Jagd und Macht – Die Geschichte des Jagdreviers Schorfheide

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Buchvorstellung von Beate A. Fischer

Die Schorfheide – Sehnsuchtsort vieler Jäger, Mythos starker Rothirsche, Drückjagden mit vielen hundert Stück Wild auf der Strecke, Jagd und Politik. Im Jahre 2018 war ich im Rahmen einer agrarrechtlichen Fortbildung in der Schorfheide, am Döllnsee und spürte das Fieber „Schorfheide“. Als Rahmenprogramm dieser Fortbildung standen waldbiologische Exkursionen und eine geschichtliche Führung sowie zwei Ansitze auf der Tagesordnung – viel Gelegenheit also, sich mit dem Mythos „Schorfheide“ auseinanderzusetzen. Ich hatte auch von dieser Ausstellung gehört, hatte aber keine Gelegenheit sie zu besuchen. So freute ich mich umso, mehr den Begleitband auf den Tisch zu bekommen.

»Die Askanier begründeten dort im 12. Jahrhundert eine Tradition der Jagd der Mächtigen, die sich von da bis zum SED Generalsekretär Erich Honecker 1989 nachverfolgen läßt. In der Zeit dazwischen jagten in der Schorfheide Markgrafen, Kurfürsten, Könige, Kaiser, Staatsoberhäupter, Würdenträger, Präsidenten, Diktatoren, Militärs, Diplomaten, Spitzenfunktionäre und natürlich auch die Wilddiebe. Sie taten es mal mehr und mal weniger spektakulär und hinterließen dabei ihre Spuren in der Geschichte. In der „großen“ Heide trafen sie zusammen und es gab stets Gelegenheit zum Gespräch und zum Gedankenaustausch. Mancher Vertragsabschluss und zahlreiche politische Entscheidungen sind eng mit dem Jagderfolg, gemeinsamen Waldspaziergängen, Ausritten, Kutschfahrten, Gesprächen am Lagerfeuer oder Kamin in der Schorfheide verbunden. Davon erzählt dieses Buch.«

Bereits im 9. Jahrhundert belegten die Könige die von ihnen beanspruchten Waldflächen mit dem Forstbann und stellten jede Fremdnutzung unter Strafe. Die Nutzung des Waldes durch die Bevölkerung als Allmende, also gemeinschaftlich war damit erstmal vorbei. Die Unterteilung in die „Hohe Jagd“ – Schwarzwild und Rotwild sowie die „Niedere Jagd“ entstand mit der Zuweisung des Jagdwildes zu den Ständen des Adels. Auch heute noch wird beim Wild zwischen Hoch- und Niederwild unterschieden, diese Begriffe gehen darauf zurück.

Die Jagd galt lang als „Vorschule des Krieges“ für junge Adlige. In der Jagd wurden die geistigen und körperlichen Fähigkeiten geschult, die sich auch in der Kriegsführung als vorteilhaft erwiesen. Strategisches Denken, Orientierung im Gelände, der Umgang mit Waffen und Munition, Mut und Entschlossenheit sind die Tugenden, die einen guten Jäger ausmachten.

»Die Herrschaft Ottos IV. 1238/1267-1308 zeigt exemplarisch den sozialen Wandlungssprozess im höfischen Leben, der sich nach dem Vorbild der französischen Ritterkultur vollzog. Rittertum und Jagdstanden dabei in enger Verbindung. Durch die Kreuzzüge gelangten aus dem orientalischen Kulturkreis auch neue Jagdformen wie die Beizjagd in den abendländischen Raum. Alte Vorstellungen vom „magischen Hirsch“ wurden wiederbelebt. Aus den frühen Massenturnieren der Ritter bei Hofe, die von vielen tödlichen Unfällen begleitet waren und ursprünglich dem Training für den Kampf dienten, wurden im Verlauf des 13. Jahrhunderts ungefährliche Veranstaltungen, die maßgeblich der prunkvollen Selbstdarstellung des Adels dienten und wiederum mit Jagden verbunden waren. Die höfisch-ritterliche Kultur schuf in diesen Zeiten neue Arten der höfischen Jagd, wodurch sich die Formen ihrer Durchführung veränderten und die Jagdkunst verfeinerte.«

»Wie die Askanier fühlten sich auch die Hohenzollern von der Schorfheide angezogen. Unter ihrer Herrschaft veränderten sich im Verlauf des 15. Jahrhunderts die Strukturen der dortigen Jagdorganisation. Zunächst wurde das Amt des Landvogts eingeführt, der in der Mark für Ruhe und Ordnung sorgen sollte.«

»In der Mitte des 16. Jahrhunderts vollzog sich eine deutliche Wandlung in der Organisation der brandenburgischen Jagd- und Forstverwaltung. Aus den Vogteien wurden Ämter; die Heidereiter agierten als Regieverwalter. Ab 1573 mussten die Heidereiter ein Eid leisten, und zwischen 1547 und 1590 gab es insgesamt acht Jagd- und Forstverordnungen, die später mehrfach ergänzt und überarbeitet wurden, und bis ins 19. Jahrhundert hinein Gültigkeit behielten.«

Im 16. Jahrhundert wurden in der Schorfheide erstmals Register über die Wildbestände und Abschüsse geführt. Durch Wildzäune und den Einsatz der „Heidereitern“ wurde das Hinauswechseln des Wildes, aber auch der Wilderei Einhalt geboten und der Jagderfolg der Kurfürsten und ihrer Gäste sichergestellt werden. Die überlieferten Abschusszahlen deuten auf ein reges jagdliches Leben. Damals bewohnten nicht nur Wölfe sondern auch Bären und Luchse die Schorfheide. Das Anlegen von Tiergehegen kam in Mode und wurde zum Prestigeobjekt der Herrschenden.

Der Dreissigjährige Krieg führte zu einem Machtvakuum in der Schorfheide. Wilderei und wachsende Wolfsbestände setzten dem Wild zu. Die Übergriffe der Wölfe auch auf Nutztiere sowie Plünderungen durch Soldaten, führten zu Hungersnöten unter der lokalen Bevölkerung.

Erst ab 1660 hatte die Schorfheide mit dem Kurfürst Fridrich Wilhelm der Heide wieder einen jagdbegeisterten Herrscher, der über die finanziellen und organisatorischen Mittel verfügte, die Schorfheide als Jagdrevier und politisches Machtzentrum zu repräsentieren. Das Jagdschloss Groß Schönebeck wurde wieder aufgebaut.

»Welcher Aufwand bei Hofe inzwischen wieder betrieben werden konnte, zeigt die Versammlung der Ständevertreter im Königsberger Schloss am 18. Oktober 1663. Sie leisteten ihren Lehnseid auf den brandenburgischen Kurfürsten. Über das anschließende Fest wurde berichtete: “Nach der Zeremonie öffneten sich die Tore zum Schlosshof, und der Landesherr stellte nach altem Brauch seine Großzügigkeit zur Schau. Die Stadtbevölkerung strömte herbei und feierte mit. Haushofmeister warfen Gedenkmünzen aus Gold und Silber in die Mitte.«

Der Kurfüst ließ das, insbesondere ab den 19. Jahrhundert so beliebte Damwild, 1681 in der Schorfheide auswildern. Er betrieb seine Amtsgeschäfte genauso engagiert wie die Entwicklung der Jagd- und Forstverwaltung. Oberförster und Oberjäger wurden etabliert, direkt dem Kurfürsten unterstellt waren. 1672 wurde der Wildzaun rund um die Schorfheide zur Abwehr von Wilderern aber auch der zahlreichen Wolfsrudel wieder aufgebaut. Die Dorfbevölkerung wurde als Treiber bei regelmäßigen Wolfsjagden verpflichtet.

Die kurfürstliche Jagd war im 17. Jahrhundert prunkvolles Ereignis höfischer Selbstinszenierung aller Beteiligten. Der Kurfürst zeigte sich großzügig auf der Jagd und Staatsgäste aus aller Welt revanchierten sich mit exotischen Tieren als Gastgeschenken.

Die Form der Nutzung der natürlichen Wildbestände der Schorfheide stand und fiel mit den Prioritäten der jeweiligen Herrscher und damit auch der Stellenwert sowie Etat der Jagd- und Forstverwaltung. Während Friedrich Wilhelm I. ein begeisterter Jäger war und die Jagdeinladung und den Jagderfolg zum Mittel politischer Einflussnahme machte, strich sein Sohn Friedrich der II. den Etat der Jagdverwaltung zusammen, ließ das Wild durch Abschuß reduzieren, exotische  Wildtiere wurden verschenkt und die höfische Jagdhundehaltung um 75 % gekürzt. Für Friedrich II. stand der Forstbau und Entwicklung landwirtschaftlicher Besitzungen im Vordergrund, dabei sind überhöhte Wildbestände bekanntlich eher hinderlich. Unter Friedrich dem III. stand der Kampf gegen die Wilderei im Vordergrund, während Friedrich der IV. eher ein Anhänger eines verklärt mittelalterlich romantischen, stark ritualisierten Jagdbildes war.

Mit der preußischen Verfassung vom 31.01.1850 wurde das Jagdprivileg des Adels in Deutschland gebrochen. Das Jagdpolizeigesetz legte die Grundlage des heutigen Reviersystems von Eigen- und Gemeinschaftsjagden. Grundbesitzer wurden erstmalig zu Jagdberechtigten auf dem eigenen Land. Des Weiteren wurden Jagd- und Schonzeiten festgelegt. Friedrich der IV. behielt sich für die königliche Familie ein wesentliches Kontingent an Abschüssen vor. Sein Bruder Wilhelm kam 1862 als inthronierter König in die Schorfheide. Der als „Kartätschenprinz“ bekannte Wilhelm machte die Schorfheide zum exklusiven Hofjagdgebiet. Preußens Glanz und Gloria kam die jagdliche Verbindung zwischen dem eher gefühlsgetriebenen Monarchen und dem pragmatischen Machtpolitiker Bismarck zu gute. Beide hatten jagdliche Ambitionen und Wilhelm I. schenkte nicht nur Bismarck den Sachsenwald sondern er wies das Hofjagdamt an, die Wildbestände soweit zu erhöhen, dass Jagderfolge nahezu sichergestellt waren. Um den Hof vor Regressansprüchen der Wald- und Landbesitzern für den Wildschaden zu bewahren, wurde der Wildzaun um die Schorfheide erneuert und die jährliche Wildfütterung auf über 160 Tonnen Heu, Stroh und Luzerne aufgestockt. Bei einer Lappjagd erlegte dann auch am 17. Dezember 1869 allein der Kaiser 34 Stück Rotwild.

»In dieser Form wurden unter Kaiser Wilhelm I. regelmäßig Hofjagden mit hohen Gästen in der Schorfheide durchgeführt und dabei auch Innen- und Außenpolitik betrieben. Die Liste der hohen Schorfheide- Besucher ist lang und reicht von Monarchen und Prinzen der europäischen Königshäuser über die deutsche Fürstenprominenz bis hin zu den Großfürsten des russischen Zarenhofes, die gleich mehrfach Jagdgäste in der Schorfheide waren.«

Wilhelm II. vertrat sich auf dem diplomatischen Parkett als er den russischen Zaren Alexander III. zu einer Jagdeinladung nach Russland drängen wollte. Bismarck bekam als Reichskanzler den außenpolitischen Konsequenzen im Zuge der Hinwendung Russlands nach Frankreich zu spüren.

Wirtschaftspoltisch war Wilhelm II. erfolgreicher. Die Jahre von 1895 – 1914 gelten als „goldene Jahre“ wirtschaftlichen Daueraufschwungs, was sich auch in der Entwicklung der Jagdwaffen niederschlug. Als begeisterter Jäger soll er selbst über 78.000 Stück Wild erlegt haben. Er gilt auch als Begründer von Jagd- und Geweihausstellungen. 1914 zählte die Schorfheide ca. 6400 Stück Rot- und Damwild. Ein Wildbestand, der am Baumbestand in der Schorfheide und dem Etat der Forstverwaltung nicht spurlos vorbei ging, doch selbst am Ende des 1. Weltkriegs zählte die Schorfheide nach ca. 4500 Stück Rot- und Damwild.

Bereits 1922 standen Rot- und Damwild in der Schorfheide jedoch kurz vor der Ausrottung. Oberförster, Wilddiebe und Arbeiter- und Soldatenräte bedienten sich hemmungslos am Wildbestand. Wiederum sorgte ein Machtvakuum in der Schorfheide für einen signifikanten Einbruch in den Wildbeständen.

Diesmal war es ein jagdleidenschaftlicher Sozialdemokrat, der die Jagd in der Schorfheide rettete, Otto Braun. Als Landwirtschaftsminister ordnete er die Jagd seinem Ministerium unter und machte sich wenig Freunde, bei all denjenigen, die so jagen wollten, wie es ihnen gefiel. Er verbrachte fast jedes Wochenende in der Schorfheide, nicht nur zum Jagen sondern auch zur Beobachtung von Wald und Wild. Er zog sich aus der Hektik Berlins in die Schorfheide zurück, um die Ruhe zu genießen und um politische Kontakte im informellen Umfeld der Jagd zu pflegen. Auch Friedrich Ebert und Paul von Hindenburg nutzten den exklusiven Zugang zur Schorfheide in diesem Sinne. Drei Männer, die unterschiedlicher in Herkunft und Weltanschauung kaum sein mochten, sicherte die Jagdfreundschaft in der Schorfheide die politische Macht im Berliner Haifischbecken. Otto Braun sollte sie kurz vor Hitlers Machtübernahme sogar das Leben retten.   

Die Zwanzigerjahre brachten auch den Beginn des Massentourismus und die Fahrt »ins Grüne« wurde für die Berliner Bevölkerung zum Sehnsuchtsort. Direkte Busverbindungen nach Berlin für wenige Pfennige, Wandervogelbewegung, Naturfreunde und FKK-Jünger brachten neues Publikum in die Schorfheide. Otto Braun erklärte die Schorfheide 1930 zum ersten deutschen Naturschutzgebiet – vielleicht auch nicht ganz uneigennützig. Die Verordnung beschränkte den Zugang der wandernden Stadtbevölkerung auf einen kleinen Teil der Schorfheide.

Der wirtschaftliche Abschwung Deutschlands, Armut und Massenarbeitslosigkeit gingen auch nicht an der Schorfheide vorbei. Armuts-Wilderei ließen die Wildbestände im Zeitraum 1931-1934 stark sinken und auch großangelegte Schauprozesse gegen Wilderer zeigten wenig Wirkung.

Ab 1933 rückte die Schorfheide jedoch ins Augenmerk von Hermann Göring, der in der Schorfheide einen geeigneten Ort sah, einen »Ur-Wald« mit »Ur-Wild« zu erschaffen. Die seenreiche Schorfheide erinnerte Göring an die schwedische Heimat seiner 1931 verstorbenen Frau, der schwedischen Baroness Carin von Fock. In ihrem Gedenken ließ er in verschiedenen Ausbaustufen, am Döllnsee »Carinhall« als Jagdhaus und Machtzentrum errichten. So wie er mit seiner verstorbenen Frau in Berlin ein »grosses Haus« in dem Politiker, europäischer Adel und nicht zuletzt Industrielle ein- und ausgingen, geführt hatte, wurde Carinhall 1934 das heimliche Hauptquartier.

Göring erwarb die Loyalität der Forstbeamten durch deren finanzielle Absicherung und nutzte die Jagd in der Schorfheide als Möglichkeit der NSDAP, die großzügige Unterstützung deutscher und ausländischer Großindustrieller zu sichern. Durch Ämterhäufung und internationale Parkettsicherheit wurde Göring für Hitler bald unersetzlich.

Der Effekt der 1937 von Göring organisierten Internationale Jagdausstellung mit 40.000 Besuchern in Berlin wird mit dem der Durchführung der Olympischen Spiele verglichen. Göring nutzte die im November stattfindende Ausstellung für Jagdeinladungen zur diplomatischen Kontaktpflege mit den Bündnispartnern des Deutschen Reiches.

Göring brachte auch die Idee der schwedischen und amerikanischen Nationalsparks in die Schorfheide. Insbesondere der Yellowstone Nationalpark hatte es ihm angetan und neben dem heimischen Hochwild zogen Wisente, Elche und Wildpferde in die Schorfheide ein.

Während des 2. Weltkriegs zog sich Göring immer mehr in die Schorfheide zurück und gegen Kriegsende wurden die Feiern immer ausschweifender und prunkvoller; Realitätsverlust oder Verdrängung, am 12 Januar 1945 präsentierte Göring zu seinem Geburtstag, seine Erweiterungspläne von Carinshall bis zu seinem 60. Geburtstag – acht Jahre später. Dazu sollte es nicht mehr kommen, Göring und seine Kunstsammlung verließen im April 1945 Carinhall. Die Rote Armee sprengte den – bisher unversehrten – Komplex im Mai 1945.

Einheimische Bevölkerung und russische Armeeangehörige holten in den wenigen Tagen zwischen der Abreise Görings und dem Einmarsch der Truppen aus Carinshall alles was greifbar war. Alle Revierförster der Schorfheide wurden entlassen und wiederum war es das Machtvakuum, dass dem Wildbestand der Schorfheide Schaden zufügte. Wisente und Elche, aber auch Rot-, Schwarz- und Damwild wurden Opfer der russischen Militärangehörigen.

Mit der Gründung der DDR 1948 wurde das Jagdwesen wieder unter staatliche Kontrolle genommen. Auffällig war der Anteil der Jagdpächter aus Westberlin, die den günstigen Umrechnungskurs genutzt hatten, preisgünstig an eine Jagd zu kommen.

Mit dem Jagdgesetz von 1953 bzw. 1962 wurde die Kollektivjagd eingeführt, die Verwaltung der Waffen und Munition verstaatlicht. Die Jagdausübung war an die Anwesenheit eines staatlichen Beauftragten gebunden. 1954 wurde die Schorfheide zum Sonderjagdgebiet der Staatsführung und ihrer Gäste. 1961 unterzeichnet die SED-Führung am Döllnsee den Befehl zur Errichtung der Mauer.

Es war auch 1961 als die Schorfheide zum Staatsjagdgebiet erklärt und dem Verteidigungsministerium zugeordnet wurde. Die Jagdteilnahme war auf Mitglieder der SED Führung und deren Jagdgäste beschränkt. Das Forstamt hatte die Aufgabe durch gezielte Fütterungen, einen den Jagderfolg sichernden Wildbestand zu gewährleisten. Politische Einflussnahme durch Jagdeinladung mit Erfolgsgarantie, war also auch in der DDR ein Mittel der Wahl.

Die Machtübernahme Erich Honeckers und die damit einhergehende Entmachtung Walter Ulbrichts waren eng mit der Jagd in der Schorfheide verbunden.

»In der zweiten Hälfte der 1960er Jahre beobachteten zunächst Breschnew und dann auch Honecker mit immer größer werdendem Mißtrauen die von Ulbricht vorsichtig angeregte deutsch-deutsche Annäherung. Als in Bonn 1969 die Sozialdemokraten das Ruder übernahmen, sprachen sich Breschnew und Honecker u.a. bei der Jagd in der Schorfheide ab. … Als Walter Ulbricht im Mai 1971 in einem Vieraugengespräch in seiner Sommerresidenz in der Schorfheide von Honecker zum Rücktritt gezwungen wurde, handelte dieser mit Billigung seines Jagdfreundes Leonid Breschnew. Gegen Ende Oktober 1971 ersuchte Ulbricht den Kreml-Chef um ein persönliches Gespräch bei sich am Döllnsee, aber Breschnew nahm lieber die Einladung Honeckers an und ging mit ihm in der Schorfheide jagen.«

Unter dem jagdbesessenen  Honecker – er erlegte über 500 Rothirsche – wurde die Schorfheide wieder zum politischen Machtzentrum konspirativer Treffen; von Herbert Wehner, Oskar Lafontaine, Helmut Schmidt und Franz-Josef Strauß. Stasi-Offiziere und Wirtschaftsfunktionären wie Alexander Schalck-Golodkowski und der einflussreiche Industrielle Berthold Beitz waren Honeckers Gäste in der Schorfheide. Der Jagdbetrieb kostete die DDR-Führung um die 10 Millionen Mark pro Jahr. Insbesondere Fütterungen und Wildschadensausgleich stellten einen wesentlichen Budgetposten dar. Die Förster versorgten die Kirrungen täglich zur gleichen Uhrzeit mit Futter, um den Mitgliedern der SED-Führung auch den zeitlich kalkulierbaren Jagderfolg zu sichern.

Am 8. November 1989 erlegte Erich Honecker noch jeweils drei Rot- und Damhirsche, dann war auch für ihn die Zeit in der Schorfheide vorbei.

Das vorliegende Buch entstand als Begleitband zu der Ausstellung „Jagd und Macht“ im Schorfheide-Museum dessen Leiter Helmut Suter ist. Seit Mai 2009 ist die Ausstellung dort zu sehen und erzählt über 1.000 Jahre Jagd und Macht in der Schorfheide vor den Toren Berlins. Es ist ein historischer Politkrimi rund um Jagd und Politik.

Das einzige Manko des reich bebilderten, spannend geschriebenen und gut recherchierten Buches ist, dass die Geschichte der Jagd in der Schorfheide 1990 endet. Ein lapidarer Hinweis darauf, dass die Schorfheide ein Biosphärenreservat ist, eine Kulturlandschaft, in der eine dem Waldbestand angepasste Jagd betrieben wird, wird dem wissenschaftlichen Anspruch, den das Buch bis 1990 erhebt, für die letzten 30 Jahre nicht gerecht.

Die Schorfheide mit ihren sandigen und trockenen Böden ist ideal geeignet für den dort prächtig gedeihenden, weltweit nachgefragten Kiefernbestand. Auch trockene niederschlagsarme Sommer sind für die Kiefer kein Problem. Der Verbiss durch Rehwild ist im Kiefernbestand gering. Im Rahmen eines politisch gewollten Umbaus zum Mischwald, werden die verbliebenen Bestände wiederkäuender Schalenwildarten in der Schorfheide noch mehr unter Beschuss geraten. Die wachsenden Wolfszahlen haben den Bestand schon stark dezimiert, den Landesforst stört das wiederum wenig. Private Jagdpächter und Eigenjagdbesitzer haben das Nachsehen. Es gab schon bessere Zeiten in der Schorfheide.

Aber auch heute noch ist die Jagd ein Mittel zur Sicherung politischer und wirtschaftlicher Einflussnahme. (Fast) jede Jagdeinladung steht im Kalkül der Sicherung persönlicher, wirtschaftlicher und politischer Beeinflussung. Unter den 400.000 Jägern in Deutschland ist die Frage, wer, wo, mit wem auf Jagd geht, immer noch eine bedeutende Machtfrage.

Unternehmer sichern sich Aufträge und Kontakte über Jagdeinladungen. Rund um die deutschen Ballungszentren zieht man sich immer noch gern zu vertraulichen Gesprächen ins Umland zurück. Attraktive Hochwildreviere erzielen Jahrespachten von mehreren zehntausenden Euro und sichern eine Exklusivität der Jagdausübung auch ohne Adelstitel.

Die Jagd – nicht nur in der Schorfheide – garantiert seit je Verschwiegenheit – was auf der Jagd passiert, bleibt auf der Jagd. Gerade diese Verschwiegenheit, ist der Kitt aus dem Loyalität gemacht ist. Unbemerkt von Hofstaat oder Öffentlichkeit können Interessen sondiert und Absprachen oder Übereinkünfte getroffen werden.

Die Zahl der Jäger in Deutschland steigt, auch wenn die Stimmen der Jagdgegner lauter werden und vielerorts die Jagd im öffentlichen Diskurs keine Rolle mehr zu spielen scheint, Jagd und Macht sind immer noch eng verbunden. Es wird in manchen Kreisen nicht mehr so offen darüber gesprochen, aber Jagd ist immer noch eine Frage der Macht.

Abb.: Helmut Suter; Bildquelle: Website des Be.Bra Verlags

Der Autor Helmut Suter, Leiter des Schorfheidemuseums, lebt in Groß Schönebeck und ist Jagdhistoriker. Von ihm erschienen sind zahlreiche Bücher zur Jagd- und Landesgeschichte, zuletzt u. a. Vom Jagen, Trinken und Regieren (2005), Ferdinand von Raesfeld. Leben, Wirken und Werk eines Altmeisters des deutschen Waidwerks (2006) und Groß Schnebeck. 700 Jahre Geschichte (2007).

Abb.: Burghard Ciesla; Bildquelle: Website des Be.Bra Verlags

Burghard Ciesla, habilitierter Zeithistoriker, lebt in Berlin und arbeitet freiberuflich für Lehre, Wissenschaft, Museen und Medien. Von ihm sind u.a. erschienen: Freiheit wollen wir! Der 17. Juni 1953 in Brandenburg (2003), Als der Osten durch den Westen fuhr: Die Geschichte der Deutschen Reichsbahn in Westberlin (2006) und Zwischen den Zeilen: Geschichte der Zeitung >Neues Deutschland< (2009).

In dem Ort Schönbeck errichteten die Askanier Anfang des 13. Jahrhunderts am Rande der Schorfheide eine Grenzburg. Die erste urkundliche Erwähnung des Ortes erfolgte im Jahre 1300. Im Dreißigjährigen Krieg wurde das Dorf bis auf den massiven Feldsteinturm der Kirche zerstört. Danach erfolgten die gezielte Neuansiedlung und der Bau eines Jagdschlosses (1680-1715) auf dem Gelände der zerstörten Burg. Bis Mitte des 19. Jahrhunderts diente das Schloss als preußischer Herrschaftssitz und Aufenthaltsort der königlichen Jagdgäste. Die Entwicklung von Groß Schönebeck prägten über die Jahrhunderte hinweg die Landwirtschaft und vor allem die Jagd der Herrschenden und Privilegierten. Groß Schönebeck gilt als „Tor zur Schorfheide“, die 1990 Teil des Biosphärenreservats Schorfheide-Chorin wurde. Heute bestimmt neben der Landwirtschaft, dem Forst- und Jagdwesen vor allem der Tourismus das Leben des Ortes. Der Verein der Natur- und Heimatfreunde übernahm 1991 das Jagdschloss und gründete dort das Schorfheide-Museum in dem die Dauerausstellung Jagd und Macht in der Schorfheide gezeigt wird.

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KRAUTJUNKER-Rezensentin:

Beate A. Fischer, geboren 1973, Jägerin seit 6 Jahren, Hundeführerin – verliebt in einem Vizsla sowie Co- und Stiefmutter eines Fox, schießt leidenschaftlich gern Jagdparcour und Flugwild, außerdem hat sich die afrikanische Sonne in ihr Herz gebrannt. Sie lebt im kühlen Nordfriesland auf einem Resthof, arbeitet als Rechtsanwältin und schreibt manchmal auch mal andere schöne Texte. 

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Von KRAUTJUNKER existiert eine Facebook-Gruppe.

Titel: Jagd und Macht – Die Geschichte des Jagdreviers Schorfheide

Autoren: Burghard CieslaHelmut Suter

Verlag: Be.bra Verlag GmbH

Verlagslink: https://www.bebraverlag.de/verzeichnis/titel/466-jagd-und-macht.html

ISBN: 978-3-89809-090-2

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