Helen Macdonalds erstes Buch H wie Habicht widmete ich den ersten Beitrag meines Weblogs KRAUTJUNKER im Juni vergangenen Jahres. Die in präzise und poetische Naturbeobachtungen eingebettete Erzählung ihrer psychischen Krise, in der sie versuchte, mit einem Habicht zu verschmelzen, hat mich seinerzeit völlig ihren Bann gezogen (Rezension siehe Anmerkungen). Ein überwältigendes Buch über die Beziehung zwischen einem kranken Menschen und einem unsozialen Raubtier, welches sich wie ein Thriller las. Dementsprechend war meine Freude groß, als ich das zweite Buch, der seit Kindesbeinen von Greifvögeln besessenen Autorin über Falken, mit einem ebenso schönen Titelbild fand.
Vordergründig beschreibt die Literatin, Falknerin und Historikerin die jahrtausendelange Kulturgeschichte der Beziehung zwischen Menschen und Falken. Sie erklärt die Physiologie, das Verhalten und die Jagdstrategien der Falken sowie die Rolle, welche die schnellsten Lebewesen, die es jemals auf dieser Welt gab, seit den falkenköpfigen Göttern der alten Ägypter in den menschlichen Kulturen spielen. Seit verblüffend langer Zeit nutzte man die Tiere zur Jagd, wurden sie von Dichtern besungen und verehrte man sie in zeitlich und räumlich getrennten Kulturen als Sinnbilder von Kriegerseelen. Wie bei H wie Habicht ist die eigentliche Botschaft jedoch, dass »jede Begegnung mit einem Tier immer auch eine Begegnung mit uns selbst ist und mit der Art, wie wir uns wahrnehmen.« Kein Wunder, dass Falken seit Jahrtausenden in Mythen und Legenden die Herzen von Indianern, Persern, Mongolen oder Europäern ebenso beherrschten, wie die Jagdreviere über ihren Köpfen.
Doch nicht nur in historischen Kulturen wurden Falken aufgrund ihrer Schönheit und Schneidigkeit mit religiöser Inbrunst verehrt. Auch heute oder in jüngster Vergangenheit haben die Tiere eine heterogene Fangemeinde von linksalternativen Naturschützern bis zu rechtsextremen Militaristen. Die Autorin, eine linksliberale Historikerin an der Universität von Cambridge, beschreibt dies ohne Herablassung, denn sie ist selbst seit früher Kindheit schwer falkensüchtig. Wer kann sich auch davon freimachen und sieht nur den Vogel und nicht auch das, was er für uns symbolisiert? Die elegante Verkörperung von Freiheit, Schönheit und natürliche Aristokratie? Ich nicht. Zwar schlief ich nicht, wie die Autorin, als Kind mit hinter den Rücken gefalteten Armen, um einen Falken zu imtieren, aber in der sechsten Klasse zeichnete ich manisch Greifvögel und verdiente mein erstes Geld, in dem ich diese Bilder für fünfzig Pfennig (das war damals noch Geld!) das Stück an meine Mitschüler verkaufte. Für den Fall, dass ich mit meinem westfälischen Katholizismus falsch liege und mich doch eine Wiedergeburt erwartet, würde ich, wie ein orientalischer Krieger des fünfzehnten Jahrhunderts, lieber in Gestalt eines Gerfalken die Himmel bejagen, als mich als Opussum durchs Unterholz zu wühlen. Robert Gernhardts Animalerotica eingedenk, »Der Habicht fraß die Wanderratte, nachdem er sie geschändet hatte«, ist doch jedermann bestrebt, nicht den obersten Platz in der Nahrungspyramide zu räumen.
Wie bei dem Vorgängerband H wie Habicht gelingt Helen Macdonald der Spagat zwischen Litaratur, Geschichts- und Naturwissenschaft. Sie schildert persönliche Erlebnisse so lebensnah, dass man fast meint, dabei gewesen zu sein, führt durch die gemeinsame Kulturgeschichte von Falken und Menschen und erläutert in geschmeidiger Prosa die hocheffizienten Eckdaten der animalischen Aristokraten. Das einzige, was mir trotz schriftstellerischer Stilistik und Philosophiererei zu einem Fünf-Sterne-deLuxe-Buch fehlt, ist ein subversiver Humor, wie ihn Douglas Adams in Die Letzten ihrer Art einbaute. Dafür bietet Falke – Biographie eines Räubers eine sehr schöne Aufmachung mit vielen interessanten Bildern und eine umsichtige Übersetzung. Wer anfängt, sich mit Falken zu beschäftigen, geht die Gefahr ein, nicht ohne sieleben zu können.
»„Falknerei ist kein Sport, sondern eine Krankheit“, erläutert uns der Falkner. Die Köpfe in den Nacken gelegt, sahen wir seinem abgerichteten Wanderfalken nach, der in den spätwinterlichen amerikanischen Himmel aufstieg. „Eine Pandemie“, fuhr er verschmitzt fort, „die sich vor Jahrtausenden von Asien in die ganze Welt ausgebreitet hat. Im Mittelalter hat auch Europäer diese Epidemie“, bei diesen Worten begann er zu grinsen, „schwerer getroffen als der Schwarze Tod“. Diese seine Lieblingstheorie war so abwegig wie erwartbar. Denn Falkner pathologisieren gern, was sie tun: Früher hätten sie nicht im Traum daran gedacht, Falkner zu werden. Doch dann hätte sie irgendetwas gepackt, das sie nicht mehr kontrollieren konnten. Einmal Falkner, immer Falkner, wie ein Sinnspruch des Falkners E. B. Mitchells aus dem 19. Jahrhundert lautet. Ich habe schon Falkner jammern hören, die Falknerei habe ihre Karriere ruiniert, ihre Beziehung zerstört und ihnen unvorstellbaren Kummer, Unkosten und Strapazen bereitet – wobei ihnen ein glückseliges Lächeln im Gesicht stand.«
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Anmerkungen
Von KRAUTJUNKER existiert eine Facebook-Gruppe.
Titel: Falke – Biographie eines Räubers
Autorin: Helen Mcdonald
Übersetzer: Frank Sievers
Verlag: C.H.Beck; Auflage: 1 (16. März 2017)
ISBN: 978-3-406-70574-8
Verlagslink: http://www.chbeck.de/Macdonald-Falke/productview.aspx?product=17634371
Leseprobe des Verlages: http://www.chbeck.de/fachbuch/zusatzinfos/df.pdf
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Weitere Leseprobe auf KRAUTJUNKER: https://krautjunker.com/2017/03/25/wie-ist-es-ein-falke-zu-sein/
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KRAUTJUNKER-Rezension von H wie Habicht und mehr über Greifvögel:
https://krautjunker.com/2016/06/13/h-wie-habicht-helen-mcdonald/
https://krautjunker.com/2017/02/12/der-adler-eine-verbindung-fuers-leben/
https://krautjunker.com/2016/12/10/der-wanderfalke/
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