von Jan von Rossem
DAS PFERD
Lachie Smith lacht. Oft. Lachie ist ein rundlicher, weißhaariger ziemlich fitter 60-jähriger Schotte mit Sinn für Humor. Obwohl: Ein Schotte mit Sinn für Humor ist ja schon fast so etwas wie ein weißer Schimmel.
Lachie ist Schotte durch und durch. Einen Schottenrock sucht man bei ihm allerdings vergeblich. Er schwört auf Tweed. Natürlich am besten den von der Insel Harris. Wenn jemand in Inverness, am nördlichen Ende des schottischen Seen-Grabens, lebt, muss er natürlich erst mal zu einem Nationalheiligtum Stellung nehmen. Die länglichen Seen, die die »Highlands« diagonal durchschneiden, nennen sich hier allesamt »Loch« und das »Loch« nahe Inverness ist besonders berühmt, beinahe heilig. Wegen eines besonderen Bewohners. Genauer gesagt: wegen eines angeblichen Bewohners. Der langgezogene See ist benannt nach der nahegelegenen Stadt, »Loch Ness«. Und sein Bewohner, sein angeblicher, ist ein See-Ungeheuer, ein meist als recht freundlich dreinschauend beschriebenes, das sich aber nur äußerst selten zeigt. Trotzdem wollen es alle sehen. Denn auch wenn die bisherigen Augenzeugen nicht hundertprozentig überzeugend waren, hat sich doch die Auffassung durchgesetzt, dass es dieses See-Ungeheuer, liebevoll Nessie genannt, tatsächlich gäbe.
Lachie Smith lacht. Lachie ist ein rundlicher, weißhaariger, ziemlich fitter 60jähriger Schotte mit Sinn für Humor. Obwohl ein Schotte mit Sinn für Humor so etwas wie ein weißer Schimmel ist. Oberste Priorität für Schotten: keine Pointe auslassen. Zweite Regel: Nichts zu ernst nehmen. »Nessi ist das beste Business-Konzept der Welt. Einer behauptet, er habe im See etwas Unnormales gesehen, kann aber nicht genau sagen, was. Daraus entsteht dieser Mythos. Ist doch genial!«
Und dieser Mythos lockt Heerscharen von Touristen hierher. Für Schotten allerdings gibt es interessantere Fragen, als die, ob es Nessie gibt. Zum Beispiel: Wie viel Wasser ist in Loch Ness? Manche Wissenschaftler behaupten: So viel wie in der Nordsee. Andere sagen, so viel wie in allen Flüssen und Seen Großbritanniens zusammen. Darüber lässt sich gut diskutieren, findet Lachie. Bei einem Highland-Whiskey. Oder zweien. »Trotz der Touristen«, sagt Lachie, »Ist hier alles ziemlich normal und entspannt geblieben.« Das ist auch so eine schottische Wesensart. »Mich hat mal ein Amerikaner gefragt, warum wir nicht viel mehr und größere Hotels und Restaurants hier hin bauen, um noch mehr Touristen aufnehmen zu können und alles gewinnbringender zu vermarkten.« Lachies Antwort: »Weil wir Schotten sind und keine Amerikaner.« Was bedeutet: Erstens halten sie den Ball flach. Und zweitens lieben sie ihre Natur und möchten, dass sie so bleibt.
Die Natur. Das ist – nach Whiskey und Rugby oder vielleicht auch dazwischen – das, was Schotten sehr am Herzen liegt. Und was sie unheimlich stolz macht. Ihre wunderschöne Heimat. Die Flüsse, die Seen, die Wälder, die unendlichen Weiten der Highlands. Das ist Lachies Reich, seine Passion. Lachie ist Jagdagent. Angefangen hat er als Stalker. Einer der sich (und seine Jagdgäste) professionell an die Beute anpirscht. Oder weniger theatralisch gesagt: Sie aufspürt. »Mein Vater war Estate Manager für einen reichen englischen Adligen. So bin ich früh mit der Jagd in Berührung gekommen.« Ein Estate ist so etwas wie ein Revier. Lachie hat in jungen Jahren seine ersten Pfund hier draußen verdient. »Ich bin in die Highlands gegangen und habe die Abwurfstangen der Hirsche gesucht und gesammelt. Das brachte mal eben 500 Pfund oder mehr. Viel Geld damals. Und eine gute Schule. Ich konnte die Hirsche schnell am Geweih entdecken. Das Sammeln hat mein Auge sehr geschult.«
Lachie kommt schnell und ausführlich ins Reden, was sehr sympathisch ist und ihn auch überall im Ort sehr beliebt macht. Für Nicht-Schotten, beziehungsweise Menschen, die mit der schottischen Mundart nicht so sehr vertraut sind, können seine Ausführungen stellenweise etwas rätselhaft bleiben. Aber auf Nachfragen kramt er auch gern ein wenig Schul-Englisch heraus. Und irgendwann hört man sich rein.
Jagt man in den Highlands, gibt es zwei Dinge, die man vor allem bewältigen muss: erhebliche Distanzen und unwegsames Gelände. Und wenn von unwegsamen Gelände die Rede ist, dann ist das ernst gemeint. Ausnahmsweise. Kein Scherz. Man muss oft abenteuerliche Aufstiege über acht oder zehn Meilen bewältigen, um das Wild aufzuspüren. Das bedeutet: Man braucht ein geeignetes Transportmittel. Eins, das nicht nur den Aufstieg schafft, sondern auch die Beute bergab transportieren kann. Traditionell bewährt: das Pferd. »Das Pferd«, schwärmt Lachie, »ist der perfekte Jagdgefährte in den Highlands. Wenn du ein Pferd an Deiner Seite hast, brauchst du das Wild nicht mehr zu zerlegen und im Rucksack talwärts schleppen. Das ist sauberer, geht leichter und schneller.
»Heute gibt es aber immer mehr Straßen und befestigte Wege, da kommt man auch mit geländegängigen Maschinen hin. Deshalb wird das Pferd seltener zur Jagd eingesetzt.« Fahrzeuge, vor allem eins wie der Argo, der sechsrädrige Tausendsassa, der auch auf der Stelle drehen kann, lösen das Pferd mehr und mehr ab. Sie sind günstiger in der Unterhaltung und praktischer. »Mit einem Pferd kriegst du nur einen Hirsch ins Tal, mit einem Argo mehrere«, weiß Lachie. Einmal kurz Luft holen. Der Redeschwall ist noch nicht zu Ende. »Trotzdem gibt es immer noch eine Daseinsberechtigung für Pferde bei der Jagd in den Highlands«, schwärmt Lachie. »Es gibt durchaus Stellen und Regionen, in die kein Auto, nicht mal ein Argo hinkommen. Aber Pferde. Vor allem, wenn der Untergrund steinig ist. Die rutschen mit ihren Hufen so gut wie niemals aus.« Was bei dem unwegsamen Gelände kaum zu glauben ist.
… (Ende der Leseprobe, aber nicht des Buchtextes)
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Anmerkungen
Von KRAUTJUNKER existiert eine Gruppe bei Facebook.
Titel: Jagdgefährten: Was uns auf der Pirsch begleitet – Menschen und ihre Passion
Herausgeber: Thomas Ernst und Jan Hüffmeier
Text: Jan von Rossem
Fotos: Holger Heuber
Verlag: Delius Klasing (12. September 2016)
ISBN: 978-3667106711
Verlagslink: http://www.delius-klasing.de/buecher/Jagdgef%C3%A4hrten.226204.html
Fotografenlink: http://www.holger-heuber.de/
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