Rehjagern – Ein Praxisbuch

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Buchvorstellung von Daniel Schoch

Bruno Hespeler war lange Zeit Berufsjäger und veröffentlichte bereits sehr viele Bücher zum Thema Jagd, von denen das ein oder andere dem interessierten Jäger sicher bekannt sein dürfte.
Erst bei der Recherche zu seiner Person fiel mir auf, dass bereits einige davon in meinem bescheidenen Bücherregal vertreten sind. Hege und Jagd im Jahreslauf ist eines davon, Schwarzwild heute ein anderes. Und auch eine Ausgabe des bekannten Klassikers Vor und nach der Jägerprüfung (oder Der Krebs, wie das Buch den meisten Jägern wohl eher bekannt sein dürfte), steht mit allerlei Post-it-Zetteln gespickt noch im Regal, seit es mir als Standartwerk damals geholfen hatte, meine eigene Jägerprüfung zu bestehen. Unter der Federführung von Bruno Hespeler wurde es von der 56. bis zur 60. Auflage auf den neuesten Stand gebracht und das Kapitel Jagdpraxis dabei von ihm selbst bearbeitet.

Die Jagdpraxis ist es auch, die den Inhalt von Rehjagern dominiert, und so ist es durchaus das Praxisbuch, das den Untertitel des Buches prägt.
Wie auf seiner Website zu lesen war, hat das Rehwild sein mehr als 6 Jahrzehnte umfassendes Jagdleben geprägt, und an vielen dieser Erfahrungen lässt er den Leser im vorliegenden Buch teilhaben.
Allerdings kommen auch die jagdtheoretischen Hintergründe, die seinen Annahmen und Handlungsweisen bei der Rehjagd zugrunde liegen, im Buch nicht zu kurz. Sehr hintergründig durchdacht erscheinen die Texte, die er mit vielen Beispielen aus seinem reichhaltigen persönlichen Erfahrungsschatz garniert. Bei aller Sachlichkeit gelingt ihm das auf oft sehr amüsante Art und Weise, die den Leser öfter schmunzeln lässt. Er nimmt dabei kein Blatt vor den Mund und spricht auch einiges gelassen aus, was bei so manchem Jäger schon bei der Erwähnung von Stichworten den Blutdruck steigen lassen dürfte.
So beginnt er nach dem einseitigen Vorwort das erste Kapitel Rehe erlegen – etwas Anatomie mit einer kurzen Auslassung zum Thema Schrotschuss auf Rehwild, wobei er selbst im ersten Satz erwähnt, dass die Überschrift Unmut hervorrufen würde. Bei der weiteren Lektüre des Buches fiel immer wieder ein leichter Hang zur Provokation auf. Althergebrachte Ansichten, die sich bei vielen Jägern tief verankert haben, werden in Frage gestellt, Versteinertes wird aufgebrochen, zu neuem Überdenken der eigenen, sich festgesetzten und lange nicht mehr hinterfragten Selbstverständlichkeiten angeregt. Dass er selbst sich immer wieder Gedanken über Zusammenhänge im Verhalten des Rehwilds machte, dass er eben hinterfragte, was eigentlich „eh klar“ war, und daraus Schlüsse für eine sinnvolle Bejagung zog, zeigt sich an vielen Stellen des kurzweiligen Buches. Die Konsequenzen dessen setzte er dann jagdlich oft recht kreativ um. So zum Beispiel in dem Abschnitt Erlebt, der auf Seite 120 das Kapitel Schauen, wo etwas los ist abschließt, und in dem Hespeler davon berichtet, wie er einst eine Vogelscheuche nutzte, um näher ans zu erlegende Reh kommen zu können.

Generell ist das Buch aus Kapiteln aufgebaut, die sich jeweils einem besonderen Aspekt der Rehjagd widmen, wie Wind und Wetter oder Intervallbejagung.
Diese Kapitel sind in zwei bis acht Abschnitte mit jeweils eigenen Untertiteln gegliedert. Im Falle des Kapitels Alle dagegen, jeder macht´s – Birschfahren sind das beispielsweise die Abschnitte Wie viele PS sind weidgerecht? und Funktioniert auch alleine.
Daraufhin folgt dann besagter Abschnitt Erlebt, mit dem er jedes Kapitel des Buches abschließt, und in dem er mit kurzen Geschichten aus seinem umfangreichen Jagdleben, oft auf sehr humorige und immer unterhaltsame, oft auch erstaunliche Art und Weise beispielhaft den Inhalt des jeweiligen Kapitels unterstreicht oder zusammenfasst.
In manchen Kapiteln gibt es einen grün unterlegten Kasten mit der Überschrift Auf den Punkt
gebracht
, in dem wichtige Aussagen noch einmal stichwortartig zusammengefasst werden. Passende Fotografien lockern die Texte auf und untermalen die Inhalte.

Im ersten Kapitel Rehe erlegen – etwas Anatomie werden nicht nur die Wirkungsweisen von Schrot- und Büchsenschuss (in der Schweiz würden übrigens noch immer ein Großteil der Rehe auf Treibjagden mit der Flinte erlegt) erläutert, der Autor geht auch auf die Unterschiede zwischen Schießtraining auf dem Stand und dem tatsächlichen jagdlichen Schießen im Revier
ein und auf die sich daraus ergebenden Problematiken. Unter Auf den Punkt gebracht schreibt er:
»Wenn die Schießleistung mit der Büchse bei einem Teil der Jäger nicht unter das Niveau der Jägerprüfung absinken würde, wäre vielerorts die Erfüllung des Rehwildabschusses kein so großes Problem!«
Einmal mehr spricht er hier sehr deutlich und mit harten Worten eine Wahrheit aus, die wohl
viele Jäger nicht gerne hören wollen.

Es folgt das Kapitel Ihr Verhalten – Konsequenzen für die Jagd. Hier geht Hespeler auf die Raumnutzung und das allgemeine Verhalten des Rehwilds in Abhängigkeit des Lebensraums ein, auf den Kontakt der Rehe untereinander, auf deren Feindvermeidung und Lernvermögen.

Im Kapitel Wann jagen wir? geht es sowohl um das jahreszeitlich unterschiedliche Verhalten der Rehe, als auch um die tageszeitlichen Aspekte, die den Jagderfolg beeinflussen, sei es durch Äsungs – und Ruheintervalle des Rehwilds, oder auch durch die des Jägers.

Das Foto eines Bocks, der zum Betrachter auf einem Hochsitz äugt, leitet das Kapitel Wind und Wetter ein. Wie der Titel vermuten lässt, wird hier das dem Wetter entsprechend unterschiedliche Verhalten des Rehwilds, und Sinn und Unsinn der Jagd bei Wind, Regen, Schnee, Nebel, Hitze, Gewitter beleuchtet. Auch der Einfluss von Sonnenschein und Mond wird thematisiert.

Wollen wir oder wollen wir nicht? nennt sich das fünfte Kapitel und befasst sich mit jagdlich festgefahrenen Altjägern und völlig unerfahrenen Jungjägern oder »jagdlichen Neuankömmlingen«, wie Hespeler sie auch nennt, damit, dass oft aus emotionalen Gründen und lange nicht hinterfragten Halbwahrheiten nicht erlegt wird, was eigentlich erlegt werden könnte oder auch sollte, und schließt mit einer Erzählung, in der er mit einem Gastgeber in dessen Revier auf einen Jährling gestoßen war, einen Spießer, der kaum halb lauscherhoch aufhatte, und den der Gastgeber mit den Worten »Mei is der gut! Na, des war a Todsünd!« schonte…

Der vieljährigen Jagderfahrung Hespelers verdanken wir wohl das Kapitel Es hat sich draußen viel verändert. Veränderungen in der Landwirtschaft in den vergangenen Jahrzehnten, wie die Intensivierung der Grünlandwirtschaft, die Ausdehnung von Maisflächen und die allgemeine intensivere Landschaftsnutzung haben einen großen Einfluss auf die Sichtbarkeit des Wildes und die Bejagungsmöglichkeiten, worauf hier eingegangen wird.

Die Jagdweise des Luchses dient als Einstieg in das nächste Kapitel Erfolgreich jagen. Wie jagt der Luchs, wie jagt der Mensch? Welche Konsequenzen können wir aus diesen Beobachtungen ziehen? Wie vermeiden wir es, durch die Art unserer Bejagung das Wild zu verstänkern und zu »vertrampeln«? Wie sorgen wir dafür, vom Wild nicht sofort als Gefahrenquelle erkannt zu werden? Auch auf das bekannte „keine Zeugen hinterlassen“ – soll heißen, zu versuchen Geiß und Kitze auf einmal zu erlegen – geht er ausgiebig ein.
Aufgefallen ist mir hier, wie an manch anderer Stelle des Buches, wie unterschiedlich manches zum Teil gelehrt wurde, und heute gelehrt wird.
Hat man mir schon in meinen ersten jagdlichen Anfängen eingeimpft, immer zuerst das Kitz und dann, wenn möglich, die Geiß zu erlegen, berichtet Hespeler, er hätte im Vorbereitungslehrgang als junger Berufsjäger gelernt, es sei sinnvoll im Herbst zunächst die
Geiß und dann die Kitze zu erlegen, weil die Kitze schneller und zuverlässiger zur erlegten Geiß zurückkehren würden, als umgekehrt. Hespeler selbst sagt allerdings, ihm widerstrebe diese Empfehlung und er erlege bis heute zuerst die Kitze.
Noch eine kleine persönliche Randnotiz zu dem „Erlebt“ in diesem Kapitel: Als begeisterter R4-Fahrer verwehre ich mich entschieden gegen den eingeklammerten Satz aus folgendem Zitat des Abschnitts:
»An der neuen Jägerhütte, die viel älter war als die alte Jägerhütte, blieb der meiner Besoldungsstufe angepasste Renault R4 stehen (Autos im heutigen Sinnes gab es noch nicht).«

Abb.: Daniels neues altes Schätzelein im Einsatz; Bildquelle: Daniel Schoch

Für die Gummipirsch aufgrund von selbst zufallender Türen und wenig Bewegungsfreiheit im Innenraum sicher weniger, zum Transport von Jäger, Waffe und Wild jedoch sehr wohl geeignet, nutze ich den Jeep des kleinen Mannes noch heute sehr gern für Fahrten ins Revier!

Schauen, wo etwas los ist behandelt das Auffinden des Wildes, das Herausfinden, wo es Einstände hat und wo es wechselt. Verbiss, Fährten, Fegestellen, Lager, Losung, Schrecken des Rehwilds geben uns Hinweise dafür. Wie so oft im Buch gibt der Autor auch hier praktische Empfehlungen zu daraus resultierenden jagdlichen Herangehensweisen.

Nun geht man im folgenden Kapitel auf eine der häufigsten Jagdmethoden ein. Ansitzjagd – wie, wann, wo? heißt es. Es geht um Grenzlinien, um Lichtbrücken, um Ansitz- und Ruheflächen, um Holzlagerplätze, Waldränder, Wechsel und Wildwiesen, um Forststraßen und Kirrungen, und darum, wo der Ansitz wann und warum sinnvoll sein kann.

Auch Sammelansitze, so die nächste Überschrift, sind stellenweise recht verbreitet. Je öfter, umso schlechter, meint der Autor. Eine doppelseitige Erzählung gibt hierfür gutes Beispiel. Sie endet damit, dass der ansitzende Junglehrer vorzeitig abbrechen musste, weil er noch die von seiner Ehefrau aufgetragenen Einkäufe zu erledigen hatte. Der Verwaltungsbeamte hatte die einzelne starke Geiß ziehen lassen, um erfolglos auf ein schwaches oder krankes Reh zu warten, und der Jungjäger hatte »auf ein Reh« geschossen, daraufhin Panseninhalt gefunden und erfolglos nachgesucht. Nur der Dorfmetzger hatte zum zweiten Mal in Folge Geiß und Kitz sauber geschossen und aufgebrochen. Hespeler spricht von »Dummheit vorm schießunwilligen Feind« und schreibt so schöne Sätze wie »Der Jungjäger brachte einen Fuchs, den keiner essen wollte«.

Die nächste Jagdmethode wird im Kapitel Gehen wir Rehe suchen – die Birsch besprochen. Bruno Hespeler geht hier auf die Besonderheiten des Pirschens ein und gibt sehr praxisnahe Empfehlungen, wie die Pirsch erfolgreich sein kann. Er beschreibt, wie er das Pirschen in den Hängen des Schwarzwalds kennen gelernt und erfolgreich umgesetzt hatte. Im abschließenden Abschnitt wird er fast poetisch:

»Noch war das eine Kitz aus glitschiger Rinne heraufzuholen, waren beide aufzubrechen. Doch kaum war ich schweißgebadet oben, riefen schon die kreisenden Kolke mit rauem Klong-klong vom Steinbergele herüber. Eine Nacht nur, und die gröbsten Spuren der eben verursachten Tragödie würden beseitigt sein. Erst – ich würde kaum den rehbepackten Rücken abgewendet haben – die wartenden Kolke und in der Nacht der schon im Winterbalg steckende Bergfuchs. Zuletzt einige frostklammen Fliegen, ein tanzender Schmetterling am schwarzrot geronnenen Schweiß. Tau und Reif und Vergessen darüber. Nichts würde bleiben als eine kurz anhaltende Erinnerung und ein Stück Papier. Und was wohl wird von uns bleiben, wenn die Kiste aus den eichefurnierten, garantiert schadstoffarmen Spanplatten unterm Lehm versinkt…?«

Jagdliche Stubenmusik – Rehe riegeln überschreibt Hespeler das Kapitel, das auf Seite 175 beginnt. Er berichtet hier davon, wie man Rehe von einem Helfer oder auch einem gut eingearbeiteten Hund anrühren kann, nachdem man sich selbst entsprechend postiert hat, um die Anwechselnden gut erlegen zu können. Strategien dafür beschreibt er sehr anschaulich.
Der R4 kommt diesmal übrigens besser davon…

Alle dagegen, jeder macht´s – Birschfahren. Der Titel spricht für sich. Hespeler verteufelt die »Gummipirsch« nicht generell, sondern er zeigt auf, wie man sie so einsetzen kann, dass sie sinnvoll sein kann, und man das Rehwild nicht dazu bringt, das Jagdfahrzeug mit einer Gefahr für Leib und Leben zu verbinden.

Das vorletzte Kapitel widmet sich der Intervallbejagung, die sehr sinnvoll sein kann, wenn man die Intervalle richtig definiert. Wie und wann das Sinn macht, wird hier sehr ausgiebig dargelegt. Der Autor bespricht eingehend das Verhalten des Rehwilds im zeitlichen Zusammenhang und die Sinnhaftigkeit der Jagd zu verschiedenen Zeiten im Jahreswechsel und erklärt, warum man wann die Büchse im Schrank lassen kann, und dennoch – oder erst recht – den Abschuss erfüllen kann.

Nun sind wir beim letzten Kapitel angelangt: Schwerpunktbejagung – Beunruhigen ist auch schon was. Beim Schwerpunktabschuss bevorzugt Hespeler die »kleine Lösung«. Dabei geht es darum, auf eher kleinen, für Verbiss sehr empfindlichen Flächen den Abschuss schwerpunktartig zu tätigen, während man das Wild dort in Ruhe lässt, wo es nur unbedeutende Schäden stiften kann. So können für Verbiss empfindliche Standorte entlastet, und zugleich großflächige jagdliche Ruhezonen geschaffen werden. Wie das gelingt, und was dabei zu beachten ist, beschreibt er auch hier wieder ausgiebig und praxisnah.

Die Lektüre des Buches ist, ob der lockeren und oft amüsanten Schreibweise von Bruno Hespeler und nicht zuletzt auch ob der unterhaltsamen Erzählungen seiner eigenen Jagderfahrungen ein Genuss, und dank der gut durchdachten und faktisch untermalten Erläuterungen eine Bereicherung für jeden Jäger, der sich ernsthafte Gedanken über den Umgang mit Rehwild und dessen sinnvoller Bejagung macht.

*

Daniel Schoch

Daniel Schoch ist Jäger, Angler, Imker, Geflügelhalter, Selbstversorger, Schreiner und Spinner. Seine Wurzeln liegen in der sonnigen Pfalz, zwischen Rhein und Reben. Nach einem mehrjährigen Ausflug ins schöne Portugal, zog er vor neun Jahren wieder in die alte Heimat. Seitdem isst er die Wälder und Flüsse des Mittelrheingrabens etwas leerer.
Er liebt und lebt für gutes Essen, gute Getränke, für die Jagd und für den Punkrock.

***

Anmerkungen

Von KRAUTJUNKER gibt es eine Facebook-Gruppe sowie Becher aus Porzellan und Emaille. Kontaktmail für Anfragen siehe Impressum.

Titel: Rehjagern – Ein Praxisbuch

Autor: Bruno Hespeler

Verlag: Österreichischer Jagd- und Fischerei-Verlag

Verlagslink: https://www.jagd.at/?seite=buch&id=832

ISBN: ‎ 978-3852081625

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