Buchvorstellung
Es gibt manchmal Texte in Büchern, die sind so gut und zutreffend, dass ich mir stundenlanges Feilen an eigenen Rezensionen sparen kann. Besser geht’s nicht. Das hier ist so einer. Eine liebevolle Hommage auf den überragenden Wild-Koch Karl-Josef Fuchs von seinem Freund Lutz G. Wetzel. Mit dem bekannten Jagdschriftsteller Betram Graf v. Quadt ist Karl-Josef Fuchs anscheinend auch befreundet. Der Koch aus dem Romantik Hotel Spielweg scheint tatsächlich in mehr als einer Hinsicht ein Großer zu sein, aber lest selbst.
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Der Hase lag im Pfeffer
von Lutz G. Wetzel
Fernsehregisseur, Journalist und Jagdfreund
Ich koche gern und deshalb glauben viele Freunde, sie müssten mir ständig Kochbücher schenken. Zum Geburtstag, zu hohen kirchlichen Feiertagen, als Mitbringsel bei Essenseinladungen oder einfach so – immer nur Kochbücher. Die Regale ächzen bereits und unwissende Fremde geben mir angesichts dieser Tonnage von Kochbüchern schon mal den besorgten Rat, mich einer Selbsthilfegruppe anzuschließen. Inzwischen würde ich mich sogar über einen Liebesroman von Rosamunde Pilcher, eine CD „Weihnachten mit David Hasselhoff“ oder über eine Flasche „ Château Spumante molto amabile“ mehr freuen als über „Die Kartoffelküche der nordöstlichen Eifel“, „Alt werden mit Rosenkohl“, „So gelingt das Spiegelei“ oder „100 Tipps für heißes Wasser“.
Aber, mal ganz im Ernst: Die Flutwelle an Kochbüchern, die in meinen Haushalt schwappt, hat inzwischen Formen einer Bedrohung angenommen. Denn: Ich kann keine Bücher wegwerfen. „Bücher, egal welche, wirft man nicht weg“. Das war eine Weisheit aus meinem Elternhaus, denn in der schlechten Zeit nach dem Krieg, so berichtete mein Vater, hat er die in Leder gebundenen gesammelten Werke von Detlev von Liliencron auf einem Gutshof gegen einen großen Korb Kochbirnen eingetauscht, und für diese Kochbirnen gab es auf dem Wiesbadener Schwarzmarkt einen Fahrradschlauch, sodass der Vater mit dem Rad zum Wildern in den Taunus fahren konnte. Von der Nützlichkeit der Schriftstellerei bin ich seit dieser Erzählung völlig überzeugt.
Allerdings, so habe ich inzwischen gelernt, ist der heutige Nutzen einiger Kochbücher durchaus eingeschränkt. Ich entsinne mich verschiedentlicher Versuche, Rezepte etwa aus „Die vegetarische Küche Indiens“, „So kocht Marokko“ oder „Sizilien à la Carte“ nachzukochen. Diese Versuche sind, bis auf wenige Ausnahmen, gescheitert. Entweder waren die Erwartungen an ein fremdländisches Aromenfeuerwerk zu groß, die Zutaten nicht zu beschaffen, und es musste auf Surrogate zurückgegriffen werden[– oder ich war einmal mehr vom zu zeitig genossenen Kochwein in den intellektuellen Fähigkeiten eingeschränkt und konnte dem Küchen-Genie des Verfassers nicht mehr in seine Räume folgen. Wie auch immer: Mein Leben mit den Kochbüchern ist bisweilen eine Geschichte schmerzlicher Enttäuschungen. Immerhin habe ich auch bei anderen Opfern der Kochbuch-Flut beobachtet, dass sie nach einer Phase mutiger kulinarischer Ausschweifungen immer wieder auf ein relativ kleines Repertoire an Gerichten zurückgreifen, die sozusagen die Speisekarte ihres Lebens darstellen, und die sich nur selten um ein Rezept vermehrt. Wer die erlesene Kunst der Kohlroulade, der Kruste auf dem Schweinsbraten, des Hühnerfrikassees oder einer kräftigen Erbsensuppe mit Rippchen beherrscht, der muss sich nicht verbissen an Speisen abarbeiten, die beim Türken, beim Griechen, beim Chinesen, beim Italiener oder im „Grünen Baum“ viel besser schmecken. Ich für meinen Teil habe festgestellt: Kochbücher braucht man nicht unbedingt, aber sie erweitern den kulinarischen Horizont ungemein – und wer wollte darauf verzichten?
Hierfür gibt es zwei Beispiele: Das eine ist mein Klassiker und Nothelfer in allen Lebenslagen: Grete Willinskys „Kochbuch der Büchergilde Gutenberg“ aus den fünfziger Jahren. Ein einfacher Salat von grünen Bohnen? Rinderschmorbraten? Wiener Schnitzel mit Kartoffelsalat? Schlag nach bei Grete Willinsky. Sie ist die Primadonna der Basics am Küchenherd, und wäre ich unglücklich verheiratet, ich würde mich für sie scheiden lassen.
Die zweite Ausnahme ist ein Kochbuch, das mit bemerkenswerten Fettflecken versehen ist, dessen Schutzumschlag schon mit mindestens einem Kilo Tesafilm zusammengeflickt wurde und das von speckigen Lesezeichen starrt: Die „Wildkochschule“ von Karl-Josef Fuchs. Über Wildbret habe ich früher mal gelernt: Es riecht streng, es ist zäh und wenn überhaupt, können nur Mütter es schmackhaft zubereiten. Diese schrägen Vorurteile hielten sich jahrzehntelang in meinem Vorratsschrank für nicht überprüfte Meinungen. Als ich mich zwischenzeitlich einmal schüchtern an einem Rehrücken versuchen wollte, las ich, man müsse dieses Stück Fleisch zweieinhalb Stunden lang im Backofen garen. Inzwischen bin ich sicher, dass dieser Altvordere der Rezeptverfasser den Rehrücken mit dem Hinterteil eines uralten Zirkuselefanten verwechselt hat. Denn der Rehrücken braucht nur wenige Minuten, um zu einem köstlichen Schmaus zu werden. Das weiß ich, seitdem ich die Lektüre von Karl-Josef Fuchs zu mir genommen habe.
Mit seiner „Wildkochschule“ habe ich einen neuen Kontinent auf dem Küchen-Globus entdeckt. Ich weiß noch, als ob es gestern gewesen wäre: Mein erstes Gericht aus diesem Buch war der Hasenpfeffer. Es wurden Gäste erwartet, und der Hasenpfeffer gelang, sogar ohne Generalprobe.

Und wohl hundert Mal seitdem haben sich Essensgäste bei uns mit dem Wild-Bazillus infiziert, haben sich mit einem Glas Bordeaux in der Hand in die „Wildkochschule“ versenkt und, wie ich, sofort beschlossen, alle diese exquisiten und trotzdem nicht schwierigen Rezepte nachzukochen. Denn Wild hat einen unendlich großen Vorteil: Man muss es nicht beim Bio- Bauern oder beim Demeter-Hof kaufen, um ein hochwertiges und unbelastetes Lebensmittel zu erhalten: Wild ist immer Bio. Und viel mehr als Pfeffer und Salz brauche ich selten, um eine Fülle besonderer Aromen und Geschmäcker zu erleben: Wild zubereiten ist einfach.
Inzwischen habe ich Karl-Josef Fuchs kennengelernt. Ein Küchen-Künstler, der nicht viel Aufhebens um seine Person macht und der ständig nach der perfekten Zubereitungsart für eine Fleischsorte sucht, der oft in den Details eines neuen Rezepts versunken ist und dem nur Ehefrau Sabine wichtiger ist als Küche, Käse und Jagd. Ein unvergesslich würziges Schäufele vom Wildschwein. Eine optimal zartrosa Rehkeule. Ein Hirschkalbsfilet mit irgendeinem Wahnsinn kombiniert, dass man vorher sagt: Das kann nicht schmecken. Aber dann ist es eine Aromenexplosion am Gaumen. Entsprechend schmachtende Komplimente nimmt Karl-Josef Fuchs eher beiläufig hin. Er muss schon lange niemandem mehr etwas beweisen, ignoriert bewundernswert gelassen den schwitzend aufreibenden Kampf der Kollegen um Sterne, Kochmützen und Kochlöffel und verschwendet kein millionstel Gramm Ehrgeiz an Türmchen aus Jakobsmuscheln und Zitronengras: Eine gute Rehbratwurst, eine saftige Wildenten-Terrine, ein zünftiger Wildschwein-Sauerbraten sind die Sternstunden, die seine Gäste mit ihm feiern.
Karl-Josef Fuchs hat als Leuchtturm der deutschen Wildküche viele treue Fans und nur wenige Schönwetter-Bewunderer. Mit seinen häufig ausgebuchten Koch-, Wurst- und Grillkursen hat er dem Wildbret einen völlig neuen Stellen wert verschafft: Früher war der Rehrücken, die Wildschweinkeule und der Feldhase nur ein Festtagsbraten, inzwischen sind sie ein selbstverständlicher Bestandteil in deutschen Küchen geworden. Seine „Wildkochschule“ war 2006 zwar „Kochbuch des Jahres“, wirkte aber damals trotzdem irgendwie noch etwas exotisch. Jetzt, acht Jahre später, erscheint sein drittes Wildkochbuch – und es ist ein Kochbuch, auf das man schon gewartet hat, und das ein weiterer Schritt ist zu einem bewussten, wertigen Umgang mit Wildbret. Einem Lebensmittel, dem man noch vor nicht allzu langer Zeit mit Stirnrunzeln begegnet ist und das mit jedem Skandal an den Fleischtheken der Supermärkte wertvoller und edler wird. An dem neuen Buch hat auch die jüngste Fuchs-Tochter Viktoria mitgearbeitet. Wer ihr bei der Arbeit zuschaut, spürt, dass sie genauso ambitioniert ist wie der Herr Papa und dass von ihr noch viel erwartet werden kann.
Für dieses dritte Kochbuch von Karl-Josef Fuchs habe ich übrigens vorsorglich Platz im Küchen-Bücherregal geschaffen. Weichen mussten dafür „Leckeres mit Giersch“ und „Die Schnittlauch-Diät“.
KRAUTJUNKER-Kommentar: In den Anmerkungen befinden sich die Links zu mehreren großartigen Wild-Rezepten zum nachkochen und schlemmen.
Koch und Kochbuchautor und Jäger Karl-Josef Fuchs vom Restaurant Spielweg

Karl-Josef Fuchs, seines Zeichens Wildexperte, führt in der fünften Generation das Romantik-Hotel Spielweg im Münstertal.
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Richtig Wild – das neue Kochbuch des Münsteraner Autors und Foodstylisten Martin Kintrup – belegte 2021 den zweiten Platz in der Kategorie Wild beim Deutschen Kochbuchpreis von kaisergranat.com (www.kochbuchpreis.de)!
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Anmerkungen

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Titel: Die 100 besten Wildrezepte
Autor: Karl-Josef Fuchs
Verlag: Tre Torri Verlag GmbH
ISBN: 978-3-941641-98-3
Vorherige Beiträge aus dem Buch:
Fotos: Maura McEvoy für Tre Torri Verlag
Fotografen-Website: http://mauramcevoy.com/
Restaurant-Website des Kochs Karl-Josef Fuchs: http://spielweg.com/