Buchvorstellung von Thomas E. Emmert
Worum es dem Autor dieser an sich fein erdachten Geschichte eigentlich geht, deutet sich zu Beginn der Exposition bereits an: In einem Edelrestaurant in Hamburg speist der abgehalfterte Redakteur eines von der Einstellung bedrohten Kunstmagazins und treibende Kraft der Romanhandlung mit seiner Frau, Chefredakteurin eines erfolgreichen Frauenmagazins und Restaurantkritikerin. Die beiden haben eine Tochter, die sich der bildungsbürgerlichen Blase des Schönen und Guten entzog und als DJane in einer Strandbar auf Ibiza auflegt, mit blaugefärbten Haaren, wie er, der »König ohne Königreich« von seiner Frau eher beiläufig – »wir könnten uns ja heute Abend auch mal unterhalten, über deine Tochter zum Beispiel«- erfährt. Die Kunst, die Kulinarik, ein Fliehen aus der Enge.
Diese Figurenkonstellation allein birgt bereits dramaturgische Sprengkraft. Und sie spiegelt gleichsam die Konflikte, die auf den folgenden 275 Seiten verhandelt werden möchten.
Der dem Roman seinen Namen gebende Protagonist eines zweiten Erzählstrangs wird noch vor dieser Exposition in einer Art Prolog eingeführt: Geschildert wird über knapp zwei Seiten die Geburt des Gustav Glander auf dem elterlichen Hof in der süddeutschen Provinz.
Diese anachrone Erzählweise wird größtenteils beibehalten: Der Leser wird häppchenweise durch die Ereignisse geführt. Das macht das Lesen vor dem Einschlafen oder zwischendurch ganz angenehm. Dabei springt die Erzählung nicht nur durch die Zeit, sondern auch durch den Raum.

Schilderungen von Gustav Glanders Kindheit und Jugend im Allgäu, von -gescheiterten -postpubertären Entwicklungsexperimenten mit der ersten Liebe in der nächsten Kreisstadt und einer Phase der eigentlichen Adoleszenz zum ersten Sichfinden beim Studium der Kunst in – natürlich! – New York, fern der provinziellen Enge des väterlichen Guts, führen diverse Nebenfiguren ein und die Geschichte des »Großen Glander« letztlich in die Verantwortung von Gerd Möninghaus, besagtem Journalist und Kunstkritiker: Dass dieser glaubt, in jenem Hamburger Restaurant in einer flüchtigen Begegnung Gustav Glander erkannt zu haben, löst den zusammenführenden Handlungsstrang aus. Denn der introvertierte Glander, ein Baum von einem Kerl, ist im New York der 1990er Jahre mit seinen Arbeiten, Reminiszenzen an die Eat-Art, zu Geld, Ruhm und Größe gelangt. Wie er selbst findet: Zu Unrecht. In der Folge eines akuten Schubs seines Impostor-Syndroms beschließt Glander, sich dem Kunstbetrieb, dem Guten und Schönen, zu entziehen. Seither gilt der große Glander als verschollen. Möninghaus nun hofft, seiner Karriere einen neuen Schub verleihen zu können und setzt alles daran, den Fall aufzuklären, Gustav Glander gar zu finden. Seine Recherche führt ihn zu den Orten von Gustav Glanders Wirken, bis ein anonymer Hinweis eine Wende herbeiführt.
Nicht-autobiografische belletristische Literatur ist unmöglich. Autobiografische Bezüge treten lediglich mehr oder weniger offen zutage. Stevan Paul verbrachte seine Kindheit und Jugend im Allgäu, lebt in Hamburg. Das ist gut, denn er weiß, was er beschreibt. Paul ist auch gelernter Koch, »Autor zahlreicher Kochbuchbestseller, schreibt als freier Journalist kulinarische Texte und Reisereportagen für Zeitschriften und Magazine«, wie es in seiner Biografie heißt. Und so nimmt es einen wenig wunder, dass die kulinarischen Texte in Der große Glander einen nicht unerheblichen Raum einnehmen.
Ohne den sorgsam geplanten Plot zu verraten, der einen spektakulären Twist birgt, kann man aus dem bereits Gesagten schon erahnen, wo sich die Möglichkeiten für »kulinarische Texte« auftun: In Glanders Kunst, der Figur der Restaurantkritikerin, den abgearbeiteten Stationen der Suche Glanders nach sich selbst und Mönighaus‘ nach Glander. Und natürlich in der Tatsache, dass der Mensch eben isst. Und ist, was er isst. Beziehungsweise wo er isst. Beziehungsweise kocht. So muss bereits im Prolog der postnatale Appetit von Glanders -eben gewordener-Mutter umgehend durch ein auf der Küchenhexe zubereitetes Spiegelei auf rösch ausgelassenen Speckstreifen gestillt werden. Rustikales Landleben, ehrliche Menschen. Im weniger rustikalen Hamburg wird »Mandarinen-Espuma, […]mit Wodka und Wakame-Algen, getoppt mit Osietra-Kaviar Malossol und Mandarinenfruchtfleisch« serviert. Über 60 Rezepte, so der Autor, finden sich im Großen Glander. Dabei ist der Koch Paul Universalist, Kosmopolit und im besten Wortsinne kulinarischer Sozialist ohne Berührungsängste. Das schafft Bandbreite. Das macht Spaß. Jedes der 16 Kapitel und Unterkapitel verhandelt Essen oder Speisen. Dabei schafft Paul, größtenteils über seine Figuren, immer Gelegenheiten das Thema Kulinarik zu bedienen.
Dies wirkt oft konstruiert und abseits des eigentlich Erzählten und zu Erzählenden, was die Dynamik der Geschichte hemmt. Mit nahezu missionarischem Eifer degradiert der Autor seine Akteure zum Sprachrohr, die Story zum Fließpapier, auf dem er die Farben von Kunst und Kulinarik erst ausbreitet, um einer auf der Metaebene sich manifestierenden Behauptung einer quasi unausweichlichen und gottgegebenen Synthese beider nahe zu kommen. Das macht es den Figuren unmöglich, jenseits dessen über verbale Veräußerung Persönlichkeit zu entwickeln und der Handlung als Person zu dienen: Ihre kulinarischen Philosophistereien wirken unorganisch, die Figuren bleiben stereotypisch, ihr Agieren künstlich, die Handlung zweckdienlich, was die Lesefreude trübt.
Da kommt der Leser des Romans weniger auf seine Kosten als der Foodie. Unter diesen hat Der Große Glander jedoch eine treue Fangemeinde: Wer auf einen gut gebauten, doch mühsam erzählten Plot verzichten und sich den lukullischen Freuden lieber direkt zuwenden möchte, kann unter https://www.mairisch.de/programm/stevan-paul-der-große-glander/blogparade/ insgesamt 48 der im Roman erwähnten Gerichte finden, nachgekocht in einer gemeinsamen Anstrengung verschiedener Food-Blogs, bebildert und oft mit Links zu den entsprechenden Rezepten versehen.
Fazit: Meinen Drang lange Stellen querzulesen konnte ich mit gebotener Professionalität und dem grundsätzlichen Respekt vor Autoren mühsam bändigen.
Mir lag die bereits zweite Auflage von 2017 zum Besprechen vor. Das leinengebundene Lesebändchen kommt mit 288 Seiten für 20 Euro hübsch anzusehen daher, ist allerdings auch als eBook erhältlich.

KRAUTJUNKER-Kommentar
Auf Der große Glander wurde ich bereits aufmerksam, als ich Stevan Pauls schönes Buch Monsieur, der Hummer und ich hier im Februar 2017 vorstellte. Die kulinarische Kurzgeschichtensammlung mit dazu passenden Rezepten gefällt mir so gut, dass sie uf diesen Blog inspirierend nachwirkt und ich sie immer wieder verschenke. Die Vielzahl guter Rezensionen auf Der große Glander, unter anderem im geschätzten Tartuffel-Blog hier, lockten mich schon lange, allein, es fehlte die Zeit.
Beim Lesen fing ich dann nicht wirklich Feuer und musste sogar einen zweiten Anlauf starten, denn Stevan Pauls Figuren sind für mich nicht mit Leben erfüllt. Sie wirken allesamt etwas konstruiert wie Marionetten, die von einer einer ausgetüftelten Mechanik über die Bühne gezogen werden. Bei einem Buch, in dem es dem Autor gelingt, seinen Protagonisten eine Seele zu schenken, fängt der Leser an, mit ihren Gehirnen zu denken und ihren Herzen zu fühlen. Das ist hier für mich nicht der Fall.
Davon abgesehen verfügt Der große Glander über einen raffinierter Plot, in dem Kunst und Küche gefeiert werden und einem beim Lesen der Küchenszenen der Duft des »schneeweissen rahmigen Pürees aus getrocknetem Kabeljau und winzigen Fenchelwürfeln in bitterscharfem Olivenöl« in der Nase kitzelt.
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Pressestimmen
Paul hat ein leidenschaftliches Plädoyer fürs Kochen und alle Köche geschrieben. Und natürlich fürs Geniessen. So sollte das Buch auch gelesen werden: aufmerksam und mit Genuss. Vielleicht begleitet von einem Glas Cabernet Sauvignon.
― Berner Zeitung
Welche Berührungspunkte gibt es zwischen Kochen und Kunst? Diese Frage steht im Zentrum von Stevan Pauls ebenso amüsanten wie einsichtsreichen ersten Roman. … Stevan Paul erklärt mit schlagender Überzeugungskraft, wieso Kochen und Kunst zwei Schulen der Achtsamkeit sind und Möglichkeiten menschlicher Entwicklung eröffnen, die uns ohne sie verschlossen blieben.
―Denis Scheck, Der Feinschmecker
Das Kochen und der Genuss als große, existenzielle Leidenschaft, als Sinnstifter für ein glückliches Leben und als Kunstform. […] Fast auf jeder Seite dieses Buches beschreibt Paul Gerichte und Zutaten so sinnlich, dass man beim Lesen Appetit bekommt. Ein unterhaltsames, leichtes Debüt, das besonders Hobbyköche und Foodies gern lesen werden.
― Judith Liere, Stern
Ein Roman, der farbig und lebendig geschrieben ist und Anstöße gibt, die über das Zuklappen des Buches hinausreichen.
― Martin Maria Schwarz, HR 2
Stevan Paul, ausgebildeter Koch, ist einer der produktivsten, einfallsreichsten Kochbuchautoren hierzulande. […] Kein Wunder also, dass er für seinen Roman speziell bei den Beschreibungen der aufgetragenen Gerichte zu großer Form aufläuft.
― Carmen Böker, Berliner Zeitung
Probieren. Glücklich sein. Das ist die Essenz dieses Romans, der daherkommt wie eine Consommé, wie eine klare Botschaft. Genießt das Essen, die Liebe, das Leben. Man könnte mit einem Buch wie „Der große Glander“ anfangen.
― bbqlove.de
„Der Große Glander‘ ist wunderschön gestaltet. Man möchte das Buch sofort in die Hände nehmen. Dieses Buch verdient Streicheleinheiten.
― Katrin Krämer, Radio Bremen
Ich finde Stevan Pauls Roman ist wie unser Essen: Ein sommerlicher Genuss, fein gewürzt, humorvoll und lebensbejahend.
― Julia Westlake, NDR Kulturjournal
Beim literarischen, äußerst kurzweiligen Streifzug durch verschiedenste Restaurants bekommt der Leser jede Menge Küchenwissen charmant serviert.
―Claudia Sewig, WELT
Kindliche Erwartungen vor einem großen Familienfest im Frühling, ein schrulliger Onkel, der sympathisch aus dem Rahmen fällt, die Liebe und das Leben… Stevan Paul schlägt die richtigen Saiten an und löst beim Leser Schwingungen aus, die ein Lächeln ins Gesicht zaubern. Mit seinem Erstlingsroman ist ihm ein Werk mit großem Unterhaltungswert und unbeschwertem Lesevergnügen gelungen.
― Bernhard Degen, Falstaff
Kulinarische Bücher: gibt es viele! Gut geschriebene kulinarische Bücher? Gibt es wenige. Sehr wenige! Ich habe gerade so eins gelesen:„Der große Glander“ von Stevan Paul! Go! Read!
― Nicole Klauß, lokalverstärkung
Es dampft, zischt, schmeckt und riecht sinnlich aus allen Zeilen, wenn Paul Sternemenüs oder Konfirmationsfestessen beschreibt.
― k.west
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Verlagsvorstellung des Autors Stevan Paul

Stevan Paul, 1969 geboren, verbrachte Kindheit und Jugend in seiner Heimatstadt Ravensburg, am Bodensee und im Allgäu, seit über zwanzig Jahren lebt er nun schon in Hamburg.
Der gelernte Koch ist Autor zahlreicher Kochbuchbestseller, schreibt als freier Journalist kulinarische Texte und Reisereportagen für Zeitschriften und Magazine, ist Radiokolumnist.
Stevan Paul betreibt eines der meistgelesenen Genuß-Blogs im deutschsprachigen Raum.
www.nutriculinary.com www.stevanpaul.de
Veröffentlichungen
(siehe auch: https://www.stevanpaul.de/buecher/)
Der große Glander (Roman, 2016)
Schlaraffenland (Erzählungen, 2012)
Monsieur, der Hummer und ich (Erzählungen 2009)
Kaffee.Satz.Lesen 13-31 (Anthologie, 2006)
Kaffee.Satz.Lesen 1-12 (Anthologie, 2005)
Kochbücher von Stevan Paul (Auswahl):
Open Air (2016)
Auf die Hand ((2014)
Deutschland Vegetarisch (2013)
Schneller Teller (2012)
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Thomas E. Emmert

Thomas E. Emmert. Jahrgang 1968. In der Kurpfalz geboren. Vom Rheinland geprägt. Reifend in Salzlandkreis. Ein Leben am Fluss. Studium der Indogermanistik. Berufliches Toben auch als Dozent und Dramaturg. Heute verantwortlich für Haus, Hof, Hund und Hühner.
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Anmerkungen

Von KRAUTJUNKER gibt es eine Facebook-Gruppe sowie Becher aus Porzellan und Emaille. Kontaktmail für Anfragen siehe Impressum.

Titel: Der große Glander
Autor: Stevan Paul https://www.stevanpaul.de/
Verlag: mairisch Verlag
Verlagslink: https://www.mairisch.de/programm/stevan-paul-der-gro%C3%9Fe-glander/
ISBN: 978-3-938539-40-8