Buchvorstellung von Silvia Slazenger
Grenzenlos – sind die erstaunlichen Wanderungen der Tiere, die Francesca Buoninconti in ihrem gleichnamigen Werk beschreibt. Grenzenlos scheinen auch die vielen Wege, Formen und Strategien dieser Wanderungen zu sein, wenn man sich in einem nicht endenden Staunen durch die Kapitel liest. Doch beginnen wir ganz von vorne. Seit wann wissen wir eigentlich wie Tiere wandern? Zwar wurde stets beobachtet dass Vögel im Winter verschwinden, doch wo verblieben sie, bevor sie im Frühjahr zurückkehrten? Aristoteles beschreibt in seiner Historia animalum die These, dass Vögel entweder zum Mond flögen um im Frühling auf die Erde zurückzukehren, oder sich im Herbst auf Bäumen niederliessen um beim Fallen der Blätter auch ihr Federkleid abzulegen und sich in Zweige zu verwandeln. Bis ins 18. Jahrhundert hinein waren selbst Wissenschaftler wie Linné und Cuvier bereit auf den Wahrheitsgehalt anderer Theorien zu schwören, die behauptete, Schwalben würden sich im Herbst in Frösche verwandeln um den Winter im Wasser als Amphibien zu überdauern. Man höre und staune. Heute wissen wir sehr viel über die Wanderungen von Vögeln – und dürfen immer noch staunen. Wir kennen die genauen Routen und die teils enormen Reisestrecken vieler Arten, wissen dass quasi „in die Gene eingeschrieben“ ist wann sie wo abbiegen müssen, wissen um die hormonellen Vorgänge die den Aufbruch zur Reise einleiten, kennen die Arten die in Gruppen oder lieber alleine reisen und auch dass alle Tiere hervorragende Navigatoren sind. Entweder orientieren sie sich am Sonnenkompass und nehmen im Verlauf des Tages automatisch Kurskorrekturen vor welche die Erdumdrehung berücksichtigen, folgen als Nachtreisende der Karte des Himmelsgewölbes, oder orientieren sich am Erdmagnetismus – für unter Wasser Reisende essentiell. Zusätzlich werden als eine Art „double check“ visuelle Landmarken verwendet. Fun fact: Dazu zählen neben Bergen und Flüssen auch von Menschen geschaffene Objekte, wie z.B. die bei europäischen Zugvögeln angesagte Autobahn „A1 Mailand-Neapel“. Mit all diesen Informationen hat sich der staunende Leser aber lediglich durch die Einleitung dieses Buches bewegt, das im weiteren Verlauf vor Wissen und Sensationen nur so strotzt.

Teil 1 beschreibt das „Leben im Flug“, ob Vogel, Falter oder Heuschrecke und stellt als Weltrekordler der Langstreckenzieher die Küstenseeschwalbe mit einer Reise von 80.000 km auf verschiedenen Routen zwischen Nord- und Südpol vor. Star unter den kleinsten Tieren ist die Wanderlibelle. Sie folgt in einer panmiktischen Population dem Monsun entlang zweier Kontinente und legt dabei Strecken von bis zu 18.000 km zurück. Faszinierend bei allen Insektenwanderungen scheint, dass sie quasi ein Nomadendasein führen. Aufgrund ihrer kurzen Lebensspanne schaffen sie meist keine vollständige Hin- und Rückmigration. Ihre Wanderschaft erstreckt sich über mehrere Generationen.
Nach der Luft geht es ins Wasser und Teil 2 beschreibt die nicht minder faszinierenden Reisestrategien von Schildkröten, Walen, Lachsen oder den berühmten „sardine run“ bei dem es sich nicht um eine Sportart handelt, sondern den für uns sichtbaren Teil der Sardinenwanderung nach Nordosten im Agulhasstrom. Viele Wasserbewohner zeichnen sich durch ein ausgeprägtes natal homing aus. Sie kehren mit uns unbekannten Methoden immer wieder dorthin zurück wo sie geboren wurden. Beim Lachs weiß man bislang, dass er verschiedene Techniken anwendet, die neben der Orientierung am Erdmagnetfeld auch einen „Supergeruchssinn“ enthalten der dem Tier hilft sein Laichgewässer wiederzufinden und an den genauen Ort seiner Geburt zurückzukehren. Ist er dort angelangt werden die Gene dieses Geruchssinns deaktiviert und er erlischt quasi. Was wiederum dazu führt, dass der Lachs seine Reise beendet und sich selbst fortzupflanzen beginnt.

Im 3. und letzten Teil des Buches begeben wir uns an Land. Zuerst lernen wir die hybride Reiseart der monogamen Pinguine kennen, die alles für ihre Brut tun würden und dafür teils unter Wasser tausende Kilometer „fliegen“ und teils kilometerweit an Land laufen um ihre Jungtiere mit Futter zu versorgen – mit einer Geschwindigkeit von gerade einmal 2,5 km/h. Danach geht es weiter mit Millionen von Streifen-Gnus, die ihre jedes Jahr leicht veränderte Route perfekt an die Vegetationsveränderungen angepasst haben. Fast wie eine Art „Permakultur-Wanderung“ in Zyklen und Wiederholungen. Nachhaltigkeits-Fans und Neuzeit-Hippies wären begeistert zu hören, dass der Mist den die Gnus ausscheiden als Dünger für das Sprießen neuer Grashalme sorgt. Jenes Grün, welches die Tiere einige Jahre später auf der entsprechend angepassten Route dann wieder genüsslich verspeisen. Ob Das Streifengnu bei einer derart synchronisierten Massenwanderung ein genetisches Gedächtnis nutzt, Pheromonspuren folgt, Landmarken, den Erdmagnetismus oder sonstiges zu Hilfe nimmt ist noch unbekannt. Nach einem Ausflug zu Karibus und anderen Landtieren schliesst das Buch mit den Weihnachtsinsel-Krabben, für die es von der Regierung geförderte krabbenfreundliche Tunnel und Krabben-Brücken gibt. Nicht nur um die Art zu schützen, sondern auch um zu verhindern dass die harten Panzer Autoreifen aufschlitzen…
Nach all diesen anschaulichen und spannenden Schilderungen erfährt der Leser auf den letzten Seiten wie Klimawandel und Umwelteingriffe jahrtausendalte biologische Zyklen bedrohen, aber auch welche neue Wanderungen daraus entstehen könnten, wenn auch vorerst keine Pendlermigrationen.
Francesca Buoninconti hat Naturwissenschaften mit Schwerpunkt Ornithologie studiert und ist heute als Wissenschaftsjournalistin und für den Rundfunk tätig. Ihr Buch, welches auf zusätzlichen 27 bebilderten Seiten die Reiserouten verschiedener Tiere zu Luft, Wasser und Land illustriert, zeugt von der großen Leidenschaft der Autorin für dieses Thema. Nichtsdestotrotz ist es repetitiv geschrieben und derart geballt mit Wissen, dass es einiger Zeit Bedarf die vielen Details und Informationen zu verdauen. Also kein Buch für eine Abend. Für den wissbegierigen Leser, der den abenteuerlichen Reisen der Tiere rund um den Planeten tief auf den Grund gehen und sich zugleich an deren beindruckenden Leistungen berauschen möchte, sicherlich ein sehr geeignetes Werk. Diese Lektüre lädt ein, sich in Etappen an den Kamin zurückzuziehen und einzutauchen – um danach vielleicht selbst ein wenig von der eigenen Weltreise zu träumen. Auch wenn diese eher der Lustbarkeit entspränge, denn der Notwendigkeit zu wandern um zu überleben.
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PRESSESTIMMEN
„Buoninconti schreibt mit der gleichen Leichtigkeit über die physiologischen
und molekulargenetischen Grundlagen der Tierwanderungen wie über blühende
italienische Landschaften.“
– Frankfurter Allgemeine Zeitung, Thomas Krumenacker
„Ein wunderbares Buch.“
– NZZ am Sonntag, Patrick Imhasly
„Eine faszinierende Reise, wissenschaftlich fundiert und leicht wie ein
Flügelschlag geschrieben.“
– Il Sole 24 Ore
„Francesca Buoninconti erforscht eines der faszinierendsten und
geheimnisvollsten Naturphänomene und bringt dem Leser die Merkwürdigkeiten und
Beweggründe der Migranten des Tierreichs nahe.“
– Vanity Fair
„Buoninconti gelingt es glänzend, Informationsdichte und Lesbarkeit zu
vereinen“
–Klaus Nüchtern, Falter
„Grenzenlos (…) fesselt, indem es von Kenntnis ebenso wie Empathie geleitet,
anschaulich und fundiert zugleich erzählt.“
– Der Freitag
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Verlagsvorstellung der Autorin Francesca Buoninconti

Hat Naturwissenschaften studiert, sich als Ornithologin spezialisiert und schreibt als Wissenschaftsjournalistin für verschiedene Print- und digitale Medien, u. a. für La Repubblica, Micron und Vanity Fair, und arbeitet für den Rundfunk.
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Dr. Silvia Slazenger

Silvia Slazenger, Jahrgang 1978 ist promovierte Mikrobiologin und selbst eine Weltenwanderin. Das Leben ist bunt und vor allem vielseitig. Ihre einzige Angst ist vermutlich, dass die Länge eines Menschenlebens nicht ganz ausreichen könnte, um alles auszuprobieren, was ihre Begeisterung und Leidenschaft weckt. Man kann Silvia, wenn sie nicht gerade wie besessen arbeitet, daher fast überall antreffen, ob in einer Bibliothek in stiller Liebe mit alten Büchern, in den Rahen eines Segelschiffs das gerade den Ozean durchquert, im Tanzsaal, beim Kampfsporttraining oder Yoga, in philosophischer Konversation mit einem guten Glas Wein oder beim Cocktailempfang, im Abendkleid die Oper geniessend oder dreckverschmiert und mit leuchtenden Augen die gerade selbst erlegte Wildsau aus dem Gebüsch ziehend – in Gedanken bereits bei diversen Kochrezepten mit Vorfreude auf ausgiebige Kochabende mit lieben Freunden. Als kleines Mädchen beschloss sie, Biologin zu werden. Vielleicht, weil die faszinierende Natur, der ihre große Liebe gilt, ebenso vielseitig ist und nie aufhört neue Wunder bereit zu halten. Was die Welt im Innersten zusammen hält, hat sie zwar noch nicht herausgefunden, aber ihre Buchvorstellungen liefern sicher jedem Leser neue Impulse.
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Anmerkungen

Von KRAUTJUNKER gibt es eine Facebook-Gruppe sowie Becher aus Porzellan und Emaille. Kontaktmail für Anfragen siehe Impressum.

Titel: Grenzenlos: Die erstaunlichen Wanderungen der Tiere
Autorin: Francesca Buoninconti
Übersetzung: Werner Menapace
Verlag: Folio Verlag
Verlagslink: https://www.folioverlag.com/Grenzenlos/9783852568300
ISBN: 978-3-85256-830-0