von Frank David
Montag. Ruhetag. Nach sechs Tagen am Herd betrachte ich meine Wunden: eine kleine Brandverletzung auf der Wange. Folge eines wohlgezielten Fettspritzers aus einer aufgeblähten Perlhuhnbrust, eine größere auf dem rechten Handrücken. Die zog ich mir zu, als ich eine Pfanne mit kross gebratenen Putenbruststreifen unter den Grill schieben wollte, dabei mit der Pfanne gegen den oberen Rand stieß und sich ein Schwall heißes Fett über meine Hand ergoss. Zum stumpfen, pochenden Schmerz der Verbrennung gesellt sich in der Küche schnell jener hinzu, bei dem einem die Luft weg bleibt und Tränen in die Augen schießen – wenn nämlich die Brandblase aufgeplatzt ist und Salz oder Zitrone in die Wunde gelangen. In ein paar Tagen, tröste ich mich, ist alles verheilt.
Meine allererste, wohlverdiente Narbe ist dagegen immer noch zu sehen. Ich war noch nicht in der Lehre, sondern schnupperte bei einem Partyservice in den Berufsalltag rein. Vor mir lagen mehrere Poreestangen, die für einen Speckkartoffelsalat in feine Streifen zu schneiden waren. Der Küchenchef warnte mich. Das Messer sei sehr, sehr scharf, und ich sollte bitte bitte an die richtige Fingerhaltung beim Schneiden denken. Seine Worte hinterließen bei mir wenig Eindruck. „Was will der Mann von mir? Ich bin doch nicht blöd!“, dachte ich, doch da hatte der erste Schnitt schon nicht den Lauch, sondern meinen linken Mittelfinger erwischt.

Verhindern lassen sich diese Erfahrungen nicht. Jeder lernt seine Lektion, besonders als Auszubildender im ersten Lehrjahr. Auch die noch so eindringlichste Einweisung in die Unfallgefahren am Arbeitsplatz kann nicht verhindern, dass in den ersten Wochen die Selbstverstümmelung ihren Lauf nimmt. Finger werden unsanft durch ein Beil von der Hand getrennt: Hände in Fleischwölfen und Cuttern neu in Form gebracht, und dann ist da auch noch die Aufschnittmaschine.
Beim Aufschneiden von Frühstückswurst zum Beispiel kommt nicht selten eine Scheibe zuviel hinzu – abgeschnitten vom Daumen, der dann jedoch nur zwei Millimeter einbüßt. Röstgemüse bietet da mehr Möglichkeiten. Da liegt die Schnittstärke gut und gern bei zwei Zentimetern, und schon ein Moment der Unachtsamkeit reicht, den Daumen nicht nur dünner zu machen, sondern glatt in der Mitte zu spalten.
Vor diesem Hintergrund erscheinen einem andere Vorfälle geradezu harmlos, etwa jener, als mein Küchenchef einmal nach einem kleinen Disput – es ging um eine kalte Suppe – den Restaurantleiter schreiend und mit einem Hackmesser bewaffnet durch das vollbesetzte Restaurant jagte: Größere Verletzungen verhinderten die Kellner.
Ein Lehrling kann aber auch eine Gefahr für die anderen sein. Stellen Sie sich einen aufgelösten, wild gestikulierenden Azubi vor, der nicht mehr weiter weiß. Gleich müssen mehrere zusätzlich georderte Speisen aus der Küche geschickt werden, erzählt er dem Koch, aber die Elektroplatten des Herdes seien anscheinend kaputt, was nun? Die Zeit drängt, das Essen muss raus. Der Koch rast nach hinten in die Küche, der Azubi tänzelt nervös um ihn herum. „Die hinteren Platten gehen nicht“, sagt er. Der Koch will das überprüfen, fasst mit beiden auf die Herdplatten – und bleibt kleben, begleitet von einem leichten Zischen. Er konnte die Gefahr nicht erkennen denn anders als beim herkömmlichen Herd für den Haushalt, glühen die Platten eines Profigeräts nicht. Auch nicht bei 300 Grad.
Ich könnte immer noch einen kompletten Satz Fingerabdrücke liefern. Es sind jedoch nicht nur die Hände, die immer wieder Schaden davontragen – vor wenigen Tagen fingen meine Schürze und die Kochjacke Feuer, so dass ich mir meinen dicken Bauch ansengte -, den Füßen kann ebenfalls allerlei geschehen.
Der Küchenboden ist ein Gefahrenpunkt. Auf ihm bildet sich im Laufe des Tages eine rutschige Fettschicht. Mit dem richtigen Schuhwerk, das lernen Köche zu Beginn ihrer Lehre, ist das kein Problem. Der Schuh sollte ein ordentliches Fußbett besitzen, vor geschlossen sein und hinten offen, damit man schnell herausschlüpfen kann. Seine Sohle soll rutschsicher sein und am besten auch säurefest, denn die scharfen Putzmittel in der Küche greifen das Profil an. Die so genannten Holzklotschen sind sehr geeignet. Aber kaum ein Azubi hat das nötige Kleingeld, um sich das vorgeschriebene Schuhwerk leisten zu können, und nicht selten müssen ausgelatschte Turnschuhe herhalten.
Ich habe mich auf säurefeste Arbeitsschuhe eingeschossen, wie sie die Kopfschlächter tragen. Meine Arbeitskollegen lachen mich deshalb aus, denn ich sehe wohl aus wie Frau Holle. Was ich mittlerweile erlebt oder erzählt bekommen habe lässt mich jedoch umso mehr an meinen Schuhen festhalten.
Ein Bespiel: In einer Küche in England wird, eigentlich unüblich, während des hektischen Mittagsgeschäft das Friteusenfett gewechselt. Jemand lässt das heiße Fett in eine Metallwanne ab, stellt diese auf dem Boden ab und geht weg. In diesem Moment kommt ein Spüler um die Ecke gerannt, um dringend benötigte Schöpfkellen zu besorgen und … tritt direkt in den heißen Fettnapf. Dieser arme Tor trägt kein passendes Schuhwerk, sondern geschlossene Plastiksandeln, die er sich nicht, wie im Ernstfall nötig, einfach herunterreißen kann: Sie mussten ihm im Krankenhaus von den Füßen geschnitten werden.
Ein weiteres Beispiel trug sich in meinem Ausbildungsbetrieb zu. Um von der Küche zu den großen Kühlhäusern zu gelangen, mussten wir eine ziemlich steile Treppe hinunter laufen. Eine heikle Angelegenheit war das, besonders mit der 30 Kilogramm schweren Fischwanne in den Händen, die zudem noch mit allerlei frisch filiertem Fisch und jeder Menge Eis gefüllt war. An diesem Tag schleppte ein Koch zwei Eimer über die Treppe und wohl auf jeder dritten Stufe schwappte etwas schmieriger Fischfond auf die Stufen. Nun hatte sich besagter Eimerträger mit Sicherheit vorgenommen, nach Beendigung seiner Tour die Pfützen sofort aufzuwischen, doch war wie so oft wieder einmal etwas dazwischen gekommen. Kurz darauf stieg ein anderer Koch, beladen mit der Fischwanne, die Treppe hinab. Nach wenigen Schritten rutschte er in einer der Pfützen aus. Fisch samt Wanne flogen im hohen Bogen durch die Luft. Wir hörten einen kurzen Schrei, lautes Gepolter und furchtbare Stille. In der Küche blieb für einen Moment die Zeit stehen. Dann rannten alle zur Treppe und sahen das Malheur – der Kollege war sehr unglücklich gefallen und landete mit schweren Kopfverletzungen im Krankenhaus.
Er trug ausgelatschte Turnschuhe!
Gute Schuhe, also rutschfeste Schuhe! Gegen alles, was sonst noch geschehen kann, sind wir ohnehin nicht gefeit. Ich griff einmal beim Anrichten eines Menüs nach einer Glasschüssel, um sie mit Salat zu füllen, doch leider kam ich nicht mehr dazu: Das Gefäß hatte eine ziemlich scharfe Kante. Ich hörte nur ein leises, kurzes „tack“. Ich wollte die Schüssel wieder loslassen, aber es ging nicht. Kennen Sie das Gefühl, wenn etwas in ihrem Fingerknochen stecken bleibt? Nicht? Seien Sie froh! Mit einem weiteren „tack“ konnte ich die Schüssel wieder lösen. Blutete wie Sau.
Öfter konnte ich auch schon einen klassischen Fall beobachten, wenn nämlich ein werter Kollege ein Hummersüppchen mit Cognac flambieren wollte. Hierfür brät man Scampischalen mit Röstgemüse, Tomatenmark und Kräutern an. Wenn alles eine schöne Farbe hat, gießt man einen ordentlichen Schluck aus der Flasche hinzu und hält ein brennendes Streichholz in den Topf. Es folgt eine kleine bis große Verpuffung des Alkohols, die uns Köchen immer viel Spaß macht.
Doch meistens gelingt das Abflämmen eben nicht beim ersten Mal. Man muss den Vorgang zwei-, dreimal wiederholen. Nun gibt es den einen oder anderen Strategen, der sich wundert. „Warum klappt das denn nicht?“ Spätestens beim dritten Versuch schaut er vorsichtig in den Topf, während er das Streichholz hält: „Fummp!“, ein Feuerball schießt aus dem Topf.
Man hat Glück, wenn das nur eine verbrannte Nase und verschwundene Augenbrauen nach sich zieht, denn leider endet eine solche Zündelei auch oft mit schweren Brandverletzungen.
Meine letzte größere Verstümmelung habe ich genossen. Es war im Sommer. Ich stand am Grill im Restaurantgarten und schaute, während ich mir gemütlich einen Beilagensalat zusammenschnitzte, einer netten, brünetten Schönheit hinterher. Ich hätte besser auf das Messer achten sollen als auf das Mädel, denn im selben Moment schnitt ich mir tief in den Finger. Ich hatte jedoch Glück im Unglück, die Schönheit entpuppte sich als Krankenschwester. Als sie mein schmerzverzerrtes Gesicht sah, bot sie mir sofort erste Hilfe an. Mit einem dicken Verband konnte ich meine Schicht beenden und mich nach Feierabend noch mit einem Umtrunk bei der Samariterin bedanken.
Denken Sie daran, wenn Sie demnächst einen netten Abend in Ihrem Restaurant verbringen und vorzüglich speisen: Ihr Koch liebt die Gefahr! Und vergegenwärtigen Sie sich für einen Moment beim Essen, wie er Ihnen zuliebe den Gefahren der Küche trotzt – bei vollem Körpereinsatz.
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HÄUPTLING EIGENER HERD über Frank David

Seine Brandwunden holt sich der wunderbare Koch am Herd des Essener Restaurants Haferkamp. Mit Helge Jepsen veröffentlichte er First date. Das Kochbuch für das erste Mahl (Hädecke).
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Anmerkungen

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Titel: Häuptling Eigener Herd Heft 12, September 2002
Herausgeber: Wiglaf Droste und Vincent Klink
Verlag: © 2002 Edition Vincent Klink
ISBN: 3-927350-10-9
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Die Veröffentlichung erfolgte mit freundlicher Genehmigung von Vincent Klink, Küchengott im Restaurant Wielandshöhe in Stuttgart. Ich empfehle den Besuch seines Gourmet-Tempels.

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