Kurtisanen und Meeresfrüchte. Die verzehrenden Leidenschaften im klassischen Athen.

Buchvorstellung

Unsere Kultur speist sich aus drei Quellen: Der christlich-jüdischen Buchreligion, der griechisch-römischen Antike und der germanisch-keltischen Volkskultur. Die Griechen hatten am meisten Spaß. Wie der englische Althistoriker James N. Davidson unterhaltsam und differenziert belegt, widmeten sie sich in ihrer Freizeit ohne Schuldgefühlen den weltlichen Freuden: Essen, Trinken und Sex.

In seiner Kulturgeschichte behandelt Davidson nicht so sehr die Freuden des Fleisches selbst, sondern vielmehr was die alten Griechen über sie dachten und niederschrieben. Alle Vergnügungen zelebrierten die freien Männer geistreich auf ihren Symposien genannten Gastmählern. Die Gäste debattierten über Gott – besser die Götter – und die Welt, während das Abendprogramm von der Fischplatte Poseidon, über griechischen Wein zu tanzenden, musizierenden und noch mehr anbietenden Kurtisanen überging. Im Gegensatz zu Berlusconis Bunga-Bunga-Partys, die sich vom Festablauf mehr an dekadenten römischen Orgien orientieren, wurden bei den Tischgesprächen philosophische Gedanken und Theorien entwickelt, die unser heutiges Denken prägen. Das „Symposion des Platon“ ist hierfür ein bekanntes Beispiel.

Frauen oder Sklaven waren als Gäste ausgeschlossen und nur für den Service zuständig, das sollte man nicht vergessen, auch wenn es im Buch kaum erwähnt wird. Diese Einstellung galt jedoch bis vor wenigen Jahrhunderten in allen Ländern als so selbstverständlich und gottgewollt, dass es kaum einen Menschen in den Kopf kam, sie ernsthaft in Frage zu stellen.

Von den verzehrenden Leidenschaften widmet sich Davidson besonders der Begierde nach den schmackhaftesten Speisefischen. „No Sex Please, We’re British“ ist eben auch eine lebendige Tradition. Dem von Platon erwähnte Meisterkoch Mithaikos von Sizilien (damals fest in griechischer Hand), welcher auch als der Phidias der Küche gerühmt wurde, verdanken wir eines der frühesten erhaltenen Fischrezepte der Weltgeschichte. Schauspieler deklamierten in Komödien in Versen gereimte Einkaufslisten und Zubereitungsarten für Fische und das aktuelle Angebot am Fischmarkt wurde so lebhaft diskutiert, wie heute die Spiele der Nationalmannschaften bei der Europameisterschaft. Es gab sogar ein „Sonderrecht des Tyrannen auf den besten Fisch am Markt“ was für politischen Unmut sorgte. Als die größte Delikatesse nannte der durch sein Lehrgedicht „Leben im Luxus“ bekannte Poet Archestratos den in der Straße von Messina gefangenen Aal. Dass die alten Ägypter Aale als göttlich verehrten, bot Komödienschreibern unendliche Stoff: „Man sagt, die Ägypter seien pfiffig, nicht zuletzt, weil sie erkennen, daß der Aal den Göttern gleich ist; in Wahrheit ist er weit wertvoller als Götter, denn, um sich bei ihnen Gehör zu verschaffen, muss man bloß beten, während wir, um auch nur in Schnuppernähe des Aals zu gelangen, mindestens ein Dutzend Drachmen oder mehr hinlegen müssen, ein solch ganz und gar heiliges Geschöpf ist er.“ Den Gipfel der Fischmanie verkörperten die berüchtigten Opsophagoi. Diese besessenen Feinschmecker denn hielten sich gar nicht mehr mit einfachen Nahrungsmitteln auf, sondern widmeten sich nur noch einer manischen Genusskultur, die um die deliziösesten Rezepte für Edelfische und Meeresfrüchte kreiste.

Die Beschreibungen der antiken Vergnügungen ist bei Davidson voller anschaulicher und unterhaltsamer Geschichten, Bilder und Verhaltensweisen der antiken Männergesellschaft, ohne die Europa nicht geworden wäre, was es ist. Das Buch ist dabei keine unterhaltsame Exotika, sondern verknüpft in historiographisch beispielhafter Weise Quellenmaterial mit Diskursanalysen und Sozialanthropologie. Im Gegensatz zu ermüdenden theoretischen Exkursen oder Schilderungen von Kriegen und Herrscherbiographien versteht man das Leben in der Polis besser, wenn man liest, dass die romantische Liebe zwischen Mann und Frau, wie wir sie idealisieren, seinerzeit ganz und gar als Verrücktheit verstanden wurde. Wenn Sokrates, Platon und Perikles beim Wein auf ihren Symposien philosophierten, trennten sie nicht zwischen Politik, Wirtschaft, Kunst, Erotik und gutem Essen, sondern dachten alles zusammen. Im Gegensatz zu den absoluten Vorschriften der jüdisch-christlichen Tradition, die unser Denken mit ihrem,  „Du sollst…“ prägen, kultivierten sie eine relative Moralauffassung nach der Maxime „Von nichts zuviel“. Für die Bürgerschaft und Familien bedeuteten hemmungslos Genusssüchtige eine Gefahr, weil sie sich um nichts anderes als die Befriedigung ihrer eigenen Lüste kümmerten. Auf der anderen Seite wäre ein Leben ohne diese Lüste letztlich als sinnlos verstanden worden, denn es gab kein Paradies, in dem man für Enthaltsamkeit belohnt worden wäre.

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„Kurtisanen und Meeresfrüchte‘ ist brillant und originell.“
The New York Times Book Review

„Davidson zeichnet ein lebensvolles, differenziertes Bild der Antike.“
Die Zeit

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Anmerkungen

Von KRAUTJUNKER existiert eine Gruppe bei Facebook.

Titelbild Kurtisanen

Titel: Kurtisanen und Meeresfrüchte. Die verzehrenden Leidenschaften im klassischen Athen.

Autor: James N. Davidson

Übersetzer: Gennaro Ghiradelli

Verlag: Siedler Verlag

ISBN-13: 978-3886806515

 

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