Buchvorstellung von Ola Wirenstrand
»Der Ort der Freiheit ist ein ganz anderer als bloße Opposition, ein anderer auch, als ihn die Flucht gewähren kann. Wir nannten ihn den Wald.«
Wer auch nur ein wenig Jünger gelesen hat, muss über seine Naturbeschreibungen gestolpert sein. Man kann als Einsteiger in das Oeuvre kurz durch die berühmt-berüchtigten Stahlgewitter blättern und trifft unweigerlich auf Käfer und Moose, Pilze und Blumen. Liest man sich weiter ein, merkt man schnell, dass das Naturgeschehen um Jünger herum in allen Werken eine zentrale Rolle spielt. Bei Klett-Cotta ist nun, herausgegeben von Alexander Pschera, der Sammelband Geheime Feste- Naturbetrachtungen mit einer breiten Sammlung unterschiedlichster Fragmente und Textpartien aus dem umfangreichen Werk des Dichters erschienen.
»Die Limonenbäume trugen Blüten mit grünen und gelben Früchten zugleich, die Feigen hatten noch kaum angesetzt, doch dafür reiften die Nespoli heran. Der Wein begann zu blühen, an den Berghängen reifte bereits das Korn. Die Opuntien hatten auf ihre fleischigen Blätter die Knospen aufgesetzt, während noch letzte Früchte auf den dunkelgrünen, metallischen Gerüsten abglühten.«
Gewohnt farbenreich kann Jüngers Sprachreichtum immer wieder Wirkung entfalten, und wem es zu expressiv-dick aufgetragen ist, der möge sich an unerwarteten Tempowechseln erfreuen. Es ist ein abwechslungsreicher Rhythmus, der zeitweilig gelassen und nüchtern dahinströmt, dann aber in kaleidoskopische Vexierbilder wechselt.
»Im Moor. Die fernen Wälder leuchten schon mit goldenen Kronen, von blauen Schatten untermalt. Die herbstliche Sonne fordert viel Blau. Das Gleiche ist im Geistigen der Fall. Der Herbst führt zur Metaphysik, auch zur Melancholie. Ich brauche viel Schlaf, viel Nacht. Das Hirn ist wie die Leber des Prometheus, die der Lichtadler abweidet. Es muß in der Dunkelheit nachwachsen.«
Nun mag man den Herbst als eine nicht gerade überraschende Bildquelle für melancholisches Sinnieren sehen, aber natürlich gelingt es Jünger immer wieder, starke Wechsel in die Transzendenz zu vollziehen. Man kauft ihm den gedankenversunkenen Betrachter ab, der in seiner Umwelt eine Vielzahl Verweise in und aus einer anderen, späteren Welt erkennt. Natur und Psyche korrespondieren rege miteinander.
Berührend, und manchmal auch überraschend, sind Jüngers Verhältnisse zu den Tieren. Katzen und Schildkröten, Fische und Ameisen treten als anzusprechende Akteure auf, mit viel Respekt schildert Jünger Wirken und, man möchte sagen, Persönlichkeit der Fauna um ihn.
»Die Schildkröten haben lange geschlafen, bald ein halbes Jahr. Nun dürfen sie in ihr Gärtchen ans Licht. Ich ging in den Keller und wühlte sie aus dem Stroh. Sie waren reglos und kalt wie Stein. Als ich die Treppe hinaufstieg: „Ich habe euch als Charon hinuntergetragen, aber nun wird euch bald der Löwenzahn blühen. Und dann kommen die Erdbeeren.«
Es ist eine vielfältige, reiche Sammlung von Betrachtungen, über ein langes Leben zusammengetragen, die von Jüngers großer Reiselust, aber auch seiner konzentrierten und reflektierten Betrachtung allernächster Umgebung zeugt. Der Herausgeber bündelt nach Themengebieten (Stilleben, Inseln, In den Tropen etc.), die einzelnen Texte schwanken stark in Länge und Charakter, von Aphorismus bis Reisereportage, von Einzeiler bis Mehrseiter, Tagebucheinträge und Meditationen. Das liest sich nicht immer flüssig weg, und manchmal scheinen die Themengruppen sehr weit gefasst.
Trotzdem ist es ein ausgesprochen lesenswertes Buch. Jüngers immens umfangreiches und nicht immer leicht zu durchdringendes Werk kann abschrecken, es kann schwer und voll großer Tiefen wirken. Hier haben wir es aber mit einem schönen Zugang zu tun, für Natur- wie auch Jüngerfreunde, sowohl erfahrene, als auch neue Leser werden ihre Perlen finden:
»Ich schloß noch einmal den Briefkasten auf, an den ich seit Jahren einen Warnungszettel hefte, weil ein Meisenpärchen sich darin einzurichten pflegt. Ich sah beim ersten Mal nur das Nest; es war verhältnismäßig hoch in dem schmalen Kasten; dann ein grünliches, braun geflecktes Ei, danach deren fünf und endlich die Mutter brütend, fast von der gleichen Farbe wie das moosige Genist. Heute sperrten, als ich öffnete, drei Junge die gelb gerandeten Schnäbel auf. Gott schütze euch, auf Wiedersehn.«
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Verlagsvorstellung des Autors Ernst Jünger

Ernst Jünger, am 29. März 1895 in Heidelberg geboren. 1901–1912 Schüler in Hannover, Schwarzenberg, Braunschweig u. a. 1913 Flucht in die Fremdenlegion, nach sechs Wochen auf Intervention des Vaters entlassen 1914–1918 Kriegsfreiwilliger 1918 Verleihung des Ordens Pour le Mérite. 1919–1923 Dienst in der Reichswehr. Veröffentlichung seines Erstlings In Stahlgewittern. Studium in Leipzig, 1927 Übersiedlung nach Berlin. Mitarbeit an politischen und literarischen Zeitschriften. 1936–1938 Reisen nach Brasilien und Marokko. Afrikanische Spiele und Das Abenteuerliche Herz. Übersiedlung nach Überlingen. 1939–1941 im Stab des Militärbefehlshabers Frankreich. 1944 Rückkehr Jüngers aus Paris nach Kirchhorst. 1946–1947 Der Friede. 1950 Übersiedlung nach Wilflingen. 1965 Abschluß der zehnbändigen Werke. 1966–1981 Reisen. Schiller-Gedächtnispreis. 1982 Goethe-Preis der Stadt Frankfurt/Main.1988 Mit Bundeskanzler Kohl bei den Feierlichkeiten des 25. Jahrestags des Deutsch-Französischen Vertrags. 1993 Mitterrand und Kohl in Wilflingen. 1998 Ernst Jünger stirbt in Riedlingen.
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Ola Wirenstrand

Ola Wirenstrand wurde 1974 in Västerås geboren. 1981 wanderte die Famile nach Deutschland aus, er wuchs im Münchner Speckgürtel auf und landete nach Zwischenstationen in Schwabing und Moabit letztlich in Leipzig-Lindenau. Er hält hohe Stücke auf schwedisches friluftsvett, deutsche Literatur und amerikanisches Vinyl. Wirenstrand arbeitet als Betriebswirt bei einem Leipziger Mittelständler.
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Anmerkungen

Von KRAUTJUNKER gibt es eine Facebook-Gruppe sowie Becher aus Porzellan und Emaille. Kontaktmail für Anfragen siehe Impressum.

Titel: Geheime Feste – Naturbetrachtungen
Autor: Ernst Jünger
Herausgeber: Alexander Pschera
Verlag: Klett-Cotta
Verlagslink: https://www.klett-cotta.de/buch/Juenger/Geheime_Feste/112108
ISBN-13: 978-3608964721