von Florian Asche
Im Herbst 1977 musste sich der sozialdemokratische Bundeskanzler Helmut Schmidt der größten Herausforderung seines Lebens stellen. Wenige Monate zuvor hatte die Rote Armee Fraktion den Generalbundesanwalt Siegfried Buback und den Vorstandssprecher der Dresdner Bank, Jürgen Ponto, ermordet. Am 5. September entführte ein Kommando der RAF den Arbeitgeberpräsidenten Hanns Martin Schleyer, um die Terroristen der „Ersten Generation“, Andreas Baader, Gudrun Ensslin und Jan-Carl Raspe, freizupressen. Als die Verhandlungen mit der Regierung stockten entschied sich das Kommando für einen weiteren Terrorschlag, um den Druck zu erhöhen. Ein palästinensisches Kommando kaperte daraufhin die Lufthansa Maschine Landshut mit über 80 Passagieren.
Während dieser außergewöhnlichen politischen Drucksituation saß Helmut Schmidt nicht allein im Bundeskanzleramt, um einsame Entscheidungen auszubrüten. Der Regierungschef versammelte die Justiz-, Außen- und Innenminister, die Leiter der Sicherheitsbehörden, die Chefs aller politischen Parteien und die Fraktionsvorsitzenden mit vier Ministerpräsidenten im sogenannten „Großen Krisenstab“. Der einzige Auftrag dieses Gremiums war es, nachzudenken. Schmidt legte dabei großen Wert auf absolute kreative Freiheit. Jeder noch so exotisch anmutenden Vorschlag sollte offen ausgesprochen werden. Das Undenkbare denken, lautete die Devise.
So jagte eine Idee die andere. Hans-Jürgen Wischniewski schlug vor, die Stammheimer freizulassen, jedoch dadurch hereinzulegen, dass man sie nach Togo ausflog. Sie würden dann die Erfolgsmeldung an das Kommando weitergeben und konnten nach Freilassung Schleyers und der Landshut-Passagiere durch den mit Wischniewski befreundeten Präsidenten gleich wieder eingesammelt werden. Der Generalbundesanwalt Kurt Rebmann ging noch weiter. Er wollte das Grundgesetz ändern lassen:
„Der Bundestag ändert unverzüglich Artikel 102 des Grundgesetzes, der lautet: ‚Die Todesstrafe ist abgeschafft.‘ Stattdessen können nach Grundgesetzänderung solche Personen erschossen werden, die von Terroristen durch menschenerpresserische Geiselnahme befreit werden sollen. Durch höchstrichterlichen Spruch wird das Todesurteil gefällt. Keine Rechtsmittel möglich.“
Hartnäckig hält sich die Legende von Franz Josef Strauß, der auf dieser Basis vorgeschlagen haben soll, im Stundentakt Terroristen zu erschießen, bis Schleyer freigelassen worden sei.

Das Bemerkenswerte an dieser Gruppe politischer Entscheidungsträger ist auf den ersten Blick die archaische Denkstruktur von Menschen, die in ihrer Jugend noch kriegsgediente Offiziere waren. Tatsächlich aber liegt das Phänomen in der Denkfreiheit der Gruppe. Selbst wenn Schmidt die meisten Vorschläge ignorierte, so half ihm der Blick über die gesamte Spannweite politischer Opportunitäten doch, das Richtige für die Situation herauszufinden. Wir wissen, dass er seinerzeit mutig und erfolgreich gehandelt hat.
Vergleicht man Schmidts Krisenmanagement mit der aktuellen Phase der deutschen Geschichte, so stellt man fest, dass die Freiheit des Denkens offensichtlich immer mehr unter Druck geraten ist. So konstatiert der Virologe Hendrik Streeck nicht zu Unrecht, dass in der aktuellen Pandemie offensichtlich nur ein sehr kleines Denkspektrum von Wissenschaftlern direkten Zugang zum Bundeskanzleramt erhält. Eingeladen werden Wissenschaftler, die ohnehin auf moralisch begründeter Regierungslinie liegen. Wenn jedoch Wissenschaft nur dafür da ist, um einen einmal gefundenen Gesinnungsweg zu bestätigen und quasi mit höheren akademischen Weihen zu segnen, dann führt sich das Denken von selbst ad absurdum.
Ziemlich ähnlich erodiert die Denkkultur auch in ökologischen Fragen. Im Bereich des Natur- und Klimaschutzes findet schon lang kein Meinungs- und Ideenpluralismus mehr statt. Atom, Kohle und Gas sind keine Optionen mehr, obwohl sie dringend zur Erhaltung der Netzwerkstabilität und der Versorgungssicherheit gebraucht werden. Doch statt einer freien Denkkultur, die auch exotische Vorschläge macht (zum Beispiel zur Dual Fluid Technik) ersetzt das moralisch aufgeladene „Wir sind hier, wir sind laut, weil Ihr unsere Zukunft klaut!“ das intellektuelle Ringen um machbare und vor allem effektive und wirtschaftlich tragbare Konzepte.
Ähnlich verhält es sich mit der Nutzung natürlicher Ressourcen. Unter dem Moraldruck des Natur- und Klimaschutzes wird eine Forstwirtschaft gepusht, die gegenüber der Wildbewirtschaftung eine Führungsrolle einnehmen will, obwohl beides berechtigte, von der Eigentumsfreiheit getragene Wirtschaftsformen sind. Die herrschende Gesinnungsethik wird auch hier dafür sorgen, dass unter dem Siegel einer klimafreundlichen Waldwirtschaft der Schutz des Eigentums unter den Rädern der Moral weiter erodiert.
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Dr. Florian Asche

Der Rechtsanwalt Dr. Florian Asche ist Vorstandsmitglied der Max Schmeling Stiftung und der Stiftung Wald und Wild in Mecklenburg-Vorpommern.
Einem breiten Publikum wurde er bekannt durch seinen literarischen Überraschungserfolg über den göttlichen Triatlhlon: Jagen, Sex und Tiere essen (siehe: https://krautjunker.com/2017/01/04/jagen-sex-und-tiere-essen/& https://krautjunker.com/2017/09/19/sind-jagd-und-sex-das-gleiche/)
Website der Kanzlei: https://www.aschestein.de/de/anwaelte-berater/detail/person/dr-florian-asche/
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