Spaltungen – Roman von der Zerstörung einer Gemeinschaft

Buchvorstellung von Beate A. Fischer

Spaltungen sehen wir heute so viele in einer bisher recht homogenen Gesellschaft. Die einen sind für die Aufnahme von Flüchtlingen und die anderen dagegen, für manche ist der Klimawandel eine Bedrohung und für andere eine Lüge.

Die Spaltung in dem vorliegenden Roman geht durch ein Dorf, eine Kreisstadt, eine Landschaft, die ansässige Bevölkerung. Ein Braunkohletagebau rückt heran und die Dörfer Unterath und Oberath wie auch der nahgelegene Wald sollen dem Tagebau, dem »Loch«, wie die Einheimischen es nennen, weichen. Das Loch gleicht dem Nichts aus Die Unendliche Geschichte. Es kommt immer näher und verschlingt alles, auch den Zusammenhalt einer Gemeinschaft.

Ein Teil der Dorfbewohner hat bereits ihre Häuser an den Konzern verkauft, andere harren aus, mehr oder wenig kämpferisch. Urgesteine wie der alte Jenissen können sich nicht vorstellen, woanders zu leben. Lena, die Vorsitzende der Bürgerinitiative gegen den Braunkohleabbau glaubt für ihre Familie zu kämpfen und steht doch kurz davor diese zu verlieren. Julia, die fürs Bleiben kämpft, findet zum Ende des Buches ihren ganz persönlichen Ausweg. Franz und Justus haben bereits am Anfang des Buches ihren »Plan B« und schwimmen mit, solange es geht.

Und im Wald, da wohnen die »Chaoten«. Die jungen Menschen, für die politischer Protest zum Beruf geworden ist, die hier wie anderswo gegen einen abstrakten Feind, »den Konzern«, »den Kapitalismus« mit veganem Essen und Baumhäusern ankämpfen. Auch ihre Front ist nicht immer homogen und zwischen den buntgemischten, zugereisten Protestlern gibt es die, die sich vor Ort bedienen lassen, weil sie ja für die gute Sache kämpfen und die, die für Struktur und Essen sorgen. Ihre Verbindung zu den eigentlichen Protagonisten in Dorf und Kreisstadt ist vage und ambivalent. Zunächst spenden die Städter Lebensmittel, als die Proteste in Gewalt gegen Menschen umschlagen – einer der zwei bedeutenden Wendepunkte des Buches -, dreht die anfängliche Sympathie in stille Abneigung. Es schwingt auch ein bisschen Neid gegenüber denjenigen mit, die nichts besitzen und auch nichts verlieren. 

Die dritte Front ist der Konzern selbst. Während die Konzernleitung versucht den Betriebsrat gegen die Proteste zu instrumentalisieren und die Rechtsabteilung als Seismograph der gesellschaftlichen Stimmung, die sich in Gerichtsentscheidungen niederschlagen wird, dient, schauen alle gespannt auf das politische Datum des Kohleausstiegs. Reicht es noch, um den Wald zu retten oder das Dorf oder beides. Als das Gericht die Abholzung des Waldes vorerst stoppt, verlagert sich – und das ist die zweite Wendung des Buches – die Konfliktlinie auf die Frage, was bleiben darf; das Dorf oder der Wald; der Lebensraum der Menschen  oder der der Fledermaus. Die Fremden im Wald werden in ihrer Kompromisslosigkeit zur Bedrohung für den Widerstand im Dorf.

Jede der vermeintlichen Gruppen weist selbst eine Vielzahl von Charakteren auf, die den Leser fordert, manchmal überfordert, zumal jeder individuell zu Wort soll. In dem gleichberechtigten Nebeneinander liegt die Schwäche aber auch die Stärke des Buches. Es wertet nicht, es verleiht eine Stimme.  

Der Autor brilliert in beklemmenden Passagen wie z.B. in der wie eine Hinrichtung inszenierten Erzählung vom Abriss der Dorfkirche, die als Symbol für die Situation derjenigen steht, für die es kein Zurück mehr gibt. Wenn die Kirche fällt, fällt das Dorf. Mit Schaudern und Blasmusik begleiten die Anwohner die eigene Demontage: 

»Der Platz um die Absperrgitter füllte sich allmählich. Ein zusätzlicher Zaun aus blau Uninformierten bildete sich um die Absperrgitter. Die beiden stählernen Kolosse starteten fast gleichzeitig. Eine schwarze, sich schnell verflüchtigende Wolke aus Dieselabgasen aus den noch kalten Motoren war für einige Augenblicke zu sehen. Die größere der beiden Maschinen hob ihren 25 Meter langen Arm und fuhr ein Stück näher an die Kirche heran. Dann streckte sie den Stahlarm schräg nach oben aus. Ihre Hand, ein stählerne Krebsschere, griff in die Wange des oberen Turmfensters an der rechten Seite der Kirche. Die Krebsschere schloss sich um die dicke Ziegelwand. Es knirschte weithin hörbar, als die Schere sich in das Ziegelwerk drückte. Staub und einzelne Steine fielen herunter. Dann riss der Stahlkoloss mit schnellem, stetigem Zug ein Stück Mauer aus dem Turm. Steine und Mauerstücke fielen herunter. Der Turm zitterte und aus zwei Düsen am Handgelenk des Stahlarmes sprühte Wasser in die Lücke und auf das herunterfallende Gestein. Dann griff die Krebsschere sich die andere Fensterwange, zerrte sie auf die gleiche Weise aus dem Turm. Das Fenster war nun eine turmbreite Lücke im Mauerwerk. Ganz langsam neigte sich das Turmdach in Richtung der Lücke. Der Stahlarm streckte sich einige Meter in die Höhe. Seine Klauen bohrten sich in das Schieferdach, die Schere schloss sich und krachend sprangen brechende Balken der Dachkonstruktion spitz durch die Schieferdeckung. Die Maschine zerrte kurz und das Spitzdach stürzte in einer Staubwolke herunter, bildete ein Gewirr von Steinen, Balken und Staub auf dem größer werdenden Haufen. Vom Turm stand nun nur noch das Ziegelgerippe ohne Dach. An der Rückseite der Kirche hatte eine kleine Maschine begonnen Stücke aus dem Kirchenkörper zu reißen, stehengebliebene Mauerreste umzudrücken. Beide Maschinen arbeiteten stetig, unaufhaltsam wie Wölfe, die einen Kadaver auseinanderreißen, und drückten die stehengebliebenen Reste um. Das spektakuläre Schauspiel fesselte die Zuschauer anfänglich und außer dem Lärm der Maschinen und der zusammenstürzenden Kirchenteile war nicht viel zu hören. Doch während die Maschinen sich von oben nach unten weiterfraßen und die Kirche ihre Gestalt verlor, wurde es lauter. Auf der Straße hatte sich eine Blaskapelle formiert.«

Mit dem Ukraine-Krieg hat die gesellschaftliche Debatte über die Energiefrage in Deutschland eine neue Facette erhalten. Sollen wir „Frieren für den Frieden“ und wie eine Dame neulich im Radio erklärte, auf Flugreisen verzichten, um Putin zu stoppen? Gibt es eine Rückbesinnung auf heimische Energieträger, einen Ausstieg aus dem Atomausstieg oder Windräder im Vogelschutzgebiet – neue Spaltungen, neue Konfliktlinien brechen auf, die Mitte, das Suchen nach Kompromissen geht verloren in immer tieferen gesellschaftlichen Spalten, dem Kampf um den einen richtigen Weg.

Ein wichtiges Buch, das zum Nachdenken anregt, über den Verlust der Mitte und des Ausgleichs, über die Frage, was man selbst bereit ist, für die eigenen Überzeugungen aufs Spiel zu setzen. Ein Buch, das nachdenklich macht und uns ohne Happy End mit den individuellen Endscheidungen der Protagonisten zurücklässt.

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Werner Berens

Werner Berens ist Fliegenfischer, Jäger, Autor und Genussmensch, der den erwähnten Tätigkeiten soweit als möglich die lustvollen Momente abzugewinnen versucht, ohne aufgrund kulinarisch attraktiver Beute übermäßig in die falsche Richtung zu wachsen. Als Leser und Schreiber ist er ein Freund fein ziselierter Wortarbeit mit Identifikationssmöglichkeit und Feind von Ingenieurstexten, die sich lesen wie Beipackzettel für Kopfschmerztabletten. Altermäßig reitet er dem Sonnenuntergang am Horizont entgegen und schreibt nur noch gelegentlich Beiträge für das Magazin Fliegenfischen.

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Beate A. Fischer

Beate A. Fischer, geboren 1973, Jägerin seit 6 Jahren, Hundeführerin – verliebt in einem Vizsla sowie Co- und Stiefmutter eines Fox, schießt leidenschaftlich gern Jagdparcour und Flugwild, außerdem hat sich die afrikanische Sonne in ihr Herz gebrannt. Sie lebt im kühlen Nordfriesland auf einem Resthof, arbeitet als Rechtsanwältin und schreibt manchmal auch mal andere schöne Texte. 

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Anmerkungen

Von KRAUTJUNKER gibt es eine Facebook-Gruppe sowie Becher aus Porzellan und Emaille. Kontaktmail für Anfragen siehe Impressum.

Titel: Spaltungen – Roman von der Zerstörung einer Gemeinschaft

Autor: Werner Berens

Verlag: Skript Verlag

Verlagslink: https://www.skript-verlag.de/skript-verlag—belletristik.html

ISBN: 978-3-928249-92-8

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