Sei der letzte Mann: Bewahre Haltung und liebe die Gefahr!

Anfang des Jahres erhielt ich von einem mir unbekannten Leser meines Blogs, einem Architekten aus meiner Region, mit der Post das Buch 111 Regeln für den Mann von Welt. Anscheinend inspirierte ihn meine Rezension von Melanie Grundmanns Das Dandy Kochbuch zu dieser freundlichen Geste. 

In mir war zwar nie das Bestreben selbst ein Dandy zu werden, denn dafür habe ich mich nie ausreichend für mich selbst interessiert, aber das Projekt Dandyismus fasziniert mich bei anderen. Schließlich ist es der totale Punk seitdem die ersten Dandys vor ungefähr zweihundert Jahren, überelegant ausstaffiert, die selbstzufriedene Mitte der Gesellschaft provozierten.
Wie bitte, werden jetzt viele Leser meinen!?! Aber ja, die Durchschnittsjugendlichem haben heutzutage Eltern, die schon vor Jahrzehnten bekifft auf Rockkonzerten feierten, tätowiert und gepierct sind und alle möglichen bürgerlichen Grenzen überschritten haben. Wie sollen sie dagegen rebellieren? Musik hören, deren mörderischen Sound man nur genießen kann, wenn die eigenen Trommelfelle durch Bunkerwände vor den Schallwellen geschützt werden? Die Piercings toppen, indem sie sich ein Auge rausreißen lassen?
Nein, der totale Punk, solche Eltern zu schocken, ist im Dinner Jacket zum Frühstück zu erscheinen, Kaviar und Champagner zu verzehre, einen Smalltalk über Oswald Spenglers Der Untergang des Abendlandes zu beginnen und dann seinen Eltern zu verkünden Verbindungsstudent zu werden.
Ganz natürlich stehen Dandys somit in größtmöglichem Kontrast zu allen Teilen der Gesellschaft, denn selbst die Merkel-CDU und die GRÜNEN eint der Gedanke, dass die Unterschiede zwischen Männern und Frauen diskriminierende soziale Konstrukte sind, die es zu überwinden gilt. Für den Dandy hingegen sind die Lady und der Gentleman erstrebenswerte Ideale. Diskriminieren heißt ja unterscheiden (weswegen ich im Mathematik-Unterricht noch gelernt habe, Dreiecke zu diskriminieren) und wenn es zwischen allen Menschen keine Unterschiede gäbe, würde im Prinzip ein einziger genügen.
Empfiehlt die Polizei heute den Bürgern, gewalttätigen Kriminellen keinen Widerstand zu leisten und auf das Eintreffen der Beamten zu warten, gestatten es einem Dandy seine reaktionären ritterlichen Ideale nicht, das widerstandslose Opfer zu sein.

Das Titelbild dieses Beitrages ist nicht aus 111 Regeln für den Mann von Welt, sondern zeigt den Dandy Mr. Paolo Canevari, einem Gentleman im Grizzly-Overcoat aus dem Buch I am Dandy – The Return of the Elegant Gentleman. In diesem Bildband geht es vor allem um die Haltung verschiedener Dandys zu Stil und Mode. Ich fand dieses Foto sehr passend, auch wenn der Verlag Gestalten oder Mr. Canevari vielleicht auch eine ganz andere Meinung vertreten, als diejenigen von Lennart Brand.

Mr. Paolo CanevariFoto aus I am Dandy – The Return of the Elegant Gentleman

Wer sich für richtig gute dandyistische Literatur interessiert, empfehle ich neben dem bekannten Oscar Wilde auch Théophile Gautiers Gesamtwerk.

Wem diese Bücher zu komplex und langatmig sind, der möge sich unbedingt die Verfilmungen der Bücher von Jeeves und Wooster anschauen. Die Filme basieren  auf ab 1916 publizierten Romanen von P. G. Woodhouse. Der in Geld schwimmende Dandy Bertie Wooster, gespielt von Hugh Laurie, ist ein liebenswürdiger Dummkopf und wird von seinem in jeder Hinsicht brillantem Leibdiener Jeeves, gespielt von Steven Fry, aus gesellschaftlichen Kalamitäten und den Klauen heiratswütiger und dominanter Damen der High Society befreit.

jeeves

Viele weitere spannende Texte und Bücher finden sich bei der Kulturwissenschaftlerin und Autorin Dr. Melanie Grundmann.

Wer sich für Dandy-Bekleidung interessiert – aus reiner Neugierde, oder um selbst seine Garderobe zu erweitern, dem empfehle ich den Chelsea Farmers Club. Sei es allein, um die unglaublich anglophil-witzig eingerichteten Ladengeschäfte zu bewundern und sich dort zwischen Hirschgeweihen und Tweed-Sackos einen Gin Tonic zu gönnen.

chelsea

Mein Idealbild eines Dandys ist übrigens der leider kürzlich verstorbene Schauspieler Roger Moore als James Bond oder in seiner deutsch synchronisierten Rolle als Lord Sinclair in der Krimiserie Die 2. Er hat es sogar geschafft, in den siebziger Jahren eine bella figura zu machen.

roger moore

Alle diese Dandys sind unterschiedliche Individuen, die sich teils auch selbst widersprechen. Ob Herren dieses Schlags zu Recht seit Jahrzehnten völlig aus der Mode gekommen oder von zeitloser Geltung sind, mag jeder Leser für sich selbst entscheiden. Grundsätzlich aber folgendes: Nur Meinungen zu lesen, denen man ohnehin vollkommen zustimmt und an denen man sich nicht reiben kann, ist überflüssig.

Unter Lennart Brands nun folgenden provokanten Interpretationen des Dandyismus, mit seinen Regeln  6, 7 und 8 der 111 Regeln für den Mann von Welt, befinden sich am Ende des Textes in den „Anmerkungen“ Links zu allem, was ich oben aufführte.

von Lennart Brand

6
Sei der letzte Mann

Dem Mann geht es um Pflichterfüllung und Dienst, um Haltung im Angesicht der Gefahr, um Führung und Gehorsam, um Loyalität, Form und Distanz, schließlich um Ehre, Ritterlichkeit und Verbindlichkeit. Es geht um die kalte Abwägung und kompromisslose Entscheidung, um Entsagung, Einzelkämpfertum und den Heroismus des verlorenen Postens.: „Wanderer, kommst du nach Sparta …“ Das Urbild des Mannes ist der Soldat. Das bedeutet keinesfalls, dass nur ein Soldat ein Mann sein könnte; sehr wohl bedeutet es aber, dass ein Mann immer den Archetypen des Soldaten in sich trägt.
Empathie, Gefühl, menschliche Nähe, Wärme und so weiter sind demgegenüber unmännlich. Wo gewachsene Hierarchien sich auflösen und die Angst vor dem Schmerz wächst; wo Verbindlichkeit der Beliebigkeit und Ehre dem Nutzdenken weicht; wo das Team den großen Einzelnen und die Diskussion die Weisung ablöst, da ist das Männliche auf dem Rückzug, da feiern die castrati.
Der Heutige ist ein castrato. Kaum etwas kennzeichnet den letzten Menschen*, den Jürgen Koch**, deutlicher als seine Unmännlichkeit, die er mit einem gewissen Stolz zur Schau trägt. Wenn es um Selbstentmannung geht, ist er ganz vorne dabei, denn seine Mannheit ist ihm ein Ärgernis. Auch das ist ein Gebot seiner Moral.
Der Dandy ist zunächst und zuvörderst ein Mann – im Denken, in der Lebensweise, in der Haltung und im Auftreten. Da sind Kompromisse unzulässig. Freilich kann man mit einigem Recht annehmen, dass Thomas de Vriends*** Kollegen auf dem Bau desselbe für sich in Anspruch nähmen. Insofern wäre eine weitere Differenzierung vonnöten. Thomas de Vriend ist zwar vor allem ein Mann, aber er ist mehr: Er ist ein Herr.
Hierbei handelt es sich nun um einen derjenigen Begriffe, von denen man schon längst nichts mehr gehört hat. Zusammen mit dem Helden, dem Gelehrten und dem Heiligen ist der Herr irgendwann in den Sechzigerjahren zu einer historischen Kategorie geworden. Der Herr ist unzeitgemäß – und dies gleich zwiefach: als Begriff des Männlichen und als Standesbegriff. Er verkörpert das aristokratische Prinzip in seiner männlichen Ausprägung oder anders: das männliche Prinzip in seiner aristokratischen Ausprägung. Damit stellt seine Existenz sowohl den castrato als Prinzip wie auch die Mediokrität als Lebensziel infrage, und nichts ist mehr als dies dazu angetan, das Ressentiment der heutigen zu wecken.
Wer kein Herr ist, kann kein Dandy sein.

7
Wahre Haltung!

Haltung ist sowohl die gerade Positur als auch die Unerschrockenheit im Angesicht der Gefahr. Beides muss zusammen gedacht werden: Haltung hat, wer, ohne in Schweiß auszubrechen, aufrecht stehen bleibt, wenn es einmal brenzlig wird.
Haltung bewahren bedeutet in letzter Instanz, alle Anwandlungen körperlicher und geistiger Schwäche zu unterdrücken. Haltung kann bewahren, wer Distanz zu sich selbst hat, wer sich aus einem höheren Bewusstsein heraus steuert, wer bereit ist, die eigene Person auch als Manövriermasse einzusetzen, und ihre Unversehrtheit dabei zur Disposition stellt. Haltung ist also die äußere Form ausgeprägter Selbstdisziplin. Wer Haltung hat, erweist sich aber immer erst im Ernstfall.
Haltung bewahren zu können, auch unter den widrigsten Umständen, ist eine Grundqualität des Dandys. Das kann sich in dem Lächeln manifestieren, mit dem er sich nach dem finanziellen Ruin in die Obdachlosigkeit zurückzieht. Oder in der Ruhe, mit der er sich im Angesicht des Exekutionskommandos ein Staubkorn vom Ärmel streicht. Oder in dem Gleichmaß, mit dem er das Liebestod-Motiv vor sich summt, während er buchstäblich oder metaphorisch in vermintes Gelände eindringt.
Wenn der Dandy zugleich in distanzierter Weise verbindlich und in verbindender Weise distanziert wirkt, dann schlägt sich darin Haltung nieder. Haltung erlaubt es ihm, unter sein Niveau zu gehen, ohne dass er dabei unter sein Niveau geht. Weil er Haltung hat, behält er auch in tropischen Klimaten sein Jacket an, während er es in kalten Klimaten um die Schultern seiner Begleiterin legt. Die Haltung des Dandys ist das, was den Heutigen am widerwärtigsten ist, weil sie sich gerade dann geltend macht, wenn die eigene ihnen längst abhandengekommen ist.

8
Liebe die Gefahr!

„Wer sich in Gefahr begibt, kommt darin um!“ (Jesus Sirach 3, 27) und „Was mich nicht umbringt, macht mich stärker“ (Friedrich Nietzsche, Götzen-Dämmerung). Kurzum, es gibt gute Gründe, die Gefahr aufzusuchen. oder, wie Johann Gottfried Seume es formuliert: „Ehrenvolle, tätige Gefahr ist besser als der ruhige Schlaf eines Sklaven.“
Wie der Teufel das Weihwasser, so scheut der heutige die Gefahr. Dessen Versuche, das Gefährliche durch diverse Techniken der Zivilisation, durch umfängliche Versicherungssysteme und Gesellschaftsverträge aus seinem Leben auszuschließen, hatte schon der frühe Ernst Jünger in Über den Schmerz sehr treffend beschrieben – ebenso wie die Vergeblichkeit dieses Ansinnens. Denn wer die eigene „Verhausschweinung“ (Konrad Lorenz dixit) betreibt, soll sich nicht wundern, wenn ihn das Schicksal des Hausschweins ereilt.
Freilich ist das, was Jünger und Lorenz seinerzeit im Blick hatten, nichts im Vergleich zu der hysterischen Angst vor der Gefahr, wie sie den Menschen des einundzwanzigsten Jahrhunderts prägt. Das bedarf keiner weiteren Ausführung – der Hinweis auf Dinge wie Fahrradhelme und Rauchverbote genügt, um aufzuweisen, wohin die Reise geht.
Der Dandy sucht die Gefahr auf. Sei es auf Expeditionen zu den Quellen des Nils, als Fremdenlegionär in einem Land, von dem er vorher noch nie gehört hatte, oder auch nur als überzeugter Raucher. Wenn Walter Paters Aufruf „[t]o burn always with this hard, gemlike flame“ et cetera heute irgendeine Bedeutung haben kann, dann hier.
Die Neigung des Dandys zur Gefahr ist jedoch keine Spielerei: Bungee-Jumping, Wildwasser-Kanu und Ähnliches liegen außerhalb seines Horizonts. Gefahr ist da, wo die reale Möglichkeit des eigenen Untergangs besteht. Wo demgegenüber Sicherheitsvorrichtungen das überleben zu einer Frage technischen Funktionierens machen, da ist Jahrmarkt. Die Morgenzigarette ist in diesem Sinne manchmal gefährlicher als die Besteigung der Eiger-Nordwand.
Warum das alles? Zum einen, weil der Welt der Heutigen nichts so grundsätzlich entgegensteht, weil nichts so unzeitgemäß ist wie das Gefährliche. Zum anderen, weil nur im Angesicht der Gefahr wirklich Haltung bewahrt werden kann, weil also der Dandy eine seiner Grundqualitäten nur im Ernstfall zur Geltung zu bringen vermag.

* Bezieht sich auf Nietzsche auf den ersten Seiten des Buches
** linksalternative Klischeefigur des Anti-Dandys
***Klischeefigur von Lennart Brands Ideal-Dandy

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Verlagsinformation über den Autor:

Lennart Brand

LENNART BRAND durchlief stilprägende Lehrjahre an den Universitäten von Wien, Edinburgh und Oxford. Nach einer weiteren Dekade in Hongkong, Frankfurt und Berlin führten ihn die dort angestellten Beobachtungen zu dem Schluss, dass ohnehin alles den Bach runtergeht. Aus Gründen der Selbstverteidigung erstand er daraufhin eine größere Anzahl Trachtenjanker und zog sich an den Bodensee zurück.

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Anmerkungen

111 Regeln für den Mann von Welt

Titel: 111 Regeln für den Mann von Welt

Autor: Lennart Brand

Verlag: Schwarzkopf & Schwarzkopf Verlag GmbH, Berlin 2015

ISBN: 978-3-86265-449-9

Verlagslink: http://www.schwarzkopf-verlag.net/store/p774/111_REGELN_F%C3%9CR_DEN_MANN_VON_WELT.html

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I am Dandy

Titel: I am Dandy – The Return of the Elegant Gentleman

Texte: Nathaniel Adams

Fotograf: Rose Xallahin

Verlag: gestalten

ISBN: 978-3-8955-484-7

Verlagslink: http://shop.gestalten.com/dandy.html

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Das Dandy Kochbuch

Titel: Das Dandy-Kochbuch

Autorin: Melanie Grundmann

Verlag: zuerst Rogner & Bernhard (leider insolvent), nun KEIN & ABER

ISBN: 978-3954030927

Verlagslink: https://keinundaber.ch/de/literary-work/das-dandy-kochbuch/

Meine Rezension: https://krautjunker.com/2016/06/27/das-dandy-kochbuch-originalrezepte-fuer-maenner-mit-stil/

Bereits veröffentlichte Beiträge aus dem Buch: https://krautjunker.com/2017/02/26/delikatesse-der-antike-bottarga/ & https://krautjunker.com/2016/10/02/regents-punch/

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Die_zwei_tv_1971.svg

Filmausschnitte: https://www.youtube.com/watch?v=FuSoHLXCMAw

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herr und meister

Jeeves and Wooster! https://www.youtube.com/watch?v=NTgB0a_6EtI

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Melanie Grundmann im Interview über Dandys: https://www.stilmagazin.de/dandiana-melanie-grundmann-im-interview/

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Theophile Gautier

Théophile Gautier (* 1811; † 1872) war ein französischer Schriftsteller, Lyriker, Kritiker und ein virtuoser Formkünstler. Der „Poète impeccable“ (Ch. Baudelaire) konnte sich nie ausschließlich der Lyrik hingeben, so wie er es sich eigentlich gewünscht hatte, sondern verdiente seinen Lebensunterhalt als Journalist – er veröffentlichte mehr als 2.000 Artikel und Kritiken -, Dramaturg und Romancier. Er war Mitbegründer des „Parnasse“ und einer der ersten Interpreten Baudelaires. Nicht zuletzt aber war „le bon Théo“ ein Partisane der „l’art pour l’art“-Ästhetik: Das Vorwort zu Mademoiselle de Maupin ist die erste Programmschrift dazu.
Seine phantastischen Erzählungen dringen in den Bereich des Okkulten und die Schattenseiten der menschlichen Seele vor. Dominierend ist dabei die pure Lust am Erzählen. Obwohl es Gautier zu Lebzeiten nicht gelungen ist in einem Zug mit seinen berühmten Zeitgenossen Hugo, Flaubert, Baudelaire oder Mallarmé genannt zu werden, bildete er doch den Dreh- und Angelpunkt zwischen der Romantik und Baudelaire.
Nicht zuletzt war er ein witziger, geistreicher und eleganter Dandy.
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farmers

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