Nach Vom Glück auf dem Land: Faltentintling folgt hiermit der zweite Text des wortgewaltigen Satirikers Wiglaf Droste auf KRAUTJUNKER. Wie der Weblog KRAUTJUNKER wurde er in Herford geboren. Vor seinem ersten Text auf diesem Blog, der Ende September letzten Jahres veröffentlichten Anleitung zum Auslöschen der eigenen Verwandtschaft, habe ich den Autor bereits ausführlich vorgestellt. Das amüsante Thema beider Erzählungen ist aufgrund seiner Unerschöpflichkeit das gleiche: Pilzvergiftungen in der Verwandtschaft.
von Wiglaf Droste
Pilze sehen nicht nur prima aus, sondern haben oft auch prima Namen: Diverse Mitglieder der Familie Ritterling z.B. Erinnern stark an Sir Oblong-Fitz-Oblong, den kleinen dicken Ritter aus der „Augsburger Puppenkiste“. Wäre Fizz-Oblong ein Pilz, so ganz gewiß ein Ritterling, wenn auch sicher kein „Lästiger Ritterling“, kein „Gemeiner Weichritterling“ und auch kein Unterwäsche tragender „Gerippter Ritterling“, eher schon ein „Unverschämter Ritterling“, ein „Lilastiefeliger Rötelritterling“, der, an Zorro gemahnend, auch „Maskenritterling“ genannt wird, ein „Krokodilritterling“, ein „Wolliger Ritterling“, ein „Galliger Ritterling“, ein auf Abenteuer „Brennender Ritterling“, ein „Gegürtelter Erdritterling“, oder ein „Tiger-Ritterling“.
Oder vielleicht sogar ein „Nackter Ritterling“, also quasi der Pernod unter den Pilzen. Kräftig ist sein Anisgeschmack, was die Pilzesser in zwei Lager spaltet: die freudigen Verputzer und die angewiderten Verschmäher. (Wer als Jugendlicher einmal ungut, ja nahezu final die Bekanntschaft von Ouzo, Raki oder Pernod machte und seitdem schon beinahe vomieren muß, wenn er Anis nur von Ferne erschnuppert, weiß, was ich meine.)
Den „Nackten Ritterling“ lernte ich auf höchst erfreuliche Weise kennen: Er war die Rettung einer miserablen Pilzsaison. Wochenlang war ich, als Sechsjähriger gelenkig, gewandt und geschickt, im Unterholz und in allerlei Schonungen herumgekrochen – vergeblich. Außer Hexenröhrlingen, Speitäublingen, Fliegenpilzen, Stinkmorcheln, blöden Kartoffel- oder Flaschenbovisten und dürrem Kleinzeug, das „Suppenpilz“ genannt und sitzengelassen wurde, gab es nichts zu holen.
Dann aber fand ich ihn: den „Nackten Ritterling“. Noch nie war dieser Pilz bisher in unserer Familie probiert worden, und da die Auskünfte über seine Genießbarkeit bzw. sogar Giftigkeit in diversen zu Rate gezogenen Pilzbrevieren sehr unterschiedlich und widersprüchlich waren, wurde folgender Plan ersonnen: Um den Bestand der Familie auch im Falle eines tödlichen Versuchsausgangs zu gewährleisten, sollte nur je ein Erwachsenen- und ein Kinderteil der Familie die Pilze probieren, währen die restlichen hungrigen Mäuler mit ungefährlichen, also langweiligen Speisen vorlieb nehmen mußten. Das Los fiel auf meinen Vater und meinen älteren Bruder; mutig aßen sie gleich eine ganze Pilzpfanne auf.
Des Nachts wand sich mein Vater in Schmerzen, die vom Magen herrührten; mein Bruder aber tat, was er bis heute noch am besten kann und am liebsten tut: Er schlief tief und selig. Man Vater indes quälte sich herum und machte sich bittere Vorwürfe, durch übertriebenen Leichtsinn der Familie den Brotverdiener, den Patriarchen entrissen zu haben, und die Familie nahm auch bereits, das Knie beugend und in großer Verehrung, von ihm Abschied, als sich eine banale Blinddarmentzündung als Quell des Übels erwies.
Mein Vater büßte zwar den Nimbus eines für die Familie heldenhaft Gefallenen ein, genas aber rasch von der Operation und ging schon bald wieder mit uns in die Pilze, wo wir unseren Schlachtruf erklingen ließen: „Schlagt die Bovisten, wo ihr sie trefft!“ Und das tun wir heute noch.
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KRAUTJUNKER-Kommentar: Auch wenn ich mich beim wiederholten Lesen dieser Erzählung sehr amüsierte: was die zu den Ständerpilzen gehörenden Nackten Ritterlinge (auch Violette Rötelritterlinge (Lepista nuda)) mit den zu den Schlauchpilzen gehörenden Bovisten zu tun haben, hat sich mir nicht erschlossen. Selbst Pilzologe Frank Prior (siehe: https://www.pilzfreunde.eu/) tappt diesbezüglich im Dunkeln.
Egal, zwar habe ich für Ritterlinge spontan kein Pilzrezept zur Hand, aber dafür wachsen in meinem Garten in jedem zweiten Sommer dinosauriereigroße Riesenboviste, auf die sich der Schlachtruf der Familie Droste bezieht. Eine Verwechslungsgefahr zu Giftpilzen besteht nicht.
Diese Kugeln einfach pflücken, in Scheiben schneiden, wie ein Wiener Schnitzel panieren (am besten asiatische Panko-Paniermehl) und in der Pfanne braten. Etwas Pilzgewürz sowie Salz und Pfeffer dazu: köstlich!
Anmerkungen
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Diese Geschichte ist ein Kapitel aus der Nr. 13 der Literaturzeitschrift „Der Rabe“, einer Literaturzeitschrift im Taschenbuchformat, die zwischen 1982 und 2001 im Haffmanns Verlag, Zürich, erschien.
Verlag: Haffmanns Verlag AG Zürich
Titel: Der Rabe – Magazin für jede Art von Literatur – Nummer 53 (1998)
ISBN: 3 251 10053 3
Der Inhalt dieser Ausgabe lässt sich wie folgt zusammenfassen: Stopfpilze & Pilzköpfe, Speisepilze & Pilzspeisen, Mischpilze & Pilzmischungen, Giftpilze & Pilzgifte, Faulpelze & Pilzfäule, Blätterpilze & Pilzblätter.
Leseproben aus Ausgabe Nummer 13 aus Der Rabe:
https://krautjunker.com/2017/07/08/austernpilze-fuer-den-sandmann/
https://krautjunker.com/2017/06/16/max-goldt-der-unbekannte-geruch/
https://krautjunker.com/2016/09/09/mit-opa-in-die-pilze/
Autoren-Portrait: copyright © Axel Martens http://www.axelmartens.de/
(Die Bildrechte erteilte Tom Produkt: http://www.tomprodukt.de/wiglaf-droste
Bis auf das Foto von den Violetten Rötelritterlingen, welches copyrightfrei auf Wikipedia stammt, sind die restlichen Fotos von mir, wobei die Boviste nicht in meiner Küche gebraten wurden.
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