Im Wald – Mein Jahr im Cockshutt Wood

Buchvorstellung

Auf das schön gestaltete Buch Im Wald freute ich mich sehr, denn das zuvor von John Lewis-Stempel geschriebene Buch Mein Jahr als Jäger und Sammler: Was es wirklich heißt, von der Natur zu leben (siehe: https://krautjunker.com/2019/09/22/mein-jahr-als-jager-und-sammler-was-es-wirklich-heist-von-der-natur-zu-leben/) fesselte mich ungemein.
Ein Jahr lang ernährte sich der Autor nur von dem, was er an Pflanzen, Wildtieren und Pilzen auf dem Grund seines Hofes an der Grenze zwischen Wales und England sammeln und erbeuten konnte. Kein Stoff für Ökoromantiker, wenn man das Ganze Jahr der Natur auf Gedeih und Verderb ausgeliefert ist, um nicht zu verhungern, aber sehr unterhaltsam, wenn man es sich mit dem Buch im Sessel mit etwas zu Knabbern bequem macht.
Am Ende meiner Buchvorstellung resümmierte ich:
»Eine Fülle informativer Details sowie persönlicher Erfahrungen, verbunden mit einem großen Maß an Ehrfurcht vor dem göttlichen Geist der Natur. Unangestrengt und witzig flechtet er historische, literarische und pop-kulturelle Anspielungen in seine Sätze ein. Hut ab vor dem geistreichen Schreibstil des Autors, der Bildung und Tiefgang mit leichtem Witz verbindet.«

Sein neues Buch Im Wald – Mein Jahr im Cockshutt Wood ist von der saisonalen Struktur und der Stilistik sehr ähnlich, jedoch nicht so sehr durch die Perspektive eines Jägers und Sammlers, denn eines Waldbauern geschrieben. In seinem Vorwort beschreibt der Autor sein Vorhaben so anschaulich und poetisch, dass ich ihn gerne selbst zu Wort kommen lasse:
»Dies ist die Geschichte eines Waldes – seines natürlichen, alltäglichen Lebens und seiner Vergangenheit.
Es ist ein bestimmter Wald, aber einer, der beispielhaft für die kleinen Wälder Englands stehen kann. Für immer.
Der Cockshutt Wood im Südwesten von Herefordshire, das sind anderthalb Hektar Mischwald (Laub- und Nadelbäume) mit einem versteckten Teich, in dem der Wintermond lebt.
Vier Jahre lang habe ich diesen Wald bewirtschaftet, deshalb kannte ich ihn vom Ende seiner Buchenwurzeln bis in die Wipfel seiner Eichen. Ich kannte die Tiere, die dort lebten – den Fuchs, die Fasane, die Waldmäuse, den Waldkauz -, und ich wusste, wo die schönsten Hasenglöckchen wuchsen. (eine ausgesprochen britische Eigenheit, blühende Hasenglöckchen im Wald.)
Ich weiß, warum Waldstücke wie Cockshutt etwas Besonderes sind: Für Fauna und Flora bilden sie oft die letzte Zuflucht. Sie sind Festungen der Natur gegen das Anbranden der Menschen und der Agrarindustrie.
Auch für mich war Cockshutt ein Zufluchtsort, ein Ort unaufhörlichen Staunens über die Jahreszeiten, an dem ich mich in die Stille zurückzog. Niemand kommt einem im Wald suchen. Man ist sicher vor neugierigen Blicken, einfach eine weitere dunkle, aufrechte Gestalt zwischen lauter anderen: ein menschlicher Baumstamm.
Im Herzen von Cockshut gab es oft nur den Klang der Natur – das lederne Knarren einer alten Eiche im Frühlingswind, das Trommeln des Spechts, die schlabbernde Zunge des Dachses am Teichufer im Morgengrauen.
Ehrlich gesagt ist das gelogen. Manchmal kam das Bellen eines Hausschweins und das bronchitische Raspeln einer Säge dazu. Ich bewirtschafte Cockshutt auf die beste Art von allen: auf die alte Art, indem ich primitive Nutztiere darin herumstreifen ließ und die Bäume „auf den Stock setzte“, sie also über dem Boden absägte, damit die Stümpfe neu austreiben konnten. …«

Das Waldtagebuch beginnt an einem eisigen Nachmittag Anfang Dezember, »denn wenn die Bäume in ihrer nackten Wahrheit herumstehen, ist die richtige Zeit, um einen Wald zu besichtigen und zu bewerten«.
So betrachten wir bei seinem Waldgang den Baumbestand, erfahren von seiner Geschichte seit Wilhelm dem Eroberer und lernen die praktischen Grundlagen der Agroforstwirtschaft. Unsere Wanderung führt uns zu dem weit im Inneren liegenden See – genau der »in dem der Wintermond lebt« – und lernen die tierischen Bewohner kennen. Doch nicht nur der Wald wird en gros und en détail beschrieben, wir erfahren auch den Ursprung seines Namens:
»„Cock“ stammt von woodcock, „Waldschnepfe“. „Shutt“ ist mittelalterliches Englisch für shut, „eingeschlossen“ oder „in der Falle“.  Der Cockshutt Wood ist ein Wald in dem – vor Jahrhunderten – Schnepfen mit Netzen gefangen wurden.
Früher gab es viele Schnepfen (deshalb ist der Name Cockshutt für englische Wälder so allgegenwärtig). Ein paar brüten immer noch in der Gegend, drüben auf dem Gemeindeland von Ewyas Harold, aber die vier Waldschnepfen, die sich heute im Brombeerdickicht von Cockshutt aneinandergedrängt wärmen, sind Herbstmigranten. Als Gott die plumpe Waldschnepfe erschuf, muss Er in der gleichen schrulligen Stimmung gewesen sein wie beim Zusammenschustern des Schnabeltiers. Obwohl sie nur so groß ist wie eine menschliche Hand, ragt aus dem Gesicht der Waldschnepfe ein Stilett.
In Vogelbüchern werden die braun-weiß gefleckten und gestreiften Federn der Waldschnepfe als „Tarnfärbung“ beschrieben; „Magie“ käme der Sache näher. Nur der Brachvogel, der Wendehals und die Bekassine haben eine ebenso wirkungsvolle Tarnung. Bei schneefreiem Wetter verschmilzt das rotbraune Gefieder der Waldschnepfe mit der Laubstreu des Waldboden.
Waldschnepfen gehen nahtlos in ihre Umgebung über. Sie sind das Blatt, das durch den Buchenwald weht, der vermoderte Holunderstumpf am Wegrand, das Fleckchen Grau im abendlichen Schatten.
Ich weiß nur deshalb, dass die vier Waldschnepfen unten im Brombeerdickicht sitzen, weil ich gesehen habe, wie sie vom Ostwind hergeblasen wurden. Erschöpft taumelten sie zu Boden, während der Morgen dämmerte und ich Feuerholz sammelte und der Raureif die Stängel der Weidenröschen erstrahlen ließ.«

Während wir dem Autor Tag für Tag durch die Jahreszeiten begleiten, gibt es ohne erhobenen Zeigefinger viel zu lernen, wobei die Leseverfreude groß bleibt.
»Im Wald ist immer etwas Unvorhersehbares zu spüren; ständig hat man das Gefühl, hinter der nächsten Wegbiegung, dem nächsten Baumstumpf warte eine Überraschung.«
Zum anderen liegt es an dem Formulierungstalent des John Lewis-Stempel. Sein Sprachwitz, mit dem er die eine Ansammlung von Pilzen als »eine verrottende Science-Fiction-Stadt« und eine andere als ein »Elfenschloss … ein mykologisches Neuschwanstein« beschreibt. Das Stieleichen (Quercus robur) im Gegensatz zu Traubeneichen (Quercus petraea) jene Sorte Eicheln an langen Stielen tragen, »die Zwerge als Tabakspfeifen benutzen«, werde ich nicht vergessen.
Sehr lesenswert beispielsweise auch diese Abhandlung vom 5. März:
»Die Holunderblätter sind draußen, die ersten Blattgrünwedel; sie stinken nach Giftgas. In alten Zeiten wurde Holunder an der Hintertür gepflanzt, damit böse Geister und andere schädliche Einflüsse nicht ins Haus konnten. William Coles schrieb in seinem Buch The Art of Simpling (1656), das „gemeine Volk“ sammle Holunderblätter „am letzten Tage des Aprils, die sie, um die Zaubereien der Hexen zu vereiteln, an ihren Türen und Fenstern festmachen.“
Auf jeden Fall hielt der Geruch, den das Holunderlaub absonderte, Fliegen fern, deshalb wurden Blätterbündel in Viehställe eingehängt und am Pferdegeschirr befestigt. Die Blätter des Holunders sind, wie seine Rinde, voller Blausäure freisetzender Glucoside. Außerdem enthalten sie die bewusstseinsverändernden neurotoxischen Alkaloide Sambucin und Coniin, was erklären könnte, warum man den Elfenkönig trifft, wenn man unter einem Holunderbusch schläft.«
Ein letztes Beispiel für eine Beobachtung, über die ich nachdenken musste:
»Ein junges Tier zu töten – einen Welpen, ein Kätzchen, ein Ferkel, ein Fohlen – ist entsetzlich; einem älteren das Leben zu nehmen fällt einem leichter. Bei Bäumen ist es umgekehrt. Ich habe keine Gewissensbisse, die Ahornschösslinge totzuhacken, aber beim Fällen eines ausgewachsenen Baumes würde ich – Sie wahrscheinlich auch – ein paar Tränen vergießen.«

Wie bei dem bereits erwähnten Vorgängerwerk Mein Jahr als Jäger und Sammler bezaubern Naturbeschreibungen, die Zeugnis von hoher Beobachtungsgabe, großem geschichtlichen und naturwissenschaftlichen Wissen abgeben. Regelmäßig eingestreut werden saisonal passende Gedichte und Rezepte. Es irritierte mich hingegen, dass in Lewis-Stempel Kosmos nahezu ausschließlich alle relevanten Wissenschaftler, Denker und Dichter Briten sind und hier und da deutschfeindliche Ressentiments aufblitzen. Diese Eigenart teilt er jedoch mit den meisten britischen Autoren, selbst dem in den USA geborenem wunderbaren Bill Bryson.

Who’s perfect? Das sogar mit kleinen Vignetten und grünem Leseband schön gestaltete Buch ist eine Zierde seiner Gattung Nature Writing. Wem Im Wald – Mein Jahr im Cockshutt Wood keine Lust macht, einen Wald mit offenen Augen und Ohren zu durchstreifen, um die Wunder und die Poesie der Natur anzubeten, dem ist nicht zu helfen.

*

PRESSESTIMMEN

The Times
Englands bester Nature Writer.

Eva Hepper, DEUTSCHLANDFUNK KULTUR
Ich liebe diesen Autor. Das ist ein hinreißendes Buch und ich finde, dass das zum besten gehört, was ich in diesem Genre Naturwriting gelesen habe.

Stephan Draf, P.M. MAGAZIN
Was sich romantisch-verkitscht hätte lesen können, entpuppt sich als ungeheuer lehrreich. Und ausgesprochen berührend.«

Frankfurter Allgemeine Zeitung
Sein Ton als Erzähler umfasst das Poetische ebenso wie das Zupackende, und zum Weihevollen kommt der Humor hinzu.

Christian Endres, DOPPELPUNKT
[Es] würde etwas fehlen, ließe man sich nicht wenigstens einmal im Buchjahr von John Lewis-Stempel die Augen für die Schönheit der Natur in öffnen.

Mark Knopfler, Dire Straits
John Lewis-Stempel schreibt makellose Prosa. Guter Mann. Gute Bücher für jeden.

*

Autorenvorstellung des Verlages:

Abb.: Autorenfoto © privat

John Lewis-Stempel ist Farmer und Autor zahlreicher hochgelobter Bücher. Er ist zweifacher Preisträger des renommierten Wainwright Prize for Nature Writing. Bei DuMont sind bisher Ein Stück Land (2017) und Mein Jahr als Jäger und Sammler (2019) erschienen. Mit seiner Frau und seinen zwei Kindern lebt er in England und Frankreich.

***

Anmerkungen

Von KRAUTJUNKER gibt es nicht nur eine Facebook-Gruppe, sondern jetzt auch Outdoor-Becher aus Emaille. Kontaktmail für Anfragen siehe Impressum.

Titel: Im Wald – Mein Jahr im Cockshutt Wood

Autor: John Lewis-Stempel

Übersetzung: Sofia Blind

Verlag: DuMont Buchverlag GmbH & Co. KG

Verlagslink: https://www.dumont-buchverlag.de/buch/lewis-stempel-im-wald-9783832181246/

ISBN: 978-3-8321-8124-6

Ein Kommentar Gib deinen ab

Kommentar verfassen

Trage deine Daten unten ein oder klicke ein Icon um dich einzuloggen:

WordPress.com-Logo

Du kommentierst mit deinem WordPress.com-Konto. Abmelden /  Ändern )

Facebook-Foto

Du kommentierst mit deinem Facebook-Konto. Abmelden /  Ändern )

Verbinde mit %s