von Olivier Portrat und Gregor Bradler
Der Rio Ebro ist mit mehr als 900 Kilometern Länge der größte Fluss Spaniens. Über die vergangenen Jahrzehnte hat er zehntausende von Anglern glücklich gemacht. Aus diesem Grund ist der Ebro eines der bekanntesten Angelreviere in Europa.
Abb.: Der Embalse de Mequinenza, auch Mar de Aragon genannt, ist über 100 Kilometer lang und bis zu 70 Meter tief.
Der Ebro entspringt in der Sierra de Hijar in fast 1900 Metern Höhe über dem Meeresspiegel. Zunächst unscheinbar klein und in erster Linie von Forellen bewohnt, wird der Ebro für Angler erst ab der Höhe von Logrono wirklich interessant, wo er durch Zuflüsse deutlich wasserreicher und größer wird als weiter stromauf. Außerdem ist das Wasser hier im Jahresmittel deutlich wärmer als in den Bergen Asturiens. Am Ebro-Mittellauf gibt es das eine oder andere Wehr, das meist eine Wasserkraftanlage betreibt. Diese Wehre sind von ihrer Höhe her recht bescheiden und bei Hochwasser für die Fische gut passierbar.
Bei dem Dorf Mequinenza an der Grenze zwischen den Provinzen Aragon und Katalunien befindet sich eine Staumauer aus der ersten Hälfte der 1960er-Jahre, die das imposante „Mar de Aragon“ anstaut – ein riesiger, über 100 Kilometer langer und bis 70 Meter tiefer See ist dabei entstanden. Direkt darunter befindet sich der Stausee von Riba-Roja mit etwa 35 Kilometern Länge, unmittelbar stromab liegt die Talsperre von Flix, die mit „nur“ 14 Kilometern Länge spürbar kleiner ist. 80 Kilometer weiter östlich verlieren sich die Ebrofluten bei Riumar in das Mittelmeer, wobei sie bei den Dörfern Asco und Xerta noch zwei eher kleine Wehre überwinden.
ANGEREICHERTE FISCHBESTÄNDE
Die Fischfauna Spaniens ist von Natur aus recht bescheiden. Ursprünglich gab es im Ebro lediglich recht kleine Fische (Süßwasserblennius, Gründlinge, Elritzen, Döbel, Barben, Aale und Iberische Nasen), die Bachforelle in den Bergstrecken war die größte einheimische Fischart.
Heute leben hier Zander, Schwarzbarsche, Flussbarsche, Welse und einige wenige Hechte, während Friedfische wie Karpfen, Rotaugen, Rotfedern und Lauben ebenfalls ihren Weg in den Ebro gefunden haben. Auf legale Art sind lediglich die Schwarzbarsche nach Spanien gelangt, gefördert von Besatzmaßnahmen des spanischen Staates in den sechziger Jahren. Alle anderen Arten sind über die Jahrzehnte von Anglern mitgebracht worden, mit denen sie den Ebro und andere spanische Flusssysteme illegal besetzt haben. Bedingt durch das im Jahresmittel recht warme und sehr nährstoffreiche Ebrowasser sind diese Neusiedler prächtig gediehen. Der weitere Grund für die stellenweise epischen Fänge, die der Ebro in den vergangenen Jahrzehnten ermöglicht hat, ist die Tatsache, dass es in ganz Spanien keine Binnenfischerei durch Berufsfischer gibt. So gerne die Spanier Meeresfische essen, so wenig interessieren sie Fische des Süßwassers. Im Gegensatz zu den meisten anderen Gewässersystemen Europas gibt es im Ebro keinerlei Berufsfischerei, d.h. es gibt hier seit jeher keine Netze, Reusen und Legleinen, die so viele andere Gewässer unglaublich schädigen.
DIE EBROWELSE
1974 hat ein Angler 32 Jungwelse aus Deutschland mitgebracht. Es handelte sich um noch nicht laichreife Tiere von 20 bis 30 Zentimetern Länge. Bei Mequinenza hat er diese Fische in die Talsperre von Riba-Roja gesetzt. Und von da an ist diese Fischart im Ebro förmlich explodiert: Die Welse haben sich nicht nur prächtig vermehrt und einen gewaltigen Bestand aufgebaut, nein, ab etwa 1991/92 wurden immer mehr Exemplare gefangen, die über zwei Meter lang waren. Und heute wiegen dort die Riesen von über 2,5 Metern Länge deutlich über 100 Kilo.
Noch heute sind die schwersten spanischen Welse in der Talsperre von Riba-Roja zuhause. Hier leben nach wie vor die ältesten spanischen Welse. Von hier aus haben sie den Ebro bis an das Mittelmeer und bis weit stromauf von Saragossa kolonisiert. Weil sie jedoch mit deutlicher zeitlicher Verzögerung stromauf von Saragossa angelangt sind, sind dort die Durchschnittsgrößen deutlich geringer als bei Mequinenza. Anders sieht es mit der Strecke stromab der Riba-Roja-Talsperre aus. Bedingt durch Hochwasser und geöffnete Talsperrenmauern bei Riba-Roja und Flix haben die Welse den Ebro-Unterlauf und das Delta des Flusses deutlich einfacher und schneller erreicht. Deshalb sind die Exemplare dort älter und weisen höhere Durchschnittsgrößen auf als stromauf von Saragossa. Wirklich „welsträchtig“ ist der Ebro heute auf einer Länge von über 350 Kilometern.
Im Frühjahr 1989 bin ich erstmalig an den Ebro gereist. Damals hatte ich in Deutschland noch nicht einen Wels gefangen. Die großen Angelzeitschriften, die ich schon zu diesen Zeiten eifrig studierte, verrieten gelegentlich, dass in der bayerischen Naab, in der Rott oder im Regen hin und wieder ein Exemplar überlistet wurde, 20, 30 Kilo schwer, ganz ausnahmsweise auch ein Brocken von über 50 Kilo. Besonders eines ist mir jedoch aufgefallen: Viele Welse fängt niemand. Diese Fische scheinen unglaublich selten und absolute Ausnahmeerscheinungen zu sein. Irgendwie war mir klar, dass ich vielleicht nie ein solches Tier würde fangen können. Ich war zuvor schon an die ungarische Theiß gereist, wo ich doch tatsächlich ein Tier von 26 Kilo erwischt habe – doch auch dort waren solche Fische bei weitem nicht an der Tagesordnung. Noch gut erinnere ich mich an den Berufsfischer Janos Toth, der mir stolz Fotos von seinem mit Abstand größten Wels gezeigt hat, ein Exemplar von 2,10 Meter und 70 Kilo. Der einzige Wels von über zwei Meter in mehreren Jahrzehnten Berufsfischerei. Nie würde ich so ein Tier fangen können, dachte ich mir …
ERSTER BESUCH
Entsprechend war ich am Ebro schon bei meinem ersten Besuch völlig aus dem Häuschen: Es war gar nicht schwer, gleich mehrere Welse von 20 bis 30 Kilo an nur einem Tag zu fangen. Ich hatte mein Paradies gefunden. Von da ab habe ich jährlich viele Monate am Ebro verbracht, konnte beobachten, wie das Durchschnittsgewicht jährlich um 2 bis 4 Kilo anstieg. Nach der Jahrtausendwende sind dann in der Saison 2006 die ersten Exemplare von über 100 Kilo (102 Kilo, Fänger: Bodo Kunkel) gelandet worden. In den Jahren danach hat der Guide Claude Valette einen Fisch von 112 Kilo erwischt, der vor vielen Zeugen gewogen wurde. Bis dato ist kein größerer Wels verbürgt – auch wenn Gerüchte von größeren Fischen kursieren und ich der Auffassung bin, dass es in den Ebrofluten heute Exemplare von 120 Kilo geben müsste.
Das „Problem“ der Ebrowelse ist die Tatsache, dass die Riesenwelse von heute bereits diejenigen waren, die wir vor über 25 Jahren mit etwa 50 Kilo Gewicht gefangen haben. Die wahren Riesen von heute sind immer noch die ersten Folgegenerationen vom Erstbesatz, vielleicht lebt auch noch der eine oder andere dieser „Erstlinge“ – kurzum, die heutigen Ebroriesen von über 100 Kilo sind nahezu 40 Jahre alt. Jahrein, jahraus waren es aber genau diese Fische, denen der größte Befischungsdruck gegolten hat. Auch wenn Welse ungemein robust und zäh im Nehmen sind, jährlich sind einige Fische dieser ersten Generationen „verangelt“ worden. Sie sind entweder durch schlechte Behandlung gestorben oder wurden von ihren Fängern abgeschlagen.
So oder so fehlen zahlreiche dieser sehr alten Exemplare, was wiederum erklärt, warum Brocken von über 100 Kilo immer noch große Ausnahmefänge und viel seltener sind als vor über 20 Jahren die zwei Meter langen Exemplare. Nichtsdestotrotz ist der Ebro wahrscheinlich weltweit immer noch das Revier, in welchem man als Angler die besten Chancen hat, ein Exemplar von über zwei Metern Länge zu fangen.
Abb.: Die Schlacht ist geschlagen, die beiden Angler halten ihren Wels in den Armen.
[Textkürzung. Auf den folgenden Seiten geht es um kampfstarke Fluss- und Schwarzbarsche, kapitale Zander sowie spanische Karpfen.]
DER EBRO-UNTERLAUF
Am Ebro sind nicht nur die Talsperren interessant, schon ganz früh hat es mir auch der Ebro-Unterlauf angetan. Warum? Weil hier der Ebro ein ganz anderes Gewässer als stromauf ist. Geografisch ist er durch sein Delta vor seiner Mündung in das Mittelmeer ganz anders, aber auch der Fischbestand hält so manche Überraschung parat: Es gibt hier alle Süßwasserfischarten, die auch in den Talsperren leben, aber zu ihnen gesellen sich noch eine Reihe von Gästen aus dem Meer: Unmengen von Meeräschen prägen hier das Welsangeln, während gleichzeitig immer wieder Wolfsbarsche, besonders im Winter, die 60 Flusskilometer vom Meer bis an das Wehr von Xerta hinaufziehen. Was für eine Überraschung, wenn dann beim Zander- oder Schwarzbarschangeln ein rasanter Wolfsbarsch am Haken hängt!
Im brackigen Bereich stromab von Deltebre sind regelmäßig Bluefische unterwegs, Vollbluträuber, die so spektakulär auf den Köder knallen wie sie kämpfen. Ein wenig stromab gesellen sich dann noch Gabelmakrelen hinzu, die gar über 50 Kilo Gewicht erreichen können! Wohlbemerkt, all das im brackigen Teil des Ebro-Unterlaufes.
Wo sich die Ebrofluten mit jenen des Mittelmeeres vermengen, lungern ebenfalls Bluefische und Gabelmakrelen. Nun haben diese Arten aber einen weiteren Begleiter – den Blauflossenthun. Seitdem diese Art ab 2006 im europäischen Mittelmeer unter Vollschutz gestellt wurde, haben sich die einst hoffnungslos überfischten Bestände erstaunlich gut regeneriert.
Noch fehlen die großen Trupps der über 300 Kilo schweren Alttiere, aber es sind unglaubliche Stückzahlen an Jungtieren unterwegs. Das Gros der Ebrothune ist heute 20 bis 60 Kilo schwer – groß genug, um im Stand-Up selbst gestandene Angler in die Knie zu zwingen. Der Drill eines Blauflossenthuns ist nicht zu vergleichen mit dem eines Ebrowelses. Und ich selbst bin Zeuge von raubenden Thunen geworden, die sich unmittelbar vor dem Ebro, nur ein paar hundert Meter vom Strand entfernt, bei 5 Metern Wassertiefe der vollen Länge nach aus dem Wasser katapultieren. Demnächst werden dort, da bin ich mir sicher, auch gelegentlich Thune vom Strand aus gefangen werden – das gibt es nahezu nirgendwo auf dieser Welt.
Der Drill eines Thunfisches im „Stand-Up-Modus“, also ohne Kampfstuhl, ist eine ziemlich heftige Angelegenheit, bei der man an seine Grenzen stoßen kann. Davon durfte sich Gregor Bradler bei einer Ausfahrt aufs Mittelmeer im Bereich der Ebro-Mündung überzeugen.
Abb.: Blauflossenthunfisch, auch Roter Thun, Großer Thun oder Nordatlantischer Thun (Thunnus thynnus).
FAZIT: EIN TRAUMFLUSS
Auch wenn die epischen Fänge von vor 10 oder 20 Jahren der Vergangenheit angehören, der Rio Ebro ist und bleibt eines der allerbesten Reviere Europas. Wir können uns glücklich schätzen, einen solchen Fluss in Europa zu haben. Der Ebro hat über die Jahre zehntausende von Anglern aus aller Herren Länder glücklich gemacht und vielen von ihnen die anglerischen Sternstunden ihres Lebens beschert. An den Ebroufern ist Angelgeschichte geschrieben worden. Gäbe es den Ebro nicht, man müsste ihn erfinden.
[TEXTKÜRZUNG: Diese Leseprobe endet hier. Zum Kapitel gehören noch mehrere Fisch-Steckbriefe, Impressionen aus dem Reiselogbuch, diverse Fotos und Textstellen und konkreten Empfehlungen von Reise-Anbietern. Weiterhin, kann man mit seinem Tablet oder Smartphone einen QR-Code einscannen und Filme im Internet betrachten.]
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HINWEIS: Das Töten wild lebender Tiere ist vom Gesetzgeber streng reglementiert. Der tierschutzgerechte Umgang mit Fischen wird Dir bei den Vorbereitungskursen zur staatlichen Fischerprüfung vermittelt. Sei Dir immer Deiner Verantwortung bewusst, die Dir mit dem hier beschriebenen Wissen anvertraut wird.
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Anmerkungen
Von KRAUTJUNKER existiert eine Gruppe bei Facebook.
Titel: DMAX Angel-Abenteuer weltweit für echte Kerle
Autoren: Gregor Bradler und Olivier Portrat
Verlag: Müller Rüschlikon
Verlagslink: https://www.motorbuch-versand.de/product_info.php/info/11114
ISBN: 978-3-275-02141-3
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Erste Leseprobe: https://krautjunker.com/2018/10/20/angelabenteuer-mongolei-flusswoelfe-und-einzigartige-hechte/
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