-Outlaws-Ranger-ebook/dp/B01M1H1Y7K/ref=sr_1_1?__mk_de_DE=%C3%85M%C3%85%C5%BD%C3%95%C3%91&dchild=1&keywords=das+leben+des+john+wesley+hardin&qid=1614629883&s=digital-text&sr=1-1

ASIN: B01M1H1Y7K

Titel: Sechs Jahre bei den Texas Rangern, 1875 – 1881

Autor: James B. Gillett

Übersetzung: Bernhard Rubenbauer

Herausgeber: Bernhard Rubenbauer

Weblink: https://www.amazon.de/s?k=Sechs+Jahre+bei+den+Texas+Rangern&i=digital-text&__mk_de_DE=%C3%85M%C3%85%C5%BD%C3%95%C3%91&ref=nb_sb_noss

ASIN: B01HMWNJ9W

2 Kommentare Gib deinen ab

  1. Bernhard Rubenbauer sagt:

    Sehr interessant und aufschlussreich und wirklich lesenswert, was Herrn Krautjunker über die Trilogie, (Kommas setze ich wohin ich will, da lass‘ ich mir nix von keinem sagen – Wes Hardin) aus dem Wilden Westen einfällt. Es freut mich wirklich, dass unsere Arbeiten („Indianer“ und „Texas Ranger“ habe ich übersetzt, „Outlaws“ nicht) diese Aufmerksamkeit und diese Wertschätzung bei jemandem gefunden haben.

    Ja, die Inhalte der drei Bücher korrigieren die – vielleicht gängigen – Vorstellungen über das Texas des vorvorigen Jahrhunderts etwas, auch wenn sie nicht von professionellen Schriftstellern verfasst worden sind (wofür die Autoren, einfache Leute aus Texas, in den Vorworten um Nachsicht bitten).

    B. Rubenbauer

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