von Florian Asche
Am 9. November 1918 gleicht Berlin einem Hexenkessel. Der letzte von Kaiser Wilhelm II ernannte Reichskanzler, Prinz Max von Baden, ist am Ende seiner Kräfte. Der Erste Weltkrieg ist militärisch verloren, hunderttausende von Soldaten strömen zurück ins Land. Unter ihnen herrscht Armut, Verzweiflung und Wut auf die herrschende Klasse. Ein revolutionäres Grundbrodeln. Als die Alliierten die Abdankung des Kaisers verlangen, setzt der sich grußlos in den Zug nach Holland. Er wird seinen Lebensabend nicht mehr auf der Jagd in Rominten, sondern mit Holzhacken bei Doorn verbringen. Kopf- und ratlos steht ein geschlagenes Deutschland da.
Dies ist die Stunde der Sozialdemokraten um Friedrich Ebert (* 1871; † 1925). Sie könnten sich nun an die Spitze der Revolution stellen und ein wildes Hauen und Stechen beginnen. Gründe gäbe es dafür genug. Seit 1878 hatte man die SPD geschuriegelt und als „Vaterlandslose Gesellen“ geschmäht. Die Landesfürsten wollten mit „dem Degen in der Hand“ auf den Stufen ihrer Throne fallen, so hatten sie getönt. Wutentbrannte Soldatenräte sind nun in Kiel nur zu gern bereit, ihnen diesen Wunsch zu erfüllen. Alles ist da für das ganze Drama eines Volksaufstandes. Doch Ebert will keinen Umsturz, sondern Versöhnung. „Ich hasse die Revolution wie die Sünde“, erklärt er dem scheidenden Reichskanzler. Und tatsächlich strebt der „Rat der Volksbeauftragten“, der das Chaos ordnen soll, vor allem nach Kontinuität und Stabilität. Dazu scheut er auch vor einem Bündnis mit den alten Mächten nicht zurück. Ihr Mann für blutige Tage, Gustav Noske, unterdrückt mit der Heeresführung alle revolutionären Bestrebungen. Mühsam rettet sich das Reich aus dem Chaos in die scheinbare Stabilität die Weimarer Republik. Ebert wird ihr erster Reichspräsident.
Das Wesen eines Menschen erkennt man nicht nur an seiner äußeren Lebensleistung, sondern auch an der Art wie er sein Privatleben verbringt. Ebert war der Typus eines bescheidenen, bienenfleißigen Politikers der ersten Generation. Das siebente von neun Kindern hatte eine Sattlerlehre absolviert, sich zum Redakteur und schließlich in den Reichstag hochgearbeitet. Von seinen fünf Kindern waren zwei Söhne im Weltkrieg gefallen. An der Staatsspitze vergrub Ebert sich in stiller, zäher Arbeit für die neue Republik. In seiner wenigen freien Zeit suchte er nach Stille, Natur und Entspannung. Dass Ebert mit fast 50 Jahren zum Jäger wurde, mutet da fast ein wenig ratlos an. Schließlich betrat er mit dieser Entscheidung nicht nur ein ungewohntes Terrain, sondern regelrechtes Feindgebiet. Eben noch war die Jagd die gewohnte Domäne des Adels gewesen, da griff ein „Unterschichtenmensch“ zum Gewehr. Tatsächlich scheint Ebert nicht gerade vor Passion geglüht zu haben. Die wenigen Bilder, die von ihm aus der Schorfheide erhalten sind, zeigen ihn still und bescheiden neben einem erlegten Stück Wild. Er mutet fast ein wenig peinlich berührt an. Ein Mann auf der Suche nach Abgeschiedenheit und Distanz vom Weltchaos. Zugleich aber hat Ebert mit seinem Bekenntnis zur Jagd zwei deutliche Signale gesendet: Zunächst zeigte er die Möglichkeit, durch eigene Leistungen genau das zu erreichen, was noch vor kurzer Zeit ein Geburtsrecht war. Außerdem war es ein Bekenntnis zum Land, auf dem die Sozialdemokraten als Arbeiterpartei regelmäßig schwach vertreten waren. Der Jäger Ebert war letztlich ein Symbol für Versöhnung von alten und neuen Kräften. Das war ein wichtiges Zeichen in einer Zeit, in der landesweit die Wildbestände durch Wilderei und jagdlichen Wildwuchs vernichtet wurden.

Während der Reichspräsident als Jäger eher eine Randerscheinung blieb, gab es auch Genossen, die echte Überzeugungstäter waren. Der „Rote Zar von Preußen“, der Ministerpräsident Otto Braun (* 1872; † 1955) war da aus einem anderen Holz geschnitzt. Braun war schon als junger Mann ein leidenschaftlicher Wanderer und Naturschwärmer gewesen. Dem Naturfreund, so schrieb er, „geht das Herz auf, wenn er an einem hellen Sommertage durch die nordöstlichen Ebenen unseres Vaterlandes wandert. Er schreitet an saftigen, farbenprächtigen Wiesen vorbei, wo das Summen der Bienen emsige Tätigkeit verrät. … Aller gesellschaftlichen Fesseln befreit, sich eins fühlend mit der ihn umgebenden herrlichen Natur, wirft er sich am Waldesrande in den Schatten eines Baums.“
Die Jagd wartete geradezu darauf, von Braun entdeckt zu werden und der sozialdemokratische Ministerpräsident wurde zu einem Fürsprecher für Jagd, Naturschutz und Landeskultur wie wir ihn uns heute wünschen würden. Mit aller Energie setzte Braun z. B. die Preußische Wildschutzverordnung durch. Er war damit einer der ersten Vertreter eines engagierten staatlichen Natur- und Artenschutzes. Der Elch, die Leitwildart seiner Heimat Ostpreußen, wurde von ihm besonders geliebt und mit strengen Auflagen wieder auf gesicherte Bestandsgrößen gebracht. Dementsprechend groß war auch der Respekt des Adels vor Brauns Leistungen. So sorgte der Großherzog Friedrich Franz von Mecklenburg-Schwerin dafür, dass Braun den Ehrenschild des Allgemeinen Deutschen Jagdschutzverbandes erhielt. Das war für die Kreise seiner Standesgenossen eine seltene Auszeichnung für einen „Revolutionär“.
Zutiefst tragisch ist das politische Ende dieses Jagd- und Naturfreundes. Braun musste vor den Nazis in die Schweiz fliehen. Wirtschaftlich ging es ihm dort zeitweise so schlecht, dass er seine gesamten liebgewordenen Jagdtrophäen verkaufte.
Betrachtet man die SPD unserer heutigen Tage und ihr Führungspersonal, dann kommt man zwangsläufig ins Grübeln. Spitzenfunktionäre wie Saskia Esken, Kevin Künert und Lars Klingbeil geben dieser Partei ein Gesicht, das geradezu in Widerspruch steht zu den knorrigen Naturen, die während der vergangenen 100 Jahre diese Partei gelenkt haben.
Ebert und Braun standen – insbesondere mit dem Bekenntnis zur Jagd – auch für einen festen Glauben daran, dass es dem einfachen Arbeiter mit Bildung und Fleiß gelingen konnte, voranzukommen, Eigentum zu bilden und eine Familie mit bescheidenem Wohlstand zu formen. Mit diesem Hintergrund entwickelten diese Sozialdemokraten auch ihre eigene Karriere, quasi als Vorbild ihres politischen Programms. Noch Gerhard Schröder war so ein Typus des sozialen Außenseiters, der durch seine Intelligenz und seinen Schneid zum Aufsteiger wurde. Er ist heute für die moderne Sozialdemokratie eine mittlere Zumutung, ganz unabhängig von seinem russischen Gazprom-Mandat. Machosprüche, Currywurst und eine Pulle Bier sind für Moralisten der dritten Generation nicht mehr akzeptabel. Auch Schröders damaliger Landwirtschaftsminister Karl-Heinz Funke wäre heute keinesfalls mehr ministrabel. Seine Werbesprüche wie „Oldenburger Butter hilft dir auf die Mutter“ wären heute die sichere Fahrkarte im Zug von MeToo Richtung Frühpension. Dass Funke obendrein noch leidenschaftlicher Jäger war, würde ihn heute erst recht erledigen. Der letzte prominente Jagdsozi, der Mecklenburger Till Backhaus, durfte den mangelnden Humor seiner Partei schon spüren, als er über Ricarda Lang meinte, dass „Dick und Doof“ früher doch zwei Personen gewesen seien. Derartige Späße, noch dazu aus Jägermund, sind so gar nicht nach dem Geschmack der Führungsriege. Die neue SPD-Elite ist dafür zur moralisch und weltanschaulich durchgeformt. Moderne Jakobiner.
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Florian Asche

Der Rechtsanwalt Dr. Florian Asche ist Vorstandsmitglied der Max Schmeling Stiftung und der Stiftung Wald und Wild in Mecklenburg-Vorpommern.
Einem breiten Publikum wurde er bekannt durch seinen literarischen Überraschungserfolg über den göttlichen Triatlhon: Jagen, Sex und Tiere essen (siehe: https://krautjunker.com/2017/01/04/jagen-sex-und-tiere-essen/& https://krautjunker.com/2017/09/19/sind-jagd-und-sex-das-gleiche/)
Website der Kanzlei: https://www.aschestein.de/de/anwaelte-berater/detail/person/dr-florian-asche/
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Mehr von Dr. Florian Asche: https://krautjunker.com/?s=florian+asche
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Anmerkungen

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Mehr über Jagd und Machthaber in diesem lesenswerten Buch:
https://krautjunker.com/2020/05/02/jagd-und-macht-die-geschichte-des-jagdreviers-schorfheide/