Fortnum & Mason: A Very British Cookbook

Buchvorstellung von Christoph Stumpf

„Um in England gut zu speisen, muss man dreimal am Tage frühstücken.“ Dieses Urteil stammt vom britischen Schriftsteller William Somerset Maugham, der freilich einen Großteil seines Lebens in Frankreich verbrachte und der Küche seines Heimatlandes sehr skeptisch gegenüberstand. Das Urteil wird allerdings heute noch von vielen seinen Landsleuten geteilt; freilich trösten sich manche Briten damit, dass es noch schlechtere Landesküchen gebe, wobei sie oftmals gerade auch an die nach ihrer Wahrnehmung durch Würste, Innereien und Kohlgerichte geprägte Küche Deutschlands denken.

Bildquelle: Christoph Stumpf

Das wenig positive Bild, das Ausländer von der britischen Küche haben, wird noch dadurch kontrastiert, dass Briten durchaus großes Wert auf die Institution des Essens und namentlich des Dinners legen. In den Londoner Anwaltsgilden, den Inns of Court gehört beispielsweise eine Mindestzahl von absolvierten Dinnern zur Ausbildung; in den Colleges der Universitäten in Oxford und Cambridge nimmt die Formal Hall, Abendessen im Talar, eine wesentliche Rolle des akademischen Alltags ein. Letztere wurde in den Harry Potter Filmen popularisiert; nicht ganz zufällig wurden die Essensszenen in der großen Halle von Christ Church in Oxford gedreht. Gerade hier finden aber andererseits Ambiente und Aroma nicht immer ein ausgewogenes Verhältnis zueinander: wer einmal als normaler Student in einem College diniert hat, findet sich regelmäßig unter großen Ölgemälden von Philosophen und Premierminister wieder, während das Personal die Tische mit Platten von angebrannten Bratkartoffeln und Pizzastücken vollstellt.

Abb.: Lunchtime, Christ Church, Oxford; Bildquelle: Christoph Stumpf

Jenseits der grenzüberschreitenden Problematik von Massenverpflegung wird aber das pauschale Urteil über die angeblich so schlechte britische Küche der Wirklichkeit durchaus nicht gerecht. Wenn man sich in der britischen Landesküche einmal durch Frittiernebel und Sümpfe matschig gegarten Gemüses gequält und Prüfungen durch Marmite und Baked Beans erfolgreich absolviert hat, erwartet einen durchaus eine Vielzahl kulinarischer Offenbarungen. Nicht umsonst hat sich London zu einem Zentrum gastronomischer Exzellenz entwickelt; britische Kochbuchautoren wie Nigella Lawson und Jamie Oliver haben auch hierzulande einen begeisterten Absatz gefunden. Schließlich blüht auch schon seit Jahrhunderten in London ein lebhaftes Geschäft mit Delikatessen.

Vor diesem Hintergrund erscheint es durchaus folgerichtig, dass Fortnum & Mason, ein traditioneller – auch am Königshofe sehr geschätzter – Lebensmittellieferant das hier zu besprechende Buch A Very British Cookbook gesponsert hat. Hierfür hat sich mit Tom Parker Bowles ein namhafter Gastrokritiker – und Absolvent des Worcester College in Oxford – als Autor zur Verfügung gestellt. Auch wenn eher nicht zu vermuten steht, dass er hier selbst testweise die Löffel geschwungen hat, dürfte Tom Parker Bowles aufgrund seiner langjährigen Erfahrung als Restaurantkritiker hinreichend Sachkunde haben. Dass er zugleich Sohn der Königingemahlin Camilla und Stief- und Patensohn von König Charles III. ist, mag unter Marketinggesichtspunkten hilfreich sein, sollte aber natürlich nicht von seiner kaum bezweifelbaren Sachkunde ablenken.

Das Buch beginnt mit einer kurzen Einführung, die sich unter anderem auch mit einer Beschreibung und Empfehlung bestimmter Zutaten, wie Chardonnay-Essig, walisisches Lammfleisch und in Himalaja-Salz gereiftem Rindfleisch der nordirischen Glenarm-Farm befasst.

Der Rezeptteil ist nach unterschiedlichen Tageszeiten geordnet; die Rezepte sind teilweise bebildert und wechseln sich mit Illustrationen, Anekdoten und Abhandlungen zu bestimmten Spezialthemen wie Tee, Kaffee, Honig oder Marmelade ab. Zwar werden im Buchtitel neben Rezepten auch Geschichten angekündigt, aber diese halten sich erfreulicherweise in erträglichen Grenzen und räumen den Rezepten den Vorrang ein.

Bildquelle: Christoph Stumpf

Die erste Mahlzeit, die im Rezeptteil abgehandelt wird, ist naheliegenderweise das Frühstück mit 15 Rezepten. Neben Klassikern wie Porridge finden hier eigens von Fortnum & Mason ersonnene Gerichte Berücksichtigung. Hierzu zählen außer Hummer Benedict, geröstete Crumpets mit Marmite und pochierten Eiern, eine Kedgeree-Reispfanne mit geräuchertem Schellfisch auch eher abseitige Gerichte wie Schinken mit Orangenmarmeladenglasur und gebratenen Enteneiern (mit Bild) sowie Bratwurst, mit Orangenmarmelade überzogen (leider ohne bildliche Illustration). Der erste Reflex der meisten kontinentalen Leser auf mit Orangenmarmelade beschmierte Bratwürste dürfte wohl dem von Obelix beim Anblick des ersten Wildschweins in Mintsauce ähneln; aber interkulturelles Essen erfordert nicht nur Appetit, sondern auch Courage.

Die zweite Abschnitt widmet sich dem Morning Tea mit neun Rezepten unter anderem für Shortbread und Florentiner wie auch mit Fachinformationen zu Tee als solchem, der bekanntermaßen zu den Kernkompetenzen von Fortnum & Mason zu rechnen ist.

Anders als das Mittagessen in Deutschland ist der Lunch in Großbritannien, der im dritten Abschnitt betrachtet wird, eine eher nachrangige Angelegenheit. Im Buch sind hierfür 13 Rezepte aufgeführt, beispielsweise für Fisch und Chips mit Erbsen und Pfefferminze oder Kaninchen-Confit mit sauren Gurken. Für diese Rezension wurde die Wildbret-Pie ausgetestet; im Originalrezept sind hierfür unter anderem als Zutaten Rehkeule, Fasanenbrüste, Moorhuhn- oder Schnepfenbrust, Schweinebacken und Speckstreifen vorgesehen; umgesetzt konnte dies nur innerhalb der Grenzen einer auf kontinentalem Wildbret beruhenden Vorratshaltung. In der Zubereitung ist das ganze relativ zeitaufwändig, allerdings wohl auch nicht als Arbeit für einen Vormittag zum Verzehr am Mittag gedacht, sondern vielmehr als Mittagessen, das gerne auch kalt gegessen werden kann. Vor allem die Kombination von knusprigem Pastetenteig und Wildfleisch mit einer Portweinnote lohnt aber den Zeitaufwand. Ein Landsitz in Schottland mit gutem Moorhuhnbesatz sowie ausreichendes Küchenpersonal mögen allerdings zur Authentizität des Gerichts beitragen.

Bildquelle: Christoph Stumpf

Der nächste Abschnitt befasst sich mit dem Picknick, wofür sieben Rezepte aufgeführt sind. Einen Schwerpunkt bilden hierbei leicht transportable Miniquiches, aber es finden sich hier auch verschiedene Salate. Einem Praxistest wurde hierbei das Rezept für eine Quiche mit Krebsfleisch und Schnittlauch unterzogen, was sich insgesamt als leichte, unproblematische und dennoch raffinierte Zubereitung erwies – übrigens auch in einer Abwandlung mit Nordseekrabben und Dill.

Bildquelle: Christoph Stumpf

Hierauf folgt ein Abschnitt, der mit Eis übertitelt ist. Wer nun meint, dass hier die im Schrank verstaubende Eismaschine endlich nutzbar gemacht werden kann, sieht sich allerdings getäuscht. Vielmehr finden sich hier acht Rezepte für Eissaucen, aber auch für sieben Eisbecher – darunter eine Eisvariante des Eton Mess sowie der Knickerbocker Glory – sowie zwei Eiscocktails unter dem Titel Float Nr. 10 und Float Nr. 11, die indes nur Hinweise zur Art und Portionsgröße der zu verwendenden Eissorten enthalten, aber keine eigene Herstellung voraussetzen. Die dem Buch offensichtlich zugrunde liegende Erwartung, dass sich Kunden von Fortnum & Mason das Eis in Fertigpackungen kaufen, die Saucen dagegen in der eigenen Küche herstellen wollen, überrascht dann doch ein wenig.

Es schließt sich ein Abschnitt zum Afternoon Tea an. Dieser bietet Rezepte für drei Kuchen, beispielsweise den Battenberg-Kuchen, sowie die eigens getesteten Mandelküchlein mit Himbeerfüllung – letztere stellten so etwas wie Shortbread mit Marmeladenfüllung dar und erfreuten sich in der Familie so großen Zuspruchs, dass sie tatsächlich zu einem Fünf-Uhr-Tee bereits verschwunden gewesen wären.

Bildquelle: Christoph Stumpf

Ebenfalls in diese Rubrik gehören fünf Sandwich-Rezepte, darunter auch die auf englischen Gartenpartys unvermeidlichen Gurkensandwichs mit Frischkäse und Minze und die aus Anlass der Krönung von Königin Elisabeth II. kreierten Coronation Chicken-Sandwichs, hier unter dem doch ein wenig sperrig klingenden Namen Sandwichs mit orientalischem Geflügelsalat. Letztere erfuhren ebenfalls einen Praxistest für diese Rezension und erwiesen sich als sehr begehrt und schnell verzehrt bei überschaubarem Aufwand.

Bildquelle: Christoph Stumpf

Ebenfalls in diesem Abschnitt findet man fünf Rezepte für unterschiedliche Torten. Hier fällt namentlich das Rezept für die Sachertorte à la Fortnum & Mason auf: diese zeichnet sich, anders als das Original, durch ein Fehlen von Marillenmarmelade aus, was damit erklärt wird, dass der frühere Inhaber Garfield Weston eine Abneigung ihr gegenüber gehabt haben soll. Immerhin wurde sie hier nicht durch die in den Rezepten im Buch ansonsten überdurchschnittlich häufig anzutreffende Orangenmarmelade ersetzt.

Schließlich weist der Abschnitt auch noch Rezepte für Scones auf und zwar sowohl klassische als auch solche mit Taschenkrebsfleisch sowie mit Heidelbeeren und Stilton.

Nach dem Inhalt des vorangegangenen Abschnitts mag es auf dem ersten Blick ein erstaunen, im unmittelbaren Anschluss einen Abschnitt Pikante Häppchen vorzufinden. Diese werden aber nicht zum Afternoon Tea, sondern nach einem anderweitigen Hauptgang und noch vor dem Obst gereicht. Hier finden sich sechs Rezepte mit so malerischen Bezeichnungen wie Canapés Ivanhoe und Angels Horseback, wohinter sich eine Kombination aus Räucherspeck und Felsenaustern verbirgt.

Nun ist man inzwischen beim Abschnitt Dinner – Hauptmahlzeiten angelangt, für das 15 Rezepte aufgeführt werden. Beispiele hierfür sind Jakobsmuscheln mit Herzoginkartoffeln und Champagnersauce, Fischcurry aus Goa – was historisch penible Charakter insofern verwundern mag, als Goa bis 1961 unter portugiesischer Herrschaft stand und niemals zum britischen Weltreich gehört hat –, Hähnchen mit Jägersauce – was ein wenig wie eine Hommage an deutsche Landgasthofküche der achtziger Jahre wirkt –, Lammkoteletts mit roten Johannisbeeren und Minze glasiert, sowie – auch durchaus ein weiterer Beleg für britische Großherzigkeit in kulinarischen Dingen – Schweineschnitzel Cordon bleu.

Bildquelle: Christoph Stumpf

Darauf folgt ein Abschnitt mit sieben Rezepte für „Beilagen“, beispielsweise Artischoken mit Salbei und Parmesan und Geschmorte Salatherzen mit Orange und Anis; letzteres wurde wieder einem Praxistest unterzogen, der sich als sehr erfolgreich erwies.

Bildquelle: Christoph Stumpf

Der Abschnitt Desserts & Süßes bietet elf Rezepte, etwa für Himbeer-Trifle, gedämpften Orangenpudding mit Vanillesauce oder – für alle Harry Potter-Leser, die sich schon immer fragten, was das wohl sein mag – Treacle Tart.

Ein weiterer Abschnitt unter dem Titel Supper- Das Abendessen sieht neun einfachere Rezepte, etwa für Schottische Eier mit einer Mangochutney-Mayonnaise und Piccalilli, für ein Hummeromelette Victoria mit Hummersauce sowie – wiederum ein wenig unerwartet – ein Käsefondue vor.

Den Abschluss bildet ein Abschnitt zu Cocktails mit sieben Rezepten.

Bildquelle: Christoph Stumpf

Tom Parker Bowles ist in Kooperation mit Fortnum & Mason mit diesem Kompendium ein Kochbuch gelungen, das bereits beim Lesen Freude bereitet und die genüssliche Vorstellungskraft kräftig anregt. Manche Zutaten wie Moorhuhnbrüste mögen schwer zu beschaffen sein, manche Zubereitungen verlangen durchaus nach Geduld und bisweilen auch nach Fingerfertigkeit, aber die Kochanweisungen sind durchaus sorgfältig durchdacht und auch praktisch umsetzbar. Große Freude bereiten die ausgefallenen Rezepte, aber es finden sich auch ausreichend alltagstaugliche Gerichte, die ideenreich präsentiert werden. Dass sich der Fokus nicht allein auf britische Rezepte im ureigensten Sinne verengt, sondern vielmehr bisweilen ein britischer Blick auf die kulinarische Welt insgesamt gelenkt wird, ist in diesen Zeiten wohltuend – und – soweit man solche Urteile als Außenstehender treffen darf – wirklich im ureigensten Sinne das, was Großbritannien über lange Zeit hinweg ausgezeichnet hat.

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Christoph Stumpf

Prof. Dr. Dr. Christoph Stumpf ist Jurist und Theologe. Ursprünglich aus Franken stammend, ist er inzwischen mit seiner Familie, Hunden und Pferden nördlich der Elbe ansässig geworden. Beruflich ist er als Anwalt tätig, in seiner Freizeit befasst er sich mit Kirche, Küche und Kindern.


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Anmerkungen

Von KRAUTJUNKER gibt es eine Facebook-Gruppe sowie Becher aus Emaille und Porzellan. Kontaktmail für Anfragen siehe Impressum.

Titel: Fortnum & Mason: A Very British Cookbook

Autor: Tom Parker Bowles

Verlag: Christian Verlag

Verlagslink: https://verlagshaus24.de/fortnum-mason-a-very-british-cookbook

ISBN: 9783959615273

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