Grillbar: Louisa grillt anders

Grillen ist ein Machoding. Gerade Männer, die Kochen für eine Frauensache halten und sich weigern in der Küche einen anderen Handschlag zu leisten, als eine Bierflasche zu öffnen, stehen begeistert stundenlang am heißen Grill, um dort möglichst mächtige Fleischstücke über dem Feuer verbrennen zu lassen. Womöglich, weil das Draußenessen schon aus klimatischen Gründen besonders im Süden hochgehalten wird, wo die klassische Rollenverteilung noch mehr gepflegt wird und sich jeder Mann in der Tradition seiner steinzeitlichen oder antiken Ahnen sieht. Ein kühner Jäger und Held, der das Überleben seiner Frauen und Kinder sichert, indem er seine Beute über die heiligen Flammen hält und dafür Ruhm und Liebe erntet. Was gibt es da zu lachen? Mir geht es insgeheim ähnlich.  

Dass dies von Nina Deggele, Professorin für Soziologie und Geschlechterforschung an der Universität Freiburg, mit ihrem Projekt „Grillen und Lebensstil“ belegt wurde, geistert zwar seit 2002 durch die Medien und das Web, hat sich auf meine Nachfrage bei Frau Deggele aber als Ente entpuppt.

Gleichwohl handelt es sich dabei um männliches Urwissen, von dessen Richtigkeit jeder Mann überzeugt ist, der mit seinem Bier bei den Flammen steht und sich in der Tradition seiner zotteligen Vorfahren weiß. In den meisten Fällen wird neben Folienkartoffeln eh nur vormariniertes und minderwertiges Fleisch zubereitet und besteht die ganze Kunst darin, den rechten Moment zwischen „noch roh“ und „schon verbrannt“ abzupassen. Ich kenne diese primitiven Typen – bis vor Kurzem, als ich meinen eigenen evolutionären Sprung ausführte, war ich einer von ihnen.

Will ich, schaffe ich!

Es musste wohl eine von all diesem archaischen Brauchtum unbelastete Frau wie Louisa Lorang (links) kommen, um das Grillen mit einer innovativen Rezeptsammlung zu reformieren.

In einem bunten Hardcover werden die Rezepte in amerikanischem Diner-Style mit bunter Typomischung in der aktuell schwer angesagten Ästhetik der siebziger Jahre präsentiert. Die dunkel gehaltenen großartigen Fotos lassen einem das Wasser im Mund zusammenlaufen und vermitteln dem Leser das Gefühl: „das will ich essen und so bekomme ich auch es auch hin“.

Skandinavische Leichtigkeit mit Klasse

Das Format ist dabei praktisch und stabil, das Papier griffig, die Texte und Rezepte kommen kurz und knackig auf den Punkt. So zwanglos fröhlich, wie man sich seine Grillparty nur wünschen kann, erscheint auch dieses Buch. Es bedarf schon sehr disziplinierter und erfahrener Profis, um den Eindruck so unangestrengter Leichtigkeit zu erwecken, für den skandinavisches Design steht. Kurzum, das Buch ist ausnehmend ansprechend und zeitgemäß gestaltet. Von seiner Ästhetik und Machart her kein zeitloser Klassiker, eher ein poppiges Trendbuch für Griller, die keine leidenschaftlichen Leser sind, sondern gleich loslegen wollen.

Das Vorwort ist äußerst knapp, eine Einführung in Geschichte oder Technik der Grillkunst fehlt. Die absolute Beherrschung des Grills setzt die dänische Fernsehköchin ebenso optimistisch voraus wie Warenkunde. Fairerweise muss man sagen, dass man das alles bei einem Buch dieser Größe und dieses Preises ebenso wenig erwarten kann wie die Motorisierung und Ausstattung eines Oberklasse-Autos, wenn man sich einen Kleinwagen kauft.

Von Gemüse über Fleisch bis Drinks

Die Rezepte sind übersichtlich in folgende Kapitel gegliedert: Gemüse, Fisch und Meeresfrüchte, Geflügel, Schweinefleisch, Rindfleisch und mehr, Süßes und Drinks und Bonus.

Kapitel-Symbole auf den Rezeptseiten betonen die Gliederung der einzelnen Kapitel und erleichtern die Orientierung. Jedes Rezept wird mit einem kleinen Text kommentiert und durch einen besonders hervorgehobenen Tipp ergänzt.

Angaben zur Zubereitungszeit fehlen, so dass sich der flüchtige Leser oder unerfahrene Koch durchaus verschätzen kann. Gut, dass man kaum je alleine grillt, denn die Zubereitung vieler Gerichte klappt erheblich stressfreier, wenn man sie zu zweit durchführt, einfach weil man nicht gleichzeitig auf dem Herd eine Sauce aufkochen und das Grillgut über dem Feuer wenden kann. Erfreulicherweise sind die aufgelisteten Zutaten in jedem größeren Lebensmittelmarkt erhältlich.

Modern und inspirierend

Louisa Lorangs Rezepte verzaubern durch Mut und Modernität und unterscheiden sich stark von den üblichen Fleischgerichten und Salaten. Auch benötigt man zum Gelingen weder Kugelgrill noch Smoker, nur seinen Grill sollte man bereits wirklich beherrschen. Die Autorin packt wirklich alles auf den Grillrost und ihre ungewöhnlichen Kombinationen von Zutaten und Gewürzen erfreuen Experimentierfreudige.

Während man in den meisten mir bekannten Grillbüchern Variationen bekannter Klassiker der mediterranen Welt oder der USA-Südstaaten findet, bietet die Dänin modernen Freestyle wie gegrillten Blumenkohl mit Blauschimmelkäse oder Schweinefilet mit Aprikose und Salbei an.

Bewusstseinserweiterung für Holzfällersteak-Griller

Die Zubereitung ist dabei übersichtlich beschrieben und in der Praxis angenehm einfach nachzuvollziehen. Nur bei den Zubereitungszeiten sollte man verteufelt aufpassen, da zumindest ein Holzkohlegrill nicht wie ein Induktionsherd eingestellt werden kann und wenn man es mit dem Marinieren übertrieben hat, wird einem ganz bildlich gewahr, warum der Redensart „Öl ins Feuer gießen“ so viel Dramatik innewohnt.

Insbesondere in den Kapiteln „Süßes und Drinks“ sowie „Bonus“ finden sich Speisen wie „Gegrillter Bananensplit“ oder „Gegrillter Mojito“, die bei dem männlichen Standardgrillern mit ihren vormarinierten Holzfällersteaks und Pilsbieren sensorische Bewusstseinserweiterungen auslösen können. Alle ausprobierten Rezepte waren lecker und haben sehr unterschiedlichen Gästen angenehm erstaunt und gut geschmeckt.

Sofern man seinen Grill bereits beherrscht und nicht an der Kulturgeschichte des Grillens oder Warenkunde interessiert ist, wird man hier gut bedient. Für knapp zwanzig Euro erhält man mit diesem kompakten Buch ein Feuerwerk an ungewöhnlichen Ideen, die sich leichter zubereiten lassen, als sie aussehen und mit denen auch Grill-Neandertaler bei ihrem Stamm mächtig Eindruck schinden können. Die gut strukturierte Rezeptsammlung präsentiert sich dabei trendig und ästhetisch, dass es eine Freude ist, sie auch einfach durchzublättern und über die Gerichte zu staunen.

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Dieser Text erschien zuerst auf http://valentinas-kochbuch.de/ und wurde leicht überarbeitet.

 

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Anmerkungen

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Titelbild

Titel: Grillbar: Louisa grillt anders

Autorin: Louisa Lorang

Verlag: BusseSeewald

ISBN-13: 978-3772473937

Verlagslink: http://www.busse-seewald.de/Kochen/Grillbar.html

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Weitere Rezepte:
https://krautjunker.com/2016/06/24/schweinefilet-mit-aprikose-und-salbei/

https://krautjunker.com/2016/06/26/gegrillte-ananas-mit-rum-zitronengras-dessert/

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