30 Jahre Einheit – Liebeserklärung gen Osten

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von Florian Asche

Der griechische Philosoph Platon fragte sich vor mehr als 2000 Jahren, warum Mann und Frau so eine starke gegenseitige Anziehungskraft verbindet. Er kam zu dem Schluss, dass der Mensch ursprünglich ein einziges Wesen war, das männliche und weibliche Attribute zu einem harmonische Ganzen verband.

Abb.: Kugelmenschen – moderne Nachahmung nach Art antiker Vasenmalerei

Zeus spaltete es einst mit seinem Blitz in zwei Teile und seitdem strebten die beiden ihr ganzes Leben lang nach Verschmelzung.

Neulich fiel mir ein alter Schulatlas des Jahres 1975 in die Hände. Es ist schon bemerkenswert, was sich im Laufe eines Lebens so verändert. Rhodesien heißt heute Simbabwe, Jugoslawien gibt es nicht mehr und der Sudan besteht aus Norden und Süden. Und dann ist da noch die Deutschlandkarte. Wie amputiert und wurmartig sieht da die alte Bundesrepublik aus. Daneben der kleine ostelbische Klops, der sich in die Armbeuge des Westens schmiegt und doch zugleich so weit von ihm entfernt ist. Man merkt erst heute, wie unnatürlich zerschlagen der damalige Zustand war. Das waren zwei Seiten der gleichen Medaille. Im Westen die Bonner Republik der fröhlichen katholischen Rheinländer, im Osten das strenge Preußisch-Lutherische, dem nur übergangsweise ein kommunistisches Röckchen anzogen wurde. Und dann kam die Weltenwende 1990.

Erst die Gemeinsamkeit von Bayern und Sachsen, Pommern und Hessen macht nicht nur die Landkarte, sondern auch die Seele unsers Landes wirklich komplett. Sie verbindet das Leichte und Schwere, das Enge und Weite. Diese Einheit in Vielfalt haben wir, wenn man die historische Gesamtbilanz der vergangenen 100 Jahre sieht, nicht unbedingt verdient. Umso glücklicher können wir darüber sein. Doch ist es uns wirklich gelungen, dieses Glück zu empfinden? Eine Umfrage zum 30. Jahrestag der Deutschen Einheit zeigt, dass 21 % der Westdeutschen noch nie in den östlichen Ländern war. Das sind mehr als 10 Millionen Mitbürger. Man reibt sich die Augen und kann so viel Ignoranz kaum fassen.

Abb.: Blick vom Gamrig auf den Lilienstein im Nationalpark Sächsische Schweiz, kurz nach Sonnenaufgang im Herbst; Bildquelle: Wikipedia

Es wäre spannend, die gleiche Befragung unter Jägern anzustellen. Ich bin mir sicher, dass nahezu jeder Grünrock des Ostens und des Westens schon einmal die andere Seite besucht hat, um sich dort auszutauschen und zu jagen. Es ist uns leichter gefallen als den meisten unserer Mitbürger, in der Schwester oder dem Bruder „dort drüben“ den Menschen mit der gleichen brennenden Passion zu erkennen. Noch heute sehe ich mich Anfang der 90er Jahre zum ersten Mal auf einem mecklenburgischen Forsthof stehen. Auf der einen Seite die Trabantenfahrer mit ihren ausgeleierten Lodenmänteln, auf der anderen Seite die Kapitalisten mit Funktionsklamotten und den schicken Waffen. Wechselseitig beäugte man sich misstrauisch wie fremde Tiere. Was tut’s? Was frißt’s? Doch schneller als sonst in Deutschland merkten wir, dass der andere kluge Dinge zu berichten wusste und das Herz auf dem rechten Fleck trug. Es waren Könner, die ihre Strecke mit Flinte und Brennecke nach Hause brachten. Den Hirsch bis auf 30 m anzukriechen ist etwas anderes als der Distanzschuss aus der Hightech-Büchse. Das war noch eine Forstpartie, die das Wild als Teil des Ganzen sah und nicht nur als Schadensquelle. Das waren selbstbewusste Frauen die sich als „Förster“, ohne irgendwelchen Genderquatsch bezeichneten. Schnell gewann das Verbindende die Oberhand über den äußeren Schein. Man musste sich nur ein wenig Zeit füreinander nehmen.

Diese Erkenntnis, dass am besten das gemeinsame Gefühl für die gleiche Passion eint, das wurde in der gesamten Jägerschaft deutlich. Dahinter trat das Politische meist zurück. Der Mann, dem meine Familie gelungene Aufforstungen in Mecklenburg verdankt, war früher Revierförster bei Erich Honecker in der Nossentiner Heide. Wir haben uns nicht darüber verschlissen, wer von uns welches politische Bekenntnis hatte. Er war einfach ein kluger Mann mit Gefühl für das Wild, den Wald und die Jagd. Und ich konnte von ihm etwas lernen. Das hat uns gereicht. Man kann sich die Zeiten seines Lebensweges nicht aussuchen, ob man unter Kaiser Wilhelm, Otto Braun, Hermann Göring oder Honecker zur Jagd geht. Ein anständiger Mensch und Jäger dabei zu bleiben und die Natur zu lieben, das ist das Entscheidende und es gelingt durchaus systemübergreifend.

Wir Waldschrate haben das vielleicht schneller erkannt als der Rest Deutschlands. Ich jedenfalls schlage auf jeder Autofahrt in Gedanken ein Kreuz, wenn ich aus meinem Büro komme und die Landesgrenze von Mecklenburg-Vorpommern überschreite. Hinter mir entfernt sich der internationale Ballungsraum namens Hamburg. Der Himmel wird weiter. Ich atme tief aus und spüre den nachlassenden Druck der Zivilisation. Ich bin noch einmal davongekommen.

KRAUTJUNKER-Kommentar: Dieser zeitlose Text ist vom 20. November 2020.

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Florian Asche

Der Rechtsanwalt Dr. Florian Asche ist Vorstandsmitglied der Max Schmeling Stiftung und der Stiftung Wald und Wild in Mecklenburg-Vorpommern.
Einem breiten Publikum wurde er bekannt durch seinen literarischen Überraschungserfolg über den göttlichen Triatlhlon: Jagen, Sex und Tiere essen (siehe: https://krautjunker.com/2017/01/04/jagen-sex-und-tiere-essen/https://krautjunker.com/2017/09/19/sind-jagd-und-sex-das-gleiche/)

Website der Kanzlei: https://www.aschestein.de/de/anwaelte-berater/detail/person/dr-florian-asche/

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Mehr von Dr. Florian Asche: https://krautjunker.com/?s=florian+asche

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Anmerkungen

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