Für zwei berühmte Küchenmeister war der „Gefüllte Wildschweinkopf“ ein kulinarisches Abenteuer im Restaurant „Spielweg“.
von Lutz G. Wetzel
Beim Anblick eines Wildschweinkopfs läuft dem Feinschmecker nicht unbedingt das Wasser im Mund zusammen. Mit diesem grobschlächtigen, borstigen Haupt eines wilden und wehrhaften Waldtieres verbindet man nicht zwangsläufig exquisite Tafelfreuden. Aber ein Grundsatz von Karl-Josef Fuchs lautet: Was man von den Dingen der Natur essen kann, das sollte man auch verwerten. Einem Küchen-Künstler wie ihm bereitet das normalerweise keine Schwierigkeiten. Vor allem auch deshalb, weil er jeden Tag mit Experimentierfreude und Entdeckerlust am Herd steht. Das Rezept „Gefüllter Wildschweinkopf“ indes war auch für ihn eine Herausforderung der besonderen Art. Diese Herausforderung nahmen mit ihm gemeinsam zwei andere Köche der internationalen Spitzengastronomie – Heston Blumenthal und John Besh (Fotos) – an. Und das Rezept stellte sich als das Erbe zwei großer Altmeister der europäischen Küche heraus.
Der Gasbrenner fauchte, die Flammen prasselten und loderten um das Haupt der wilden Sau. So hatte noch kein Rezept begonnen, das Karl-Josef Fuchs jemals umsetzte. Vor seiner alten Schwarzwaldscheune musste er jedenfalls die Borsten vom Kopf des Wildschweins absengen. „Oh, my God“, rief erschreckt Heston Blumenthal angesichts dieser wilden Aktion und ging erst einmal in Deckung. Der sensible Molekularkoch aus dem weltberühmten „Fat Duck“ in London war auf einer kulinarischen Europareise für die britische BBC und wollte dabei Märchen und Rezepte zusammenbringen. Im Schwarzwald folgte er deshalb den Spuren Schneewittchens, dessen Leben bekanntlich gerettet wurde, weil der Jäger Leber und Lunge eines Frischlings bei der bösen Königin ablieferte als Beweis dafür, dass er das schöne Mädchen getötet hatte. So fand Heston Blumenthal zum Wildschwein. Und wenn es in Deutschland um Wild geht, führt an Karl-Josef Fuchs kein Weg vorbei.
Heston Blumenthal musste sich nicht nur vom rustikalen Erlebnis des brennenden Wildschweinkopfs erholen, sondern auch von der Jagd auf die wilde Sau im tiefen Neuschnee des Hochschwarzwalds. Er und sein Kamerateam waren eher für einen Museumsbesuch als für eine stundenlange Pirsch im Winterwetter ausgerüstet. Deshalb wurde für ihn die kulinarische Exkursion zu Karl-Josef Fuchs eine einschneidende Erfahrung.
Als es daran ging, nach der „Feuertaufe“ die verkohlten Borsten des Wildschweinkopfs abzuschaben und fachmännisch das Fleisch vom Unterkiefer her abzulösen, glaubte der englische Meisterkoch wieder uneingeschränkt an die Handwerkskunst seines Kollegen Karl-Josef Fuchs. Heston Blumenthal hatte das Rezept aus einem Buch von Marie-Antoine Carême gefunden, einem herausragenden Koch des 19. Jahrhunderts und einem der Begründer der klassischen französischen Küche. Aber die Zubereitung des gefüllten Wildschweinkopfs erschien ihm so abenteuerlich, dass er im Restaurant „Spielweg“ um Beistand suchte. Karl-Josef Fuchs kannte das Rezept: Er hatte es vor einigen Jahren in Johann Rottenhöfers „Anweisung in der feinen Kochkunst“ von 1858 gefunden. Rottenhöfer war Haushofmeister der bayerischen Könige Maximilian II. und Ludwig II., sein Buch war bis zum Ersten Weltkrieg ein Standardwerk der deutschen Berufsköche. Ob er den „Gefüllten Wildschweinkopf selbst erfunden oder nur kopiert hat, steht nicht fest. Immerhin sind etliche interessante Wildschweinrezepte von ihm überliefert, und weil man damals häufig das Fleisch von der Wildsau mit der Schwarte zubereitete, wurden auch immer die Borsten martialisch „mit glühenden Eisen“ abgesengt. Der brenzlige Beigeschmack galt damals übrigens als delikat.
Die Faszination des gefüllten Wildschweinkopfs erschließt sich, wenn man die weiteren Zutaten kennt: Er wurde gepökelt und mit Fleisch, Speck, Pistazien, geräucherter Ochsenzunge und 1,6 Kilogramm schwarzen Trüffeln gefüllt, wie ein Rollbraten geschnürt und mit 20 Kalbsfüßen 5 Stunden geköchelt. Das ausgetretende Kollagen der Kalbsfüße führte dazu, dass der Wildschweinkopf von einer Geleeschicht umschlossen wurde, die ihn kühl gelagert mehrere Monate haltbar machte. Man könnte zwar sagen, mit 1,6 Kilogramm Trüffeln schmeckt jeder Braten, aber ist es ja ein ganzes Füllhorn von Leckereien, mit denen das Haupt der wilden Sau verfeinert wird. An den herrschaftlichen Tafeln hat man sich eben nicht mit Hausmannskost zufrieden gegeben.
Für Karl-Josef Fuchs ist der gefüllte Wildschweinkopf nicht nur ein kulinarisches Abenteuer, sondern es ist auch eine Erkundung der europäischen Küchengeschichte. Vieles aus dem Arbeitsalltag der Köche aus den vergangenen Jahrhunderten ist uns nicht überliefert oder nicht mehr verständlich. Warum hat man sich mit dem Haupt einer wilden Sau seinerzeit so viel Mühe gegeben? Wildschweine gab es in der Entstehungszeit des Rezepts immer genug, und man hätte sich auf die „edlen Teile“ des Wildbrets wie Rücken und Keule beschränken können. Vielleicht war es nur eine kulinarische Laune oder es ist aus einer Mode heraus entstanden. Heute, in der Zeit der auf wissenschaftlicher Grundlage arbeitenden Molekularküche von Heston Blumenthal wirkt das Rezept doppelt fremd. „Auf meiner Speisekarte wird dieses Gericht niemals stehen“, sagt Blumenthal, „das würde auch niemand bestellen.“
Seine Faszination übt der altertümlich gefüllte Wildschweinkopf jedoch immer noch aus. Der große US-amerikanische Meisterkoch John Besh aus New Orleans wollte ebenfalls das flammende Inferno des Turbo-Brenners hinter Karl-Josef Fuchs‘ Scheune erleben, als er auf den Spuren seiner beruflichen Vergangenheit reiste. „I can’t believe it“, waren seine ersten Worte, als die Borsten brannten.: „Ich kann es nicht glauben“. Das war selbst für den großen Restaurant-Chef der Südstaaten noch ein Küchen-Event. Hier, im Restaurant „Spielweg“ hat er 1993 – 1994 einen Teil seiner Ausbildung absolviert. Jedes Jahr arbeiten inzwischen Köche aus John Beshs berühmten Restaurants zur Abrundung ihrer Kenntnisse in der „Spielweg“-Küche.
„Auch bei uns in New Orleans gibt es eine traditionelle Art mit französischen und spanischen Einflüssen zu kochen“, sagt John Besh, als er die kostbare Füllung für den Wildschweinkopf zubereitet. „Ich bin viel in der Welt herumgekommen, aber meine Zeit bei Karl-Josef Fuchs werde ich nie vergessen. Hier sind meine Augen geöffnet worden für einen besonderen Umgang mit den ursprünglichen Lebensmitteln und die Lehrstunden, die ich hier erhaltenhabe, gehören für mich zu den wertvollsten meiner Ausbildung.“
Als endlich der gefüllte Wildschweinkopf serviert wird, begegnet er erst einmal skeptischen Blicken Er wirkt wie ein Relikt aus einer Epoche der europäischen Küche, die uns fremd geworden ist. „Das Gericht würde vielleicht auf unsere Speisekarte passen“, sagt John Besh, „aber es passt wahrscheinlich nicht mehr in unsere Zeit.“ Vom Geschmack der altertümlichen Spezialität sind die Test-Esser überrascht. Absolute Aromenfülle, aber ungewohnt“, meint John Besh. Auch Karl-Josef Fuchs könnte sich vorstellen, den gefüllten Wildschweinkopf nach Art von Carême oder Rottenhöfer im Restaurant anzubieten. „Vielleicht einmal ausnahmsweise als Spezialität. Aber wir dürfen nicht vergessen, dass das Gericht seinerzeit für Tafeln gedacht war, bei denen an nichts gespart werden musste. Bei 1,6 Kilogramm schwarzen Trüffeln als Zutat müsste ich meinem Restaurant einen Preis kalkulieren, dass selbst sehr wohlhabende Gäste das Gericht nur nach Rücksprache mit ihrer Bank bestellen könnten.“
Und wie der „Wildmeister“ festgestellt hat: Es schmeckt auch ohne die schwarzen Trüffel mit einer aromenreichen Füllung. Wer sie ausprobieren möchte, sollte ins folgende Rezept schauen…
GEFÜLLTER WILDSCHWEINKOPF
Rezept für 8 Personen
(2 Tage Standzeit)
570 g Wildfleisch aus Brust, Schulter und Hals
180 g Schweinebauch
4 Stängel Petersilie
3 g gemahlener Pfeffer
1 g gemahlener Koriander
1 g gemahlene Muskatblüte
Muskatnuss
50 ml Calvados
1 Wildschweinkopf vom Überläufer (ca. 4 kg)
5 g getrocknete Trompetenpilze
40 g Pistazien
40 g Walnüsse
2 kleine Zwiebeln
5 Knoblauchzehen
1 EL Sonnenblumenöl
150 g weißer Rückenspeck vom Schwein
100 g Wildleber
19 g Pökelsalz
50 ml kaltes Mineralwasser
Wildfleisch und Schweinebauch in ca. 3 x 3 große Stücke schneiden. Petersilie waschen, trocken schütteln und Blätter abzupfen. Das Wildfleisch mit Petersilie, Pfeffer, Koriander, Muskatblüte und 1 Prise frisch geriebener Muskatnuss sowie Calvados einreiben. Gut gekühlt über Nacht marinieren.
Den Wildschweinkopf abflämmen, Haupt vom Körper abtrennen und mit kaltem Wasser waschen. Danach die Maske vom Schädel von den Unterkieferästen herauslösen. Die Lichter (Augen) und das Gebräch (Kieferpartie) mit Küchengarn zunähen. So entsteht eine Tasche, in die das fertige Brät gefüllt wird.
Die Trompetenpilze ca. 10 Minuten in kaltem Wasser einweichen, dann gut ausdrücken und fein hacken. Pistazien und Walnüsse in einer Pfanne ohne Zugabe von Fett leicht rösten. Herausnehmen und grob hacken. Zwiebeln und Knoblauch schälen, grob würfeln und in heißem Sonnenblumenöl anschwitzen.
Den Rückenspeck klein schneiden. Die Leber putzen und ebenfalls klein schneiden.
Beides mit Zwiebeln und Knoblauch zum marinierten Fleisch geben und alles gut gekühlt durch einen Fleischwolf drehen. Dabei die eine Hälfte durch die grobe, die andere Hälfte durch die feine Scheibe lassen. Das Brät in einer Schüssel mit Pökelsalz und Mineralwasser so lange mit einem Holzlöffel der der bloßen Hand rühren, bis die Masse bindet. Pistazien, Walnüsse und Trompetenpilze ganz zum Schluss unterheben.
Die Füllung nicht zu stramm in den Wildschweinkopf füllen. Den gefüllten Kopf in ein großes Baumwolltuch einschlagen und wie einen Rollbraten mit Küchengarn verschnüren. Im Dampfgarer bei 90°C und 100 % Luftfeuchtigkeit je nach Größe ca. 3-5 Stunden garen. Die finale Kerntemperatur muss 70°C betragen.
Den Wildscheinkopf herausnehmen und eingewickelt über Nacht im Kühlschrank durchkühlen lassen, um eine schöne, glatte Schnittfläche zu erhalten. Vor dem Servieren in Scheiben schneiden, mit grober Senfvinaigrette und Bauernbrot anrichten.
Film ab! https://www.youtube.com/watch?v=Fs5Kmk7TUDI
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Von KRAUTJUNKER gibt es eine Facebook-Gruppe.
Titel: Die 100 besten Wildrezepte
Autor: Karl-Josef Fuchs
Verlag: Tre Torri Verlag GmbH
ISBN: 978-3-941641-98-3
Erster Beitrag aus dem Buch: https://krautjunker.com/2017/05/12/frischling-in-schwarzbier/
Fotos: Maura McEvoy für Tre Torri Verlag.
Fotografen-Website: http://mauramcevoy.com/
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Das Rezept als Film: https://m.youtube.com/watch?v=Fs5Kmk7TUDI
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Karl-Josef Fuchs kocht im Spielweg: http://www.spielweg.com/
Heston Blumenthal kocht im Fat Duck: http://www.thefatduck.co.uk/ & http://www.dinnerbyheston.com.au/
Lutz G. Wetzel im Deutschen Jagd-Lexikon: http://www.deutsches-jagd-lexikon.de/index.php?title=Wetzel,_Lutz_G.
Marie-Antoine Carême: https://de.wikipedia.org/wiki/Marie-Antoine_Car%C3%AAme
Ludwig II: http://www.neuschwanstein.de/deutsch/ludwig/daten.htm
John Besh, Star-Koch der US-Südstaaten: http://www.chefjohnbesh.com/
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